Normen
MRK Art8
FremdenpolizeiG §10a Abs1
MRK Art8
FremdenpolizeiG §10a Abs1
Spruch:
Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Verfahrenskosten werden nicht zugesprochen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1.1. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn vom 30. Oktober 1990, Z III 370-21230/90, wurde die türkische Staatsangehörige AÜ gemäß §10 a Abs1 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. 75/1954 idF der Novelle BGBl. 451/1990, aus der Republik Österreich ausgewiesen.
1.1.2. In der Begründung dieses Bescheides hieß es ua. wörtlich:
". . . Sie sind nach eigenen Angaben am 10. August 1990 aus der Türkei ausgereist. In der Folge sind Sie nach Österreich eingereist, ohne daß in Ihrem Paß ein gültiger österreichischer Sichtvermerk und ein Stempel einer österreichischen Grenzkontrollstelle eingetragen worden ist. Sie sind daher unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich eingereist.
Durch die illegale Einreise haben Sie schwerwiegend gegen die österreichische Rechtsordnung verstoßen. Sie können nicht sofort zurückgeschoben werden und Ihre Einreise ist nicht länger als vier Monate vor dem Datum der Bescheiderlassung erfolgt. . ."
1.2.1. AÜ ergriff dagegen das Rechtsmittel der Berufung, dem die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg mit Bescheid vom 30. November 1990, Z FrB-4250/90, gemäß §66 Abs4 AVG 1950 nicht Folge gab.
1.2.2. Begründend wurde ua. ausgeführt:
". . . Die Berufungswerberin bringt persönliche und familiäre Verhältnisse vor, die ihrer Ansicht nach eine Ausweisung gemäß §10 a Abs1 des Fremdenpolizeigesetzes nicht zulassen würden. Sie übersieht hiebei jedoch, daß die Ausweisung keine Maßnahme iSd §3 des Fremdenpolizeigesetzes (Aufenthaltsverbot) darstellt. Während durch das Aufenthaltsverbot dem betreffenden Fremden der weitere Aufenthalt im Bundesgebiet befristet oder unbefristet untersagt wird, hat die Ausweisung gemäß §10 a des Fremdenpolizeigesetzes lediglich zum Ziele, Fremde, die unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Bundesgebiet gelangt sind, wiederum außer Landes zu bringen. . ."
1.3.1. AÜ bekämpft diesen Berufungsbescheid mit Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gemäß Art144 B-VG, in der sie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, nämlich des §10 a (Abs1 und 4) Fremdenpolizeigesetz, und im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht nach Art8 EMRK behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes begehrt.
1.3.2. Die durch die Finanzprokuratur vertretene Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg als belangte Behörde legte die Administrativakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie für die Abweisung der Beschwerde als unbegründet eintrat und die Verpflichtung der Beschwerdeführerin zum Kostenersatz beantragte.
1.3.3. In der Folge langte eine Replik der Beschwerdeführerin ein.
1.4. §10 a Abs1 Fremdenpolizeigesetz - eingefügt durch BGBl. 190/1990 - lautet:
"Fremde, die unter Umgehung der Grenzkontrolle eingereist sind und nicht zurückgeschoben werden dürfen, können innerhalb eines Zeitraumes von vier Monaten nach der Einreise mit Bescheid ausgewiesen werden."
2. Über die - zulässige - Beschwerde wurde erwogen:
2.1.1.1. Die Beschwerdeführerin vertritt - sinngemäß zusammengefaßt - die Meinung, es bestehe das Bedenken, daß §10 a (Abs1) Fremdenpolizeigesetz gegen Art8 EMRK verstoße, weil diese Gesetzesbestimmung keine Abwägung zwischen öffentlichen Interessen und den gegenläufigen privaten Interessen der Betroffenen gebiete.
2.1.1.2. Der Verfassungsgerichtshof vermag diese Auffassung aus folgenden Überlegungen nicht zu teilen:
Der Verfassungsgerichtshof hob mit Erkenntnis VfSlg. 10.737/1985 den §3 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. 75/1954, in der Stammfassung und mit Erkenntnis VfSlg. 11.455/1987 den §3 Fremdenpolizeigesetz idF der Novelle BGBl. 555/1986 wegen Widerspruchs zu Art8 EMRK auf, denn diese Normen gaben nicht mit der gebotenen Bestimmtheit zu erkennen, unter welchen Umständen ein Aufenthaltsverbot ohne jede Rücksichtnahme auf familiäre Beziehungen des Fremden im Inland verhängt werden durfte: Die ersichtliche Bezugnahme der Beschwerdeführerin auf diese beiden Erkenntnisse zur Stützung ihrer Argumentation, daß auch die Vorschrift des §10 a Abs1 Fremdenpolizeigesetz verfassungswidrig sei, ist aber verfehlt. Im Gegensatz zu den als verfassungswidrig aufgehobenen Gesetzesstellen handelt es sich bei §10 a Abs1 Fremdenpolizeigesetz um eine Ausweisungsvorschrift, die ausschließlich jene Fremden betrifft, die unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Bundesgebiet eingereist sind. Nur für diesen Personenkreis wurde eine mit Bescheid zu verfügende Ausweisung zugelassen, die nur innerhalb von vier Monaten nach der Einreise ausgesprochen werden darf, und zwar als Instrument zur Bekämpfung des sogenannten Schlepperunwesens, ein Instrument, "das die Außerlandesschaffung ermöglicht, ohne das dem Aufenthaltsverbot eigene zeitlich begrenzte oder unbegrenzte Einreiseverbot zu enthalten"; nach dem Verlassen des Bundesgebietes soll der Fremde dieselbe Rechtsstellung haben, "als wäre er von Anfang an ohne Umgehung der Grenzkontrolle eingereist" (vgl. AB 1213 BlgNR 17. GP).
Dem Bundesgesetzgeber kann nach Meinung des Verfassungsgerichtshofes nicht mit Berufung auf Art8 EMRK entgegengetreten werden, wenn er eine Maßnahme, wie sie §10 a Fremdenpolizeigesetz umschreibt, für einen bloß verhältnismäßig kurzen Zeitraum nach dem rechtswidrigen Übertritt des Fremden in das Bundesgebiet gestattet, ohne die Behörde zu verpflichten, im Einzelfall mögliche familiäre Beziehungen des Betroffenen in Österreich zu berücksichtigen. In derartigen Fällen eines qualifiziert rechtswidrigen - nämlich unter Umgehung der Grenzkontrolle herbeigeführten - Aufenthalts im Inland kann jedenfalls für gewisse - nicht zu lange zu bemessende - Zeit nach dem Rechtsbruch stets von einem deutlichen Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Ausweisung des gesetzwidrig Eingereisten ausgegangen werden. Eine solche, dieses überwiegende öffentliche Interesse präsumierende (Ausnahms-)Vorschrift (§10 a Abs1 Fremdenpolizeigesetz) entspricht dem Eingriffsvorbehalt des Art8 Abs2 EMRK (s. dazu VfSlg. 10.737/1985, 892). Denn der in Rede stehende Eingriff hat ein nach Art8 Abs2 EMRK gerechtfertigtes Ziel, und zwar die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, und ist zur Erreichung dieses Zieles "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" (vgl. zB die Urteile des EGMR in den Fällen Sunday Times und Silver, EuGRZ 1979, 387 und 1984, 149).
Für dieses Ergebnis war (mit-)bestimmend, daß jedem unter Umgehung der Grenzkontrolle eingereisten und deswegen ausgewiesenen Fremden der Rechtsweg zur Erlangung der Genehmigung einer ordnungsgemäßen Einreise offenstand und weiterhin offensteht, indem er im Ausland die Erteilung eines Sichtvermerks nach §25 Paßgesetz beantragen kann. Bei der Entscheidung über diesen Antrag ist auf seine familiären Interessen in Österreich gebührend Bedacht zu nehmen, weil §25 Paßgesetz eine entsprechende Interessenabwägung (öffentliches Interesse - Privatinteresse) gebietet (vgl. VfSlg. 11.044/1986).
2.1.2. Soweit die Beschwerdeführerin Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §10 a Abs4 Fremdenpolizeigesetz vorträgt, bleibt ihr zu entgegnen, daß diese Gesetzesvorschrift (wonach einer Berufung gegen einen Ausweisungsbescheid keine aufschiebende Wirkung zukommt), weil weder im Administrativverfahren angewendet noch im vorliegenden verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren anzuwenden, nicht präjudiziell iS des Art140 B-VG ist.
2.1.3. Zusammenfassend ist darum festzuhalten, daß die Beschwerdeführerin nicht durch Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt wurde.
2.2.1. Ebensowenig wurde die Beschwerdeführerin aber in ihrem Recht nach Art8 EMRK verletzt.
2.2.2. Ein Eingriff in dieses verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht wäre dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Verwaltungsakt ohne jede Rechtsgrundlage erging oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise anwendete; ein solcher Fall läge vor, wenn die Behörde einen mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellenden schweren Fehler beging oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellte (vgl. VfSlg. 11.638/1988).
Davon kann hier nach der Aktenlage und nach dem Beschwerdevorbringen selbst aber nicht die Rede sein.
Auf das Verhältnis des §10 a Abs1 Fremdenpolizeigesetz zu den Asylvorschriften war hier schon deshalb nicht einzugehen, weil es sich bei der Beschwerdeführerin um keine Asylwerberin handelt.
2.3. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß die Beschwerdeführerin in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, daß sie in ihren Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.
Die Beschwerde war daher abzuweisen.
2.4. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG 1953. Die von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg begehrten Verfahrenskosten waren nicht zuzusprechen, weil nach Lage des Falls die Betrauung der Finanzprokuratur mit der Vertretung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht notwendig war (vgl. auch VfGH 25.2.1988 B730/87).
2.5. Dieser Beschluß konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.
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