VfGH G2/92

VfGHG2/9211.6.1992

Aufhebung einer Bestimmung im ApothekenG betreffend die vom Konzessionswerber für die Neuerrichtung einer öffentlichen Apotheke in Orten mit bereits einer bestehenden Apotheke geforderte fachliche Tätigkeit von zehn Jahren wegen Widerspruchs zur Erwerbsausübungsfreiheit und zum Gleichheitsgrundsatz; unsachliche Differenzierung zwischen Konzessionswerbern hinsichtlich der geforderten fünf- bzw zehnjährigen fachlichen Tätigkeit

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
ApothekenG §3 Abs2
ApothekenG §3 Abs3 und Abs4
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
ApothekenG §3 Abs2
ApothekenG §3 Abs3 und Abs4

 

Spruch:

Die Wortfolge ", wenn es sich aber um die Erlangung einer Konzession zum Betrieb einer neu zu errichtenden Apotheke in Orten handelt, in denen bereits eine Apotheke besteht, zehn Jahre" im §3 Abs2 zweiter Satz des Gesetzes vom 18. Dezember 1906, RGBl. Nr. 5/1907, betreffend die Regelung des Apothekenwesens (Apothekengesetz), zuletzt geändert mit Bundesgesetz BGBl. Nr. 362/1990, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist verpflichtet, diese Aussprüche unverzüglich im Bundesgesetzblatt kundzumachen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu Zl. B754/91 das Verfahren über eine Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrundeliegt:

Die Beschwerdeführerin beantragte mit einer an den Landeshauptmann von Tirol gerichteten Eingabe vom 21. Dezember 1990 die Erteilung einer Konzession zur Errichtung und zum Betrieb einer öffentlichen Apotheke in Rum/Tirol mit einem bestimmt umschriebenen Standort.

Der Bundesminister für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz wies mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 17. Mai 1991 dieses Ansuchen gemäß §3 Abs1 Z5 und §3 Abs2 sowie §47 Abs1 des Apothekengesetzes, RGBl. 5/1907, zuletzt geändert mit Bundesgesetz BGBl. 362/1990, (im folgenden kurz als "ApG" zitiert), ab. Der Bescheid wurde im wesentlichen damit begründet, daß in Rum bereits eine öffentliche Apotheke bestehe und daher für die Neuerrichtung einer Apotheke in diesem Ort vom Konzessionswerber eine fachliche Tätigkeit von zehn Jahren gefordert werde (§3 Abs2 ApG); die fachliche Tätigkeit der Beschwerdeführerin als vertretungsberechtigte Apothekerin betrug aber bloß etwas mehr als fünf Jahre.

Gegen diesen Bescheid wendet sich die eingangs erwähnte, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde.

2. Der Verfassungsgerichtshof beschloß am 12. Dezember 1991, aus Anlaß dieser Beschwerde gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der im Spruch näher zitierten Wortfolge im §3 Abs2 ApG einzuleiten.

Er nahm im Rahmen einer vorläufigen Beurteilung an, daß die erwähnte Bestimmung dem Grundrecht der Erwerbsfreiheit (Art6 StGG) und dem Gleichheitsgrundsatz (Art7 B-VG) widerspricht.

3. Die Bundesregierung teilte mit, daß sie in ihrer Sitzung am 25. Feber 1992 beschlossen habe, in diesem Gesetzesprüfungsverfahren im Hinblick auf die einschlägige Vorjudikatur des Verfassungsgerichshofes von der Erstattung einer meritorischen Äußerung Abstand zu nehmen.

II. Die hier maßgebende Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

§3 ApG regelt die Voraussetzungen hinsichtlich der persönlichen Eignung zum selbständigen Betrieb einer öffentlichen Apotheke. Die für den vorliegenden Fall wesentlichen Teile dieser Norm lauten (die in Prüfung gezogene Wendung ist hervorgehoben):

"§3. (1) Zur Erlangung der Berechtigung zum selbständigen Betrieb einer öffentlichen Apotheke ist erforderlich:

1. ...

2. ...

3. der an einer Universität in der Republik Österreich erworbene akademische Grad eines Magisters der Pharmazie oder ein gleichartiger im Ausland erworbener und in Österreich nostrifizierter akademischer Grad;

4. die Vertretungsberechtigung auf Grund der praktischen Ausbildung als Aspirant der Pharmazie und der hierüber erfolgreich abgelegten Prüfung für den Apothekerberuf gemäß §3 a;

5. die Leitungsberechtigung auf Grund einer nach Erfüllung der in Z3 und 4 angeführten Erfordernisse zurückgelegten fachlichen Tätigkeit der in Abs2 bis 4 bezeichneten Art und Dauer;

6. ...

(2) Als fachliche Tätigkeit (Abs1 Z5) ist die pharmazeutische Tätigkeit in einer inländischen öffentlichen Apotheke oder Anstaltsapotheke anzusehen. Die Dauer dieser Tätigkeit hat fünf Jahre, wenn es sich aber um die Erlangung einer Konzession zum Betrieb einer neu zu errichtenden Apotheke in Orten handelt, in denen bereits eine Apotheke besteht, zehn Jahre zu betragen.

(3) Für die Erlangung einer Konzession zum selbständigen Betrieb einer neu zu errichtenden Apotheke in Orten, in denen bereits eine Apotheke besteht, sind auf die in Abs2 bezeichnete fachliche Tätigkeit anzurechnen:

  1. 1. eine Tätigkeit als Universitätsprofessor, Universitätsdozent oder Universitätsassistent (Vertragsassistent) an einer inländischen

    Universität, die der pharmazeutischen Ausbildung dient;

  1. 2. eine nach Erlangung des akademischen Grades eines Magisters der Pharmazie in den beiden Weltkriegen im Wehrdienst geleistete pharmazeutische Tätigkeit oder

  1. 3. eine nach Erlangung des akademischen Grades eines Magisters der Pharmazie auf Grund des Wehrgesetzes 1978, BGBl. Nr. 150, absolvierte pharmazeutische Dienstleistung.

(4) Liegt nur eine der im Abs3 angeführten Tätigkeiten vor, so ist diese bis zum Ausmaß von zwei Jahren auf eine fachliche Tätigkeit im Sinne des Abs2 anzurechnen; liegen mehrere derartige Tätigkeiten vor, so darf die Anrechnung insgesamt vier Jahre nicht überschreiten.

(5) - (7) . . .".

III. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Anlaß-Beschwerde ist zulässig. Der Verfassungsgerichtshof wird daher über sie in der Sache zu entscheiden haben. Hiebei hat er u.a. §3 Abs2 ApG anzuwenden, auf den der angefochtene Bescheid vornehmlich gegründet ist. Es reicht allerdings hin, die im Spruch angeführte Wortfolge zu prüfen und gegebenenfalls aufzuheben, um eine Rechtslage zu schaffen, auf die die in der Folge näher dargelegten Bedenken nicht mehr zutreffen.

Die Österreichische Apothekerkammer - die im Gesetzesprüfungsverfahren eine Stellungnahme abgegeben hat - vertritt den Standpunkt, daß auch die Absätze 3 und 4 des §3 ApG zur Gänze in das Gesetzesprüfungsverfahren einbezogen und gegebenenfalls aufgehoben werden müßten, weil sie ausschließlich Anrechnungsbestimmungen für das "Dezennium" seien.

Entgegen dieser Auffassung wurde der Prüfungsumfang nicht zu eng gefaßt: Die Absätze 3 und 4 des §3 ApG wurden von der belangten Behörde bei der Erlassung des im Beschwerdeverfahren angefochtenen Bescheides nicht angewendet und sind auch für die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes im Beschwerdeverfahren nicht von Belang.

Diese Bestimmungen beziehen sich - worauf die Österreichische Apothekerkammer zutreffend hingewiesen hat - ihrem Wortlaut und Sinngehalt zufolge ausschließlich auf die in Prüfung gezogene Wortfolge in §3 Abs2 ApG, also das sogenannte "Dezennium". Im Fall der Aufhebung dieser Wortfolge gehören die Absätze 3 und 4 des §3 ApG weiterhin dem Rechtsbestand an; sie werden jedoch unanwendbar.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

2. Die im Einleitungsbeschluß enthaltenen Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Wendung im §3 Abs2 ApG treffen zu:

a)aa) §3 Abs2 ApG engt den Zugang zum Apothekengewerbe ein und beschränkt daher die Erwerbsfreiheit. Eine derartige Beschränkung wäre nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10179/1984, 10386/1985, 10932/1986, 11276/1987, 11483/1987, 11494/1987, 11503/1987) nur zulässig, wenn das öffentliche Interesse sie gebietet, sie zur Zielerreichung geeignet und adäquat ist und sie auch sonst sachlich gerechtfertigt werden kann.

bb) Aus §3 Abs2 ApG folgt, daß es in Ansehung der für den Konzessionserwerb erforderlichen Dauer der zurückgelegten fachlichen Tätigkeit drei verschiedene Gruppen von ApothekenKonzessionswerbern gibt:

Die Differenzierung zwischen Konzessionswerbern, für die eine fünfjährige und solchen, für die eine zehnjährige fachliche Tätigkeit verlangt wird, könnte nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes nur dann vor dem auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgrundsatz bestehen, wenn sie sachlich rechtfertigbar wäre.

b) Der Verfassungsgerichtshof hegt keine Bedenken dagegen, daß die Erlangung der Konzession zum selbständigen Betrieb einer Apotheke von einer praktischen Vorbereitungstätigkeit abhängig gemacht wird.

Die in Prüfung gezogene Bestimmung wurde durch die ApG-Novelle 1965, BGBl. 56, eingeführt; sie blieb durch die folgenden Novellen - von einer sprachlichen Änderung durch die ApG-Novelle 1984, BGBl. 502, abgesehen - unberührt. Bis zur ApG-Novelle 1965 war eine 15-jährige fachliche Tätigkeit des Konzessionswerbers vorgesehen gewesen. Die genannte Novelle diente den Erläuternden Bemerkungen (EB) zur Regierungsvorlage (594 BlgNR, 10. GP) zufolge dazu, durch Herabsetzung der Dauer der für die Konzessionserlangung geforderten fachlichen Tätigkeit einen Anreiz zur Neuerrichtung von öffentlichen Apotheken im ländlichen Raum - und zwar in solchen Orten, in denen sich noch keine öffentliche Apotheke befindet - zu schaffen. Außerdem sollte durch die Neuregelung dem "Mangel an ausreichendem pharmazeutischem Nachwuchs, insbesondere Studierenden männlichen Geschlechtes," begegnet und damit ein "wohlausgewogener Berufsnachwuchs" gefördert werden.

Die EB lauten dann wörtlich:

"Zur Erreichung dieser Ziele wird daher durch eine Novellierung des §3 des Apothekengesetzes die Dauer der fachlichen Tätigkeit zur Erlangung der Berechtigung zum selbständigen Betrieb einer öffentlichen Apotheke auf fünf Jahre herabgesetzt. Lediglich bei der Erlangung einer Konzession zum Betriebe einer neu zu errichtenden Apotheke in Orten, in denen bereits eine Apotheke besteht, soll diese Tätigkeit zehn Jahre betragen, da in diesen Fällen eine außerordentliche Förderungswürdigkeit nicht gegeben ist. Auch erscheint es deshalb geboten, für die Erlangung einer Konzession für Orte, in denen bereits eine Apotheke besteht, eine längere fachliche Tätigkeit vorzusehen, um zu gewährleisten, daß der Inhaber der neuen Konzession durch vorhergehendes entsprechendes Kennenlernen der Gepflogenheiten eines ordnungsgemäßen Apothekenbetriebes im Verhältnis zu bereits bestehenden Apotheken eine solche Einstellung an den Tag legt, die jenen Regeln des Wettbewerbs Rechnung trägt, welche zwischen Apothekenbetrieben branchenüblich gehandhabt werden."

c) Diese Erwägungen können die getroffene Regelung sachlich nicht rechtfertigen:

Der Gesetzgeber ging davon aus, daß - zusammen mit den in §3 Abs1 Z3 und 4 ApG genannten theoretischen und praktischen Ausbildungserfordernissen - eine fünfjährige fachliche Tätigkeit als zum selbständigen Betrieb einer öffentlichen Apotheke erforderliche Qualifikation hinreiche. Das Kennenlernen von Wettbewerbsregeln erfordert - entgegen der Andeutung im letztzitierten Satz der EB - keine doppelt so lange Dauer an fachlicher Tätigkeit.

Der Verfassungsgerichtshof meint zwar, daß das mit der ApG-Novelle 1965 primär verfolgte Ziel, die Neueröffnung öffentlicher Apotheken im dünner besiedelten ländlichen Raum zu fördern, vernünftig ist. Das zur Zielerreichung eingesetzte Mittel (nämlich die Normierung einer zehnjährigen - statt der sonst vorgesehenen fünfjährigen - Dauer der fachlichen Tätigkeit für Bewerber um eine neue Apothekenkonzession in Orten, in denen bereits eine Apotheke besteht) führt aber zu einer unsachlichen Differenzierung zwischen Konzessionswerbern. In Wahrheit läuft die Regelung auf einen unzulässigen Konkurrenzschutz (vgl. zB VfSlg. 10179/1984, 11276/1987) hinaus.

d) Für die getroffene Differenzierung gibt es auch sonst keine sie sachlich rechtfertigenden Gründe. Die Festsetzung der in Rede stehenden doppelt so langen Dauer der fachlichen Tätigkeit ist kein adäquates Mittel zur Erreichung irgendeines in Betracht kommenden legitimen Zieles.

Die in Prüfung gezogene Wortfolge im §3 Abs2 ApG war sohin wegen Widerspruchs zu Art6 StGG und zu Art7 B-VG als verfassungswidrig aufzuheben.

e) Die übrigen Aussprüche gründen sich auf Art140 Abs5 und 6 B-VG.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

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