VfGH B112/88

VfGHB112/882.10.1989

Aufhebung des angefochtenen Bescheides infolge der Anlaßfallwirkung nach Aufhebung des §55 Abs8 StVO 1960 idF der 13. StVO-Novelle; Inanspruchnahme einer Strafbefugnis ohne entsprechende Rechtsgrundlage; Entzug des gesetzlichen Richters

Normen

B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
B-VG Art83 Abs2 / nulla poena sine lege
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
B-VG Art83 Abs2 / nulla poena sine lege

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf das Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Wien ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen des Beschwerdevertreters die mit S 27.000,- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Der Beschwerdeführer wurde mit dem angefochtenen Berufungsbescheid der Wiener Landesregierung vom 21.12.1987, Z MA 70-9/1219/87/Str, wegen Übertretung des §24 Abs1 litc StVO 1960 bestraft, weil er als Lenker eines Kraftfahrzeuges dieses auf einem durch eine Bodenmarkierung gekennzeichneten Schutzweg abgestellt hatte.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der insbesondere die Verletzung durch die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in näher bezeichneten Rechten geltend gemacht wird. Der Beschwerdeführer beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides und regt an, die Verfassungsmäßigkeit des §55 Abs8 StVO 1960 zu überprüfen.

Die Wiener Landesregierung legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II. Aus Anlaß dieser Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 B-VG ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §55 Abs8 StVO 1960 idF der 13. StVO-Novelle, BGBl. 105/1986, ein. Mit Erkenntnis vom 28. September 1989, G52-54/89, G80/89, hat der Verfassungsgerichtshof die genannte Bestimmung als verfassungswidrig aufgehoben.

III. 1. Wie sich aus Art140 Abs7 B-VG ergibt, wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlaßfall zurück. Es ist darum so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zur Zeit der Verwirklichung des dem angefochtenen Bescheid zugrundegelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

Ohne die Vorschrift des §55 Abs8 StVO 1960 entfaltet eine Bodenmarkierung die Rechtswirkungen eines Halte- und Parkverbotes gemäß §24 Abs1 litc StVO 1960 lediglich unter der Voraussetzung, daß ihr eine Verordnung zugrundeliegt. Da für die verfahrensgegenständliche Bodenmarkierung, sohin für den Schutzweg, laut Auskunft der belangten Behörde "eine entsprechende Verordnung nicht auffindbar ist", traten die Rechtswirkungen des §24 Abs1 litc StVO 1960 nicht ein.

Die Bestrafung des Beschwerdeführers erfolgte sohin ohne entsprechende Rechtsgrundlage.

2. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird ua. dann verletzt, wenn die Behörde eine Zuständigkeit in Anspruch nimmt, die ihr nach dem Gesetz nicht zukommt, insbesondere wenn sie eine Strafbefugnis in Anspruch nimmt, für die jegliche Rechtsgrundlage fehlt (VfSlg. 7985/1977, 9401/1982, 10.137/1984).

Mangels einer entsprechenden Rechtsgrundlage verletzte der angefochtene Strafbescheid den Beschwerdeführer sohin im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf das Verfahren vor dem gesetzlichen Richter.

Der Bescheid war daher aufzuheben.

Dies konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung beschlossen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 4.500,-

enthalten.

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