VfGH G146/84

VfGHG146/844.3.1986

ASVG; Verstoß einiger Worte in §269 Abs1 Z1 gegen den Gleichheitsgrundsatz - unsachlicher Ausschluß der Kinder vom Anspruch auf Abfindung in dem Fall, daß eine anspruchsberechtigte Witwe (ein anspruchsberechtigter Witwer) vorhanden ist

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
ASVG §222
ASVG §269 Abs1 Z1
ASVG §269, §269 Abs1
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
ASVG §222
ASVG §269 Abs1 Z1
ASVG §269, §269 Abs1

 

Spruch:

Im §269 Abs1 Z1 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes - ASVG, BGBl. 189/1955, werden der Beistrich nach dem Klammerausdruck "(der Witwer)" und die Wortfolge "wenn keine anspruchsberechtigte Witwe (kein anspruchsberechtigter Witwer) vorhanden ist," als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Dezember 1986 in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im BGBl. verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. a) Das Oberlandesgericht Wien stellte gemäß Art89 Abs2 und 140 Abs1 B-VG den Antrag, "auszusprechen, daß in der Bestimmung des §269 Abs1 Z1 ASVG (Stammfassung gemäß BGBl. Nr. 189/1955)" die in der folgenden Zitierung durch eckige Klammer gekennzeichneten Satzteile und Worte verfassungswidrig sind:

"§269. (1) Anspruch auf Abfindung haben im Fall des Todes des (der) Versicherten

1. sofern Hinterbliebenenpensionen nur mangels Erfüllung der allgemeinen Voraussetzungen (§235) nicht gebühren, jedoch mindestens ein anrechenbarer Versicherungsmonat vorliegt, die Witwe (der Witwer) (,) und (wenn keine anspruchsberechtigte Witwe (kein anspruchsberechtigter Witwer) vorhanden ist,) zu gleichen Teilen die Kinder (§252);

2. ..."

b) §269 Abs1 ASVG lautet (Z1 in der Stammfassung, Z2 idF BGBl. 282/1981, beide Bestimmungen stehen in diesen Fassungen für Versicherungsfälle, die vor dem 1. Jänner 1985 angefallen sind, in Geltung; vgl. ArtIV Abs2 der Übergangsregelung der 40. ASVG-Nov., BGBl. 484/1984):

"Abfindung

§269. (1) Anspruch auf Abfindung haben im Falle des Todes des (der) Versicherten

1. sofern Hinterbliebenenrenten nur mangels Erfüllung der allgemeinen Voraussetzungen (§235) nicht gebühren, jedoch mindestens ein anrechenbarer Versicherungsmonat vorliegt, die Witwe (der Witwer), und wenn keine anspruchsberechtigte Witwe (kein anspruchsberechtigter Witwer) vorhanden ist, zu gleichen Teilen die Kinder (§252);

2. wenn die allgemeinen Voraussetzungen für den Anspruch auf Hinterbliebenenpensionen (§235) erfüllt, aber anspruchsberechtigte Hinterbliebene nicht vorhanden sind, der Reihe nach die (der) vom Anspruch auf Witwen(Witwer)pension gemäß §258 Abs2 ausgeschlossene Witwe (Witwer), die Kinder, die Mutter, der Vater, die Geschwister des oder der Versicherten, wenn sie mit dem (der) Versicherten zur Zeit seines (ihres) Todes ständig in Hausgemeinschaft gelebt haben, unversorgt sind und überwiegend von ihm (ihr) erhalten worden sind. Eine vorübergehende Unterbrechung der Hausgemeinschaft oder deren Unterbrechung wegen schulmäßiger (beruflicher) Ausbildung oder wegen Heilbehandlung bleibt außer Betracht. Kindern und Geschwistern gebührt die Abfindung zu gleichen Teilen."

c) Das Oberlandesgericht Wien hat über eine Berufung gegen ein Urteil des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Wien zu entscheiden, mit dem das Begehren der Klägerinnen auf Gewährung einer - von der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten abgelehnten - Abfindung gemäß §269 Abs1 Z1 ASVG nach dem Tode der versicherten Mutter der Klägerinnen mit der Begründung abgewiesen worden war, daß die Abfindung dem anspruchsberechtigten Witwer gewährt worden sei.

In der Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil regten die Klägerinnen an, die in diesem Rechtsstreit angewendete Bestimmung des §269 Abs1 Z1 ASVG einem Normenkontrollverfahren durch den VfGH unterziehen zu lassen.

Das antragstellende Gericht hat die Bedenken, die seiner Auffassung nach gegen die Verfassungsmäßigkeit des §269 Abs1 Z1 ASVG bestehen, wie folgt dargelegt:

"Die Abfindung gemäß §269 Abs1 Z1 ASVG tritt unter der begünstigenden Voraussetzung, daß wohl die allgemeinen Voraussetzungen der Leistungsansprüche gemäß §235 ASVG nicht erfüllt sind, aber wenigstens ein nachweisbarer Versicherungsmonat vorliegt, nach dem Wortlaut der Bestimmung selbst an die Stelle der Hinterbliebenenpensionen. Diese wieder, Witwen(Witwer)pension und Waisenpension (§257 ASVG), werden vom Gesetzgeber aus dem unbestreitbaren Motiv gewährt, an die Stelle der durch den Tod des Versicherten entgangenen Unterhaltsleistungen eine Sozialversicherungsleistung treten zu lassen. Auch in seinem Erkenntnis vom 26. 6. 1980 (G6, 24, 54/79) ging der VfGH in Übereinstimmung mit dem damals antragstellenden Gericht und der Bundesregierung davon aus, daß die Hinterbliebenenpension die ausbleibenden Unterhaltsleistungen des verstorbenen Versicherten ersetzen soll (VfSlg. Nr. 8871). Daß zivilrechtliche gegenseitige Unterhaltsansprüche der Gattin oder des Gatten nicht anderswertig eingestuft werden können als Unterhaltsansprüche der Kinder gegenüber den Eltern, kann nicht bezweifelt werden, zumal Kinder im Regelfall den wirtschaftlich schwächsten Teil der Familie darstellen.

Hinterbliebenenpensionen an die Witwe (den Witwer) und die Waisen werden gemäß §257 ASVG gewährt, wenn (zunächst) die allgemeinen Voraussetzungen gemäß §235 ASVG erfüllt sind. Ist dies nicht der Fall, hätte es der Gesetzgeber dabei belassen können, daß dann eben ein Anspruch auf Hinterbliebenenpensionen nicht besteht; des Institutes der Abfindung gemäß §269 ASVG (GSVG und PSVG kennen die Abfindung nicht) hätte es nicht bedurft. Entschloß sich aber der Gesetzgeber des ASVG, unter der begünstigenden Voraussetzung, daß wenigstens ein anrechenbarer Versicherungsmonat vorliegt, dennoch anstelle der Hinterbliebenenpensionen wenigstens die Abfindung zu gewähren, hätte er wegen des Gleichheitsgrundsatzes die ebenso unterhaltsberechtigten Kinder wegen deren ausbleibenden Unterhaltes nicht von der Regelung ausnehmen dürfen, was dadurch geschah, daß Kinder nur dann Anspruch auf Abfindung haben, wenn keine anspruchsberechtigte Witwe (kein anspruchsberechtigter Witwer) vorhanden ist. Eine solche Benachteiligung enthält etwa nicht die Bestimmung des §59 NVG 1972.

Der Bevorzugung der Witwe (des Witwers) gegenüber Waisen bzw. deren Benachteiligung fehlt daher jede ersichtliche sachliche Differenzierung.

Es war daher das Verfahren über die Berufung der klagenden Parteien zu unterbrechen und der Antrag auf Aufhebung an den VfGH zu stellen. Die betroffene Norm ist für den vorliegenden Rechtsstreit präjudiziell."

2. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie beantragt, die angefochtene Bestimmung nicht als verfassungswidrig aufzuheben. Begründend wird ausgeführt:

"Ausgangspunkt für den vorliegenden Aufhebungsantrag des Oberlandesgerichtes Wien sind die Überlegungen, daß

a) die Hinterbliebenenpension an die Stelle der weggefallenen Unterhaltsleistung und

b) die Abfindung (§269 Abs1 Z1 ASVG) 'nach dem Wortlaut der Bestimmung selbst an die Stelle der Hinterbliebenenpensionen' tritt.

Diese Überlegungen treffen jedoch in dieser Form nicht zu. Zur Verdeutlichung dieser Feststellung sei folgendes ausgeführt:

Es ist zweifellos richtig, daß zwischen den in den Sozialversicherungsgesetzen normierten Ansprüchen auf Hinterbliebenenpension und den zivilrechtlichen Unterhaltsansprüchen ein Zusammenhang besteht. Die Ansprüche auf Hinterbliebenenpensionen setzen aber die Unterhaltsansprüche nicht fort, sie hängen nicht direkt mit der Gestaltung des Unterhaltsrechts zusammen, sie orientieren sich vielmehr an ihm, unter Bedachtnahme auf die für die Sozialversicherung maßgebenden Grundsätze. Voraussetzung für den Anspruch auf Witwen/Witwer- bzw. Waisenpension ist daher nicht das Bestehen einer Unterhaltsverpflichtung des Verstorbenen schlechthin, sondern die Erfüllung der Wartezeit und ein bestimmtes persönliches Verhältnis zwischen dem (der) Verstorbenen und den potentiellen Anspruchsberechtigten (aufrechte Ehe, Kindeseigenschaft).

Wenn nun aber die Pensionen an die Witwe (den Witwer) bzw. die Waisen nicht schlechthin das Spiegelbild ihrer Unterhaltsansprüche gegenüber dem Verstorbenen sind, so trifft dies noch viel weniger für die Abfindung zu. Es handelt sich dabei nicht um äquivalente Rechtsinstitutionen, die austauschbar und demnach gleich zu gestalten wären, sondern vielmehr um subsidiäre Institutionen, die durchaus ihre Eigengesetzlichkeiten aufweisen. Dazu kann auch die verschiedene Reihung der Anspruchsberechtigten gehören.

Zunächst ist aus dem Wortlaut der Bestimmung des §269 ASVG, im Gegensatz zu der diesbezüglichen Bemerkung im Aufhebungsantrag, keine ausdrückliche Feststellung des Gesetzgebers zu erkennen, daß die Abfindung an die Stelle der Hinterbliebenenpensionen tritt, so wie dies etwa im §184 ASVG geschieht. Im Gegenteil, der Anspruch auf Abfindung besteht nur dann, wenn Hinterbliebenenpensionen nicht gebühren, weil die Leistungsvoraussetzungen nicht vorliegen. Im §184 ASVG, der den Titel 'Abfindung von Renten' trägt, wird hingegen angeordnet, daß Versehrtenrenten unter gewissen Voraussetzungen 'durch Gewährung eines dem Wert der Rente entsprechenden Kapitals abgefunden werden' können. In diesem Fall wird also tatsächlich ein Rentenanspruch abgefunden. Die Abfindung gemäß §269 Abs1 Z1 ASVG gebührt zwar, weil der verstorbene Versicherte die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen auf Hinterbliebenenpension nicht erfüllt, sie leitet sich jedoch, wie aus dem Motivenbericht zu §269 in der Stammfassung des ASVG hervorgeht (599 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates VII. GP) aus der im Vor-ASVG-Recht bestandenen Beitragserstattung ab.

Nach §46 des seinerzeitigen deutschen (Reichs)Angestelltenversicherungsgesetzes, dRGBl I S. 563/1924 i. d. F. der VO dRGBl. I S. 416/1934, war beim Tod einer weiblichen Versicherten, sofern u. a. kein Anspruch auf Hinterbliebenenpension bestand, 'die Hälfte der ... bis zum Tode der Versicherten entrichteten Beiträge zu erstatten'. Dazu wird in den Erläuterungen zu §269 ASVG in seiner Stammfassung u. a. ausgeführt:

'Die Konstruktion dieser einmaligen Leistung als Beitragserstattung wie im gegenwärtig geltenden Recht hätte dem sich durch das ganze Leistungsrecht hindurchziehenden Grundsatz nicht entsprochen, der Bemessung der Leistungen nicht die während des ganzen Versicherungsverlaufes bestandenen Beitragsgrundlagen, sondern nur den Durchschnitt der Beitragsgrundlagen in einem zeitlichen Ausschnitt des Versicherungsverlaufes zugrunde zu legen.'

Nicht nur diese Wurzel der Abfindung, sondern auch der Umstand, daß ein Einmalbetrag in der Höhe, wie er in den Fällen des §269 Abs1 Z1 ASVG im Durchschnitt zustande kommt, in keiner Weise den künftigen Unterhalt des jeweils Berechtigten nach dem Tod des Versicherten gewährleistet, widersprechen deutlich der Annahme im Aufhebungsantrag, zwischen dem weggefallenen Unterhalt und der Abfindung bestehe ein direkter Zusammenhang.

Nach dem bisher Gesagten ergibt sich, daß die Pensionen an die Witwe/den Witwer bzw. die Waisen keineswegs die unmittelbare Fortsetzung der durch den Tod des Versicherten entgangenen Unterhaltsleistungen sind, für ihre Ausgestaltung also allein das Unterhaltsrecht maßgebend ist; umso weniger gilt dies daher für die Abfindung.

Wenn nun die Prämissen für die Schlußfolgerung im Aufhebungsantrag nicht die Aussagekraft haben, die ihnen dort beigemessen wird, so ist damit auch der dort getroffene Schluß selbst nicht mehr zutreffend, aus der gleichwertigen Einstufung der Unterhaltsansprüche der Ehegatten mit solchen der Kinder gegenüber Eltern ergebe sich das Gebot, Witwe/Witwer und Kinder beim Abfindungsanspruch gleichzustellen.

Die Regelung des §269 Abs1 Z1 ASVG, wonach überlebende Ehegatten und die Kinder nacheinander anspruchsberechtigt sind, findet sich auch im §108 ASVG. Nach dieser Norm ist eine beim Tod des Anspruchsberechtigten fällige Geldleistung unter bestimmten Voraussetzungen nacheinander dem Ehegatten, den leiblichen Kindern, den Wahlkindern usw. auszubezahlen. Lehre und Rechtsprechung zufolge schafft diese Vorschrift ein für den Bereich der Sozialversicherung geltendes Sonderrecht, das durch die Eigenheit der Sozialversicherung begründet ist (vgl. Schrammel in Tomandl, System des österreichischen Sozialversicherungsrechts, Seite 124/2 fl, OLG Wien 35 R 115/79 vom 22. Juni 1979).

Das gleiche gilt auch für die vom Aufhebungsantrag betroffene Bestimmung des §269 Abs1 Z1 ASVG.

Die Abfindung und die Anspruchsberechtigung auf diese Leistung ist, wie aus den zitierten Erläuterungen zu entnehmen ist, als eine Maßnahme gedacht, die den Übergang in die durch den Tod des/der Versicherten eingetretene neue Situation für die Hinterbliebenen erleichtern soll. Daß von einer solchen Situation im Regelfall der überlebende Elternteil, dem nunmehr die Sorge für sich und die Kinder allein obliegt, stärker als die Kinder betroffen sein wird, ist nicht von der Hand zu weisen. Wenn der Gesetzgeber dieser Tatsache dadurch Rechnung trägt, daß der Anspruch auf Abfindung zuerst der Witwe/dem Witwer und nur dann, wenn diese nicht vorhanden sind, den Kindern zusteht, hat er sich bei einer solchen Regelung nicht von willkürlichen oder unsachlichen Überlegungen leiten lassen. Der Gesetzgeber hat dabei den Regelfall im Auge, daß nach dem Tod des Versicherten ein Elternteil mit einem oder mehreren Kindern vorhanden ist, die mit der Witwe bzw dem Witwer im gemeinsamen Haushalt leben, oder daß die Kinder nicht mehr mit dem Witwer bzw der Witwe im gemeinsamen Haushalt leben, sodaß sie auch nicht in dem Maße vom Tod des Versicherten wirtschaftlich betroffen sein werden, wie die Witwe bzw der Witwer. Letzteres trifft vor allem dann zu, wenn die Kinder schon einen eigenen Haushalt gegründet haben oder nach der Scheidung des Versicherten im Haushalt des anderen Elternteiles gelebt haben. Daraus ergibt sich aber, daß der Gesetzgeber bei der Schaffung des §269 Abs1 Z1 von einer Durchschnittsbetrachtung ausgegangen ist und auf den Regelfall abgestellt hat (vgl. VfSlg. 3595/1959 und 5318/1966)."

II. Der VfGH hat zur Zulässigkeit des Antrages erwogen:

Es ist nichts hervorgekommen, was daran zweifeln ließe, daß das Oberlandesgericht Wien als zur Entscheidung in zweiter Instanz berufenes Gericht im Verfahren zu 34 R 185/84 den §269 Abs1 Z1 ASVG anzuwenden hat.

Der Antrag des Oberlandesgerichtes Wien ist, da die Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, zulässig.

III. Zur Sache hat der VfGH erwogen:

1. Nach §222 ASVG sind in der Pensionsversicherung der Arbeiter und in der Pensionsversicherung der Angestellten aus dem Versicherungsfall des Todes die Hinterbliebenenpensionen (§§257, 270) und die Abfindung (§§269, 270) zu gewähren. Während der Anspruch auf Hinterbliebenenpension sowohl dem Ehegatten des (der) verstorbenen Versicherten (als Witwen-, Witwerpension nach §258 ASVG) als auch den Kindern (als Waisenpension nach §260 iVm. §252 Abs1 Z1 bis 4 und Abs2 ASVG) zusteht, ist der Anspruch auf Abfindung nach §269 Abs1 Z1 der Witwe (dem Witwer), den Kindern aber nur dann eingeräumt, wenn keine anspruchsberechtigte Witwe (kein anspruchsberechtigter Witwer) vorhanden ist. Sind weder ein überlebender Ehegatte noch Kinder als anspruchsberechtigte Hinterbliebene vorhanden, besteht der Anspruch auf Abfindung für die in §269 Abs1 Z2 angeführten Personen.

2. Der VfGH kann es dahingestellt sein lassen, ob die Auffassung des antragstellenden Gerichtes zutrifft, nach der die Abfindung als eine Leistung zu beurteilen sei, die an die Stelle der Hinterbliebenenpensionen trete. In den Erläuternden Bemerkungen zur RV wird auf die vor Erlassung des ASVG für den Anspruch auf Abfindung geltende Rechtslage verwiesen, nach der die Abfindung einerseits als Alimentationsleistung, andererseits als Beitragserstattung anzusehen war. Demgegenüber wird die Abfindung nunmehr als Leistung qualifiziert, die "in beiden Fällen eine Übergangsmaßnahme für die ihres Ernährers beraubten Hinterbliebenen darstellt".

3. Als Übergangsmaßnahme ist die Abfindung dazu bestimmt, für die Hinterbliebenen, somit sowohl für die Witwe (den Witwer) als auch für die Kinder des (der) verstorbenen Versicherten in gleicher Weise den Übergang in die durch den Tod des (der) Versicherten eingetretene neue Situation zu erleichtern. Allein schon unter diesem Gesichtspunkt gebietet der Gleichheitssatz die Einräumung des Anspruches auf Abfindung sowohl für die Witwe (den Witwer) als auch für die Kinder des (der) verstorbenen Versicherten. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß der Ausschluß der Kinder vom Anspruch auf Abfindung in dem Fall, daß eine Witwe (ein Witwer) vorhanden ist, deshalb sachlich gerechtfertigt sei, weil der Gesetzgeber davon habe ausgehen können, daß die Sorgepflicht für vorhandene Kinder im Durchschnitt der in Betracht kommenden Fälle dem überlebenden Elternteil obliege und daß damit der Abfindungsbetrag in wirtschaftlicher Hinsicht eine Leistung nicht nur zugunsten der Witwe (des Witwers), sondern auch zugunsten der Kinder darstelle. Ihr ist zu entgegnen, daß nach allgemeinen Erfahrungen in einer großen Anzahl von Fällen eine Sorgepflicht der Witwe (des Witwers) für die Kinder des (der) verstorbenen Versicherten nicht besteht. Gerade in diesen Fällen bildet die Abfindung nicht eine Leistung im wirtschaftlichen Interesse sowohl des überlebenden Ehegatten als auch der Kinder; vielmehr stehen die wirtschaftlichen Interessen des überlebenden Ehegatten den wirtschaftlichen Interessen der Kinder des (der) verstorbenen Versicherten (oder der für diese Kinder sorgepflichtig gewordenen Personen) gegenüber, sodaß die Zuerkennung der Abfindung an den überlebenden Ehegatten keineswegs als wirtschaftliche Maßnahme auch zugunsten der Kinder gewertet werden kann.

Es besteht demnach keine sachliche Rechtfertigung für den Ausschluß der Kinder vom Anspruch auf Abfindung, wenn eine anspruchsberechtigte Witwe (ein anspruchsberechtigter Witwer) vorhanden ist. Vielmehr muß der Gesetzgeber in einem solchen Fall den als Abfindung vorgesehenen Betrag auf die Witwe (den Witwer) und die Kinder verteilen.

Zur Beseitigung der in §269 Abs1 Z1 enthaltenen Gleichheitswidrigkeit ist daher iS des vom OLG gestellten Antrages auszusprechen, daß der Beistrich nach dem Klammerausdruck "(der Witwer)" und die Wortfolge "wenn keine anspruchsberechtigte Witwe (kein anspruchsberechtigter Witwer) vorhanden ist," als verfassungswidrig aufgehoben werden.

Die übrigen Aussprüche stützen sich auf Art140 Abs5 und 6 B-VG.

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