VfGH B44/84

VfGHB44/8412.3.1985

Art17a StGG; die Kunstfreiheit - auch in ihrer Tragweite als Gegenstück zur Wissenschaftsfreiheit gedacht - entbindet nicht schlechthin von der Beachtung gesetzlicher Vorschriften

Wr. BauO §129; Auftrag zur Beseitigung eines konsenslosen Bauwerkes; keine Verletzung im Recht auf Freiheit der Kunst

Normen

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
StGG Art17, Art17a
AVG §18 Abs4
Wr BauO-Nov 1984, LGBl 30 ArtII
Wr BauO 1930 §129 Abs10
Wr BauO 1930 §138
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
StGG Art17, Art17a
AVG §18 Abs4
Wr BauO-Nov 1984, LGBl 30 ArtII
Wr BauO 1930 §129 Abs10
Wr BauO 1930 §138

 

Spruch:

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Mit Bescheid vom 5. August 1982 hatte die Baubehörde dem Bf. - befristet bis 31. Dezember 1982 - die Errichtung eines 6 X 8 m großen Gebäudes (aus Holz) auf der Fläche zwischen Minigolfplatz, Liliputbahn und Hauptallee im Wr. Prater bewilligt. Für dieses Bauwerk wurde dem Bf. nach seiner Darstellung bei einer behördlichen Besichtigung im März 1983 in Gegenwart des Bezirksvorstehers und eines Beamten der Magistratsabteilung 69 (Grundstücksangelegenheiten) ein etwa 50 m entfernter Standort zugewiesen. Die Beschwerde führt sodann aus:

"Nach dieser Vereinbarung zerlegte ich die baupolizeilich bewilligte Holzbaracke in alle Bestandteile und benützte dieses Material als Rohstoff für die Herstellung eines universellen Kunstmodells, und zwar als Ausdruck meiner universellen Künstlerpersönlichkeit".

Nach mündlicher Verhandlung an Ort und Stelle erteilte die Baubehörde dem Bf. mit Bescheid vom 12. September 1983 den Auftrag, binnen sechs Wochen "die ohne Baubewilligung auf der Grundfläche zwischen der Prater Hauptallee - Vivariumstraße - Sportklubstraße errichtete Baracke abtragen zu lassen". In seiner Berufung gegen diesen Bescheid behauptete der Bf., die Baubewilligung nicht erwirken zu können, weil die Stadt Wien (Magistratsabteilung 42 - Stadtgartenamt) als Liegenschaftseigentümerin die Zustimmung zur Aufstellung verweigere, obwohl die Liegenschaft im Eigentum der Republik Österreich stehe und die Holzkonstruktion in 28 Elemente zerlegbar, ohne kraftschlüssige Verbindung mit dem Boden und transportabel sei.

Die Berufung blieb erfolglos. Auch die Bauoberbehörde war der Auffassung, es handle sich um eine bauliche Anlage iS des §60 der Wr. Bauordnung, die mangels Bewilligung nach §129 Abs10 dieses Gesetzes - ohne Rücksicht darauf, warum die Einholung der (nachträglichen) Baubewilligung "bisher nicht möglich" gewesen sei - vom Eigentümer beseitigt werden müsse.

Gegen den Berufungsbescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde, die eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Freiheit der Kunst (Art17a StGG idF des BVG vom 12. Mai 1982, BGBl. 262/1982) rügt und begründend ausführt:

"In diesem neuartigen Kunstmodell manifestiert sich der künstlerische Prozeß als ein Vorgang des kreativen Machens mit vorgegebenen Materialien, die durch den Gestaltungsprozeß konkrete Begriffe in abstrakte verändern und daher mit der Wirklichkeit der Baurechts-Normen nicht mehr identisch sind. Für die Beurteilung von Kunstdingen braucht es Erfahrung und eine gewisse Qualität. Diese fehlte den befaßten Behörden, da sie weder im Ermittlungsverfahren noch in der Berufung meinen abstrakt-begrifflichen Interpretationen theoretisch folgen konnten. Darin liegt die Ursache, daß sich vorliegende Bescheide immer noch auf die ursprüngliche Holzbaracke, die aber nachweisbar nicht mehr vorhanden ist, beziehen. Damit ist eindeutig erwiesen, daß die befaßten Behörden die veränderten Verhältnisse nicht wahrgenommen und deshalb einen Akt der Nichtigkeit gesetzt haben; denn so wenig man die Musik mit den Kriterien der Medizin beurteilen kann, so wenig kann auch hier im konkreten Beispiel moderne Aktionsmalerei mit den Normen der Wiener Bauordnung beurteilt werden.

Aufgrund der völlig gestörten Verständigung war ich gezwungen, meine Berufung auf einer pseudo-baurechtlichen Ebene zu formulieren, um in die Etappe der Beschwerdemöglichkeit beim VfGH zu gelangen.

Ich kann hier dem VfGH versichern, daß die Grenzen der Kunstfreiheit durch das bekämpfte Kunstmodell nicht überschritten wurden und auch andere Grundrechte der Bundesverfassung weder eingeschränkt noch verletzt, obwohl sich diese neue Kunst in einer sehr ungewöhnlichen Form der Öffentlichkeit vorstellt bzw. mitteilt.

Als akademischer Aktionsmaler habe ich daher den Rechtsanspruch, daß der Staat nicht in meinen künstlerischen Bereich eingreift, sondern Kunst als die höchste Bewußtmachung der Welt akzeptiert."

In seiner Äußerung zur Gegenschrift der bel. Beh. hält der Bf. das Anlegen baurechtlicher Kriterien für einen

"Nonsens, wie das Suchen des Mondes in der Mondscheinsonate".

II. Nach Abschluß des verfassungsgerichtlichen Vorverfahrens wurde am 20. August 1984 die Bauordnungsnov. 1984, LGBl. 30, kundgemacht. Sie fügt §138 der Bauordnung ua. eine Bestimmung über die Unterfertigung von Bescheiden der Bauoberbehörde und deren Vertretung vor dem VfGH und VwGH an. Nach ihrem ArtII trat die Nov. rückwirkend mit 1. Mai 1984 in Kraft (Abs1); außerdem sollte sie auf die bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts zum Zeitpunkt des Inkrafttretens anhängigen Verfahren Anwendung finden (Abs2). Die zuletzt genannte Bestimmung hat der VfGH mit Erk. G1/85 vom 12. März 1985 aus Anlaß des vorliegenden Beschwerdefalles als verfassungswidrig aufgehoben. Es ist indessen offenkundig, daß die aufgehobene Bestimmung im Verwaltungsverfahren noch nicht angewendet werden konnte. Ihre Aufhebung bleibt daher ohne Auswirkung auf das Ergebnis des Beschwerdeverfahrens.

III. Die Beschwerde ist nicht begründet.

1. Der Bf. beruft sich auf die Freiheit der Kunst. Er sieht das von ihm hergestellte Gebilde als ein Kunstwerk und meint, Art17a StGG erlaube es nicht, die Schaffung solcher Kunstwerke an baupolizeilichen Normen zu messen. Da die Freiheit der Kunst ohne Gesetzesvorbehalt gewährleistet und die Grenze dieses Rechtes nicht überschritten sei, dürfe ihm die Beseitigung nicht aufgetragen werden. Dabei zieht er offenkundig nicht mehr in Zweifel, daß die Anlage unter baurechtlichen Gesichtspunkten bewilligungspflichtig wäre. Die baurechtliche Beurteilung sei vielmehr unzulässig, weil es sich um ein Kunstwerk handle.

2. Dieser Argumentation kann der VfGH indessen nicht beipflichten. Es ist zwar richtig, daß die Freiheit der Kunst ohne Gesetzesvorbehalt gewährleistet ist. Denn Art17a bestimmt nur:

"Das künstlerische Schaffen, die Vermittlung von Kunst sowie deren Lehre sind frei".

Wie der Bericht des Verfassungsausschusses zum Antrag auf Novellierung des StGG (978 BlgNR XV. GP) zeigt, wurde auf einen Gesetzesvorbehalt bewußt verzichtet (2). Die Kunst soll offenbar einer Beschränkung ebensowenig unterliegen wie die Wissenschaft (Art17 Abs1 StGG: "Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei"), der häusliche Unterricht (Art17 Abs3 StGG: "Der häusliche Unterricht unterliegt keiner ... Beschränkung") oder die berufliche Ausbildung

(Art18 StGG: ... "auszubilden, wie und wo er will"). Ausdrücklich

knüpft der Ausschuß an die Rechtsprechung des VfGH (VfSlg. 8136/1977) an, wonach Art17 StGG jedermann, der wissenschaftlich forscht und lehrt, garantiert, daß er vom Staat keiner spezifisch intentional auf die Einengung dieser Freiheit gerichteten Beschränkung unterworfen werden darf (1). Der Staat darf also künstlerische Bewegungen weder unterdrücken noch verordnen.

Sowenig aber die Freiheit der Wissenschaft, des häuslichen Unterrichts oder der beruflichen Ausbildung schlechthin von der Beachtung gesetzlicher Vorschriften entbindet, sowenig kann auch die Freiheit der Kunst schlechthin sämtliche Hemmnisse beseitigen, welche die Rechtsordnung insgesamt der Verwirklichung auch künstlerischer Vorhaben entgegenstellt. Der Verfassungsausschuß führt hiezu aus (2):

"Weder das künstlerische Schaffen noch die Vermittlung von Kunst und deren Lehre können aber in dem Sinn frei sein, daß sie keinerlei Beschränkungen unterworfen werden dürfen. Schon der Umstand, daß man allen Grund- und Freiheitsrechten das gleiche Gewicht beimessen muß, und die Ausübung der gewährleisteten Freiheit durch den einen sich mit dem Freiheitsraum des anderen in Übereinstimmung befinden muß, führt zu typischen Schranken, die vielen Grund- und Freiheitsrechten gemeinsam sind (immanente Schranken). Diese Überlegungen und die vergleichbaren Bestimmungen anderer Grundrechtsnormen, die keinen Gesetzesvorbehalt haben, haben auch dazu geführt, daß auf einen Gesetzesvorbehalt in der hier neu zu schaffenden Regelung verzichtet wurde.

... Darüber hinaus, aber auch damit verbunden, ergeben sich für die Kunstfreiheit wie für die anderen Grundrechtsbereiche jene Schranken, die aus dem geordneten, auf Toleranz aufbauenden Zusammenleben der Menschen folgen. Aus dem Prinzip der freien Entfaltung aller in der Gesellschaft eingebetteten Kräfte, Anschauungen und Bestrebungen kann in schweren Konfliktsituationen die Aufgabe des Staates folgen, unter Beachtung des in unserer Rechtsordnung geltenden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und der diesbezüglichen verfassungsrechtlichen Grenzen ordnend einzugreifen."

Ob die Verfassungsrechtslage den Vorstellungen und Erwartungen des Ausschusses im letzten Abschn. des wiedergegebenen Teiles des Berichtes ganz entspricht, ist hier nicht zu untersuchen. Wortlaut und systematischer Zusammenhang des Art17a lassen jedenfalls iVm. den Äußerungen des Verfassungsausschusses insgesamt keinen Zweifel zu, daß die Kunstfreiheit auch in ihrer Tragweite als Gegenstück zur Wissenschaftsfreiheit (Unterrichtsfreiheit, Ausbildungsfreiheit) gedacht und nach dem Muster dieser Grundrechte ausgerichtet ist. Daraus folgt aber, daß auch der Künstler in seinem Schaffen an die allgemeinen Gesetze gebunden bleibt. Sein Tun wird durch die Freiheit der Kunst nicht privilegiert. Eine dem geschützten Bereich vergleichsweise fernstehende Verhaltensnorm wie das Erfordernis der Einholung einer Bewilligung für die Errichtung von Bauwerken ist für sich allein ebensowenig als Beschränkung der Freiheit der Kunst zu werten wie das Verbot der Benützung fremden Eigentums oder der unnötigen Erregung störenden Lärms, die Pflicht zur Anzeige von Versammlungen oder zur Entrichtung einer Abgabe für öffentliche Veranstaltungen (vgl. etwa zur Wissenschaftsfreiheit VfSlg. 3565/1959 (Dienstfähigkeit) und 6974/1973 (Lohnsteuerpflicht), und zur Berufsausbildungsfreiheit VfSlg. 5611/1967 (Lärmverbot)). Erst die Kriterien, nach denen eine Baubewilligung zu erteilen oder zu versagen ist, könnten nach Zielsetzung oder Auswirkung allenfalls mit dem Recht auf Freiheit der Kunst in Konflikt geraten (dazu insbesondere Berka, Die Freiheit der Kunst ... und ihre Grenzen im System der Grundrechte, JBl. 1983, 281 ff., hier 289 f.).

Da es im vorliegenden Fall aber nur um das Schicksal eines konsenslosen Baues geht, erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit der Frage, wann die einschlägigen Normen des Baurechts mit der Freiheit der Kunst in Konflikt geraten würden.

Im Recht auf Freiheit der Kunst ist der Bf. durch den angefochtenen Bescheid daher offenkundig nicht verletzt worden. Auch die Verletzung anderer verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat das Verfahren nicht ergeben. Gegen die Rechtmäßigkeit der maßgebenden Vorschriften sind keine Bedenken entstanden. Ob die Entscheidung der Behörde den einfachgesetzlichen Vorschriften entspricht, hat nicht der VfGH zu prüfen; zur Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Verwaltung ist vielmehr der VwGH berufen.

Bemerkt sei, daß der VfGH gegen die Ausfertigung des Bescheides der Bauoberbehörde durch die Rechtsmittelabteilung der Magistratsdirektion keine Bedenken hat (vgl. VfSlg. 6178/1970 und B385/82 vom 1. Juli 1983).

Die Beschwerde ist daher als offenbar unbegründet abzuweisen (§19 Abs4 Z1 VerfGG idF BGBl. 297/1984).

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