VfGH B269/87

VfGHB269/8730.9.1987

Einer Partei, die im vertrauen auf eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung dieser entsprechend rechtzeitig Berufung ergriffen hat und erst durch den ihr Rechtsmittel als unzulässig zurückweisenden Bescheid Kenntnis von der Unrichtigkeit der Rechtsmittelbelehrung erhalten hat, ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zu bewilligen, wenn die übrigen Voraussetzungen gegeben sind. Dies gilt sinngemäß auch für die Wiedereinsetzung bezüglich Beschwerden gegen Akten unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, die zu Unrecht in Form mündlich erlassener Bescheide verfügt worden waren, nach Aufhebung dieser Bescheide im Rechtsmittelverfahren

Normen

ZPO §146 Abs1
ZPO §146 Abs1

 

Spruch:

1. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird stattgegeben.

2. Die Behandlung der Beschwerde wird abgelehnt.

Die Beschwerde wird dem VwGH zur Entscheidung abgetreten.

Begründung

Begründung

I. 1. Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wels vom 7. März 1986 wurden die mündlich verkündeten Bescheide dieser Behörde vom 29. März 1985, 9. April 1985, 14. April 1985 und 25. April 1985 schriftlich ausgefertigt. Mit diesen Bescheiden waren jeweils näher bezeichnete Maßnahmen zur Vermeidung von Gewässerverunreinigungen nach dem Ausfließen von Superbenzin auf einem näher bezeichneten Grundstück verfügt worden.

Der gegen den Bescheid vom 7. März 1986 von der bf. Gesellschaft erhobenen Berufung hat der Landeshauptmann von Oberösterreich mit Bescheid vom 20. Feber 1987 stattgegeben und den erstinstanzlichen Bescheid aufgehoben. Die Aufhebung erfolgte, weil die vier im erstinstanzlichen Bescheid enthaltenen behördlichen Anordnungen nach Auffassung des Landeshauptmannes jeweils eine auf der Basis des §31 Abs3 WRG 1959 durchgeführte faktische Amtshandlung darstellten und somit keine behördliche Entscheidung in Bescheidform zu treffen gewesen sei. Da der Magistrat der Stadt Wels dennoch die schriftliche Ausfertigung mündlich erlassener Bescheide ausgestellt habe, sei der angefochtene Bescheid aufzuheben, weil die Voraussetzungen zur Erlassung eines Bescheides nicht vorgelegen seien; es habe sich vielmehr um - bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes direkt anfechtbare - Akte unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gehandelt.

2. Aufgrund dieses Verwaltungsgeschehens beantragt die bf. Gesellschaft beim VfGH nunmehr die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der sechswöchigen Frist zur Einbringung einer Beschwerde gegen die oben näher bezeichneten Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, welche im März und April 1985 stattgefunden hätten.

Die bf. Gesellschaft sei an der rechtzeitigen Einbringung einer Beschwerde gemäß Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG durch ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis ohne ihr Verschulden gehindert gewesen. Die Fristversäumnis beruhe auf einem behördlichen Verhalten, weil der Magistrat der Stadt Wels zunächst mündlich und sodann schriftlich Bescheide erlassen und dagegen das Rechtsmittel der Berufung eingeräumt habe. Die bf. Gesellschaft habe im Vertrauen darauf die ihr zustehenden rechtlichen Möglichkeiten der Anfechtung durch Einbringung einer Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid ausgeschöpft.

3. Der - zulässige - Wiedereinsetzungsantrag wurde zu Recht erhoben.

Ein Wiedereinsetzungsgrund ist nach §146 Abs1 ZPO (§35 Abs1 VerfGG) dann gegeben, wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis am rechtzeitigen Erscheinen bei einer Tagsatzung oder an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozeßhandlung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für die Partei den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozeßhandlung zur Folge hatte.

Die bf. Gesellschaft hat - wie dem Bescheid des Landeshauptmannes vom 20. Feber 1987 zu entnehmen ist - jeweils rechtzeitig die Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung der vier mündlich verkündeten Bescheide verlangt. Diesem Verlangen ist der Magistrat der Stadt Wels mit dem Bescheid vom 7. März 1986 nachgekommen; dieser Bescheid enthält eine Rechtsmittelbelehrung über die Möglichkeit einer binnen zwei Wochen einzubringenden Berufung.

Der VfGH hat wiederholt ausgesprochen (vgl. den Beschluß VfSlg. 9143/1981 und die dort angeführte Vorjudikatur), daß einer Partei, die im Vertrauen auf eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung dieser entsprechend rechtzeitig Berufung ergriffen hat und erst durch den ihr Rechtsmittel als unzulässig zurückweisenden Bescheid Kenntnis von der Unrichtigkeit der Rechtsmittelbelehrung erhalten hat, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zu bewilligen ist, wenn die übrigen Voraussetzungen gegeben sind. Dies trifft sinngemäß auch auf den vorliegenden Fall zu. Im hier gegebenen Zusammenhang ist nämlich maßgeblich, daß die Behörde bestimmte Maßnahmen - die auch durchgeführt wurden - zu Unrecht in Form mündlich erlassener Bescheide verfügt hat, was die bf. Gesellschaft veranlaßte, die Frist zur Einbringung von Beschwerden an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts gegen jene Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, die Inhalt der in Bescheidform verfügten Maßnahmen waren, ungenützt verstreichen zu lassen. Die Versäumung der Beschwerdefrist wurde somit durch ein behördliches Verhalten verursacht.

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der sechswöchigen Beschwerdefrist ist somit stattzugeben.

II. Der VfGH kann die Behandlung einer Beschwerde in einer nicht von der Zuständigkeit des VwGH ausgeschlossenen Angelegenheit ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die bf. Gesellschaft erachtet sich durch die von ihr in Beschwerde gezogenen und als Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt qualifizierten behördlichen Maßnahmen vor allem im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer - allenfalls grob unrichtigen Anwendung einfachgesetzlicher Bestimmungen, insbesondere des §31 WRG 1959. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

Da die Sache auch nicht von der Zuständigkeit des VwGH ausgeschlossen ist, wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und die Beschwerde gemäß Art144 Abs3 B-VG antragsgemäß dem VwGH abgetreten (§19 Abs3 Z1 VerfGG).

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