VfGH B517/84

VfGHB517/8423.2.1985

ArbeitsverfassungsG; Bescheid im Einklang mit §105; keine Bedenken gegen §105; kein Überschreiten des rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes durch den Gesetzgeber

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
ArbVG §105
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
ArbVG §105

 

Spruch:

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Bf. war seit 1974 bei der beteiligten Aktiengesellschaft (mit dem Sitz in Wien) beschäftigt und in deren Auslieferungslager in Graz tätig. Eine im März 1983 ausgesprochene Kündigung wurde über ihr Begehren vom Einigungsamt Wien aufgehoben. Am 27. September 1983 wurde das Dienstverhältnis neuerlich (zum Jahresende) gekündigt. Die Bf. focht auch diese Kündigung beim Einigungsamt Wien als sozial ungerechtfertigt an: Die Sachlage habe sich seit dem ersten Verfahren nicht geändert; ein vergleichbarer Arbeitsplatz sei nicht zu finden, aufgrund ihres Lebensalters und ihrer langen Betriebszugehörigkeit sei eine Umstellung auf eine andere Arbeit äußert schwierig, zumal sie wegen einer Erkrankung schwer vermittelbar sei, sie habe für ein Kind zu sorgen, für das der Vater keinen Unterhalt leiste, und eine Eigentumswohnung abzuzahlen. Nach den ihr vorliegenden Informationen habe zwar der Betriebsrat der Kündigung zugestimmt, doch sei gar keine Sitzung anberaumt gewesen und die Zustimmung daher nicht ordnungsgemäß erfolgt.

Im Verfahren vor dem Einigungsamt Wien brachte sie ferner vor - und bot Beweise dafür an -, daß an ihrer Stelle ein männlicher Dienstnehmer aufgenommen werden solle; der Betriebsratsobmann habe sich schon nach Aufhebung der ersten Kündigung zu einem Arbeitskollegen dahin geäußert, er werde das nächstemal der Kündigung zustimmen müssen; der Antragsgegnerin sei auch bekannt gewesen, daß eine Sitzung des Betriebsrates nicht stattgefunden habe.

Das Einigungsamt Wien trat indessen das Verfahren an das für zuständig erachtete Einigungsamt Graz ab, vor dem die Antragstellerin noch ergänzend ausführte, für den Fall, daß in Graz ein eigener Betrieb iS des ArbVG bestehe, habe die Zustimmung zur Kündigung auch deshalb nicht erteilt werden können, weil für diesen Betrieb kein Betriebsrat gewählt worden sei.

Nach Durchführung eines Beweisverfahrens wies das Einigungsamt Graz die Kündigungsanfechtung zurück. Es stellt unter Bezugnahme auf die Aussagen der vernommenen Zeugen fest, daß die Betriebsstätten der Antragsgegnerin über ganz Österreich verstreut seien und der Betrieb in seiner Gesamtheit sowohl in wirtschaftlicher wie in personeller Hinsicht von Wien aus geleitet werde. Es bestehe ein Angestelltenbetriebsrat aus vier Mitgliedern, von denen eines - der Obmann - in Klagenfurt, ein anderes in Sbg. und zwei in Wien tätig seien. Am 20. September 1983 sei der Obmann telefonisch von der beabsichtigten Kündigung in Kenntnis gesetzt worden. Er habe die Wr. Betriebsratsmitglieder verständigt, welche die Angelegenheit untereinander absprechen wollten, ihrem Kollegen in Sbg. Mitteilung machten und mit dem Prokuristen des Unternehmens die Gründe für die beabsichtigte Kündigung besprachen. Da alle drei Mitglieder mit der Kündigung einverstanden gewesen seien, habe die Stellvertreterin des Obmannes dies dem Obmann telefonisch bekanntgegeben und dieser habe - gleichfalls fernmündlich - dem Prokuristen am 26. September die einstimmige Zustimmung erklärt. Der Prokurist habe keine Kenntnis von der Art der Willensbildung gehabt und danach auch nicht gefragt. In der Folge hätten alle vier Betriebsratsmitglieder ihre Zustimmung noch schriftlich (auf Kopien des Kündigungsschreibens) dokumentiert.

Eine Feststellung über die behauptete Äußerung des Betriebsratsobmannes zu einem Mitarbeiter hielt das Einigungsamt für rechtlich unerheblich. Da der Betriebsrat der Kündigung fristgerecht ausdrücklich zugestimmt habe, sei diese nicht anfechtbar: Der Beschluß des Betriebsrates sei zwar nicht ordnungsgemäß zustandegekommen, der Prokurist habe auf die Erklärung des Obmannes vertrauen können; dabei könne dahingestellt bleiben, ob eine Kenntnis der Verletzung von Ordnungsvorschriften durch bloß telefonische Beratung an der Wirksamkeit der gewollten Zustimmung überhaupt etwas geändert hätte.

2. Die vorliegende Beschwerde gegen den Bescheid des Einigungsamtes rügt die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein gerichtliches Verfahren zur Entscheidung zivilrechtlicher Ansprüche (Art6 Abs1 MRK) und auf Gleichheit vor dem Gesetz. §105 Abs3 ArbVG sei verfassungswidrig, weil zufolge des "Sperr-Rechtes" des Betriebsrates kein unabhängiges Gericht über die Anfechtung der Kündigung entscheiden könne und die Ermöglichung einer Willkürentscheidung des Betriebsrates unsachlich sei.

II. Die Beschwerde ist nicht begründet.

1. Gegen die gesetzlichen Grundlagen des angefochtenen Bescheides bestehen keine Bedenken.

Nach dem Eingangssatz des §105 Abs3 ArbVG kann die Kündigung beim Einigungsamt angefochten werden, wenn der Betriebsrat innerhalb der in Abs1 genannten Frist von fünf Arbeitstagen nicht ausdrücklich (mit Zweidrittelmehrheit: §68 Abs2) zugestimmt hat. Wie der VfGH schon zu §25 BetriebsräteG - dem Vorläufer der §§105 ff. ArbVG - ausgesprochen (VfSlg. 3226/1957) und jüngst für das geltende Recht bekräftigt hat (VfSlg. 10297/1984), ist die grundsätzliche Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers nur durch das Recht der Arbeitnehmerschaft auf Mitwirkung an der Betriebsführung beschränkt. Erst wenn der Betriebsinhaber die (qualifizierte) Zustimmung des Betriebsrates nicht erlangt, wird der Weg zum Einigungsamt eröffnet, das die Kündigung bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen aufheben kann. Die Zustimmung des Betriebsrates hindert also nicht die Durchsetzung eines bereits bestehenden Rechtes (des Arbeitnehmers), sondern das Entstehen jener Meinungsverschiedenheit zwischen Betriebsinhaber und Arbeitnehmerschaft, über die das Einigungsamt zu entscheiden hat.

Die vornehmlich auf Argumenten von Schrank (Der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses als Schutzobjekt der Rechtsordnung, 1982, 92 ff.) aufbauenden Vorwürfe der Beschwerde erweisen sich unter diesem Blickwinkel als unbegründet. Denn sie gehen von der unzutreffenden Prämisse aus, die Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers sei ohne Rücksicht auf die Haltung der Arbeitnehmerschaft zunächst schon im individualrechtlichen Bereich beschränkt. Eine solche Annahme läßt sich auch nicht darauf stützen, daß bei Fehlen des vorgesehenen Betriebsrates an die Stelle der Mitwirkung der Arbeitnehmerschaft ein freies Anfechtungsrecht des Gekündigten tritt, denn dabei geht es nur um einen Ersatz für die fehlende Möglichkeit der - an sich vorgesehenen - organisierten Mitwirkung.

Auch die Umstände des vorliegenden Falles führen zu keiner anderen Einschätzung der angegriffenen Regelung. Auf welche Weise der Betriebsrat von der Möglichkeit der Mitwirkung Gebrauch macht, ist einerseits Sache des - betriebsverfassungsrechtlich einzuordnenden - Verhältnisses zwischen Betriebsinhaber (Arbeitgeber) und Arbeitnehmerschaft, andererseits aber ein Problem des - gleichfalls betriebsverfassungsrechtlich geordneten - Verhältnisses zwischen dem einzelnen Arbeitnehmer und der gesamten Arbeitnehmerschaft. Daß der Betriebsrat bei Ausübung seiner Befugnisse die Interessen des Gekündigten anderen Interessen hintanstellen kann, ist im Hinblick auf die Einbettung des einzelnen Arbeitsverhältnisses in eine Vielzahl solcher Verhältnisse (innerhalb des Betriebes) und die zwischen ihnen bestehenden wechselseitigen Beziehungen und Auswirkungen verfassungsrechtlich unbedenklich. Es ist grundsätzlich eine Frage rechtspolitischer Gestaltung, wie die verschiedenen Interessen ins Verhältnis gesetzt werden und welcher Einfluß dem einzelnen Arbeitnehmer dabei auf die Gestion der Organe der Arbeitnehmerschaft eingeräumt wird.

Es bleibt dem Gesetzgeber auch überlassen, welche formellen Anforderungen er an die Wirksamkeit von Mitbestimmungsakten stellt.

2. Die Beschwerde räumt ausdrücklich ein, daß der angefochtene Bescheid mit §105 ArbVG in Einklang steht. Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Vorschrift kann sich der Gerichtshof infolgedessen mit der Feststellung begnügen, daß auch dem Vollzug keine Verfassungswidrigkeit anzulasten ist.

Die Bf. wurde durch den angefochtenen Bescheid also offenkundig weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in sonstigen Rechten verletzt. Die Beschwerde ist abzuweisen (§19 Abs4 Z1 VerfGG idF BGBl. 297/1984).

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