VfGH B522/83

VfGHB522/8317.6.1985

ErbStG 1955; GrEStG 1955; gemäß §2 Abs2 Z4 ErbStG iVm. §3 Z2 GrEStG hindert der Austausch des geltend gemachten Pflichtteilanspruches (auf Zahlung einer Geldsumme) gegen einen Anspruch auf Übereignung einer Liegenschaft die Befreiung von der Grunderwerbsteuer nicht; Vorschreibung der Grunderwerbsteuer gleichheitswidrig

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
ABGB §774
ErbStG 1955 §2 Abs2 Z4
GrEStG 1955 §3 Z2
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
ABGB §774
ErbStG 1955 §2 Abs2 Z4
GrEStG 1955 §3 Z2

 

Spruch:

Die Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Der Vater der Bf. ist am 17. Dezember 1980 vestorben und hat sein Vermögen seiner Schwester hinterlassen. Im Zuge des Verlassenschaftsverfahrens kam die Erbin mit der Bf. dahin überein, daß diese auf den ihr zustehenden Pflichtteilanspruch in der Höhe von 484931,08 S gegen Aufzahlung von 100000 S die Miteigentumshälfte des Erblassers an einem Grundstück im Schätzwert von 587250 S übernimmt. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Finanzlandesdirektion wurde für diesen Vorgang Grunderwerbsteuer in der Höhe von 46794 S vorgeschrieben.

Die gegen den Berufungsbescheid erhobene Beschwerde rügt unter Hinweis auf das Erk. VfSlg. 9446/1982 die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit vor dem Gesetz.

II. Die Beschwerde ist begründet.

1. §3 GrunderwerbsteuerG nimmt den Grundstückserwerb von Todes wegen und Grundstücksschenkungen unter Lebenden iS des Erbschafts- und Schenkungssteuergesetzes (Z2) sowie den Erwerb eines zum Nachlaß gehörigen Grundstückes durch Miterben zur Teilung des Nachlasses (Z3) von der Grunderwerbsteuer aus. Als Erwerb von Todes wegen gilt vor allem ein Erwerb durch Erbanfall, durch Vermächtnis oder aufgrund eines geltend gemachten Pflichtteilanspruches (§2 Abs1 Z1 ErbStG), als vom Erblasser zugewendet gilt ua. aber auch (§2 Abs2 Z4 ErbStG),

"was als Abfindung für einen Verzicht auf den entstandenen Pflichteilanspruch oder für die Ausschlagung einer Erbschaft oder eines Vermächtnisses von dritter Seite gewährt wird."

Die bel. Beh. ist der Auffassung, der Erwerb aufgrund des Übereinkommens zur Abgeltung des Pflichtteils sei kein solcher von Todes wegen, da der Pflichtteilberechtigte nur Gläubiger des Nachlasses sei und nur einen schuldrechtlichen Anspruch (gemeint offenbar: nur einen Anspruch auf Zahlung einer Geldsumme und keinen Anspruch auf eine Liegenschaft) habe. Der Anspruch auf die Liegenschaft entstehe vielmehr erst durch das Erbübereinkommen und werde daher durch ein Rechtsgeschäft unter Lebenden begründet; es liege auch keine Vereinbarung zwischen Erben im Sinne des §3 Z3 GrEStG vor. Den Fall der Abfindung für einen Verzicht auf den Pflichtteilanspruch (§2 Abs2 Z4 ErbStG) zieht der Berufungsbescheid gar nicht in Erwägung.

Der VfGH hat im Erk. VfSlg. 9446/1982 zu einem Fall, in dem gleichfalls Liegenschaften zur Abgeltung eines Pflichtteilanspruches überlassen worden waren und die Finanzbehörden einen grunderwerbsteuerpflichtigen Vorgang angenommen hatten, ausgeführt, es gebe

"... keine sachliche Rechtfertigung dafür, daß derjenige, der den Pflichtteil geltend gemacht hat und in Abgeltung (Abfindung) desselben (daher nicht darüber hinaus) eine Liegenschaft erhält, abgabenrechtlich anders behandelt werden soll als jener - in der gleichen wirtschaftlichen Lage befindliche - Pflichtteilberechtigte, der Verzicht auf seinen Anspruch gegen das Versprechen leistet, für den Verzicht eine bestimmte Liegenschaft zu erhalten. Der Erwerb der Liegenschaft durch einen solchen (Verzicht leistenden) Pflichtteilberechtigten ist aber zufolge §2 Abs2 Z4 ErbStG aufgrund des klaren und eindeutigen Gesetzeswortlautes zweifelsohne als Erwerb von Todes wegen anzusehen, daher erbschaftssteuerpflichtig und gemäß §3 Z2 GrEStG von der Grunderwerbsteuer befreit ...

Durch eine am Sinn des Gesetzes orientierte - durch seinen Wortlaut nicht ausgeschlossene - Interpretation der beiden Bestimmungen läßt sich dieses gleichheitswidrige Ergebnis aber vermeiden. §2 Abs2 Z4 ErbStG kann nämlich extensiv dahin ausgelegt werden, daß diese Vorschrift nicht bloß für jenen Pflichtteilberechtigten gilt, der für seinen - ausdrücklichen - Verzicht auf seinen Pflichtteilanspruch ein Grundstück erhält, sondern auch für einen Pflichtteilberechtigten, der ... als Abfindung für seinen Pflichtteilanspruch eine Liegenschaft bekommt, bei dem also ohne solchen formellen Verzicht wirtschaftlich Gleiches bewirkt wird."

Den Ausführungen dieses Erk. wirft die bel. Beh. in ihrer Gegenschrift in teils wörtlicher Übereinstimmung mit der Kritik von A Hausleithner (Erbschaftssteuerliche Behandlung von Erwerben aus Pflichtteilrechten, ÖStZ 1983, 62 ff., 67 f.) allerdings ohne Hinweis auf diese Quelle - vor, der Gerichtshof übersehe, daß die Geltendmachung des (später abgegoltenen) Pflichtteilrechts und der (abgefundene) Verzicht auf den Pflichtteilanspruch erbschaftssteuerrechtlich ganz unterschiedliche Folgen hätten; der Gerichtshof stütze sich

"ohne nähere Begründung auf ein in Abkehr von der bisherigen deutschen Judikatur ergangenes Urteil des deutschen BFH aus dem Jahre 1981, ohne sich mit der gegenteiligen Rechtsprechung des österr. VwGH auseinanderzusetzen, obwohl dieser seit mehr als einem Vierteljahrhundert in einer Unzahl von Erkenntnissen dieselbe Frage ausführlich geprüft und unter Zugrundelegung der österr. Zivilrechtslage stets zum Ergebnis gekommen ist, daß die beiden besprochenen Vorgangsweisen steuerlich differenziert zu behandeln sind".

Insbesondere zieht die Behörde in der Gegenschrift Schlüsse daraus, daß die Erbschaftssteuerschuld mit dem Zeitpunkt der Geltendmachung des Pflichtteilanspruches eintrete:

"Die einmal entstandene Steuerschuld kann daher auch durch einen nachfolgenden entgeltlichen oder unentgeltlichen Verzicht nicht mehr beseitigt werden. Es wäre daher widersinnig, neben dem als Kapitalforderung existent gewordenen Pflichtteil auch noch jene Vermögenswerte als vom Erblasser herrührend der Erbschaftssteuer zu unterwerfen, die für die Aufgabe oder die Veräußerung dieser Kapitalforderung erworben werden. In der Hingabe einer Grundstücksbeteiligung unter Verzicht auf das aus der Pflichtteilberechtigung zustehende Forderungsrecht ist eine Leistung an Zahlung Statt zu sehen. Sollte in einem derartigen Falle jedoch später weiteres Nachlaßvermögen hervorkommen, steht dem Pflichtteilberechtigten auch davon der anteilige Wert zu. Anders verhält es sich beim Verzicht auf den Pflichtteilanspruch selbst. Hier gibt der Pflichtteilberechtigte alle Rechte auf, die ihm als Noterben zustehen. Alle seine Ansprüche im Zusammenhang mit dem Erbfall sind durch den Verzicht erloschen. Er hat keinerlei Anteil am Wert des Nachlasses, sei es im Zeitpunkt des Verzichtes, sei es beim späteren Hervorkommen beträchtlicher Nachlaßwerte (vgl. OGH vom 16. April 1970, 1 Ob 28/69)."

Der Verzicht sei nur innerhalb der dreijährigen Verjährungsfrist denkbar, für die Abgeltung stünden 30 Jahre zur Verfügung und die Abfindung könne auch von dritter Seite stammen, sodaß der Liegenschaftserwerb in keinem Zusammenhang mit dem Erbfall stehen müsse. Auf mehrere Erben oder Vermächtnisnehmer angewandt, mache eine solche Auslegung §3 Z3 GrEStG obsolet. Aus anderen - bezugnehmenden - Gesetzen könne für oder gegen die Verfassungsmäßigkeit des Erbschaftssteuerrechtes nichts abgeleitet werden. Es stehe den Beteiligten ja frei, den für sie im konkreten Fall privatrechtlich und steuerlich passenden Vorgang zu wählen. Das Nebeneinander von Abs1 Z1 und Abs2 Z4 des §2 ErbStG sei iS der bisherigen Lehre, Verwaltungspraxis und Rechtsprechung gerechtfertigt.

2. Es ist einzuräumen, daß die Abgeltung des Pflichtteils durch Überlassung einer Liegenschaft keinen neuerlich erbschaftssteuerpflichtigen Vorgang darstellt und §2 Abs2 Z4 ErbStG nur eingreift, wenn nicht schon die Geltendmachung des Pflichtteilanspruchs Erbschaftssteuerpflicht ausgelöst hat (Dorazil, Kommentar zum Erbschafts- und Schenkungssteuergesetz, 2. Auflage, 44; Ruppe, Abfindung von Pflichtteilrechten in Grundstücken, ÖStZ 1980, 160 ff.; Hausleithner aaO 64).

Die gegen die Rechtsprechung des VfGH erhobenen Einwände übersehen aber ihrerseits, daß es nicht um ein erbschaftssteuerliches, sondern um ein grunderwerbsteuerliches Problem geht. Die Frage der sachlichen Rechtfertigung einer unterschiedlichen Behandlung wird ausschließlich aus der Sicht des Grunderwerbsteuerrechtes gestellt und die Antwort aus einer (wie VfSlg. 9446/1982 sagt) "Interpretation der beiden Bestimmungen", nämlich des §2 Abs2 Z4 ErbStG und des §3 Z2 GrEStG gewonnen. Entscheidend ist nämlich allein, ob die Vereinbarung, anstelle der geschuldeten Geldsumme eine Liegenschaft zu überlassen, den Vorgang so weit von seinem erbrechtlichen Ursprung löst, daß die - wann immer entstandene - Erbschaftssteuerschuld ihn nicht mehr gegen die Grunderwerbsteuerpflicht abschirmt.

Nun führt aber §2 Abs2 Z4 ErbStG iVm. §3 Z2 GrEStG zum Ergebnis, daß der Austausch des Pflichtteilanspruchs gegen einen Anspruch auf Übereignung einer Liegenschaft die Befreiung von der Grunderwerbsteuer nicht hindert. Obwohl der durch Verzicht erloschene erbrechtliche Anspruch nur auf Zahlung der Geldsumme gerichtet war, bleibt die Abfindung erbschaftssteuerpflichtig und daher grunderwerbsteuerfrei. Das Zusammentreffen eines erbschaftssteuerpflichtigen Vorganges mit einem an sich grunderwerbsteuerbaren Vorgang führt also nicht zu einer doppelten Besteuerung, und die doppelte Besteuerung wird nicht etwa durch ein Zurückweichen des Erbschaftssteuerrechts, sondern durch den Rückzug des Grunderwerbsteuerrechts vermieden. Offenbar im Hinblick auf die Regel des §774 ABGB, daß schon der Erblasser den Pflichtteil in Gestalt eines Erbteiles oder Vermächtnisses hinterlassen hätte können, schlägt der erbrechtliche Ursprung durch, obwohl den Erwerb eines Grundstücks nicht das Erbrecht, sondern erst das Übereinkommen über die Abfindung des Pflichtteilanspruches vorsieht. Aus §2 Abs2 Z4 ErbStG ergibt sich daher iVm. §3 Z2 GrEStG, daß der erbschaftssteuerrechtliche Vorgang die Umwandlung des Pflichtteilanspruches in einen Übereignungsanspruch mit abdeckt. Diese - und nur diese - Wirkung muß aus Gründen der verfassungskonformen Auslegung §2 Abs2 Z4 ErbStG auch für den - erbschaftssteuerrechtlich betrachtet schon durch §2 Abs1 Z1 ErbStG erfaßten - Vorgang der Abfindung eines geltend gemachten Pflichtteilanspruches durch Übereignung einer Liegenschaft entfalten. Daß ein (bloß) erbschaftssteuerpflichtiger Grundstückserwerb von Todes wegen iS des Grunderwerbsteuerrechts auch dann vorliegt, wenn ein (an sich auf Geldzahlung gerichteter) Pflichtteilanspruch durch Überlassung eines Grundstücks abgegolten wird, ist §2 Abs2 Z4 ErbStG zu entnehmen.

Das so gewonnene Ergebnis stimmt übrigens mit dem überein, was schon §3 Z3 GrEStG selbst für den Liegenschaftserwerb durch Miterben im Zuge der Erbteilung vorsieht: obwohl das Recht des Miterben nur auf eine Nachlaßquote geht, bleibt die Übernahme der ganzen Liegenschaft im Erbteilungsweg ihrem erbrechtlichen Ursprung verbunden.

Die erbschaftssteuerrechtliche Kritik greift also auf die grunderwerbsteuerliche Beurteilung nicht durch. Unter diesen Umständen erübrigt es sich näher darzulegen, warum die Versuche der bel. Beh., mit dem Hinweis auf die - in Randbereichen bestehenden - zivilrechtlichen Unterschiede, die - angeblich immer offene - Möglichkeit steuervermeidender Vertragsgestaltung oder die - wohl in beiden Varianten gleichermaßen bestehende - Gefahr der Berücksichtigung auch bloß entfernter Zusammenhänge zwischen Erbanfall und Liegenschaftserwerb bei Abfindung durch einen Dritten eine unterschiedliche grunderwerbsteuerliche Behandlung der beiden Varianten einer Pflichtteilabfindung zu rechtfertigen, einer näheren Prüfung nicht standhalten können.

Von der in VfSlg. 9446/1982 dargelegten Rechtsanschauung wieder abzugehen, ist also kein Anlaß. Die Vorschreibung der Grunderwerbsteuer nach dem Schätzwert der Liegenschaftshälfte erweist sich als gleichheitswidrig. Der insoweit nicht trennbare Bescheid ist daher aufzuheben, ohne daß es einer mündlichen Verhandlung bedarf (§19 Abs4 Z2 VerfGG idF BGBl. 297/1984).

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