Normen
B-VG Art139 Abs3 erster Satz
Flächenwidmungsplan St Pölten
Nö ROG 1976 §16 Abs1 Z1
B-VG Art139 Abs3 erster Satz
Flächenwidmungsplan St Pölten
Nö ROG 1976 §16 Abs1 Z1
Spruch:
Die V der Stadtgemeinde St. Pölten vom 24. Mai 1976 über den Flächenwidmungsplan wird insoweit als gesetzwidrig aufgehoben, als sie das von der Schiedlbauergasse, der Kraftgasse, dem Werkskanal und der verlängerten Großmanngasse umgrenzte Gebiet der KG Oberradlberg betrifft.
Die Niederösterreichische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aufhebung im Landesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Mit Bescheid des Magistrates der Stadtgemeinde
St. Pölten vom 21. Feber 1985 wurde der Antrag der Eigentümer des
Grundstücks ... KG Oberradlberg auf Erteilung der baubehördlichen
Bewilligung zur Errichtung eines Schweinestalles mit Jauchengrube wegen Widerspruches zum Flächenwidmungsplan abgewiesen; die Berufung der Antragsteller blieb erfolglos.
Aus Anlaß der Beschwerde gegen den Berufungsbescheid hat der VfGH am 2. Dezember 1986 die Prüfung der Gesetzmäßigkeit des Flächenwidmungsplanes der Stadtgemeinde St. Pölten vom 24. Mai 1976 beschlossen, soweit er das Gebiet der KG Oberradlberg zwischen Schiedlbauergasse, Kraftgasse, Werkskanal und verlängerter Großmanngasse betrifft. Der VfGH hat Bedenken gegen die für dieses Gebiet festgelegte und das (auf der Plandarstellung nicht durch besondere Kennzeichnung abgrenzbare) Grundstück der Bf. im Anlaßverfahren treffende Widmung Bauland-Wohngebiet. Weder die Unterlagen über die Erstellung des Entwurfes des Flächenwidmungsplanes noch jene für die Beratungen und die Beschlußfassung im Gemeinderat ließen erkennen, warum das Gebiet, in dem sich der landwirtschaftliche Betrieb des Bf. befindet, als Wohngebiet gewidmet worden sei, obwohl in der Umgebung einzelne Grundflächen als Agrargebiet ausgewiesen sind und es vorwiegend agrarischen Charakter aufzuweisen scheint. Insbesondere sei aus den Unterlagen nicht erkennbar, aus welchen Gründen der Schaffung von Wohngebiet der Vorzug vor der Sicherstellung der für die landwirtschaftliche Produktion wertvollen Flächen für die landwirtschaftliche Nutzung zugekommen sein sollte.
II. Aus Anlaß des Verordnungsprüfungsverfahrens hat der VfGH am 16. Juni 1987 die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge "in Wohngebäuden untergebracht werden können und" in § 16 Abs1 Z1 Nö RaumordnungsG beschlossen. Mit dem Erkenntnis G 134/87 vom 10. Dezember 1987 hat er diese Wortfolge wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz aufgehoben.
Die aufgehobenen Bestimmungen des RaumordnungsG sind im Verordnungsprüfungsverfahren, das den Anlaß zu ihrer Aufhebung geboten hat, nicht mehr anzuwenden (Art140 Abs7 B-VG). Es ist daher davon auszugehen, daß die ursprüngliche Widmung "Bauland-Wohngebiet" Gebiete bezeichnet,
". . . die für Wohngebäude und die dem täglichen Bedarf der dort wohnenden Bevölkerung dienenden Gebäude sowie für Betriebe bestimmt sind, welche keine, das örtlich zumutbare Ausmaß übersteigende Lärm- oder Geruchsbelästigung sowie sonstige schädliche Einwirkungen auf die Umgebung verursachen können".
III. Im Verordnungsprüfungsverfahren haben der Gemeinderat von St. Pölten und die Niederösterreichische Landesregierung Äußerungen erstattet. Der Gemeinderat verweist auf die allgemeine Grundlagenarbeit und die Formulierung der Ziele der Raumordnung und führt aus:
"Zur Zeit der Erstellung des Flächenwidmungsplanes auf der Rechtsgrundlage des NÖ Raumordnungsgesetzes 1968 wurden ab 1972 Lokalaugenscheine durchgeführt. Bis dahin lag ein rechtskräftiger, vereinfachter Flächenwidmungsplan vor, der jedoch grundsätzlich nur Bauland, Grünland und Verkehrsflächen ausgewiesen hatte. Gemäß NÖ Raumordnungsgesetz 1968 war jedoch nach Nutzungsarten zu unterscheiden. Der Lokalaugenschein ergab offensichtlich die parzellenscharfe Feststellung landwirtschaftlicher Betriebe, die dann im Flächenwidmungsplan auch entsprechend als Bauland-Agrargebiet festgelegt wurden.
Dies betraf drei Agrarbetriebe an der Radlberger Hauptstraße und einen Betrieb an der Kraftgasse. Drei weitere Agrarbetriebe wurden nicht als Agrargebiet ausgewiesen; sie lagen im Bereich der Baumbergerstraße und am nördlichen Teil der Kraftgasse und der Schiedlbauergasse. Während die vier erstgenannten Betriebe Randlagen in bezug auf das ausgewiesene Bauland einnahmen, verstärkt durch die gegebenen Höhenunterschiede in Oberradlberg, lagen die drei letztgenannten Betriebe mitten im seit 1960 ausgewiesenen Bauland, in dem sich schon eine rege Siedlungstätigkeit zeigte (siehe Baualterdarstellung im beiliegenden Plan). Die Festlegung als Bauland-Wohngebiet war insofern gerechtfertigt, als in Gebieten mit gemischter, aber überwiegender Wohnnutzung, keine Störung der Umgebung in unzumutbarem Maß zu erwarten waren.
Im Verfahren zur Erstellung des örtlichen Raumordnungsprogrammes 1976 wurden auch keine diesbezüglichen Einsprüche erhoben. Wenn es für die direkt Betroffenen keinen Anlaß gab, eine Beeinträchtigung der Existenz oder Interessen zu befürchten, so war für die Stadt dies ebenso nicht zu erwarten. Im Falle K war die Hofübergabe bereits erfolgt, da 1965 der weichende Erbe, Herr J K, eine Baubewilligung auf Parzelle Baufläche ... erhielt."
Das Entwicklungsziel der Stadt sei darauf ausgerichtet gewesen, St. Pölten als Landesschwerpunkt im Zentrum des Bundeslandes die Eignung zur Landeshauptstadt zu verschaffen. Daher sei langfristig für 120.000, mittelfristig für 60.000 Einwohner Vorsorge zu treffen gewesen. Daraus sei der Vorrang gegenüber dem Leitziel der Sicherung der land- und forstwirtschaftlichen Flächen auch in dem in Prüfung gezogenen Bereich abzuleiten gewesen.
Die Niederösterreichische Landesregierung hält die Verordnungsprüfung nur für das Grundstück ... für zulässig und weist in der Sache darauf hin, daß das betroffene Gebiet "zum größten Teil mit Wohnhäusern und zum andern Teil mit agrarischen Betriebsgebäuden bebaut" sei, weshalb jedenfalls die Festlegung der Widmungsart Bauland den Zielen des ROG entspreche. Da im Zeitpunkt der Widmung in der Nähe bereits acht Wohnhäuser errichtet gewesen seien, habe auf landwirtschafltiche Interessen nicht Rücksicht genommen werden müssen.
IV. Das Verordnungsprüfungsverfahren ist in vollem Umfang zulässig.
Der in Prüfung gezogene Flächenwidmungsplan weist zwar Parzellengrenzen aus, enthält aber die Nummern der einzelnen Grundstücke nicht. Es ist also nicht möglich, einzelne Parzellen herauszugreifen und die allfällige Aufhebung auf die Parzelle ... zu beschränken. Der Gerichtshof kann nur die im Plan bezeichneten - im Spruch genannten - öffentlichen Verkehrsflächen zur Abgrenzung des in Prüfung stehenden Teils der V heranziehen.
V. Die Bedenken des VfGH sind im Verfahren nicht zerstreut worden.
Schon im Anlaßbeschwerdeverfahren hat der sachkundige Vertreter des Stadtsenats ausgeführt:
"Vor der Erstellung des örtlichen Raumordnungsprogrammes wurden Felderhebungen durchgeführt, dh. es gab handschriftliche Notizen über jede einzelne Parzelle im gesamten Stadtbereich. Die Grundlagenforschung wurde deshalb so umfassend durchgeführt, weil 1971 eine Eingemeindung größerer Teilgebiete stattgefunden hat, für diese Gebiete wurden weitere Erhebungen durchgeführt. Im Fall der Gemeinde Oberradlberg war der Grundstücksbestand von vornherein amtsbekannt, trotzdem wurden in einzelnen Fällen Erhebungen durchgeführt. Zu diesem Zeitpunkt wurde von der NÖ Landesregierung nicht verlangt, daß die Grundlagenforschung in vollem Umfange dokumentiert und vorgelegt wird. Aus diesem Grund blieb es bei den handschriftlichen Notizen, jedoch wurde im Bericht zur Erstellung des örtlichen Raumordnungsprogrammes ausgeführt, daß in Gebieten mit gemischter Nutzungsart der vorherrschenden Nutzungsart der Vorzug gegeben wurde. Deshalb wurde im gegenständlichen Fall für das gesamte Gebiet die Widmung Bauland-Wohngebiet festgelegt, weil sich zu diesem Zeitpunkt in diesem Gebiet nur mehr ein einziger landwirtschaftlicher Betrieb, nämlich der der Bf., befand. Es gibt in Oberradlberg mehrere landwirtschaftliche Betriebe, deren Lage jedoch isoliert ist, deshalb wurden diese Grundstücke als Bauland-Agrargebiet gewidmet. Auf Grund des von den Bf. 1980 gestellten Umwidmungsantrages wurde eine neuerliche Bestandserhebung durchgeführt, wobei ich feststellen konnte, daß die Bf. einen landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetrieb führen. Ich habe dazu ursprünglich die Meinung vertreten, daß es richtig wäre, für das Grundstück der Bf. die Widmung Bauland-Agrargebiet festzulegen. Während der achtwöchigen Einsichtnahmefrist wurden jedoch von Anrainern Einsprüche erhoben und der Gemeinderat beschloß, an den vorhandenen Leitzielen festzuhalten und dem Antrag nicht stattzugeben".
In den Verwaltungsakten hatte die Meinung des Vertreters des Stadtsenates folgenden Niederschlag gefunden:
"Das Amt vertritt den Standpunkt, daß die Bausubstanz zwischen Schiedlbauergasse und Kraftgasse noch immer einen vorwiegend agrarischen Charakter aufweist. Herr K ist einer der wenigen Vollerwerbsbetriebe in Oberadlberg, wobei durch das Ausmaß seines Grundbesitzes auch weiterhin ein rentabler Landwirtschaftsbetrieb möglich sein wird. Daher entspricht eine Umwidmung auf Bauland-Agrargebiet (BA) sicherlich der jetzigen Nutzung. Da es aber nicht erwünscht ist, einzelne Parzellen verschieden zu widmen, wird vorgeschlagen in diesem Zusammenhang eine größere Umwidmung von Bauland-Wohngebiet auf Bauland-Agrargebiet vorzunehmen. Dies betrifft die Baufläche ... und die Grundstücke ...; das Amt schlägt vor, dem Antrag in diesem Sinne stattzugeben."
Der im Verordnungsprüfungsverfahren vorgelegte Bebauungsplan zeigt, daß die im Westen von der Kraftgasse und im Osten von der Schiedlbauergasse begrenzte Liegenschaft der Anlaßbeschwerdeführer im Norden an ein als Gasthaus-Agrarbetrieb-Fleischhauerei beschriebenes Anwesen grenzt, an das sich in weiterer Folge einige zwischen 1922 und 1969 gebaute Gebäude anschließen, während südlich der Liegenschaft der Anlaßbeschwerdeführer zwei ältere Gebäude stehen und jenseits des Bogens, mit dem die Kraftgasse das in Prüfung stehende Gebiet im Süden abschließt, ein Kinderspielplatz, südwestlich ein Kraftwerk und südöstlich ein Agrarbetrieb eingezeichnet ist (für den der Flächenwidmungsplan Bauland-Agrargebiet ausweist). Östlich der Schiedlbauergasse sind die Grundstreifen etwa in der Höhe des Grundstücks ... und des nördlich angrenzenden Liegenschaftskomplexes Gasthaus-Agrarbetrieb-Fleischhauerei zwischen 1926 und 1969 mit etlichen Wohnhäusern bebaut worden. Südlich dieses bebauten Gebietes ist die Liegenschaft der Anlaßbeschwerdeführer in östlicher Richtung über unverbautes Gebiet mit der jenseits der Eisenbahntrasse liegenden Grünlandzone verbunden. Von dem noch weiter im Süden liegenden, schon genannten Agrargebiet ist dieses unverbaute (aber als Bauland-Wohngebiet gewidmete) Gebiet nur durch drei ältere Bauwerke getrennt. Auch nördlich des beschriebenen Wohngebietes ist das im Flächenwidmungsplan als Bauland-Wohngebiet ausgewiesene Gelände noch weithin unverbaut.
In dem in Prüfung stehenden Gebiet ist nur im nördlichen Teil ein Haus nach Inkrafttreten des Flächenwidmungsplanes 1976, nämlich 1984 erbaut worden, in dem östlich der Schiedlbauergasse gelegenen Wohngebiet gleichfalls nur eines, und zwar im Jahre 1979. Andere Agrarbetriebe finden sich - auf Flächen, die kleinräumig als Agrargebiet gewidmet sind - in der Nachbarschaft des in Prüfung gezogenen Gebietes noch jenseits des Werkskanals, und zwar südlich des Kraftwerks und nordwestlich des in Prüfung stehenden Gebietes; sie halten eine schmale Verbindung mit dem anschließenden Grünland.
Der Betrieb der Anlaßbeschwerdeführer ist also als unbestritten einziger verbliebener Vollerwerbsbetrieb in der Katastralgemeinde Oberradlberg zugleich am meisten von Wohnbebauung umgeben und war das schon im Zeitpunkt der Erlassung des Flächenwidmungsplanes. Er ist aber andererseits noch immer nicht ganz von verbautem Gebiet umschlossen und zudem sowohl im Osten wie im Westen von Verkehrsflächen begrenzt. Unter diesen Umständen hält es der VfGH nicht ohne weiters für einsichtig, daß dieser Betrieb durch die Widmung als Wohngebiet von seinem Standort verdrängt werden muß. Der Baulandbedarf von St. Pölten kann schon deshalb für eine solche Widmung nicht herangezogen werden, weil die allenfalls nötige Umwidmung von Wohngebiet auf Agrargebiet im Vergleich zum (noch unverbauten) Wohngebiet nur geringfügig wäre. Es hätte besonderer Gründe dafür bedurft, daß nicht auch dieser Betrieb und die ihn mit dem Grünland jenseits der Eisenbahntrasse und dem südöstlich liegenden Agrarbetrieb verbindende unbebaute Fläche wie andere Enklaven in dem ursprünglich agrarischen Gebiet als Agrargebiet gewidmet wurden, um so der landwirtschaftlichen Nutzung erhalten zu bleiben. Die maßgeblichen Umstände haben sich insoweit offenkundig nicht geändert.
Vom Ergebnis des Gesetzesprüfungsverfahrens bleibt diese Würdigung unberührt. Unter den hier gegebenen Umständen reicht die Möglichkeit, im Bauland-Wohngebiet landwirtschaftliche Betriebe bei einer für die Wohnbevölkerung zumutbaren Betriebsform (nach der bereinigten Fassung der Z1 des §16 Abs1 ROG) weiter bestehen zu lassen, für die Widmung des einzigen landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetriebes als Wohngebiet nicht aus.
Die in Prüfung gezogene Widmung ist daher insgesamt aufzuheben. Es wird Aufgabe der Gemeinde sein, nach Durchführung einer entsprechenden Grundlagenforschung die beteiligten Interessen im bereits dargelegten Sinn erneut abzuwägen und unter Beachtung der im Gesetz vorgesehenen Ziele der Raumordnung neuerlich über die Widmung des in Rede stehenden Gebietes zu entscheiden.
Der Ausspruch über die Kundmachung stützt sich auf Art139 Abs5 B-VG.
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