VfGH B148/85

VfGHB148/8512.6.1987

Anwendung körperlicher Gewalt zur Durchsetzung

der Auflösung der Versammlung in der Stopfenreuther Au grundsätzlich rechtmäßig; Versetzen eines Schlages mit dem Gummiknüppel auf den Arm des Bf., der nicht zu den Versammlungsteilnehmern gehörte (Journalist), sich jedoch in unmittelbarer Nähe der Manifestanten befand; kein Verstoß gegen Art3 MRK; kein Verstoß gegen Art10 MRK

Normen

MRK Art3
MRK Art10
VersammlungG §14 Abs2
MRK Art3
MRK Art10
VersammlungG §14 Abs2

 

Spruch:

Der Bf. ist dadurch, daß ihm ein Organ der Sicherheitsdirektion für Niederösterreich am 19. Dezember 1984 in der Stopfenreuther Au einen Schlag mit dem Gummiknüppel auf den Arm versetzt hat, weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Der Bf. ist schuldig, dem Bund zu Handen der Finanzprokuratur die mit S 50.000,-- bestimmten Kosten des Verfahrens binnen vierzehn Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. In der auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde wird vorgebracht, der Bf. hätte sich als Journalist am 19. Dezember 1984 in der Stopfenreuther Au aufgehalten, um über die sich dort abspielenden Vorgänge in Wort und Bild zu berichten.

Als dem Bf. eine Kette von Polizeibeamten entgegengekommen sei, habe er die Kamera mit der rechten Hand am Auge und in der linken Hand seinen Presseausweis gehalten, um sich deutlich als Journalist zu erkennen zu geben. Der Bf. habe gesehen, wie ein in seiner unmittelbaren Nähe befindlicher Kameramann des Ersten Deutschen Fernsehens (ARD) abgeführt worden sei. Da habe der Bf. auf den rechten Arm, mit welchem er seine Kamera gehalten habe, von einem Uniformierten einen Schlag mit dem Gummiknüppel erhalten.

Wenige Minuten später habe ein junger Polizist mit Vollvisierhelm dem Bf. die Kamera aus der Hand gerissen. Der Bf. habe neben dem jungen Polizisten den ihm bekannten damaligen Major N erkannt und den Offizier unter Hinweis auf seinen Presseausweis aufgefordert, er möge veranlassen, daß der junge Polizist dem Bf. die Kamera zurückgebe. Major N habe dies verfügt, den Bf. aber gleichzeitig zum Verlassen des Gebietes aufgefordert.

Der Bf. erachtet sich ausschließlich - worauf er ausdrücklich hinweist - durch den Schlag auf den rechten Arm in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt und beantragt, der VfGH wolle dies kostenpflichtig feststellen.

2. Die Sicherheitsdirektion für Niederösterreich hat in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde begehrt. Die Sicherheitsdirektion hat zu dem inkriminierten Schlag auf den Arm im einzelnen nicht Stellung genommen, sondern hat allgemein darauf hingewiesen, die Exekutivbeamten seien am 19. Dezember 1984 angewiesen worden, den Journalisten und Reportern die Berichterstattung über die Ereignisse in der Stopfenreuther Au soweit zu ermöglichen, als dies mit dem Zweck der notwendigen Maßnahmen vereinbar war. Aus Sicherheitsgründen seien Journalisten in einzelnen Fällen angewiesen worden, sich aus bestimmten Bereichen zu entfernen. Einzelne Journalisten seien jedoch diesen Anweisungen nicht nachgekommen, weshalb es nicht auszuschließen sei, daß auch sie während des Einsatzes der Exekutive in den allgemeinen tumultartigen Auseinandersetzungen vereinzelt Schläge abbekommen haben.

Den Beschwerdeausführungen sei zu entnehmen, daß sich der Bf. unmittelbar im Einsatzgebiet aufgehalten habe, daß er sich vor allem auch in unmittelbarer Nähe der Demonstranten, wenn nicht sogar unter ihnen befunden habe. Da unter den gegebenen Umständen Amtshandlungen nicht auf einzelne Personen beschränkt hätten werden können, der Bf. aber andererseits auch den Anordnungen der Exekutive, den unmittelbaren Einsatzbereich bzw. den Versammlungsort zu verlassen, nicht Folge geleistet habe, habe er nachfolgende Unannehmlichkeiten selbst zu vertreten. Die Anwendung körperlicher Gewalt durch die Beamten sei durchaus maßhaltend erfolgt.

In der mündlichen Verhandlung hat der Vertreter der Sicherheitsdirektion die Zurückweisung der Beschwerde begehrt.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Die in Beschwerde gezogene Amtshandlung ist der Sicherheitsdirektion für Niederösterreich zuzurechnen (s. hiezu die einschlägigen Ausführungen in den Erkenntnissen des VfGH betreffend die Anwendung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt am 19. Dezember 1984 in der Stopfenreuther Au, zB VfGH 19. 6. 1986 B81/85 und Folgezahlen, 16. 10. 1986 B91/85).

Bel Beh ist daher die Sicherheitsdirektion für Niederösterreich.

2. Der VfGH hat Beweis erhoben durch die Vernehmung des Bf. als Partei sowie des Zeugen Oberstleutnant G N im Rechtshilfewege.

a) Der Bf. wiederholte bei seiner Aussage im wesentlichen sein Beschwerdevorbringen (s. oben unter Pkt. I.1.), wonach er plötzlich von einem uniformierten Polizisten oder Gendarmen mit einem Gummiknüppel auf den rechten Oberarm geschlagen worden sei, während er mit dem rechten Arm die Kamera vor das Auge gehalten und in der linken Hand seinen Presseausweis gehabt habe. Der Bf. fügte hinzu, er habe nur seinen Ausweis vor sich hingehalten, verbale Äußerungen, daß er von der Presse komme, habe er nicht gemacht. Der Uniformierte, der ihm den Schlag versetzt habe, sei von hinten oder von der Seite gekommen und habe wahrscheinlich den Presseausweis nicht gesehen.

Der Zeuge N gab an, nicht gesehen zu haben, ob und wie der Bf. geschlagen wurde. Der Bf. habe sich vor oder inmitten der "Abdrängkette" befunden, "mitten in der Menge". Journalisten, welche abseits gestanden seien, hätten unbehelligt fotografieren und filmen können. Lediglich Presseleute, welche unter den Demonstranten gewesen seien, um gute Fotos zu bekommen, und welche praktisch von den Demonstranten nicht mehr unterscheidbar gewesen seien, hätten möglicherweise auch Schläge oder ähnliches davongetragen.

b) Der VfGH nimmt aufgrund dieser Beweismittel als erwiesen an, daß ein - unbekannt gebliebener - Exekutivbeamter dem Bf. den inkriminierten Schlag mit einem Gummiknüppel auf den Arm versetzt hat. Der VfGH nimmt weiters als erwiesen an, daß sich der Bf. zu diesem Zeitpunkt nicht abseits der Geschehnisse, sondern dort befand, wo Organe der bel. Beh. die Auflösung der Versammlung mit Gewalt durchzusetzen trachteten.

Zu diesen Feststellungen gelangte der VfGH vor allem aufgrund der oben wiedergegebenen Aussagen, welche einander keineswegs widersprechen und auch sonst in sich schlüssig und glaubwürdig sind.

3. Der festgestellte Schlag mit dem Gummiknüppel führt aus folgenden Erwägungen zu keiner Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte des Bf.:

a) Der VfGH hat in seiner Rechtsprechung zu den Vorfällen in der Stopfenreuther Au am 19. Dezember 1984 bereits mehrfach ausgesprochen, daß die Anwendung körperlicher Gewalt zur Auflösung der Versammlung grundsätzlich rechtmäßig (s. VfGH 16. 10. 1986 B91/85 und 28. 11. 1986 B88/85) und der Gebrauch des Gummiknüppels unter dem Gesichtspunkt des Art3 MRK grundsätzlich zulässig war (s. VfGH 28. 11. 1986 B88/85 und 9. 12. 1986 B152/85).

b) Wenngleich der Bf. an sich nicht zu den Versammlungsteilnehmern gehörte, befand er sich zum maßgeblichen Zeitpunkt in unmittelbarer Nähe von Manifestanten. Unter diesen Umständen (noch dazu, wo der Beamte nach den eigenen Angaben des Bf. den Presseausweis des Bf. "wahrscheinlich" nicht gesehen hat) kann nicht gesagt werden, daß ein einzelner Schlag mit dem Gummiknüppel auf den Arm als - nicht mit dem Zweck der Amtshandlung in einem notwendigen Zusammenhang stehend - in Mißhandlungsabsicht oder als Ausdruck persönlicher Mißachtung erfolgte (vgl. die ständige Rechtsprechung des VfGH zu Art3 MRK in den oben angeführten Erkenntnissen).

c) Einen Verstoß gegen Art10 MRK stellt der Schlag schon deshalb nicht dar, weil durch diesen einzelnen Schlag die Beschaffung von Informationen im Ergebnis nicht behindert war (zum Schutzumfang des Art10 MRK im allgemeinen s. VfGH 16. 3. 1987 B154/85).

4. Da auch sonst nicht hervorgekommen ist, daß der Bf. durch die in Beschwerde gezogene Amtshandlung in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden ist, wird die Beschwerde abgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG.

Diese Entscheidung konnte in einer der Norm des §7 Abs2 litc VerfGG genügenden Zusammensetzung getroffen werden.

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