Normen
MRK österr Vorbehalt zu Art5
MRK Art6 Abs1 / Strafrecht
AuslBG §28 Abs1 Z1 lita
MRK österr Vorbehalt zu Art5
MRK Art6 Abs1 / Strafrecht
AuslBG §28 Abs1 Z1 lita
Spruch:
§28 Abs1 Z1 lita des Ausländerbeschäftigungsgesetzes, BGBl. Nr. 218/1975, in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 231/1988, war verfassungswidrig.
Die Vorschrift ist auch auf die derzeit beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Fälle nicht mehr anzuwenden.
Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Mit dem beim Verfassungsgerichtshof zu B1037/90 angefochtenen Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 26. Juni 1990 wird ein Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Bregenz bestätigt, welches den Beschwerdeführer wegen Übertretung des §28 Abs1 Z1 lita Ausländerbeschäftigungsgesetz, BGBl. 218/1975 (AuslBG), mit einer Geldstrafe von 20.000 S (Ersatzfreiheitsstrafe 35 Tage) samt Verfahrenskosten belegt, weil er vom 7. August bis mindestens 11. September 1989 einen Ausländer (türkischen Staatsangehörigen) ohne Beschäftigungsbewilligung beschäftigt habe.
Die Beschwerde rügt die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein faires Verfahren vor einem unabhängigen Tribunal (Abs6 MRK) und eine Rechtsverletzung durch Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat vorläufig angenommen, daß die Beschwerde zulässig ist und er bei ihrer Beurteilung §28 Abs1 Z1 lita AuslBG in der Fassung vor der Novelle BGBl. 450/1990 anzuwenden hätte.
Da gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung jedoch Bedenken im Hinblick auf Art6 MRK entstanden sind, hat der Gerichtshof von Amts wegen ein Prüfungsverfahren eingeleitet.
Die Bundesregierung hat keine Äußerung abgegeben.
III. Das Gesetzesprüfungsverfahren ist zulässig. Es hat sich nichts ergeben, was gegen die Zulässigkeit der Anlaßbeschwerde und die Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmung sprechen würde.
IV. Die Bedenken des Gerichtshofes sind auch begründet. Die in Prüfung stehende Vorschrift hat dem im Verfassungsrang stehenden Art6 MRK widersprochen.
1. Nach Art6 MRK hat jedermann Anspruch darauf, daß seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhendem Gericht, das über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat. Da Art5 MRK zufolge insbesondere Freiheitsstrafen nur durch "Tribunale", nicht jedoch durch weisungsgebundene Verwaltungsbehörden verhängt werden dürfen, das österreichische Verwaltungsstrafverfahren diesen Anforderungen aber auch unter Berücksichtigung der Möglichkeit der Anrufung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts nicht genügt, hat Österreich gemäß Art64 MRK den Vorbehalt erklärt, es werde die Bestimmungen des Art5 der Konvention mit der Maßgabe anwenden, daß die in den Verwaltungsverfahrensgesetzen, BGBl. Nr. 172/1950, vorgesehenen Maßnahmen des Freiheitsentzuges unter der in der österreichischen Bundesverfassung vorgesehenen nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof oder den Verfassungsgerichtshof unberührt bleiben. Wie der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung erkennt, schließt dieser Vorbehalt, der dem Sinne nach zumindest auch jene Gesetze umfaßt, die zwar nach Erklärung des Vorbehaltes erlassen wurden, aber keine nachträgliche Erweiterung jenes materiellrechtlichen Bereiches bewirken, der durch die Abgabe des Vorbehaltes ausgeschlossen werden sollte, auch die Anwendung des Art6 MRK aus (vgl. schon 8234/1978 Straßenverkehrsordnung, und aus jüngerer Zeit VfSlg. 11.369/1987 Weinverpackung, 11.371/1987 Prostitution, 11.523/1987 Arbeitsruheverletzung, 11.917/1988 Gurtenanlegepflicht und B1824/88 vom 7. März 1989 Verbreitung von NS-Gedankengut). Vom Vorbehalt sind aber Straftatbestände nicht gedeckt, die vor dem 3. September 1958 noch nicht in Verwaltungsvorschriften enthalten waren (vgl. VfSlg. 10.291/1984
S. 696ff Finanzstrafverfahren, 11.506/1987 S. 421 Apotheker-Disziplinarverfahren, 11.834/1988 Zivildienstpflichtverletzung und G7/89 vom 29. September 1989 Versicherungsaufsicht).
2. Die in Prüfung stehende Vorschrift lautete:
"Strafbestimmungen
§28. (1) Sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde zu bestrafen,
1. wer
a) entgegen dem §3 einen Ausländer beschäftigt, für den weder eine Beschäftigungsbewilligung (§4) erteilt noch ein Befreiungsschein (§15) ausgestellt wurde, oder
b) entgegen dem §18 die Arbeitsleistung eines Ausländers, der von einem ausländischen Arbeitgeber ohne einen im Bundesgebiet vorhandenen Betriebssitz im Inland beschäftigt wird, in Anspruch nimmt, ohne daß für den Ausländer eine Beschäftigungsbewilligung (§18 Abs1, 4 und 7) erteilt wurde,
bei unberechtigter Beschäftigung von höchstens drei Ausländern für jeden unberechtigt beschäftigten Ausländer mit Geldstrafe von 5000 S bis 60.000 S, im Wiederholungsfalle von 10.000 S bis 120.000 S, bei unberechtigter Beschäftigung von mehr als drei Ausländern für jeden unberechtigt beschäftigten Ausländer mit Geldstrafe von 10.000 S bis 120.000 S, im Wiederholungsfalle von 20.000 S bis 240.000 S;
..."
Ein solcher Straftatbestand war vor dem 3. September 1958 noch nicht in Verwaltungsvorschriften enthalten:
Zwar enthielt schon das Bundesgesetz vom 19. Dezember 1925 über die zeitweilige Beschränkung der Beschäftigung ausländischer Arbeiter und Angestellter (Inlandsarbeiterschutzgesetz), BGBl. 457, in §13 eine Vorschrift, wonach Übertretungen der Bestimmungen dieses Gesetzes oder der aufgrund desselben erlassenen Verordnungen, sofern nicht eine nach dem Strafgesetz zu ahndende Straftat vorliegt, von der politischen Bezirksbehörde und in Orten, wo eine Bundespolizeibehörde ist, von dieser mit Geld bis zu 1000 S oder mit Arrest bis zu 3 Monaten bestraft wurden. Durch die aufgrund des Gesetzes über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich erlassene Verordnung des Reichsarbeitsministers und des Reichsministers des Inneren vom 22. Dezember 1938 über die Einführung der Sozialversicherung (GBl. f. Ö 703/1938) wurde mit Wirkung vom 1. Jänner 1939 unter anderem das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 16. Juli 1927 (RGBl. I S. 187) nebst den zu seiner Ergänzung, Änderung und Durchführung bisher erlassenen Vorschriften mit den sich aus dieser Verordnung ergebenden Besonderheiten eingeführt (§1 Abs1 Z4); danach sollten die Vorschriften über die Beschäftigung von Ausländern erst an dem Tage in Kraft treten, den der Reichsarbeitsminister bestimmt (§1 Abs1 Z2). Mit Verordnung des Reichsarbeitsministers vom 24. Jänner 1941, RGBl. I S. 44, wurde u. a. aufgrund des §67 Abs2 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung u.a. in den Reichsgauen der Ostmark die Verordnung über ausländische Arbeitnehmer vom 23. Jänner 1933 (DRGBl. I S. 26) mit 1. April 1941 anstelle des Inlandarbeiterschutzgesetzes in Kraft gesetzt (§§1 iVm 4 lita).
§67 Abs2 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung bestimmte, daß die Anwerbung, Vermittlung und Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer der Reichsarbeitsminister regelt. Nach §258 dieses Gesetzes wurde mit Geldstrafe oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft, wer Anordnungen zuwiderhandelt, die aufgrund des §67 (Abs2) über die Anwerbung, Vermittlung und Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer erlassen sind.
Strafbestimmungen in den - gemäß dem Rechts-Überleitungsgesetz, BGBl. 6/1945 - vorläufig noch als österreichische Rechtsvorschriften in Geltung belassenen deutschen Gesetzen waren nach dem Strafanwendungsgesetz BGBl. 148/1945 derart anzuwenden, daß strafbare Handlungen dann als Verwaltungsstrafen anzusehen waren, wenn sie bloß mit Haft oder einer Geldstrafe bis zum Höchstbetrag von 150 RM bedroht waren (und in der Strafbestimmung auch nicht unter besonderen Umständen eine strengere Strafe vorgesehen war, §2); über alle Handlungen, die mit einer strengeren Strafe bedroht waren, hatten die Gerichte zu urteilen (§3), wobei als Vergehen jene zu gelten hatten, welche mit Gefängnis ohne Ober- und Untergrenze oder mit Gefängnis von mehr als sechs Monaten bedroht waren, alle übrigen als Übertretungen (§4 Abs1 litb und c).
Die Verordnung über ausländische Arbeitnehmer vom 23. Jänner 1933 und die Bestimmung des §258 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung wurden erst durch das AuslBG mit dessen Inkrafttreten, also mit dem Ablauf des 31. Dezember 1975 außer Kraft gesetzt (§§33 iVm 34). Die Regierungsvorlage zum AuslBG (1451 BlgNR 13.GP) ist dabei selbst von folgender Rechtslage ausgegangen:
"Zuwiderhandlungen gegen die Bestimmungen der geltenden Verordnung über ausländische Arbeitnehmer werden derzeit als Übertretungen strafgerichtlich geahndet. Nach dem Entwurf sollen Verstöße als Verwaltungsübertretungen bestraft werden. Im Interesse einer wirksamen Begegnung von Verstößen und nicht zuletzt im Hinblick auf die insbesondere bei unerlaubter Beschäftigung eintretenden schwerwiegenden arbeits- und sozialrechtlichen Folgen für den einzelnen Ausländer und jener für die Allgemeinheit sich ergebenden Folgen im Bereich der öffentlichen Sicherheit und Volksgesundheit einerseits und der auch möglichen Verletzung arbeitsmarktmäßiger Schutzinteressen inländischer Arbeitnehmer andererseits wären die Strafsätze im vorgesehenen Ausmaß festzulegen."
Hat es aber am 3. September 1958 keine Verwaltungsvorschrift gegeben, nach der die Beschäftigung von Ausländern ohne Bewilligung unter (Verwaltungs-)Strafe gestellt war, so deckt der Vorbehalt zu Art5 MRK auch die Durchführung eines Strafverfahrens vor einer Verwaltungsbehörde nicht. Die in Prüfung gezogene Bestimmung hat deshalb zuunrecht kein Verfahren vor einem unabhängigen Tribunal gewährleistet, das über die Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage entscheidet. Sie erweist sich daher als verfassungswidrig.
V. §28 Ausländerbeschäftigungsgesetz ist durch die mit 1. Oktober 1990 in Kraft getretene Novelle BGBl. 450/1990 neu gefaßt worden. Die in Prüfung stehende Fassung steht nicht mehr in Kraft. Der Verfassungsgerichtshof hat sich daher darauf zu beschränken, ihre Verfassungswidrigkeit festzustellen. Bei diesem Ergebnis ist nicht darauf einzugehen, welche Bedeutung die seit 1. Jänner 1991 erfolgte Einführung der Unabhängigen Verwaltungssenate (B-VG-Novelle BGBl. 685/1988, ArtIX Abs2) für die seit 1. Oktober 1990 in Kraft stehende Strafbestimmung hat.
Dem Verfassungsgerichtshof ist bekannt geworden, daß beim Verwaltungsgerichtshof eine größere Anzahl von Beschwerden gegen Bescheide anhängig ist, die sich gleichfalls auf die als verfassungswidrig erkannte Bestimmung stützen, daß aber eine rechtzeitige Antragstellung durch den Verwaltungsgerichtshof in diesem Beschwerdeverfahren nicht mehr möglich war. Er sieht sich daher veranlaßt, von der ihm durch Art140 Abs7 B-VG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch zu machen, die Anlaßfallwirkung auf die im Zeitpunkt seiner Beratung und Entscheidung beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Fälle auszudehnen.
Der Ausspruch über die Kundmachung stützt sich auf Art140 Abs6 B-VG.
Da von einer mündlichen Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten war, hat der Gerichtshof von einer mündlichen Verhandlung abgesehen (§19 Abs4 VerfGG).
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