VfGH B50/80

VfGHB50/808.10.1985

Stmk. NaturschutzG 1976; Weitergeltung der in der Anlage zum G angeführten Verordnungen (Naturschutzgebietsverordnungen) gemäß §36 Abs3 Z1 - keine Änderung der bei Bescheiderlassung im Jahr 1971 maßgebend gewesenen Rechtslage hinsichtlich der Zulassung von Ausnahmen; durch Verneinung der Frage, ob nach Rechtskraft einer Entscheidung bei unveränderter Rechtslage eine Änderung des maßgeblichen Sachverhaltes eine neue Entscheidung rechtfertigt, kein Eingriff in das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter; kein Entzug des gesetzlichen Richters durch Zurückweisung des auf §5 Abs6 gestützten Antrages gemäß §68 Abs1 AVG 1950

Normen

B-VG Art83 Abs2
AVG §68 Abs1
Stmk NaturschutzG 1976 §5 Abs6
Stmk NaturschutzG 1976 §36 Abs3 Z1
Verordnung der Stmk Landesregierung 08.08.58, LGBl. 56, über die Erklärung des Gesäuses und des anschließenden Ennstales bis zur Landesgrenze sowie des Wildalpener Salzatales zu Naturschutzgebieten idF LGBl. 56/1959 §4
B-VG Art83 Abs2
AVG §68 Abs1
Stmk NaturschutzG 1976 §5 Abs6
Stmk NaturschutzG 1976 §36 Abs3 Z1
Verordnung der Stmk Landesregierung 08.08.58, LGBl. 56, über die Erklärung des Gesäuses und des anschließenden Ennstales bis zur Landesgrenze sowie des Wildalpener Salzatales zu Naturschutzgebieten idF LGBl. 56/1959 §4

 

Spruch:

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Zur Vorgeschichte des Beschwerdefalles verweist der VfGH - um Wiederholungen zu vermeiden - auf sein Erk. VfSlg. 7169/1973 sowie auf das Erk. des VwGH Z 529/72 vom 19. April 1974. Mit einer Eingabe an die Stmk. Landesregierung vom 11. April 1979 begehrte die bf. Partei unter Vorlage eines geänderten Projektes, ihr die Ausnahmebewilligung nach dem Stmk. Naturschutzgesetz 1976 (NSchG 1976), LGBl. 65, zur Errichtung eines Laufkraftwerkes am Gesäuse-Eingang zu erteilen. Diesen Antrag wies die Landesregierung mit Bescheid vom 17. Dezember 1979 gemäß §68 Abs1 AVG 1950 unter Bezugnahme auf ihren Bescheid vom 30. Dezember 1971 (der den Beschwerdegegenstand des angeführten Erk. des VwGH bildete) wegen entschiedener Sache zurück. Sie legte in der Begründung eingehend dar, daß nach ihrer Auffassung das Projekt dem früheren Vorhaben entspreche und trat der Ansicht der beschwerdeführenden Partei, daß sich die Rechtsgrundlagen vollkommen geändert hätten, folgendermaßen entgegen:

"Zweifellos kann nicht davon gesprochen werden, daß das Steiermärkische Naturschutzgesetz 1976 mit dem ehemaligen Reichsnaturschutzgesetz ident ist. Abgesehen vom Grundgedanken des Gesetzes, nämlich dem Schutz und der Erhaltung der Natur, haben sich gegenüber dem Reichsnaturschutzgesetz in zahlreichen Einzelheiten Änderungen ergeben und wurden auch völlig neue Bestimmungen eingefügt. Maßgeblich ist jedoch nicht die Identität der beiden Gesetze, sondern die Identität der Rechtsvorschriften, die dem rechtskräftigen Bescheid vom 30. Dezember 1971 zugrunde lagen, mit jenen, die auf Grund des gegenständlichen Ansuchens derzeit anzuwenden sind. Hiebei ergibt sich, daß die im abgeschlossenen Verfahren angewendete Verordnung der Steiermärkischen Landesregierung vom 8. Juli 1958, LGBl. Nr. 56, über die Erklärung des Gesäuses und des anschließenden Ennstales bis zur Landesgrenze sowie das Wildalpener Salzatales zu Naturschutzgebieten i.d.F. der Verordnung, LGBl. Nr. 56/1959, auf Grund des §36 Abs3 des Steiermärkischen Naturschutzgesetzes 1976 weiterhin in Kraft und daher auch derzeit anzuwenden ist. Da im Gegensatz zum Reichsnaturschutzgesetz nunmehr direkt im Steiermärkischen Naturschutzgesetz 1976 die Erteilung der Ausnahmebewilligung geregelt ist, tritt allerdings anstelle des §4 der Verordnung der §5 Abs6 des Steiermärkischen Naturschutzgesetzes 1976, welcher lautet: Die Behörde hat Ausnahmen vom Verbot des Abs5 zu bewilligen, wenn der Eingriff dem Zweck des Schutzes nicht widerspricht. Hiebei ergibt sich aus §5 Abs1 NSchG 1976, daß der Zweck des Schutzes in der Erhaltung der weitgehenden Ursprünglichkeit eines Gebietes liegt. Ein Eingriff, der die natürlichen Erscheinungsformen im betroffenen Abschnitt des Naturschutzgebietes in ihrer Ganzheit mit nachhaltiger Wirkung wesentlich verändert (§4 der Verordnung), stellt aber nach Ansicht der Behörde jedenfalls auch einen solchen Eingriff dar, der dem Zweck des Schutzes widerspricht. Somit kann im Gegenstande keine geänderte Rechtslage angenommen werden."

2. Gegen diesen Bescheid der Stmk. Landesregierung richtet sich die vorliegende VfGH-Beschwerde, in welcher die bf. Partei eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behauptet und die Bescheidaufhebung begehrt.

II. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:

1. Die bf. Partei behauptet deshalb im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt zu sein, weil ihr die verlangte Sachentscheidung über ihren Antrag vom 11. April 1979 verweigert wurde. Sie leitet diese Rechtsverletzung zunächst daraus ab, daß die Rechtskraft des Bescheides vom 30. Dezember 1971 wegen einer Änderung der maßgebend gewesenen Rechtslage einem meritorischen Abspruch über den Antrag nicht entgegenstehe. Dieser Vorwurf, der zutreffendenfalls iS der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs eine Verletzung des geltend gemachten Rechtes erwiese (zB VfSlg. 9737/1983), ist aber nicht begründet.

Die bf. Partei geht davon aus, daß über ihren Antrag auf dem Boden des §5 Abs6 NSchG 1976 zu entscheiden gewesen wäre, dem sie allerdings einen anderen normativen Inhalt zuschreibt als die bel. Beh. Der VfGH kann jedoch dem von beiden Prozeßparteien eingenommenen Standpunkt, daß der Antrag anhand dieser Gesetzesstelle zu beurteilen sei, nicht beitreten; er hält diese Ansicht vielmehr aus folgenden Gründen für verfehlt:

Wie aus §36 Abs3 Z1 NSchG 1976 hervorgeht, gelten die in der Anlage zum Gesetz angeführten V (insbesondere die zitierten V über die Erklärung bestimmter Gebiete zu Naturschutzgebieten) bis zu ihrem Ersatz durch neue V ("Ersatzverordnungen"; s. dazu Abs4 im §36) weiter. Die weitergeltenden NaturschutzgebietsV enthalten insgesamt Bestimmungen über die Zulassung von Ausnahmen, wobei etwa auf §4 der im vorliegenden Fall zu berücksichtigenden V LGBl. 56/1958 hingewiesen sei oder (um beispielsweise die in der Anlage zum Gesetz gegen Ende angeführten NaturschutzgebietsV zu betrachten) auf §4 der V LGBl. 18/1974, auf §4 der V LGBl. 31/1974, §4 der V LGBl. 43/1974, auf §4 der V LGBl. 59/1974 sowie auf §3 der V LGBl. 39/1975. Die Vorschrift über die Weitergeltung der in der Anlage angeführten V sieht irgendeine umfangsmäßige Einschränkung der Weitergeltung nicht vor, wobei zu berücksichtigen ist, daß der Gesetzgeber mit dem Inhalt der bezogenen V gewiß vertraut war. Die eben aufgezeigten Umstände sprechen für die Auffassung, daß auch die Verordnungsbestimmungen über die Zulassung von Ausnahmen in vorläufiger Geltung belassen wurden, darunter §4 der V LGBl. 56/1958. Diese Auffassung wird durch folgende Überlegung erhärtet: §5 Abs6 NSchG 1976 ist nicht etwa für Naturschutzgebiete schlechthin anwendbar, sondern bloß nach Maßgabe des Abs4 dieses Paragraphen, demzufolge der Verordnungsgeber ferner festzulegen hat, ob und in welchen Gebietsteilen Ausnahmen nach Abs6 zulässig sind; die Bewilligung von Ausnahmen muß als vom Verordnungsgeber sowohl grundsätzlich als auch territorial vorgesehen sein. Wollte man nun annehmen, daß Ausnahmebewilligungen in Naturschutzgebieten, die durch weitergeltende V festgelegt sind, nach §5 Abs6 NSchG 1976 zu erteilen wären, so müßte man jeder dieser V fiktiv die Anordnung unterstellen, Ausnahmebewilligungen nach inhaltlich von den bisherigen Ausnahmebestimmungen abweichenden Kriterien ohne territoriale Beschränkung zu erlauben. Daß man damit jedoch in einen krassen Gegensatz zu der aus dem Zusammenhalt der Abs4 und 6 im §5 NSchG 1976 abzuleitenden und im wesentlichen aus der früheren Rechtslage übernommenen Grundkonzeption des Gesetzgebers geriete, (zumindest) die grundsätzlichen, auf die Besonderheit des betreffenden Naturschutzgebietes abgestellten Ausnahmevoraussetzungen schon bei der Erklärung zum Naturschutzgebiet mit festzulegen, bedarf wohl keiner Begründung.

Somit ist festzuhalten, daß die bei der Erlassung des Bescheides vom 30. Dezember 1971 maßgebend gewesene Rechtslage keine Änderung erfuhr.

2. Die geltend gemachte Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter will die bf. Partei weiters daraus ableiten, daß sich der Sachverhalt gegenüber jenen Verhältnissen, die dem rechtskräftigen Bescheid vom 30. Dezember 1971 zugrunde lagen, geändert habe. Hiezu führt sie eine Vielzahl technischer Einzelheiten des mit dem neuen Antrag unterbreiteten Projekts an (wie die gewährleistete Restwassermenge, die Distanz des Wehrs vom Gesäuse-Eingang, die Kraftwerksleistung udgl.). In diesem Zusammenhang ist die bf. Partei allerdings auf die neuere Judikatur hinzuweisen (VfSlg. 9803/1983 und 10240/1984), an welcher der VfGH auch im vorliegenden Fall festhält und aus der sich für diesen ergibt, daß selbst eine inhaltliche Unrichtigkeit des angefochtenen Bescheides im Sachverhaltsbereich keine Verletzung des geltend gemachten Rechtes bedeutete. Wie der Gerichtshof nämlich aussprach, ist (bei unveränderter Rechslage) die Frage, ob sich die nach dem früheren Bescheid maßgebend gewesene Sachlage geändert hat, daß die Erlassung eines neuen Bescheides in Betracht kommt, durch Messen des bestehenden Sachverhaltes an der dem früheren Bescheid zugrunde liegenden Rechtsanschauung vor ihrem normativen Hintergrund zu beantworten, und zwar nach derselben Methode, mit der er im Falle einer neuen Sachentscheidung an der Norm selbst zu messen wäre. Dieser Vorgang gleicht der Lösung der Sachfrage so sehr, daß er auch wie diese behandelt werden muß. Hat sich also die zuständige Behörde zu Recht mit der Frage beschäftigt, ob nach Rechtskraft einer Entscheidung eine Änderung des maßgeblichen Sachverhaltes eine neue Entscheidung rechtfertigt und diese Frage verneint, so berührt eine allfällige Unrichtigkeit ihres Urteils das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter im allgemeinen ebensowenig wie eine unrichtige Ansicht über die bindende Wirkung einer anderen behördlichen Erledigung (VfSlg. 6740/1972, 7144/1973, 7972/1976 und 8214/1977) oder die Zulässigkeit der Wiederaufnahme eines Verfahrens (VfSlg. 7865/1976).

3. Das Beschwerdeverfahren ergab auch keinen Anhaltspunkt für die Annahme, daß die bf. Partei in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden wäre oder daß eine Rechtsverletzung infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm vorliege. Die Beschwerde war sohin abzuweisen.

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