Normen
B-VG Art10 Abs1 Z6
B-VG Art20 Abs2
B-VG Art44 Abs3
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art129
B-VG Art133 Z4
StGG Art5
ABGB §1
JN §1
MRK Vorbehalt zu Art5
EMRK Art6 Abs1
Vlbg GdG 1965 idF LGBl 40/1985 §83
Vlbg GdG 1965 idF LGBl 40/1985 §92 Abs2
Novelle zum Vlbg GdG 1965. LGBl 35/1985 ArtIII
B-VG Art10 Abs1 Z6
B-VG Art20 Abs2
B-VG Art44 Abs3
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art129
B-VG Art133 Z4
StGG Art5
ABGB §1
JN §1
MRK Vorbehalt zu Art5
EMRK Art6 Abs1
Vlbg GdG 1965 idF LGBl 40/1985 §83
Vlbg GdG 1965 idF LGBl 40/1985 §92 Abs2
Novelle zum Vlbg GdG 1965. LGBl 35/1985 ArtIII
Spruch:
Die Bf. sind durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Mit Bescheid des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Bregenz vom 12. März 1985 wurde der A H Gemeinnützige Wohnungsbau- und Siedlungsgesellschaft mbH Innsbruck die Baubewilligung für die Errichtung von zwei Wohnhäusern in der KG Rieden erteilt. Die auch von den bf. Anrainern erhobenen Einwendungen, die eine Störung des Ortsbildes, eine Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit und die Verletzung des vorgeschriebenen Abstandes von der Straße behaupteten, wurden als unzulässig zurückgewiesen. Die Berufung der Bf. an die Stadtvertretung blieb erfolglos.
Der bei der Bezirkshauptmannschaft Bregenz am 2. August 1985 eingebrachten Vorstellung der Bf. gegen den Berufungsbescheid der Stadtvertretung hat die Bezirkshauptmannschaft aufgrund einer Ermächtigung der Vorarlberger Landesregierung vom 24. September 1985, im Namen der Landesregierung zu entscheiden, am 9. Dezember 1985 keine Folge gegeben. Gegen den Vorstellungsbescheid erhoben die Bf. Berufung, die der angefochtene Bescheid der Landesregierung als unzulässig zurückweist: Da die Bezirkshauptmannschaft schon im Namen der Landesregierung entschieden habe, könne eine Berufung an die Landesregierung nicht mehr offenstehen.
Gegen diese Zurückweisung wendet sich die vorliegende Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf Zugang zu einem unabhängigen und unparteiischen Gericht und die Anwendung verfassungswidriger Gesetze gerügt wird. Die von der Gemeindegesetznovelle 1985 eingeführte Möglichkeit, die Bezirkshauptmannschaft zur Entscheidung über eine Vorstellung zu ermächtigen, sei in verschiedener Hinsicht unsachlich, überantworte die Bestimmung der Zuständigkeit unter Verstoß gegen Art83 Abs2 B-VG in das Ermessen einer Behörde und schließe im Widerspruch zu Art6 MRK die Anrufung eines Gerichtes aus.
II. Die Beschwerde ist nicht begründet.
1. Das Vorarlberger Gemeindegesetz, LGBl. 45/1965 (neu kundgemacht mit undatierter V der Landesregierung, Nr. 40/1985 in dem am 25. September 1985 ausgegebenen und versendeten
16. Stück des Landesgesetzblattes) sieht in §79 Abs1 (neu §83 Abs1) vor, daß nach Erschöpfung des Instanzenzuges Vorstellung an die Aufsichtsbehörde erheben kann, wer durch den Bescheid eines Gemeindeorgans in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet. Aufsichtsbehörde im Sinne des §79 (neu §83) ist gemäß §88 Abs2 (neu §92 Abs2) die Landesregierung. Die gleichfalls undatierte - Nov. LGBl. 35/1985 hatte dem §88 Abs2 GemeindeG folgenden, in §92 Abs2 der Neukundmachung aufgenommenen Satz angefügt:
"Wenn es im Interesse der Zweckmäßigkeit, Einfachheit und Raschheit gelegen ist, kann die Landesregierung die Bezirkshauptmannschaft allgemein oder fallweise ermächtigen, über Vorstellungen im Namen der Landesregierung zu entscheiden."
ArtIII Abs1 dieser Nov. hatte bestimmt, daß im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes anhängige Vorstellungen nach den bisherigen Bestimmungen weiterzuführen sind. Über ihr Inkrafttreten enthält die Nov. nichts. Kundgemacht wurde sie mit dem am 31. Juli 1985 ausgegebenen und versendeten 14. Stück des Landesgesetzblattes. In den Text der Neukundmachung sind die Übergangsbestimmungen der Nov. nicht aufgenommen.
2. Ausschließlich gegen die Vollziehung richtet sich der Beschwerdevorwurf, die Landesregierung habe die Sachentscheidung zu Unrecht verweigert, weil die Neukundmachung die Übergangsbestimmung außer Kraft gesetzt habe und mangels gesetzlicher Regelung die Rechtslage zum Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides der Gemeindevertretung, also vor Erlassung der Nov. maßgeblich sei.
Dieser Anschauung kann der Gerichtshof nicht beipflichten:
Schon der Ansatz ist verfehlt. Würde eine gesetzliche Regelung fehlen, wäre für die Frage der Möglichkeit einer Übertragung der Zuständigkeit zur Entscheidung über eine Vorstellung nicht die Gesetzeslage im Zeitpunkt der Zustellung des letztinstanzlichen Bescheides eines Gemeindeorganes maßgeblich, sondern die Rechtslage im Zeitpunkt des Einschreitens der Aufsichtsbehörde. Geht es doch nicht darum, an welchem Maßstab die Aufsichtsbehörde das Verhalten der Gemeindeorgane zu messen hat, sondern um die Gestaltung des aufsichtsbehördlichen Verfahrens selbst. Verfügt das Gesetz nichts Abweichendes, sind solche verfahrensrechtlichen Bestimmungen ab dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens anzuwenden.
Aus dem Gesamtinhalt des Gesetzes kann sich zwar anderes ergeben; daß sich hier aber nichts ergibt, was den Standpunkt der Beschwerde - die Vorstellung der Bf. sei nach der Rechtslage vor dem Inkrafttreten der Nov. von der Landesregierung zu erledigen gewesen - rechtfertigen würde, ist offenkundig. Die Vorstellung war im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes (1. August 1985) noch nicht eingebracht und daher noch nicht anhängig. Allein das Vorhandensein des ArtIII der Nov. verbietet aber die Annahme, der Gesetzgeber habe die novellierte Fassung erst in jenen Verfahren angewendet wissen wollen, die durch gemeindebehördliche Bescheide nach dem 1. August 1985 ausgelöst werden.
Die Neukundmachung des Gemeindegesetzes hat daran nichts geändert. Abgesehen davon, daß bei Wegfall des ArtIII der Tag des Inkrafttretens der Nov. maßgeblich wäre, sind auch die Zweifel an der Weitergeltung des ArtIII unbegründet. Die Neukundmachung LGBl. 40/1985 beschränkt sich auf den Text des Gemeindegesetzes, wie er zuletzt durch die Nov. LGBl. 35/1985 gefaßt wurde. ArtIII des Gesetzes LGBl. 35/1985 ist nicht Teil des (novellierten) Gesetzes und daher von dessen Neukundmachung nicht erfaßt. Zwar kann die Landesregierung nach Art38 der Vorarlberger Landesverfassung anläßlich der Neukundmachung einer gesetzlichen Vorschrift Ergänzungen, die nicht durch Novellen, sondern durch besondere Gesetze abseits der ursprünglichen Rechtsvorschrift verfügt wurden, in die betreffende Rechtsvorschrift selbst aufnehmen (Abs2 lite), und Übergangsbestimmungen sowie noch anzuwendende frühere Fassungen der Rechtsvorschrift unter Angabe ihres Geltungsbereiches zusammenfassen und gleichzeitig mit der Neukundmachung gesondert verlautbaren (Abs2 lith), doch ist es offenbar eine bloße Frage der Zweckmäßigkeit, ob sie von dieser Ermächtigung Gebrauch macht. Keine Gesetzesbestimmung nimmt den außerhalb des neu kundgemachten Textes stehenden Vorschriften nur deshalb ihre Geltung, weil auch sie in die Neukundmachung hätten einbezogen werden können, auf diese Einbeziehung aber verzichtet wurde.
Der Beschwerdefall ist also von der Geltung des novellierten (und neu kundgemachten) Textes des Gemeindegesetzes nicht ausgenommen. Nach dem zweiten Satz des §88 Abs2 (neu §92 Abs2) war die Übertragung der Zuständigkeit zur Entscheidung über die Vorstellung auf die Bezirksverwaltungsbehörde aber zulässig.
3. Gegen diesen zweiten Satz des nunmehrigen §92 Abs2 Gemeindegesetz bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Gerichtshof hat der Regelung aus dem in der Beschwerde eingenommenen Blickwinkel der Bestimmtheit schon im Erkenntnis VfSlg. 10913/1986 die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit bescheinigt (vgl. auch VfSlg. 10912/1986 zu §12 Abs1 EisenbahnG). Dem ist auch unter dem Eindruck der vorliegenden Beschwerde nur hinzuzufügen, daß es dem Gesetzgeber freisteht, insbesondere die Einfachheit und Raschheit der Entscheidung höher zu bewerten als die vom Bf. für eine gemeindeferne, zentrale und auf solche Fragen spezialisierte Instanz angeführten Gründe.
In die Verfassungssphäre reichende Zweifel, daß die Voraussetzungen für die Übertragung im vorliegenden Fall nicht vorgelegen seien (VfSlg. 10912/1986), trägt die Beschwerde nicht vor und sind beim VfGH auch nicht entstanden. Die Notwendigkeit der Übersendung von Akten an die ermächtigte Bezirksverwaltungsbehörde fällt gewiß nicht ins Gewicht.
4. Es bleibt der tiefgreifende Vorwurf der Beschwerde, gemäß Art6 MRK hätte über das Rechtsmittel gar nicht eine Verwaltungsbehörde, sondern vielmehr ein Gericht entscheiden müssen (weshalb die Landesregierung die Entscheidung der Bezirkshauptmannschaft nach Beseitigung sämtlicher deren Zuständigkeit begründender Normen aufzuheben hätte). Er ist in der Beschwerde folgendermaßen ausgeführt:
"In ihrer jüngeren Spruchpraxis kommen die Straßburger Konventionsinstanzen zunehmend zu einem umfassenden Verständnis des Begriffs der 'civil rights' im Sinn des Art6 EMRK. In Urteil Benthem vom 26. Okt. 1985 hat der EGMR Art6 EMRK für ein gewerbliches Betriebsanlagenverfahren für anwendbar erklärt. Er folgte damit der Rechtsauffassung der Kommissionsminderheit im Bericht Benthem (vgl. dazu Näheres in EuGRZ 1985, 469, Für und Wider den 'cautious approach' . . .).
Ausgehend von diesem modernen Verständnis des Begriffs der 'civil rights' läßt sich die Anwendbarkeit des Art6 EMRK auf Bauverfahren bejahen. Eine unmittelbar einschlägige Entscheidung des EGMR gibt es zwar bisher nicht, wohl aber erste Ansätze in der Judikatur der EKMR. Dabei wird die Anwendbarkeit des Art6 EMRK insbesondere dann betont, wenn zwei Parteien vor der Baubehörde gegenteilige Auffassungen vertreten und Anträge stellen, wenn also quasi ein kontradiktorisches Verfahren vor der Baubehörde stattfindet (wie es hier konkret der Fall gewesen ist, mit Ausnahme des letztinstanzlichen Verfahrens, bei dem es lediglich um die Zulässigkeit der Berufung ging).
Es ist daher von einer Anwendbarkeit des Art6 EMRK auf den konkreten Anlaßfall auszugehen.
Bis in jüngste Zeit ist der VfGH davon ausgegangen, daß die nachprüfende Kontrolle beider Gerichtshöfe den Anforderungen des Art6 EMRK entspricht. Die jüngere Judikatur der Straßburger Konventionsorgane (etwa im Urteil Le Compte) geht davon aus, daß ein Gericht im Sinn des Art6 EMRK für eine meritorische Entscheidung zuständig sein muß, wobei sich die Zuständigkeit auf alle Tatsachen- und Rechtsfragen beziehen muß.
Im Bericht Ettl hat die Kommission erst unlängst ausgesprochen, unter ausdrücklicher Nennung des Erkenntnisses VfSlg. 5100/65, daß die nachprüfende Kontrolle beider Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes in Österreich nicht ausreiche, um die Garantien des Art6 EMRK zu gewährleisten.
Die österreichische jüngere Lehre hat dies bereits zur Kenntnis genommen und fordert in jüngster Zeit die Einrichtung einer meritorischen Verwaltungsgerichtsbarkeit in den Ländern.
Offenkundig ist, daß das Gemeindegesetz weder in der alten noch in der neuen Fassung einen Zugang zu einem meritorisch zuständigen Gericht gewährt. Damit verletzen diese Rechtsmittelzüge die Rechte der Bf. nach Art6 EMRK.
Richtigerweise müßte bereits gegen den Bescheid des Bürgermeisters oder allenfalls der Gemeindevertretung ein Instanzenzug an ein meritorisch zuständiges unabhängiges und unparteiisches Gericht eingeräumt sein. Daß dies nicht geschehen ist, bedeutet eben die Verletzung der Bf. in ihren Rechten nach Art6 EMRK.
Schwerer ist die Frage zu beantworten, wo diese verfassungswidrige Situation ihren Sitz hat. Offenkundig ist, daß die derzeitige Gesetzeslage nach dem Gemeindegesetz gegen Art6 EMRK verstößt.
Geht man davon aus, daß bereits statt der Gemeindevertretung ein Gericht entscheiden müßte, wäre die Entscheidungskompetenz der Gemeindevertretung verfassungswidrig, wenn man davon ausgeht, daß die Instanz nach der Gemeindevertretung ein meritorisches Verwaltungsgericht sein müßte, sind es die gesetzlichen Bestimmungen über das Vorstellungsverfahren.
Nicht gerade erleichtert werden diese Rechtsfragen dadurch, daß ein Teil des Gemeinderechtes Verfassungsrang hat (für diesen Fall bedeutend etwa Art119 a B-VG). Lösen ließe sich diese Spannung allenfalls dadurch, daß man der nachträglichen Kundmachung der EMRK auf Verfassungsebene, BGBl. Nr. 57/1964 derogatorische Kraft gegenüber den Bestimmungen des Gemeindeaufsichtsverfahrens im B-VG zuerkennt.
Dann wären für den Bereich des Art6 EMRK die Bestimmungen nach Art119 a B-VG nicht auf Verfahren anwendbar, bei denen es um Ansprüche nach Art6 EMRK geht.
Die Bf. regen an, diesbezüglich die entsprechenden präjudiziellen Normen des Gemeindegesetzes zu überprüfen und dann wegen Widerspruch zu Art6 EMRK aufzuheben. Konkret fühlen sich die Bf. zusätzlich in ihrem Recht auf Zugang zu einem meritorisch zuständigen Gericht verletzt."
Der VfGH versteht dieses Vorbringen dahin, daß es in erster Linie die gesetzlichen Bestimmungen über die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden zur endgültigen Entscheidung über Baubewilligungsansuchen zu Fall bringen möchte, sodaß es nicht mehr entscheidend darauf ankommt, ob die Bauordnung gerade in den Vorschriften über die Stellung der Nachbarn "civil rights" regelt - was insbesondere deshalb zweifelhaft sein könnte, weil Einwendungen, "die sich auf das Privatrecht stützen, . . . auf den Zivilrechtsweg zu verweisen", also ohnehin vor die Gerichte zu bringen sind (§30 Abs2 Vbg. BauO). Müßten Baubewilligungsverfahren allerdings als solche (wegen der betroffenen Bauwerber) den Garantien des Art6 MRK derart entsprechen, daß Gerichte über die Zulässigkeit einer bestimmten Bebauung entscheiden, so wären Verwaltungsbehörden bei der gegenwärtigen Rechtslage auch nicht zuständig, über sogenannte öffentliche Nachbarrechte abzusprechen, und die Bf. (als Nachbarn) wären auch dann wegen Anwendung verfassungswidriger Vorschriften über die Zuständigkeit von Behörden in ihren Rechten verletzt, wenn dabei über civil rights der Bf. nicht entschieden worden wäre. Dieser Vorwurf der Beschwerde träfe auch jene Vorschriften des Gemeindegesetzes, die der Entscheidung der Bezirksverwaltungsbehörde unter gewissen Voraussetzungen den Charakter einer letztinstanzlichen Entscheidung verleihen.
Der Gerichtshof kann aber auch diese Bedenken nicht teilen:
a) Das österreichische Verfassungsrecht ist von der strikten Trennung von Justiz und Verwaltung bestimmt. Die unter der Leitung - und Verantwortung - der obersten Organe des Bundes und der Länder geführte Verwaltung unterliegt keiner Kontrolle durch die Organe der Gerichtsbarkeit (im Sinne der Art82 ff B-VG), und die Justiz ist von der Verwaltung in allen Instanzen getrennt (Art94 B-VG). Oberste Instanz in Zivil- und Strafrechtssachen ist der Oberste Gerichtshof (Art92 Abs1 B-VG), während zur Sicherung der Gesetzmäßigkeit der gesamten öffentlichen Verwaltung ausschließlich der VwGH berufen ist, der außerhalb der Organisation der Gerichtsbarkeit steht (Art. 129 ff B-VG). Wohl ist in oberster Instanz die Errichtung von Kollegialbehörden, denen wenigstens ein Richter angehört, mit der Wirkung zulässig, daß auch die übrigen Mitglieder dieser Kollegialbehörde in Ausübung ihres Amtes an keine Weisungen gebunden (Art20 Abs2 B-VG) und die von ihnen zu entscheidenden Angelegenheiten von der Zuständigkeit des VwGH ausgenommen sind, wenn dessen Anrufung nicht ausdrücklich für zulässig erklärt ist (Art133 Z4 B-VG); solche Behörden können daher ungeachtet ihrer Zugehörigkeit zur Verwaltung im Sinne des österreichischen Verfassungsrechts zugleich "unabhängige und unparteiische Gerichte", nach dem englischen und französischen Text "Tribunale" im Sinne des Art6 MRK sein. Von dieser Möglichkeit darf aber nicht in einem Maße Gebrauch gemacht werden, das die allgemeine Leitungsbefugnis der obersten Organe und die umfassende Zuständigkeit des VwGH zur Überprüfung des Verwaltungshandelns in Frage stellen würde.
Die Einrichtung einer instanzmäßig gegliederten Verwaltungsgerichtsbarkeit ist nach geltendem Verfassungsrecht ausgeschlossen.
b) Die 1958 von Österreich ratifizierte Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, BGBl. 210/1958, genießt auf Grund des BVG BGBl. 59/1964 mit Wirkung vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens in Österreich Verfassungsrang. Sie garantiert in den Artikeln 5 und 6 das Recht auf ein gerichtliches Verfahren. Art5 sichert das Recht auf persönliche Freiheit durch Umschreibung jener bestimmten Fälle, in denen allein sie entzogen werden darf (Abs1), darunter vor allem die Haft nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht (lita), und räumt darüber hinaus jedermann, dem seine Freiheit durch Festnahme oder Haft entzogen worden ist, das Recht ein, ein Verfahren zu beantragen, in dem von einem Gericht ehetunlich über die Rechtmäßigkeit der Haft entschieden wird und im Falle der Widerrechtlichkeit seine Entlassung angeordnet wird (Abs4). Nach Art6 hat jedermann Anspruch darauf, daß seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht ("Tribunal"), das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat (Satz 1); das Urteil muß (mit näher umschriebenen Ausnahmen) öffentlich verkündet werden (Satz 2).
Wie die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage
über die Genehmigung des Beitrittes zur Konvention (459 BlgNR
8. GP) zeigen, war man auf österreichischer Seite der Überzeugung,
daß
"die in der Konvention und dem (1.) Zusatzprotokoll
geschützten Rechte und Grundfreiheiten . . . durch die
österreichische Rechtsordnung schon seit langer Zeit im wesentlichen gewährleistet"
seien und Österreich die Verpflichtung übernehme,
"seine innerstaatliche Rechtsordnung den Vorschriften
der Konvention . . ., soweit dies überhaupt erforderlich ist,
anzupassen und in Hinkunft keine Rechtsvorschriften zu erlassen,
durch die die in der Konvention . . . geschützten Rechte und
Grundfreiheiten beeinträchtigt werden".
Die Ratifikation erfolgte nur unter dem ausdrücklichen
Vorbehalt, daß
"1. die Bestimmungen des Artikels 5 der Konvention mit
der Maßgabe angewendet werden, daß die in den
Verwaltungsverfahrensgesetzen . . . vorgesehenen Maßnahmen des
Freiheitsentzuges unter der in der österreichischen Bundesverfassung vorgesehenen nachprüfenden Kontrolle durch den VwGH oder den VfGH unberührt bleiben;
2. die Bestimmungen des Artikels 6 der Konvention mit
der Maßgabe angewendet werden, daß die in Artikel 90 des
Bundes-Verfassungsgesetzes . . . festgelegten Grundsätze über die
Öffentlichkeit im gerichtlichen Verfahren in keiner Weise beeinträchtigt werden".
Es steht außer Zweifel, daß der Bundespräsident, die Bundesregierung und die Organe der Gesetzgebung im Zuge des Beitrittes zur Konvention, bei ihrer Ratifikation und anläßlich ihrer Erhebung in den Verfassungsrang auch die Garantie des Art6 in bezug auf "zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen" im wesentlichen durch die traditionelle Zuständigkeit der Gerichte in "bürgerlichen Rechtssachen" (§1 JN) erfüllt sahen. Der Vorbehalt bringt dieses Verständnis der Konvention zwar nur mittelbar, aber doch hinreichend deutlich zum Ausdruck: Er ist nach Gegenstand und Umfang nur sinnvoll, wenn das österreichische System außerhalb der in den Verwaltungsverfahrensgesetzen vorgesehen Maßnahmen des Freiheitsentzuges der nachprüfenden Kontrolle für seinen Bereich im großen und ganzen mit der Konvention in Einklang steht und keine ihrer Garantien einen vollständigen Umbau der österreichischen Staatsorganisation verlangt. Die Überzeugung, das österreichische Verwaltungssystem würde der Konvention standhalten, beruhte auf der Annahme, daß den "civil rights" das öffentliche Recht gegenüberzustellen ist und diese Unterscheidung den Grundzügen jener folgt, die das römische Recht mit den Begriffen "ius publicum" und "ius privatum" (Just.Inst.I 1,4) umschrieben hat und für alle vom römischen Recht geprägten Rechtsordnungen insofern stets grundlegend war, als nur Privatrechte vor dem unabhängigen Richter zu verfolgen waren. Die Verwendung der Begriffe "civil rights and obligations" und "droits et obligations de caractere civil" mußte insbesondere in Verbindung mit dem Begriff der strafrechtlichen Anklage ("criminal charge" und "accusation en matiere penale") dahin verstanden werden, daß Art6 Abs1 die in diesen Ländern übliche Zivil- und Strafjustiz garantiert. Fraglich konnte nur das Schicksal des von Verwaltungsbehörden gehandhabten österreichischen Verwaltungsstrafrechts sein. Hätten die österreichischen Organe angenommen, daß entscheidende Teile des innerstaatlichen materiellen Verwaltungsrechts "civil rights" im Sinne dieser Garantien darstellen, so wäre entweder ein weiterer Vorbehalt erwogen oder aber die dann erforderliche Änderung der organisatorischen Bestimmungen der Verfassung wenigstens in Aussicht genommen worden.
c) Stets ist der VfGH allerdings davon ausgegangen, daß es dem nationalen Gesetzgeber nicht möglich sein kann, durch Zuweisung von Rechtsstreitigkeiten an Verwaltungsbehörden die Garantie des Art6 Abs1 in beliebigem Umfang unwirksam und zu einer Scheingarantie zu machen. Er hat daher angenommen, daß neben den bürgerlichen Rechtssachen wohl auch andere Ansprüche und Verpflichtungen unter den Begriff "civil rights" fallen können (VfSlg. 5100/1965 Wildschadenersatz, VfSlg. 5102/1965 Rückstellung von Vermögen politisch Verfolgter). In welche Richtung die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bei der Auslegung dieses Begriffs gehen würde, war allerdings zu dieser Zeit noch nicht absehbar. Ihrer Auslegung hat der Gerichtshof nicht vorgegriffen. Er hat vielmehr im Sinne der üblichen Abgrenzungsmethode danach unterschieden, ob es um Rechte und Pflichten der Bürger unter sich (§1 ABGB) oder um die Stellung des Einzelnen gegenüber der Allgemeinheit geht. Diese Methode wendet der Gerichtshof grundsätzlich auch bei der kompetenzrechtlichen Einordnung einer Angelegenheit als Zivilrecht (Art10 Abs1 Z6 B-VG) oder Teil einer Verwaltungsmaterie an. Die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden als typische Folge der Zuordnung von Ansprüchen und Verpflichtungen zu einer Verwaltungsmaterie bot daher der einschlägigen Rechtsprechung meist nur noch für Überlegungen Raum, ob irgendwelche anderen Umstände es erlauben würden, die in Rede stehenden Ansprüche gleichwohl als Zivilrecht im Sinne des Art6 Abs1 zu qualifizieren (VfSlg. 5627/1967 Parteistellung in baupolizeilichen Abtragungsverfahren, VfSlg. 5666/1968 Nutzungsrechte am Gemeingut, VfSlg. 5684/1968 auf Patenterteilung, VfSlg. 6134/1970 Grundverkehrsbeschränkungen). Zu erwägen war dabei, ob der Gesetzgeber vielleicht eine atypische Zuständigkeit begründet hat oder der Zivilrechtsbegriff im Kompetenzkatalog der österreichischen Bundesverfassung von dem in der Lehre entwickelten allgemeinen Begriff des Zivilrechts im Einzelnen abweicht.
Auch die Europäische Kommission für Menschenrechte hat bis zu ihrem Bericht im Fall Ringeisen die Anwendung des Art6 wiederholt mit dem Hinweis auf den öffentlich-rechtlichen Charakter der Angelegenheit abgelehnt (vgl. die Nachweise bei Ermacora-Nowak-Tretter, Die Europäische Menschenrechtskonvention, 1983, 248 Note 27).
d) Die Zuordnung einer den Verwaltungsbehörden zugewiesenen Angelegenheit zum Begriff der zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen im Sinne des Art6 MRK war nach der bisherigen Praxis des VfGH auch nicht von großer Tragweite. Da mit wenigen Ausnahmen schlechthin jeder verwaltungsbehördliche Bescheid nach Erschöpfung des Instanzenzuges zur Kontrolle seiner Rechtmäßigkeit an den VwGH herangetragen werden kann (Art130 Abs1 lita B-VG), hat der VfGH in ständiger Rechtsprechung seit VfSlg. 5100/1965 bis in die jüngste Zeit (VfSlg. 9887/1983 und B711/84 vom 21. Juni 1985) nämlich die Garantie eines Tribunals auch für jene Fälle erfüllt gefunden, in denen Verwaltungsbehörden zur Entscheidung über eine Sache berufen waren. Ausgangspunkt dieser Rechtsprechung war die Annahme, das Recht auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht schließe nicht aus, daß zunächst Verwaltungsbehörden mit der Angelegenheit befaßt werden, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen. Es schien dem Gerichtshof daher ausreichend, wenn nur am Ende ein Gericht (Tribunal) entscheidet. Die ausnahmslos gegen jede verwaltungsbehördliche Entscheidung zulässige Beschwerde an den (gleichfalls nur nachprüfenden) VfGH trat dabei allerdings in den Hintergrund, weil dieser Gerichtshof nicht über die Rechtmäßigkeit des behördlichen Vorgehens insgesamt, sondern nur über seine Verfassungsmäßigkeit zu befinden hat. An der bloß kassatorischen Wirkung der Entscheidungen des VwGH (§42 Abs1 VwGG) hat der VfGH aber nicht Anstoß genommen, weil die Verwaltungsbehörden verpflichtet sind, unverzüglich den der Rechtsanschauung des VwGH entsprechenden Rechtszustand herzustellen (§63 VwGG), und im Falle ihrer Säumnis der VwGH auf Begehren des Betroffenen in der Sache selbst entscheidet (Art132 B-VG, §42 Abs5 VwGG). Schließlich war er der Auffassung, daß sich die einschlägigen gesetzlichen Vorschriften (§§41 und 42 VwGG) so handhaben lassen, daß der VwGH nur an unbedenkliche Feststellungen der Behörde gebunden ist und insbesondere auch deren Beweiswürdigung kontrollieren kann (vgl. Ringhofer, Der Sachverhalt im verwaltungsgerichtlichen Bescheidprüfungsverfahren, in: Die Entwicklung der österreichischen Verwaltungsgerichtsbarkeit, hg. v. Lehne ua., 1976, 351 ff, sowie VwGH VwSlg. 9723(A)/1978).
Von dieser Einschätzung der verwaltungsgerichtlichen Prüfungsbefugnis ausgehend hat der VfGH die Garantie eines Gerichtes nach Art6 Abs1 MRK betreffs zivilrechtlicher Ansprüche folglich nur in Fällen verletzt erachtet, in denen die Zuständigkeit des VwGH bei Entscheidung über "civil rights" ausgeschlossen war, ohne daß die in oberster Instanz entscheidende Kollegialbehörde ihrerseits als unabhängiges und unparteiisches Tribunal qualifiziert werden konnte (so etwa VfSlg. 7099/1973 Tiroler Landesgrundverkehrsbehörde, VfSlg. 7284/1974 und VfSlg. 7333/1974 Agrarsenat im Gegensatz zu VfSlg. 6995/1973 Oberster Patent- und Markensenat und VfSlg. 7068/1973 Kärntner Grundverkehrskommission; seit VfSlg. 10639/1985 auf den Einzelfall abstellend VfSlg. 10634/1985, 10993/1986 und 11142/1986 zur neuen Tiroler Grundverkehrsbehörde sowie VfSlg. 11131/1986 und VfSlg. 11211/1987 zum Vorarlberger Grundverkehrssenat).
e) Gegen die mit VfSlg. 5100/1965 eingeleitete Rechtsprechung, wonach die Entscheidungsbefugnis des VwGH den Anforderungen des Art6 MRK genügt, können allerdings Bedenken erhoben werden. Im Bereich des Strafrechts außerhalb der in den Verwaltungsverfahrensgesetzen vorgesehenen und vom Vorbehalt erfaßten Maßnahmen des Freiheitsentzuges hat der Gerichtshof daran auch nicht mehr festgehalten. Ist doch Österreich selbst von der Notwendigkeit unmittelbaren Einschreitens von Tribunalen in Strafsachen ausgegangen, wenn es den Vorbehalt für solche Maßnahmen "unter der . . . nachprüfenden Kontrolle durch den VwGH oder den VfGH" erklärt hat. Im Hinblick auf die Garantie eines "fair trial" und die im Verfahren über strafrechtliche Anklagen eingeräumten Rechte hat es der Gerichtshof als für die Effektivität des Rechtsschutzes erforderlich erachtet, daß jedenfalls im Hausdurchsuchungs- und Beschlagnahmeverfahren ein Tribunal im Sinne des Art6 MRK tätig wird (VfSlg. 10291/1984 S. 699 und 708). Nunmehr hat er für die als Verfahren über strafrechtliche Anklagen einzuordnenden Disziplinarverfahren nach dem Apothekenkammergesetz erkannt, daß auch das in der Sache selbst urteilende Organ ein Tribunal sein muß und die bloß nachprüfende Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts nicht genügt (G181/86 ua. vom heutigen Tag).
Für den Bereich der "civil rights" hat der Gerichtshof bisher zu dieser Frage noch nicht Stellung genommen. Auch der Europäische Gerichtshof hat sie im Fall Ettl (12/1985/98/146 vom 23. April 1987) offen gelassen. Sie ist im vorliegenden Verfahren nicht zu beantworten. Denn um die Entscheidung über ein "civil right" im dargelegten Sinn handelt es sich hier nicht. Vielmehr ist die Versagung einer Baubewilligung ein hoheitlicher Eingriff im öffentlichen Interesse - ja geradezu der Prototyp eines solchen Eingriffs -, und die Wahrnehmung der öffentlichen Interessen einschließlich der nötigen Abwägung gegenüber privaten Interessen die wesentliche Aufgabe der Verwaltung. Daß der Gegenstand des Eingriffs regelmäßig das Eigentum und damit ein privates Vermögensrecht ist, ändert an seinem öffentlich-rechtlichen Charakter nichts.
Wenn der VfGH auch in ständiger Rechtsprechung jeden Eingriff in ein vermögenswertes Privatrecht als einen Eigentumseingriff im Sinne des (das Eigentum als unverletzlich erklärenden) Art5 StGG qualifiziert und an den in dieser Verfassungsbestimmung vorgesehenen Garantien mißt, so ist damit doch für die Frage, ob ein solcher Eingriff eine Entscheidung über ein "civil right" darstellt, nichts ausgesagt. Verwaltungshandeln besteht gerade in entwickelten
Rechtsordnungen, in denen die natürlichen Möglichkeiten des Einzelnen durch ein ausgewogenes System von Privatrechten gegen Störungen anderer abgesichert sind, zum überwiegenden Teil in der Entscheidung über die Notwendigkeit der zur Wahrung der Interessen der Allgemeinheit nötigen Eingriffe in private Rechte. Daß auch der Bereich solcher Eingriffe dem bloßen Ermessen der Behörde entzogen und rechtsstaatlich geordnet wird, kann ebensowenig zur Überantwortung an die Gerichte zwingen wie die Einräumung subjektiver öffentlicher Rechte sonst. Nicht jede Bedachtnahme auf individuelle Interessen schafft ein "civil right". Und wenn der Eingriff nicht (bloß) Vermögenswerte, sondern (sogar) die Person und ihr Verhalten selbst berührt, wird sein Gewicht für den Betroffenen dadurch um nichts geringer. Die Vorschreibung von Steuern oder die Einberufung zum Militärdienst treffen den privaten Bereich gewiß nicht weniger hart als der Entzug oder die Beschränkung von Eigentum, und doch sind sie offenkundig das genaue Gegenteil einer Entscheidung über "civil rights".
Auf der Grundlage seiner bisherigen Rechtsprechung sieht sich der VfGH folglich nicht veranlaßt, im vorliegenden Fall das Einschreiten eines Tribunals anstelle der vorgesehenen Behörden zu fordern (vgl. auch VfSlg. 9203/1981 und B19/86 vom 17. Juni 1986).
f) Die mit dem sogenannten Ringeisen-Urteil eingeleitete Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte schlägt in der Auslegung des Art6 Abs1 allerdings andere Wege ein. Bis an ihr Ende gegangen würden sie an die gerichtliche Überprüfung verwaltungsbehördlichen Handelns indessen Anforderungen stellen, für deren Erfüllung der VfGH nicht mehr sorgen könnte, weil sie - wie die Beschwerde selbst bemerkt eine Änderung der Bundesverfassung notwendig machen würden, die herbeizuführen er nicht berufen ist.
aa) Im Fall Ringeisen (Serie A 13, Pt 94 ff = Golsong-Petzold-Furrer Bd 3, 61 ff), sah der Europäische Gerichtshof die Entscheidung einer österreichischen Grundverkehrskommission über die Genehmigung eines Kaufvertrages als Entscheidung über ein "civil right" an, weil sie "entscheidend für die privatrechtlichen Beziehungen zwischen Verkäufer und Käufer" sei. Der Charakter des Gesetzes, nach dem der Rechtsstreit zu entscheiden ist (Zivilrecht, Handelsrecht, Verwaltungsrecht) und jener der entscheidenden Behörde (ordentliches Gericht, Verwaltungsbehörde) sei von untergeordneter Bedeutung ("little consequence"). Der Europäische Gerichtshof anerkannte die (oberösterreichische Landes-)Grundverkehrskommission jedoch als Tribunal.
Dieses Urteil machte wohl eine Änderung der damaligen Rechtsprechung des VfGH zur Natur grundverkehrsbehördlicher Genehmigungen nötig, bestätigt aber deren Ausgangspunkt insofern, als es bloß die in diesem Bereich innerstaatlich vernachlässigte zivilrechtliche Seite der Genehmigung - die Entscheidung über eine Rechtsbeziehung der Bürger unter sich als solche hervorkehrt. Es bringt damit einen Gesichtspunkt zur Geltung, der den VfGH später ohnehin veranlaßte, mit Ausnahme der in die Kompetenz der Länder verwiesenen (und daher aus dem Kompetenzbegriff des Zivilrechtswesens ausgeschiedenen) Fälle des land- und forstwirtschaftlichen und des Ausländergrundverkehrs für Veräußerungsbeschränkungen die Notwendigkeit eines Zusammenwirkens des Zivilrechtsgesetzgebers mit dem für die jeweilige Verwaltungsmaterie zuständigen Gesetzgeber festzustellen, soweit diesem nicht ohnedies auch eine Zivilrechtskompetenz zusteht (Art10 Abs1 Z6 und Art15 Abs9 B-VG; vgl. VfSlg. 9580/1982 Kärntner Wohnsiedlungsgesetz). In diesem Sinne waren auch die Grundverkehrsgesetze der Monarchie und der ersten Republik und noch das Grundverkehrsgesetz 1946 (bis zu seiner Aufhebung durch das Erkenntnis VfSlg. 2546/1953) durch die Gerichte zu vollziehen. Der VfGH hat daher kein Hindernis gesehen, der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Frage der Genehmigungsbedürftigkeit von Verträgen über den Erwerb von Liegenschaften zu folgen und die danach erforderliche Anpassung der österreichischen Rechtsordnung auszulösen (vgl. die unter d genannten Erkenntnisse).
Ob diese Rechtsprechung schon dahin zu verallgemeinern war, daß es möglich sein muß, jede verwaltungsbehördliche Entscheidung, von der die Gültigkeit oder gar nur die Erfüllbarkeit abgeschlossener privatrechtlicher Verträge abhängt - zum Beispiel auch im Bereich des Devisen- und Außenhandelsrechts - vor ein Gericht (Tribunal) zu bringen, das über die Sache selbst neu entscheidet, mag hier offenbleiben.
bb) Das Urteil im Fall König (Serie A 27, Pt 85 ff = EuGRZ 1978, 406 ff) hat den Anwendungsbereich des Art6 gegenüber dem Fall Ringeisen jedenfalls entscheidend erweitert. Streitgegenstand war hier der Anspruch eines Arztes, den Betrieb einer Privatklinik und seine berufliche Tätigkeit im Rahmen der erteilten und später von den (deutschen) Behörden zurückgezogenen Erlaubnis auszuüben. Der Europäische Gerichtshof betonte (Pt 91), daß es nicht um den Anspruch auf die Erteilung der Erlaubnis zum Betrieb einer Klinik und auf Zulassung zur Ausübung des Arztberufes gehe, sondern nur um das Recht, die berufliche Tätigkeit weiter auszuüben, und begründet dann die Annahme eines "civil right" mit den Worten (Pt 92):
"Der Gerichtshof stellt fest, daß es sich bei dem Betrieb einer Privatklinik in der Bundesrepublik Deutschland um eine unter gewissen Gesichtspunkten kaufmännische, zur Gewinnerzielung ausgeübte Tätigkeit handelt, die das deutsche Recht als 'Gewerbe' bezeichnet. Diese Tätigkeit entfaltet sich im privaten Bereich durch den Abschluß von Verträgen zwischen der Klinik und dem Patienten und stellt sich als die Ausübung eines Privatrechtes dar, welches in gewisser Hinsicht dem Eigentumsrecht ähnelt . . .".
Diese Aussage kann man - und muß man vielleicht - so verstehen, daß jede Entscheidung, die eine Beeinträchtigung des Eigentums oder eines sonstigen Privatrechtes im engeren Sinn (vgl. den Fall Ringeisen), aber auch einer sonstigen Rechtsstellung im privaten Bereich zur (unmittelbaren) Folge hat, ein "civil right" betreffen würde. Zieht man ferner in Betracht, daß gerade eine rechtsstaatliche Ordnung alles erlaubt - und darüber hinaus in mannigfaltiger Weise gegen Störungen durch andere absichert -, was nicht verboten ist, sodaß selbst behördliche Genehmigungen nicht erst besondere Rechte einräumen, sondern nur die natürliche Freiheit des Verhaltens herstellen, und beschränkt man "civil rights" schließlich nicht auf den Bereich des Vermögens - was gewiß nicht die Absicht des Europäischen Gerichtshofes ist -, sondern schließt auch und vor allem die Person und die Freiheit des persönlichen Verhaltens mit ein, so bleiben bei dieser Auffassung nur mehr wenige staatliche Tätigkeiten, die nicht richterlichen Organen zur Entscheidung zugewiesen werden müßten.
Die Richtigkeit dieser Vermutung zeigt einerseits das Urteil im (schwedischen) Fall Sporrong und Lönnroth (Serie A 52, Pt 56 ff = EuGRZ 1983, 523 ff) über ein (mit der verwaltungsbehördlichen Genehmigung künftig auszusprechender Enteignungen verbundenes) langfristiges Bauverbot, und andrerseits jenes im (holländischen) Fall Benthem (Serie A 97, Pt 30 ff = EuGRZ 1986, 299 ff) über die Erlaubnis zum Betrieb einer Flüssiggasanlage für den Inhaber einer Autowerkstatt. Noch im zuletzt genannten, nicht den Entzug einer erworbenen Position, sondern die Erteilung einer erforderlichen Genehmigung betreffenden Fall hatte die Europäische Kommission für Menschenrechte mit dem Hinweis auf die zahlreichen
Vertragsstaaten geläufige Unterscheidung zwischen privatem und öffentlichem Recht die Anwendbarkeit des Art6 Abs1 MRK verneint. Der Europäische Gerichtshof entschied jedoch gegenteilig (Pt 36):
"Die Erteilung der Genehmigung, auf die der Bf. behauptete, Anspruch zu haben, gehört zu den Bedingungen für die Ausübung eines Teils der beruflichen Tätigkeit, die er in seiner Eigenschaft als Unternehmer ausübte. Sie war eng verbunden mit dem Recht, sein Eigentum in Übereinstimmung mit den Bestimmungen des Gesetzes zu nutzen. Außerdem ist eine derartige Genehmigung vermögensrechtlicher Natur, was sich insbesondere aus der Übertragbarkeit auf Dritte ergibt".
Dazu meinen Frowein-Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, 1985, S 116:
". . . Das vom GH entwickelte Kriterium der 'direkten Auswirkung' der Entscheidung eines Rechtsstreits auf 'zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen' läßt einen erheblichen Beurteilungsspielraum zu, so daß sich im Einzelfall oft verschiedene Auffassungen vertreten lassen. Dies führt zur Rechtsunsicherheit. Außerdem setzt die Methode des GH eine präzise Definition von 'civil rights' voraus und gerade diese fehlt bisher. Ein Vorschlag in diese Richtung ist im Minderheitsvotum Melchior/Frowein zum Benthem-Bericht enthalten. Danach sind alle Rechte, die sich im Bereich der individuellen Freiheit im Zusammenhang mit der Ausübung rechtmäßiger Tätigkeiten (zB Berufs- oder Gewerbeausübung, Nutzung des Eigentums) ergeben, als 'civil rights' zu werten. Dies gilt auch, soweit der Staat im öffentlichen Interesse eine überwachende Kontrolle ausübt, und die Erteilung von Genehmigungen (Lizenzen, Konzessionen etc.) in behördliches Ermessen gestellt ist. Nur wenn dieses Ermessen absoluter Natur sei, könne von einem individuellen Recht nicht mehr die Rede sein . . .".
cc) Der VfGH hat den Folgen ins Auge zu sehen, die sich aus einer Umsetzung dieser in ihrem Fortgang nicht vorhersehbaren Entwicklung für die österreichische Rechtsordnung insgesamt ergeben würden. Stellt Art6 Abs1 MRK tatsächlich solche Anforderungen, könnte der einfache Gesetzgeber sie nämlich nicht mehr erfüllen, weil sie eine einschneidende Änderung der österreichischen Staatsorganisation voraussetzen würden. Müßte alles durch ein Gericht (Tribunal) in der Sache selbst entschieden werden, was die private Sphäre im weiten Sinn dieser Rechtsprechung berührt, so müßten jedenfalls nicht nur im Baurecht, sondern auch im Gewerberecht, im Wasser-, Forst- und Bergrecht, im Straßenrecht, im Energierecht, im Preisrecht und im Devisen- und Außenhandelsrecht wie im Bank- und Versicherungswesen, in Angelegenheiten der Heil- und Pflegeanstalten, der Ärzte und Apotheken, im Sanitäts- und Veterinärrecht, beim Natur- und Umweltschutz, in Jagd- und Fischereisachen und in Angelegenheiten der Landeskultur, kurz nahezu ausnahmslos Gerichte zur Entscheidung von Streitigkeiten berufen werden. Denn für all diese Angelegenheiten ist die Entscheidung über Ansprüche und Verpflichtungen dieser Art so typisch, daß es bei einer Ausgliederung abgrenzbarer Teilbereiche nicht sein Bewenden haben könnte. Eine Zuweisung aller in Betracht kommender Verwaltungsangelegenheiten in die Kompetenz der ordentlichen Gerichte würde aber der verfassungsrechtlichen Stellung der Verwaltung widersprechen, mit Art20 B-VG unvereinbar sein und auch die verfassungsrechtlich verankerte Zuständigkeit des Landeshauptmannes als Träger der mittelbaren Bundesverwaltung, ja die mittelbare Bundesverwaltung selbst beseitigen.
Der Einrichtung in der Sache neu entscheidender Verwaltungsgerichte steht - wie oben dargelegt - die Bundesverfassung gleichfalls entgegen: Die unter Leitung der obersten Organe geführte Verwaltung unterliegt nur der Kontrolle durch den Verwaltungsgerichthof, der als Organ des Gesamtstaates die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung des Bundes wie der Länder garantiert und nicht in wesentlichen Teilen seiner Tätigkeit durch die Einrichtung von Kollegialbehörden mit den Eigenschaften von Tribunalen ersetzt werden darf.
Dem einfachen Gesetzgeber wäre es wohl möglich, den VwGH stärker als bisher zur Entscheidung in der Sache selbst zu berufen. Die Verfassung beschränkt diesen nicht auf bloße Kassation (vgl. VfSlg. 8202/1977). Das geltende Recht kennt die Möglichkeit der Sachentscheidung im Fall der Säumnis der Verwaltungsbehörde, so zwar, daß der VwGH dann auch das sonst der Verwaltungsbehörde zustehende freie Ermessen handhabt (§42 Abs5 VwGG). Schon Art133 Abs3 des B-VG 1920 hatte dem VwGH die Entscheidung in der Sache selbst erlaubt, soweit nicht die Behörde nach dem Gesetz zur Entscheidung oder Verfügung nach freiem Ermessen befugt war, und später hatten sowohl die (insoweit mangels Ausführung bedeutungslos gebliebene) B-VG-Nov. 1925 als auch die B-VG-Nov. 1929 (Art133 Abs4) ihn sogar verpflichtet, die Höhe der Verwaltungsstrafe in stattgebenden Erkenntnissen selbst festzusetzen. Aber es wäre verfassungsrechtlich ausgeschlossen, das System der nachprüfenden Kontrolle selbst zu verlassen und dem Verwaltungsgerichthof (auf Begehren einer Partei) in sämtlichen Verwaltungsmaterien die Entscheidung in der Sache aufgrund abermaliger vollständiger Ermittlung des Sachverhalts bindend aufzutragen, wenn nur irgendwelche private Rechtsstellungen beeinträchtigt sein könnten. Er könnte diese Aufgabe schon vom Umfang her gar nicht bewältigen.
Es ist auch nicht vorstellbar, daß der Beitritt zur Konvention und ihre Erhebung in den Verfassungsrang den organisationsrechtlichen Bestimmungen der Bundesverfassung derogiert und den einfachen Gesetzgeber ermächtigt und verpflichtet hätte, eine neue Art von (Verwaltungs-)Gerichtsbarkeit einzurichten. Abgesehen davon, daß die Einräumung von Grund- und Freiheitsrechten das Fehlen einer nach dem Gesamtkonzept der Bundesverfassung notwendigen Ermächtigung zur Einrichtung von Gerichten für den Bereich der Verwaltung nicht ersetzen kann, steht für den VfGH außer jedem Zweifel, daß Österreich sein bewährtes System der Verwaltung unter der umfassenden nachprüfenden Kontrolle des VwGH ohne wesentliche Änderung beibehalten wollte. Die klare Absicht der österreichischen Organe hat im österreichischen Vorbehalt für das im Vergleich zu den geradezu umstürzenden Folgen der neuesten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eher nebensächliche Teilgebiet des Verwaltungsstrafrechts deutlich erkennbaren Niederschlag gefunden; ein solcher Vorbehalt ist mit einem Zwang zur umfassenden Änderung des Staatsorganisationsrechts schlechthin unvereinbar.
dd) Die Feststellung, daß Österreich sein Staatsorganisationsrecht durch den Beitritt zur Konvention nicht grundlegend verändern wollte und auch nicht grundlegend verändert hat, führt den VfGH zu zwei möglichen Schlußfolgerungen:
In erster Linie ist dieser Umstand bei der Abgrenzung des Begriffs der "civil rights" zu beachten. Wenn auch bei der Auslegung internationaler Verträge nicht auf das Verständnis abgestellt werden kann, das einzelne Mitglieder beim Abschluß oder gar erst bei ihrem späteren Beitritt zugrundegelegt haben, ist das Verständnis Österreichs im Verein mit der Rechtslage in anderen Staaten und der langjährigen Praxis der Kommission doch ein wichtiges Anzeichen dafür, daß nach seinem ursprünglichen Sinn der Begriff "civil rights" einen viel engeren Inhalt hat als ihm die jüngste Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unterstellt. Diese Rechtsprechung erweist sich mithin als offene Rechtsfortbildung, die wohl erwogene Gründe haben mag, den Staaten aber Verpflichtungen auferlegt, die einzugehen sie niemals gewollt und erklärt haben. Der VfGH verweist in diesem Zusammmenhang auf die abweichende Meinung des Richters Franz Matscher zum Urteil im Fall König (EuGRZ 1978, 422/423):
"Zusammenfassend: ich habe nicht den Eindruck, daß die Urheber der Konvention die Absicht gehabt haben, alle Rechtsstreitigkeiten über Umstände, die unzweifelhaft dem öffentlichen Recht angehören, immer dann in den Anwendungsbereich des Art6 der Konvention fallen zu lassen, wenn der Ausgang eines solchen Rechtsstreits Auswirkungen auf die
privatrechtlichen Verhältnisse der betroffenen Einzelperson haben kann. Auf jeden Fall sind in der Mehrzahl der Mitgliedsstaaten der Konvention die betreffenden Verfahren nicht in der Form ausgestaltet, wie sie in Art6 vorgesehen ist (Entscheidung durch ein Gericht, öffentliche Verhandlung, öffentliche Verkündung des Urteils), d.h. nach dem Ergebnis des vorliegenden Urteils würden sich alle diese Staaten - selbst wenn sie ein sehr entwickeltes Verwaltungsverfahren besitzen - seit der Ratifizierung der Konvention im Hinblick auf Art6 in einem konventionswidrigen Zustand befinden. Dieses Argument scheint mir klar für einen Ausschluß dieser Art von Rechtsstreitigkeiten aus dem Anwendungsbereich des Art6 der Konvention zu sprechen".
Die aufgezeigten Folgen einer solchen Rechtsfortbildung sind vom Europäischen Gerichtshof bisher noch nicht erörtert worden.
Die andere Möglichkeit, ein Ergebnis zu vermeiden, das Österreich und andere Staaten einem nicht gewollten und nach den Umständen im Zeitpunkt des Beitrittes zur Konvention von ihnen offenkundig auch nicht erwarteten Zwang zur Änderung seiner Staatsorganisation unterwerfen würde, wäre die Bedachtnahme auf den Umstand, daß in Rede stehende Streitigkeiten nicht über "civil rights" selbst entstanden sind, sondern solche nur in ihren Auswirkungen betreffen. Sie würde eine differenzierende Auslegung der von Art6 Abs1 gestellten Anforderungen an die Art und Weise ermöglichen, in der das Tribunal mit der Sache befaßt sein muß. Sehen nämlich die Rechtssysteme vieler Mitgliedstaaten als für die Zuordnung einer Streitigkeit zum Zivil- oder öffentlichen Recht und damit für die Zuständigkeit von Gerichten oder Verwaltungsbehörden ausschlaggebend an, ob das Verhältnis der Bürger unter sich oder zur Allgemeinheit Gegenstand der Entscheidung ist, so könnte die dem Tribunal zukommende Aufgabe, ein "faires Verfahren" und eine Entscheidung innerhalb angemessener Frist sicherzustellen, in einer der Struktur der Rechtsverhältnisse und den Aufgaben der Verwaltungsbehörden angepaßten Weise erfüllt werden. Es könnte außerhalb der traditionellen Ziviljustiz - die gewissermaßen einen Kernbereich darstellen würde, für welchen ähnliches gilt wie für das Strafrecht - stärker auf die in den Mitgliedstaaten bestehenden besonderen Verhältnisse geachtet und auch eine bloß nachprüfende Kontrolle des verwaltungsbehördlichen Handelns durch ein Tribunal als ausreichend angesehen werden. Eine solche nachprüfende Kontrolle müßte jedenfalls dann genügen, wenn sie ungeachtet ihres bloß nachprüfenden, nicht auf einer Neudurchführung des Verfahrens beruhenden Charakters dem Gericht - nicht bloß theoretisch und abstrakt, sondern im Ergebnis auch wirksam - Gelegenheit gibt, sich von der Richtigkeit der Lösung sowohl der Tat- wie der Rechtsfrage zu überzeugen und sein Urteil über die Sache auch durchzusetzen, wie dies bei einem an der Verfassung orientierten Verständnis des Verwaltungsgerichtshofgesetzes dem österreichischen VwGH aufgetragen ist.
Die im Beschluß auf Prüfung des Apothekerkammergesetzes (vgl. G181/86 ua. vom 14. Oktober 1987, Abschnitt II A 2b vorletzter Absatz) = VfSlg. 11506/1987 geäußerten Bedenken im Hinblick auf die beschränkte Entscheidungsbefugnis des VwGH können insoweit nicht aufrecht erhalten werden. Für den hier in Rede stehenden Bereich typischer öffentlich-rechtlicher Eingriffe in private Rechtsstellungen hält der VfGH an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, daß die (neben der Anrufbarkeit des VfGH bestehende) Möglichkeit, Beschwerde an den VwGH zu ergreifen, auch dem Anspruch auf Entscheidung durch ein unabhängiges und unparteiisches, auf Gesetz beruhendes Gericht Genüge tut.
g) Den von der Beschwerde angeregten dritten Weg zu gehen wäre dem VfGH verwehrt. Sollte ungeachtet aller genannten Bedenken der Konvention das Gebot zu unterstellen sein, daß Richter die Verwaltung nicht nur auf allfällige Fehler kontrollieren, sondern nach Durchführung völlig eigenständiger Verfahren im praktischen Ergebnis selbst führen müssen, wäre der Gerichtshof gleichwohl außerstande, eine Verletzung der österreichischen Bundesverfassung festzustellen. Die verfassungsrechtlich nachgerade gebotene Entscheidung der Angelegenheit durch eine Verwaltungsbehörde kann als solche weder eine Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes noch eine Rechtsverletzung durch Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm darstellen. Die Einrichtung einer Gerichtsbarkeit, die über die Kontrolle durch den VwGH hinaus nach eigener Sachverhaltsermittlung ihre Entscheidung anstelle der Behörden trifft, ist von Verfassungs wegen nicht erzwingbar.
Der VfGH sieht sich zwar grundsätzlich gehalten, der MRK als Verfassungsnorm jenen Inhalt zu unterstellen, der ihr auch als internationalem Instrument zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten zukommt. Er hat daher bei ihrer Auslegung insbesondere der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes als dem zur Auslegung der MRK zunächst berufenen Organ besonderes Gewicht einzuräumen. Er kann diese Haltung aber nicht unter allen Umständen einnehmen. Wie er an späteres Verfassungsrecht auch dann gebunden wäre, wenn sich aus ihm Änderungen gegenüber den Grundsätzen der MRK ergeben würden, kann bestimmten Auslegungsergebnissen auch Staatsorganisationsrecht im Verfassungsrang entgegenstehen. Freilich unterstellt der Gerichtshof dem späteren Verfassungsrecht nach Möglichkeit einen Inhalt, der es mit der MRK verträglich macht (vgl. zum System des Rundfunkrechts VfSlg. 10948/1986). An die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Staatsorganisation ist der Gerichtshof aber auch im Falle eines Widerspruches zur Konvention gebunden. Stehen sie einer möglichen Auslegung der MRK entgegen, kann er diese Auslegung seiner Entscheidung nicht zugrundelegen. Selbst wenn daher der Europäische Gerichtshof eine Konventionswidrigkeit der österreichischen Rechtsordnung in diesem Punkte annehmen sollte, könnte dieser Verstoß nur durch den Verfassungsgesetzgeber selbst geheilt werden.
Der VfGH möchte allerdings nicht versäumen darauf hinzuweisen, daß die dann anzunehmende Konventionswidrigkeit der österreichischen Rechtsordnung nach dem derzeitigen Stand seiner Überlegungen nur das Ergebnis einer offenen Rechtsfortbildung durch die Konventionsorgane sein könnte und sich daher die - hier nicht zu beantwortende - Frage stellen würde, ob nicht die Übertragung einer rechtsfortbildenden Aufgabe auf verfassungsrechtlichem Gebiet an ein internationales Organ als Ausschaltung des Verfassungsgesetzgebers eine Gesamtänderung der Bundesverfassung im Sinne des Art44 Abs3 B-VG wäre und einer Abstimmung des gesamten Bundesvolkes bedurft hätte.
Gegen die Vorschriften über die Zuständigkeit zur Entscheidung über Vorstellungen gegen Bescheide der Gemeindeorgane in Vorarlberg bestehen daher keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
5. Das Verfahren hat auch sonst keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte oder einen Verdacht der Anwendung rechtswidriger genereller Normen ergeben, weshalb die Beschwerde abzuweisen ist.
Da von einer mündlichen Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten war, hat der Gerichtshof von einer mündlichen Verhandlung abgesehen (§19 Abs4 VerfGG idF BGBl. 297/1984).
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