Normen
MRK Art6
Vlbg GVG 1977 §15
MRK Art6
Vlbg GVG 1977 §15
Spruch:
Die Bf. sind durch den angefochtenen Bescheid in dem durch Art6 MRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Vorarlberg ist schuldig, den Beschwerdeführerinnen zu Handen des Beschwerdevertreters die mit S 11.000,-- bestimmten Kosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. M E, V und A E S (die alle die österreichische
Staatsbürgerschaft besitzen) sind Miteigentümer der Gp. .../1,
EZ ... der KG Lech/Vorarlberg. Sie beabsichtigten, hievon eine
Teilfläche im Ausmaß von 330 m2 der deutschen Staatsangehörigen
C I um den Preis von S 363.000,-- zu verkaufen. Die Käuferin ist
Alleineigentümerin der angrenzenden Liegenschaft Gp .../4, EZ ...,
KG Lech.
Die Genannten beantragten am 21. September 1984, diesem Rechtsgeschäft die grundverkehrsbehördliche Genehmigung zu erteilen.
Die (Vorarlberger) Grundverkehrs-Landeskommission versagte mit Bescheid vom 5. September 1985 gemäß §5 Abs2 litc des (Vorarlberger) Grundverkehrsgesetzes, Vlbg. LGBl. 18/1977 (Vlbg. GVG) dem Eigentumserwerb die Zustimmung.
Der dagegen von allen Vertragspartnern erhobenen Berufung gab der (Vorarlberger) Grundverkehrssenat mit Bescheid vom 28. Jänner 1986 keine Folge.
2. Gegen diesen Berufungsbescheid wendet sich die vorliegende, von den drei Verkäuferinnen und der Käuferin eingebrachte, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
3. Der Grundverkehrssenat als bel. Beh. erstattete eine Gegenschrift, in der er begehrt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Darauf replizierten die Bf.
II. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1.a) Ein Verfahren zur behördlichen Genehmigung des Eigentumserwerbes hat zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen ("civil rights") iS des Art6 MRK zum Gegenstand. Es besteht daher nach Art6 MRK ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf ein mit bestimmten Garantien ausgestattetes Verfahren vor einem unabhängigen "Tribunal". Gegen die Entscheidung des Grundverkehrssenates (d.i. die auf Administrativebene in letzter Instanz entscheidende Behörde) kann lediglich beim VfGH, nicht aber auch beim VwGH Beschwerde geführt werden. Jedenfalls unter diesen Voraussetzungen muß die Verwaltungsbehörde als Tribunal iS des Art6 MRK eingerichtet sein (siehe VfGH 1. 12. 1986 B616/85, B448/86 und die dort zitierte weitere Vorjudikatur).
b) §15 Vlbg. GVG über die Organisation des Grundverkehrssenates entspricht dieser Konventionsnorm (siehe auch hiezu das soeben zitierte hg. Erkenntnis).
c) Zu untersuchen bleibt, ob dem Vollzug ein Verstoß gegen Art6 MRK anzulasten ist.
aa) Der VfGH teilt die vom EGMR im Fall Sramek (EuGRZ 1985, 336 ff.) und von der EKMR im Fall Ettl (EuGRZ 1985, 364 ff.) vertretene Ansicht, daß Recht nicht nur gesprochen werden muß, sondern daß es auch augenscheinlich zu sein hat, daß Recht gesprochen wird; ein Tribunal muß daher derart zusammengesetzt sein, daß keine berechtigten Zweifel an der Unabhängigkeit seiner Mitglieder entstehen. Bei der Beurteilung der Fairness eines Verfahrens ist auch der äußere Anschein von Bedeutung (VfGH 28. 11. 1985, G109/84 u.a. Zlen., EuGRZ 1986, 214 ff.).
bb) Solche Zweifel an der Fairness des Verfahrens liegen hier (objektiv berechtigt) nahe. Es trat nämlich als eines der Mitglieder des Grundverkehrssenates (der Behörde 2. Instanz) Dipl.Ing. W G auf, der im Hauptberuf Abteilungsleiter bei der Agrarbezirksbehörde Bregenz ist; als deren Leiter fungiert Dipl.Ing. Dr. W P; dieser war im Verfahren als Vorsitzender der Grundverkehrs-Landeskommission (der Behörde 1. Instanz) tätig. Die volle Unabhängigkeit und Unparteilichkeit eines Mitgliedes des in letzter Instanz entscheidenden Grundverkehrssenates war unter diesen Umständen anzuzweifeln; dies vor allem im Hinblick darauf, daß Dipl.Ing. G in seinem Hauptberuf als Verwaltungsbeamter (im Gegensatz zu einem Richter) weisungsgebunden ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob Dipl.Ing. G tatsächlich unabhängig entscheiden konnte oder nicht (siehe das hg. Erkenntnis vom 1. 12. 1986 B616/85, B448/86, dem in dieser Hinsicht eine völlig gleiche Konstellation zugrundelag).
cc) Die Bf. wurden sohin durch den angefochtenen Bescheid in dem durch Art6 MRK verfassungsgesetzlich verankerten Anspruch, daß über ihre zivilrechtlichen Ansprüche von einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal entschieden wird, verletzt.
Der bekämpfte Bescheid war daher aufzuheben, ohne daß auf das eigentliche Beschwerdevorbringen einzugehen war.
2. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung beschlossen werden.
3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG.
In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 1.000,-- enthalten.
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