Normen
B-VG Art139 Abs6 / zweiter Satz B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
B-VG Art139 Abs6 / zweiter Satz B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
Spruch:
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in seinen Rechten verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Die Landeshauptstadt Graz ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Vertreters die mit S 15.000,-- bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Beschwerdeführer - er steht als Senatsrat in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zur Landeshauptstadt Graz - teilte dem Bürgermeister der Landeshauptstadt Graz mit Schreiben vom 15. Juni 1989 mit, daß die Gemeinde Schladming beabsichtige, ihn im Rahmen seiner "bereits bekanntgegebenen Tätigkeit als allgemein beeideter gerichtlicher Sachverständiger am 28. Juni 1989 zu einem Raumordnungsproblem zu konsultieren". Daraufhin erging an den Beschwerdeführer eine mit 27. Juni 1989 datierte, als "Mitteilung" bezeichnete Erledigung des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Graz. In dieser wird im wesentlichen ausgeführt, daß die vom Beschwerdeführer geplante, in seinem Schreiben bezeichnete Tätigkeit als Abgabe eines außergerichtlichen Sachverständigengutachtens anzusehen sei; gemäß §23 Abs7 der Dienst- und Gehaltsordnung der Beamten der Landeshauptstadt Graz 1956, LGBl. 30/1957 idF LGBl. 37/1989, dürfe diese Tätigkeit ohne ausdrückliche Bewilligung des Bürgermeisters nicht aufgenommen werden. Die dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers wies der Gemeinderat der Landeshauptstadt Graz nach Befassung des zuständigen Berufungsausschusses des Gemeinderates in Handhabung des §19 Abs4 der Geschäftsordnung für den Gemeinderat der Landeshauptstadt Graz, Amtsblatt der Landeshauptstadt Graz 8/1969, mit Bescheid vom 14. September 1989 mit der Begründung zurück, daß der angefochtenen Erledigung nicht Bescheidqualität zukomme.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Freiheit der Erwerbstätigkeit sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.
3. Der Gemeinderat der Landeshauptstadt Graz als belangte Behörde hat in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.
II. Mit Erkenntnis vom 2. März 1990, V116-132/89, V97-109/90, V112-149/90, hat der Verfassungsgerichtshof den §19 Abs4 der Geschäftsordnung für den Gemeinderat der Landeshauptstadt Graz, Amtsblatt der Landeshauptstadt Graz 8/1969, als gesetzwidrig aufgehoben.
III. 1. Gemäß Art139 Abs6 B-VG wirkt die Aufhebung einer Verordnung auf den Anlaßfall zurück. Es ist daher so vorzugehen, als ob die als gesetzwidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrundeliegenden Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.
Dem in Art139 Abs6 B-VG genannten Anlaßfall (im engeren Sinn), anläßlich dessen das Verordnungsprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Verordnungsprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (vgl. VfSlg. 10.616/1985, 10.736/1985).
Die nichtöffentliche Beratung in den Verordnungsprüfungsverfahren, die zum oben genannten Erkenntnis V116-132/89, V97-109/90, V112-149/90, führten, fand am 2. März 1990 statt. Die vorliegende Beschwerde wurde am 2. November 1989 eingebracht, war also zum Zeitpunkt des Beginns der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig; der ihr zugrundeliegende Fall ist somit einem Anlaßfall gleichzuhalten.
Die belangte Behörde wendete bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die als gesetzwidrig aufgehobene Verordnungsbestimmung an. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, daß dadurch die Rechtssphäre des Beschwerdeführers nachteilig beeinflußt wurde. Er wurde somit wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in seinen Rechten verletzt.
Der Bescheid ist daher aufzuheben.
2. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG abgesehen.
3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 2.500,-- enthalten.
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