VfGH B538/89

VfGHB538/8926.2.1991

"Erniedrigende Behandlung" durch nicht maßhaltende Körperkraft; keine Anfechtbarkeit von Beschimpfungen; keine Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit durch Festnahme aufgrund der vertretbaren Annahme des Vorliegens der Verwaltungsübertretung des ungestümen Benehmens

Normen

StGG Art8
EMRK Art3
VStG §35 litc
EGVG 2008 ArtIX Abs1 Z2
StGG Art8
EMRK Art3
VStG §35 litc
EGVG 2008 ArtIX Abs1 Z2

 

Spruch:

1. Der Beschwerdeführer ist dadurch, daß ihm am 22. März 1989 im Bezirkspolizeikommissariat Leopoldstadt von einem Sicherheitswachebeamten der Bundespolizeidirektion Wien ein heftiger Stoß versetzt wurde, sodaß der Beschwerdeführer mit dem Kopf eine Fensterscheibe durchstieß, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden, verletzt worden.

2. Hingegen ist der Beschwerdeführer durch seine Festnahme am genannten Tag um 19.30 Uhr durch einen Sicherheitswachebeamten der Bundespolizeidirektion Wien und durch seine Anhaltung bis 21.15 Uhr dieses Tages weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird insoweit abgewiesen.

3. Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

4. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Vertreters einen mit S 15.000,-- bestimmten Teil der Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Im übrigen werden die Kosten gegeneinander aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer begehrt mit seiner auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde, der Verfassungsgerichtshof wolle feststellen, daß er durch Amtshandlungen von Sicherheitswachebeamten der Bundespolizeidirektion Wien am 22. März 1989, und zwar durch seine Festnahme und Anhaltung von 19.30 Uhr bis 21.15 Uhr, durch die Anwendung von Körperkraft und durch Waffengebrauch sowie durch seine Beschimpfung und Verspottung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden sei.

In der Beschwerde wird vorgebracht, der Beschwerdeführer habe am 22. März 1989 gegen 19.30 Uhr gemeinsam mit seinem Freund F A den Praterstern in Wien auf einem Fußgängerübergang überqueren wollen, wobei das Lichtsignal für die Fußgänger noch Grün gezeigt habe. Hiebei seien der Beschwerdeführer und sein Freund von zwei Sicherheitswachebeamten beanstandet worden, welche sie veranlaßt hätten, zum Fahrbahnrand zurückzutreten. Die Beamten hätten behauptet, der Beschwerdeführer und sein Freund hätten die Fahrbahn bereits bei Rotlicht betreten und deshalb eine Verwaltungsübertretung begangen. Der Beschwerdeführer habe die Bezahlung eines Organmandates abgelehnt, da der Vorwurf der Beamten nicht gerechtfertigt gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe sich über Aufforderung eines der Beamten mit seinem österreichischen Personalausweis legitimiert. Während der Amtshandlung sei der Beschwerdeführer von den Beamten geduzt und beschimpft worden. Als sich der Beschwerdeführer nach den Dienstnummern der Beamten erkundigt habe, seien die Polizisten diesem Ersuchen nicht nachgekommen und hätten "stattdessen" die Festnahme des Beschwerdeführers wegen Verwaltungsübertretungen ausgesprochen. Gleichzeitig hätten die Beamten den Beschwerdeführer gegen das Geländer einer Baustelle gedrängt. F A habe den Beschwerdeführer am Rücken festgehalten und in die Gegenrichtung gedrängt, damit der Beschwerdeführer nicht in eine dort befindliche Baugrube stürze. Die Polizeibeamten hätten den Beschwerdeführer gepackt, ihm die Hand verdreht und sich bemüht, dem Beschwerdeführer während des sich entwickelnden Handgemenges Handschellen anzulegen. Gleichzeitig habe einer der Beamten über sein Funkgerät Verstärkung herbeigerufen, worauf mehrere Funkstreifen eingetroffen seien. Aus den Wagen seien weitere Beamte ausgestiegen, die sofort begonnen hätten, auf F A und den inzwischen mit Handschellen gefesselten Beschwerdeführer mit ihren Gummiknüppeln einzuschlagen. Die Beamten hätten auch weiter auf den Beschwerdeführer eingeschlagen, nachdem er zu Fall gekommen und gefesselt am Boden gelegen sei. Die Beamten hätten auch ihre Beschimpfungen fortgesetzt.

Schließlich sei der Beschwerdeführer in einen Funkstreifenwagen gezerrt worden, wo ihm der rechte hintere Sitz zugewiesen worden sei. Ein vor ihm sitzender Beamter habe weiter mit dem Gummiknüppel auf den Kopf des Beschwerdeführers eingeschlagen, ein neben ihm sitzender Beamter habe den Beschwerdeführer an den Haaren gerissen, seinen Oberkörper heruntergedrückt und den Kopf zwischen den Beinen festgehalten. Selbst mit dem Griff der Dienstpistole seien dem Beschwerdeführer Schläge auf den Kopf versetzt worden.

Im Bezirkspolizeikommissariat Leopoldstadt sei die Mißhandlung des Beschwerdeführers fortgesetzt worden. Dabei sei der Beschwerdeführer gegen eine Glasscheibe gestoßen worden. Der Beschwerdeführer habe daraufhin mit der Rettung in das Lorenz Böhler-Unfallkrankenhaus gebracht werden müssen, wo die Ärzte gegen

20.20 Uhr eine Gehirnerschütterung, zahlreiche Schnittverletzungen an der Stirn, Schwellungen sowie eine Verstauchung der Halswirbelsäule festgestellt hätten. Außerdem habe der Beschwerdeführer Hämatome im Schulterbereich davongetragen. Die Anhaltung des Beschwerdeführer im Unfallkrankenhaus sei erst um

21.15 Uhr eingestellt und der Beschwerdeführer in der Folge erst am 24. März 1989 aus dem Krankenhaus entlassen worden.

2. Die belangte Bundespolizeidirektion Wien, vertreten durch die Finanzprokuratur, beantragt die Zurückweisung bzw. Abweisung der Beschwerde.

In der Gegenschrift der belangten Behörde wird ausgeführt, am 22. März 1989 um 19.25 Uhr hätten die beiden Polizeibeamten T M und A M am Praterstern Dienst versehen und hiebei beobachtet, daß der Beschwerdeführer und F A die Fahrbahn bei Rotlicht überquerten. Als die beiden deshalb beanstandet worden seien, habe der Beschwerdeführer die Beamten angeschrieen, sie sollten lieber "in den Prater Verbrecher fangen gehen". Nach Abmahnung und Aufforderung zur Bezahlung eines Organmandats habe der Beschwerdeführer neuerlich geschrien, ebenso anläßlich des Vorweisens seines Lichtbildausweises. Auf eine nochmalige Abmahnung und Androhung der Festnahme habe der Beschwerdeführer abermals mit Schreien reagiert. Der Beschwerdeführer sei, da er sein Verhalten nicht eingestellt habe, von Insp. M um 19.30 Uhr gemäß §35 litc VStG 1950 festgenommen worden. Da der Beschwerdeführer der Aufforderung, auf das Wachzimmer Praterstern mitzukommen, nicht habe Folge leisten wollen, habe der Beamte versucht, den Beschwerdeführer am Oberarm zu fassen. Es sei daraufhin zu einem Handgemenge zwischen den beiden gekommen, bei welchem der Beamte Verletzungen davongetragen habe. Während dieser Vorgänge habe der zweite Beamte, A M, F A, der sich habe einmischen wollen, zurückhalten müssen. Zwischenzeitig sei Verstärkung eingelangt. Einer der hinzugekommenen Beamten, Insp. G S, habe versucht, den Beschwerdeführer von Insp. M wegzureißen, was jedoch nicht gelungen sei. Da der Beschwerdeführer weiter auf den Beamten eingeschlagen habe, habe Insp. S den Gummiknüppel gegen Schulter, Oberarme und Rücken des Beschwerdeführers eingesetzt. Erst dann sei es mit Hilfe weiterer Beamter gelungen, dem Beschwerdeführer Handfesseln anzulegen.

In der Folge sei der Beschwerdeführer mittels Funkwagen in das Bezirkspolizeikommissariat Leopoldstadt überstellt und der Behörde übergeben worden. Nachdem sich der Beschwerdeführer anscheinend wieder beruhigt hätte, seien ihm die Handfesseln abgenommen worden. Auf dem Weg zu den Zellen im Kommissariatsgebäude sei der Beschwerdeführer von Bez.Insp. F P und Rev.Insp. R H begleitet worden. Während Rev.Insp. H die Tür zum Arrestvorraum aufgesperrt habe, sei der Beschwerdeführer zwischen Aufzugtüre und Stiegenaufgang gestanden. Bez.Insp. P sei ca. 1 m hinter dem Beschwerdeführer gestanden, als der Beschwerdeführer plötzlich nach links gesprungen und sich mit dem Kopf gegen eine Fensterscheibe des Windfanges zwischen Stiegenhaus und Aufzugvorraum gestürzt habe, wodurch er sich eine stark blutende Schnittwunde an der Stirn zugeführt habe, da die Scheibe zersplittert sei.

Der Beschwerdeführer sei um 20.10 Uhr von der Rettung in das Lorenz Böhler-Krankenhaus verschafft worden, wo er stationär aufgenommen worden sei. Die Haft über den Beschwerdeführer sei um

21.15 Uhr aufgehoben worden.

3. In der Folge wurden gegen den Beschwerdeführer wegen §§83 Abs1, 84 Abs2 Z4; 15, 269 Abs1 StGB sowie gegen insgesamt acht an der Amtshandlung beteiligte Sicherheitswachebeamte wegen §§83 Abs1, 84 Abs1; 313 StGB beim Landesgericht für Strafsachen Wien zu 25a Vr 6124/89 Vorerhebungen eingeleitet. Das Verfahren wurde am 16. März 1990 zur Gänze gemäß §90 Abs1 StPO eingestellt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Verfassungsgerichtshof hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den oben genannten Akt des Landesgerichts für Strafsachen Wien und in die von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakten betreffend die Strafanzeige gegen den Beschwerdeführer sowie die Erhebungen des Sicherheitsbüros der Bundespolizeidirektion Wien über die Vorfälle vom 22. März 1989. Weiters wurde Beweis erhoben durch die Einvernahme des Beschwerdeführers als Partei sowie der Polizeibeamten T M, A M,

G S, C M, E K, O L, F P, R H und W D als Zeugen im Rechtshilfeweg.

Schließlich hat der Referent des Verfassungsgerichtshofes am 14. November 1990 im Bezirkspolizeikommissariat Leopoldstadt gemäß §20 Abs2 VerfGG iVm §§288 Abs1, 368 ZPO (§35 Abs1 VerfGG) eine Beweistagsatzung durchgeführt, welche der Vornahme eines Lokalaugenscheins und der ergänzenden Vernehmung des Beschwerdeführers als Partei und der Zeugen P und H diente.

Bei den verschiedenen Vernehmungen durch die Sicherheitsbehörde, im strafgerichtlichen Verfahren sowie im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof blieben der Beschwerdeführer (und auch der über die Vorgänge am Praterstern im strafgerichtlichen Verfahren als Zeuge vernommene F A) einerseits und die Polizeibeamten andererseits im wesentlichen bei jenen Angaben, die bereits in der Beschwerde und in der Gegenschrift enthalten sind. Die Polizeibeamten führten - wozu in der Gegenschrift noch nicht Stellung genommen war - auch aus, daß die Fahrt im Funkstreifenwagen zum Bezirkspolizeikommissariat Leopoldstadt völlig ruhig verlaufen sei und während der Fahrt von den Beamten keine Tätlichkeiten gegen den Beschwerdeführer gesetzt worden seien.

2. Der Verfassungsgerichtshof nimmt aufgrund dieser Beweismittel folgenden Sachverhalt als erwiesen an:

Am 22. März 1989 gegen 19.30 Uhr wollten der Beschwerdeführer und sein Freund F A einen ampelgeregelten Fußgängerübergang am Praterstern benützen. Von den beiden dort Dienst versehenden Sicherheitswachebeamten M und M aufgefordert, dies zu unterlassen, weil das entsprechende Verkehrszeichen bereits rot zeige, und wieder auf den Gehsteig zurückzugehen, entspann sich zunächst zwischen den Beamten und dem Beschwerdeführer ein Wortwechsel, der vorerst mit einer Weigerung des Beschwerdeführers zur Bezahlung eines Organmandates endete. Nachdem der Beschwerdeführer dem Verlangen der Beamten zur Ausweisleistung nachgekommen war, gab der Beschwerdeführer - trotz Abmahnung - immer heftiger und lautstärker seinem Unmut über das Verhalten der Beamten Ausdruck, worauf von Insp. M die Festnahme des Beschwerdeführers vorgenommen wurde. Der Beschwerdeführer widersetzte sich seiner Festnahme, es kam zu einem Handgemenge zwischen dem Beschwerdeführer und dem Polizeibeamten M, die beiden stürzten zu Boden. Erst mit Unterstützung weiterer (per Funk herbeigerufener) Beamter - wobei der Sicherheitswachebeamte S von seinem Gummiknüppel Gebrauch machte - gelang es, dem Beschwerdeführer Handschellen anzulegen.

Der Beschwerdeführer wurde sodann mit einem Funkwagen zum Bezirkspolizeikommissariat Leopoldstadt gebracht. Dort wurden ihm - da er sich völlig ruhig verhielt - zunächst die Handschellen abgenommen. Schließlich sollte der Beschwerdeführer zur Arrestzelle gebracht werden. Der Weg vom Wachzimmer dorthin führt durch einen langgestreckten, 2 Meter breiten Gang. Dieser Gang ist auf seiner linken Längsseite vom Stiegenhaus durch eine Holzwand getrennt, in welche zwölf Fensterscheiben im Ausmaß von jeweils 43 x 32 cm eingelassen sind. Die Scheiben bestehen aus massivem, gewelltem Glas. Als sich der Beschwerdeführer auf diesem Gang weigerte, in die Arrestzelle zu gehen, wendeten mehrere herbeigekommene Sicherheitswachebeamte Gewalt gegen den Beschwerdeführer an. Hiebei erhielt der Beschwerdeführer, der sich geduckt hatte, von einem - nicht mehr feststellbaren - Beamten einen derart heftigen Stoß, daß er mit dem Kopf eine der Glasscheiben zur Gänze durchstieß. An der dieser Scheibe gegenüberliegenden Seite des Ganges - etwas versetzt - befindet sich eine etwa 70 cm tiefe Nische zu einer Aufzugtüre.

Anschließend (um 20.10 Uhr) wurde der Beschwerdeführer in das Lorenz Böhler-Krankenhaus gebracht, wo er (bis 24. März 1989) stationär aufgenommen wurde. Einem im strafgerichtlichen Verfahren eingeholten gerichtsmedizinischen Gutachten ist zu entnehmen, daß nach dem Verletzungsbild des Beschwerdeführers auf Schnittverletzungen im Gesicht und auf Schläge im Schulter- und Nackenbereich zu schließen ist. Eine sichere Zuordnung der Verletzungen zu bestimmten Entstehungsursachen war gerichtsmedizinisch nicht möglich.

Die Entlassung des Beschwerdeführers aus der Haft erfolgte nach den Angaben der Behörde um 21.15 Uhr des 22. März 1989.

3. Zu den Feststellungen gelangte der Verfassungsgerichtshof aufgrund folgender - sich angesichts in wesentlichen Punkten divergierender Angaben der an den Geschehnissen Beteiligten vor allem auch auf sonstige maßgebliche Umstände stützender - Beweiswürdigung:

a) Zum Sturz in die Fensterscheibe (Pkt. 1. des Spruches dieses Erkenntnisses):

Wie der im Bezirkspolizeikommissariat Leopoldstadt an Ort und Stelle durchgeführte Augenschein ergeben hat, bedurfte es zweifellos beträchtlicher Wucht, die massive und relativ kleine Glasscheibe zu durchstoßen. Im nur 2 Meter breiten Gang selbst den hiefür erforderlichen Schwung von der Seite zu nehmen, dürfte kaum möglich sein (selbst wenn man die 70 cm tiefe Nische mitberücksichtigt, die noch dazu schräg versetzt ist). Der Beschwerdeführer konnte die Glasscheibe - wie der durchgeführte Lokalaugenschein ebenfalls ergab - mit dem Kopf nur bei gebückter Körperhaltung durchstoßen, weil sich der Kopf des Beschwerdeführers bei normaler, aufgerichteter Körperstellung bereits in Höhe der darüberliegenden Fensterscheibe befindet. Auch dieser Umstand spricht für die Darstellung des Beschwerdeführers, er habe sich geduckt, um sich vor der Gewaltanwendung durch die Beamten zu schützen, und sei mit Wucht gestoßen worden.

Dazu kommt, daß die von den Beamten geschilderte Version des Vorfalles, der bis dahin auf dem Kommissariat völlig ruhige Beschwerdeführer habe sich plötzlich selbst in die Scheibe gestürzt, zwar nicht von vornherein völlig ausgeschlossen erscheint, aber in diesem Fall doch keine Wahrscheinlichkeit für sich hat, zumal dann, wenn die Glasscheibe, in die sich ein Mensch freiwillig gestürzt haben soll, schon auf den ersten Blick dick und widerstandsfähig erscheint.

Der Verfassungsgerichtshof folgt daher in diesem Punkt den Angaben des Beschwerdeführers.

b) Zur Festnahme (Pkt. 2. des Spruches):

Zunächst erscheint es schon wenig wahrscheinlich, daß die Sicherheitswachebeamten den Beschwerdeführer (und dessen Freund) beanstandet haben sollten, wenn das Überqueren der Fahrbahn - wie der Beschwerdeführer und F A behaupten - noch bei Grünblinken der Fußgängerampel erfolgt wäre. Daß es in der Folge zu heftigeren verbalen Auseinandersetzungen mit den Beamten gekommen ist, wird auch vom Beschwerdeführer und von F A als Zeuge eingeräumt. Die Behauptung des Beschwerdeführers, er habe keinen Widerstand geleistet und keinen Polizisten "von sich aus berührt", ist angesichts der Tatsache, daß die Beamten um Unterstützung bei der Festnahme des Beschwerdeführers funkten (es trafen sodann mindestens zwei weitere Funkstreifenbesatzungen am Tatort ein), ebenfalls unwahrscheinlich. Überdies befindet sich ein amtsärztlicher Befund in den Akten, wonach bei Insp. M Verletzungen, und zwar mittelstarke Prellungen des rechten Schienbeines mit mäßiger Hämatomverfärbung sowie Einschränkungen der Beweglichkeit der rechten Schulter und des rechten Armes, diagnostiziert wurden. Diese Umstände lassen durchaus den Schluß zu, daß der Beschwerdeführer sich insgesamt, also auch schon vor seiner Verhaftung aggressiv verhalten hat.

Der Verfassungsgerichtshof folgt daher in diesem Punkt der Darstellung der Beamten.

c) Zu den behaupteten Mißhandlungen im Funkstreifenwagen (Pkt. 3. des Spruches):

Es steht hier Aussage gegen Aussage: die Beamten stellen jedwede Mißhandlung im Funkstreifenwagen in Abrede. Objektive Begleitumstände, die sich als Indizien für die Richtigkeit der einen oder der anderen Version des Geschehens eignen würden, sind nicht vorhanden.

Der Verfassungsgerichtshof sieht sich daher in Anbetracht des zu diesem Punkt der Beschwerde vorhandenen Beweismaterials außerstande, die Behauptungen des Beschwerdeführers als erwiesen anzunehmen.

4. Der festgestellte Sachverhalt ist rechtlich wie folgt zu beurteilen:

a) Zum Sturz in die Fensterscheibe (Pkt. 1. des Spruches):

Die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. 210/1958 (EMRK), die gemäß dem Bundesverfassungsgesetz BGBl. 59/1964 Verfassungsrang hat, bestimmt in ihrem Art3, daß niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf.

Aus dem WaffengebrauchsG 1969 ist abzuleiten, daß auch die als weniger gefährliche Maßregel eingestufte Anwendung von Körperkraft im Rahmen exekutiver Zwangsbefugnisse, die sich als Mittel zur Überwindung eines auf die Vereitelung einer rechtmäßigen Amtshandlung gerichteten Widerstandes und zur Erzwingung einer Festnahme vom Waffengebrauch selbst nur graduell unterscheidet, denselben grundsätzlichen Einschränkungen wie die Waffenverwendung unterliegt, also zur Erreichung der vom Gesetz vorgesehenen Zwecke nur dann Platz greifen darf, wenn sie notwendig ist und maßhaltend vor sich geht, dann aber, d.h. unter diesen Voraussetzungen, wie der Waffengebrauch an sich nicht gegen Art3 EMRK verstößt.

Selbst wenn der Stoß, der zum Sturz des Beschwerdeführers in die Glasscheibe führte, im Zuge der Bemühungen der Beamten erfolgt ist, den Beschwerdeführer in die Arrestzelle zu bringen, wurde er mit erheblicher Wucht ausgeführt. Daß die Anwendung von Körperkraft in dieser Form schon infolge der Wucht, mit welcher der Stoß offenkundig erfolgt sein muß, nicht maßhaltend im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu Art3 EMRK (vgl. etwa VfSlg. 9385/1982, 11327/1987) war, bedarf keiner näheren Begründung.

Es ist daher festzustellen, daß der Beschwerdeführer durch den ihm von einem - unbekannt gebliebenen - Sicherheitswachebeamten versetzten heftigen Stoß, wodurch der Beschwerdeführer mit dem Kopf die Scheibe durchstieß, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden, verletzt worden ist.

b) Zur Festnahme (Pkt. 2. des Spruches):

aa) Vorausgeschickt wird hier, daß dieses beim Verfassungsgerichtshof am 1. Jänner 1991 bereits anhängig gewesene Verfahren (über eine Beschwerde gegen Akte polizeilicher Befehls- und Zwangsgewalt) kraft der Übergangsbestimmung des ArtIX Abs2 (iVm ArtX Abs1 Z1) des Bundesverfassungsgesetzes vom 29. November 1988 (Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle 1988), BGBl. 685/1988, nach der "bisherigen" Rechtslage, d.h. nach der Rechtslage bis zum 31. Dezember 1990, zu Ende zu führen ist.

bb) Art8 StGG gewährt - ebenso wie Art5 EMRK (s. VfSlg. 7608/1975, 8815/1980) - Schutz gegen gesetzwidrige "Verhaftung" (s. VfSlg. 3315/1958, 9919/1984, 10441/1985 ua.):

Das Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit RGBl. 87/1862, das gemäß Art8 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, RGBl. 142/1867, zum Bestandteil dieses Gesetzes erklärt ist und gemäß Art149 Abs1 B-VG als Verfassungsgesetz gilt, legt in seinem §4 fest, daß die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen dürfen.

§35 VStG 1950 ist ein solches Gesetz (zB VfSlg. 7252/1974), doch setzt die Festnehmung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes in allen in dieser Gesetzesvorschrift angeführten Fällen (lita bis c) voraus, daß die festzunehmende Person "auf frischer Tat betreten" wird: Sie muß also eine als Verwaltungsübertretung strafbare Handlung begehen und bei Verübung des Delikts angetroffen werden. Gemäß der litc des §35 VStG 1950 ist eine Festnahme unter den schon umschriebenen Voraussetzungen zum Zweck der Vorführung vor die Behörde aber nur dann statthaft, wenn der Betretene trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt oder sie zu wiederholen sucht. Freilich kommt es hier nicht auf die Richtigkeit des erhobenen Vorwurfs an; es genügt vielmehr, wenn das amtshandelnde Sicherheitsorgan aus damaliger Sicht - nach Lage des Falles - mit gutem Grund (d.i. vertretbar) der - sujektiven - Auffassung sein durfte, daß die in Rede stehende Tat verübt worden sei (vgl. zB VfSlg. 4143/1962, 7309/1974, 10321/1985, 10441/1985).

Das Tatbild der Verwaltungsübertretung des ungestümen Benehmens nach ArtIX Abs1 Z2 EGVG liegt auch dann vor, wenn ein aggressives Verhalten (in Ton oder Gestik) gesetzt wurde, um vermeintliches Unrecht abzuwehren (s. VfSlg. 8654/1979 S. 174f).

cc) Angesichts der Verfahrensergebnisse vermag der VfGH der bel. Beh. nicht entgegenzutreten, wenn sie die Auffassung verficht, daß der Sicherheitswachebeamte M nach der sich ihm damals darbietenden Situation mit gutem Grund annehmen durfte, der Bf. habe durch die oben festgestellte Handlungsweise zumindest die Verwaltungsübertretung nach ArtIX Abs1 Z2 EGVG begangen. War aber - nach dem Gesagten - die Qualifikation des Verhaltens des Bf. als Verwaltungsdelikt vertretbar und lag - wie hier - nach Betretung auf frischer Tat und Tatwiederholung trotz förmlicher Abmahnung der - von der Behörde herangezogene - Festnehmungsgrund des §35 litc VStG 1950 vor, entsprach die bekämpfte Festnehmung dem Gesetz.

Unter den obwaltenden Umständen bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, daß der Grund für die anschließende verwaltungsbehördliche Verwahrung des Bf. schon vor dem Zeitpunkt der Entlassung aus der Haft entfallen wäre. Gemäß §36 Abs1 VStG 1950 hat die Behörde den (übernommenen) Festgenommenen sofort, spätestens aber binnen vierundzwanzig Stunden nach der Übernahme zu vernehmen. Nachdem sich ergeben hatte, daß eine Einvernahme des Beschwerdeführers infolge seiner Einlieferung in das Lorenz Böhler-Krankenhaus (um 20.10 Uhr) zunächst nicht erfolgen konnte, hat die belangte Behörde die Haft ohne unnötigen Verzug (um 21.15 Uhr) aufgehoben.

dd) Zu den Modalitäten der Festnahme bleibt festzuhalten, daß die Verwendung des Gummiknüppels durch den Sicherheitswachebeamten

S zur Brechung des Widerstandes des Beschwerdeführers offenkundig erforderlich war; es ist im Verfahren nicht hervorgekommen, daß die Anwendung des Gummiknüppels nicht in maßhaltender Weise im Sinne der oben unter Pkt. a) zitierten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu Art3 EMRK erfolgt ist. Zu bemerken bleibt schließlich, daß die - gar nicht ausdrücklich in Beschwerde gezogene - Fesselung des Beschwerdeführers mit Handschellen unter den hier gegebenen Umständen (massiver körperlicher Widerstand des Beschwerdeführers gegen die Festnahme mit Verletzungsfolgen bei einem Beamten) ebenfalls keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art3 EMRK darstellte (vgl. hiezu die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, zB VfSlg. 7081/1973, 8146/1977, 10018/1984 sowie das bereits zitierte Erkenntnis VfSlg. 11327/1987).

Die Beschwerde ist daher diesbezüglich abzuweisen.

c) Zu den behaupteten Mißhandlungen im Funkstreifenwagen sowie zu den in Beschwerde gezogenen Beschimpfungen (Pkt. 3. des Spruches):

Diesbezüglich ist die Beschwerde zurückzuweisen, weil diese behaupteten Mißhandlungen nicht erwiesen werden konnten (s. oben unter Pkt. 3.c) und weil nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. VfSlg. 8654/1979 S. 175, 10974/1986 S. 59) unangemessene Ausdrucksweisen oder Beschimpfungen als solche keine beim Verfassungsgerichtshof bekämpfbaren Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt darstellen.

5. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. Dem Beschwerdeführer wurde der Ersatz seiner Vertretungskosten bei der Beweistagsatzung vom 14. November 1990 - davon entfallen S 2.500,-- auf die Umsatzsteuer - zugesprochen, weil die Beweistagsatzung ausschließlich jenen Beschwerdepunkt betraf, in welchem der Beschwerdeführer obsiegt hat. Die übrigen Verfahrenskosten wurden, da der Beschwerdeführer teils obsiegt hat und teils unterlegen ist, gegeneinander aufgehoben (§§43 Abs1 ZPO, 35 Abs1 VerfGG).

Diese Entscheidung konnte in einer dem §7 Abs2 litc VerfGG entsprechenden Zusammensetzung getroffen werden.

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