VfGH B181/89

VfGHB181/898.10.1990

Verletzung des Eigentumsrechtes durch Beschränkung der Wiederaufnahme eines Finanzverfahrens; Ermessensmißbrauch durch Ermessensausübung nur zum Nachteil, nicht aber auch zugunsten des Beschwerdeführers

Normen

StGG Art5 BAO §303
StGG Art5 BAO §303

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden des Beschwerdevertreters die mit S 15.000 bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) Der Beschwerdeführer ist deutscher Staatsangehöriger. Er hat mit Vereinbarung vom 18. Dezember 1979 das Inventar eines Hotels gekauft und mit Mietvertrag vom selben Tag an den Verkäufer vermietet. Mit Datum 20. Februar 1980 wurde an den Beschwerdeführer eine Rechnung über diesen Verkauf ausgestellt.

b) In der Umsatzsteuer-Erklärung für 1979 hat der Beschwerdeführer die Vorsteuer für den Kauf des Inventars geltend gemacht. Die Umsatzsteuer wurde mit Bescheid des Finanzamtes Graz-Stadt vom 22. Juni 1981 erklärungsgemäß festgesetzt; daraus resultierte ein Guthaben von über 3,2 Mill. Schilling.

Am 15. Juli 1981 gab der Beschwerdeführer die Umsatzsteuer-Erklärung für 1980 ab, in der er die Mietentgelte der Umsatzsteuer unterzog, aber die schon für 1979 bescheidmäßig anerkannte Vorsteuer nicht geltend machte. Die Umsatzsteuer 1980 wurde sodann vom Finanzamt Graz-Stadt erklärungsgemäß in einer Höhe von über S 500.000 festgesetzt.

c) Eine im Juli 1981 durchgeführte Betriebsprüfung führte u.a. zur Feststellung, daß sich im Hinblick auf die Umsatzsteuer für die Jahre 1979 und 1980 keine Änderungen ergeben.

2. Mit Bescheid des Finanzamtes Graz-Stadt vom 24. April 1986 wurde das Verfahren hinsichtlich der Umsatzsteuer für 1979 (nicht aber auch hinsichtlich der Umsatzsteuer für 1980) gemäß §303 Abs4 BAO von Amts wegen wieder aufgenommen und unter einem die Umsatzsteuer für 1979 in Höhe von S 12.269 festgesetzt. Die Berufung blieb, soweit sie sich gegen die Wiederaufnahme des Verfahrens wandte, erfolglos; soweit sie sich gegen den Umsatzsteuerbescheid für 1979 richtete, führte sie zur Vorschreibung von Umsatzsteuer in der Höhe von S 13.036.

Die Finanzlandesdirektion für Steiermark stützte ihre Entscheidung auf den Umstand, daß die Faktura über den Inventarverkauf das Datum 20. Februar 1980 trage, die darin enthaltene Umsatzsteuer in der Höhe von S 3,240.000 daher nicht als in das Jahr 1979 fallend zu qualifizieren sei. Diesen Umstand habe die Behörde erst anläßlich der Betriebsprüfung im Juli 1981 feststellen können.

3. Mit Erkenntnis vom 5. März 1988, B70/87 hat der Verfassungsgerichtshof die Entscheidung der Finanzlandesdirektion wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Unversehrtheit des Eigentums aufgehoben. In der Begründung dieses Erkenntnisses hat der Gerichtshof u.a. ausgeführt:

"Die belangte Behörde hat zunächst akzeptiert, daß der Beschwerdeführer Vorsteuern für das Jahr 1979 geltend gemacht hat und dementsprechend die Umsatzsteuerbescheide für 1979 und 1980 erlassen. Nunmehr ist sie - nach der Bescheidbegründung infolge einer erst im Zuge einer Betriebsprüfung bekannt gewordenen Rechnung - der Auffassung, daß der fragliche Vorsteuerbetrag nicht 1979, sondern erst im Jahr 1980 wirksam geworden ist. Sie hat nun das Umsatzsteuerverfahren für 1979 wiederaufgenommen und mit dem (im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen) Umsatzsteuerbescheid für 1979 dem Beschwerdeführer den Vorsteuerabzug für dieses Jahr mit der Begründung versagt, daß dieser erst für 1980 hätte geltend gemacht werden dürfen. Gleichzeitig hat sie aber eine Wiederaufnahme des Umsatzsteuerverfahrens für das Jahr 1980 unterlassen.

Mit diesem Verhalten hat die belangte Behörde das ihr bei der Erlassung eines Wiederaufnahmsbescheides zukommende Ermessen (vgl. Stoll, Ermessen im Steuerrecht, ÖJT 1970, Bd I/2, 129 ff; Fachgutachten Nr. 67 des Fachsenates für Steuerrecht des Instituts für Betriebswirtschaft, Steuerrecht und Organisation der Kammer der Wirtschaftstreuhänder) gleichheitswidrig, weil nur zum Nachteil, nicht aber auch zugunsten des Beschwerdeführers ausgeübt. Durch die Beschränkung der Wiederaufnahme auf das Verfahren betreffend die Umsatzsteuer für 1979 hat sie das der amtswegigen Wiederaufnahme zugrunde liegende und dieses Rechtsinstitut rechtfertigende Ziel, ein insgesamt rechtmäßiges Ergebnis zu erreichen (vgl. etwa Stoll, BAO - Handbuch, 1980, 712, der in diesem Zusammenhang treffend vom Vorrang des Prinzips der Rechtsrichtigkeit spricht) vollständig außer Acht gelassen. Sie hat nämlich - zum Nachteil des Beschwerdeführers - den Zusammenhang zwischen den Rechnungsjahren 1979 und 1980 ... ignoriert und dadurch der Vorschrift des §303 BAO einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt. Eine Ermessensübung, wie sie von der belangten Behörde in dem zur Beurteilung stehenden Fall vorgenommen wurde, stellt somit einen - verfassungswidrigen - Ermessensmißbrauch dar."

4. Im fortgesetzten Verfahren hat die Finanzlandesdirektion die Berufung gegen den Bescheid des Finanzamtes vom 24. April 1986 neuerlich als unbegründet abgewiesen. Sie vertritt nunmehr die Auffassung, der oben unter Pkt. I/1a geschilderte Vorgang sei gar nicht als Abschluß eines Kauf- und Mietvertrages anzusehen, sondern sei "dem wahren wirtschaftlichen Gehalt entsprechend als Darlehensgewährung ... und damit zufolge §6 Z8 lita UStG 1972 als unecht steuerbefreiter Umsatz zu qualifizieren." Eine Begründung dafür, warum die Behörde trotz des unter Pkt. I/3 referierten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs eine bloß auf das Jahr 1979 beschränkte Wiederaufnahme verfügte, enthält der Bescheid nicht.

5.a) Gegen diesen im zweiten Rechtsgang erlassenen Bescheid der Finanzlandesdirektion für Steiermark wendet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der u.a. die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Eigentumsrechts behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

b) Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und die Abweisung der Beschwerde beantragt. In der Gegenschrift wird dargelegt, die Behörde habe in dem im ersten Rechtsgang vom Verfassungsgerichtshof aufgehobenen Bescheid "ihre Ermessensübung hinsichtlich Beschränkung der Wiederaufnahme des Verfahrens auf das Jahr 1979 in Folge eines Begründungsmangels unzureichend dargelegt" und ausgeführt:

"Die belangte Behörde hätte, wie im nunmehr angefochtenen Bescheid, das der Faktura zugrundeliegende Rechtsgeschäft einer materiell-rechtlichen Beurteilung unterziehen müssen, um die von ihr vorgenommene Ermessensübung - Beschränkung der Wiederaufnahme auf das Jahr 1979 - zu rechtfertigen.

Unter Zugrundelegung der im nunmehr angefochtenen Bescheid vorgenommenen Beurteilung als Darlehensgewährung - zufolge §6 Z8 lita UStG 1972 unecht befreit -, wobei zur Sicherung der Forderung das Hotelinventar an den Bf. übereignet worden ist, stellt sich die Frage nach der Abzugsfähigkeit der strittigen Vorsteuer weder im Jahr 1979 noch im Jahr 1980, sodaß diesfalls die Abstandnahme von einer Wiederaufnahme des Verfahrens 1980 zu Recht erfolgte."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat zur - zulässigen (vgl. auch das unter Pkt. I/3 zitierte Vorerkenntnis) - Beschwerde erwogen:

1. Der angefochtene Bescheid beschränkt die Wiederaufnahme des Verfahrens wiederum - wie auch der schon im ersten Rechtsgang vom Verfassungsgerichtshof behobene Bescheid - auf den Umsatzsteuerbescheid betreffend das Jahr 1979 und verweigert in der Sache dem Beschwerdeführer den Vorsteuerabzug für dieses Jahr.

Diese Entscheidung wird freilich nunmehr anders begründet: Seinem wahren wirtschaftlichen Gehalt nach sei der in seiner umsatzsteuerrechtlichen Relevanz umstrittene Vorgang nämlich nicht als Kaufvertrag sondern als Darlehensgewährung zu werten.

Träfe diese Qualifikation zu (eine Frage, die nicht der Verfassungsgerichtshof sondern der Verwaltungsgerichtshof zu entscheiden hätte), so wäre die Kaufpreiszahlung tatsächlich nicht umsatzsteuerpflichtig. Es stünde also dem Beschwerdeführer auch kein Vorsteuerabzug zu. Für diesen Fall wären aber die vom Beschwerdeführer im Jahre 1980 vereinnahmten Mietentgelte, für die erklärungsgemäß Umsatzsteuer vorgeschrieben wurde, als Darlehensrückzahlungen ebenfalls umsatzsteuerfrei. Es wirkt sich also auch die nunmehr von der Behörde praeferierte Qualifikation des in Rede stehenden Vorgangs nicht nur auf die Umsatzsteuerpflicht für das Jahr 1979, sondern auch für die für das Jahr 1980 aus, wobei unter den gegebenen Umständen auch §11 Abs12 UStG einer neuerlichen Überprüfung nicht entgegensteht.

Durch die Beschränkung der Wiederaufnahme auf das Verfahren betreffend die Umsatzsteuer für 1979 hat somit die belangte Behörde - in gleicher Weise wie in dem vom Verfassungsgerichthof im ersten Rechtsgang behobenen Bescheid - von dem ihr durch §303 BAO eingeräumten Ermessen in verfassungswidriger Weise Gebrauch gemacht (vgl. oben Pkt. I/3): Sie hat nämlich - zum Nachteil des Beschwerdeführers - den Zusammenhang zwischen den Rechnungsjahren 1979 und 1980 ignoriert. Aus eben jenen Gründen, die im Vorerkenntnis zur Aufhebung des im ersten Rechtsgang erlassenen Bescheides der belangten Behörde geführt haben, wurde der Beschwerdeführer somit auch durch den nunmehr angefochtenen (Ersatz-)Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Eigentumsrecht verletzt.

Der Bescheid war daher aufzuheben.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf §28 VerfGG; vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen S 2.500,-- auf die Umsatzsteuer.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte