Normen
B-VG-Nov 1975
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
B-VG Art144 Abs1 / Allg
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
EMRK Art5
EMRK Art6 Abs3 litb
FinStrG §16
FinStrG §17 Abs2 lita
FinStrG §19 Abs1
FinStrG §20
FinStrG §35 Abs1
B-VG-Nov 1975
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
B-VG Art144 Abs1 / Allg
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
EMRK Art5
EMRK Art6 Abs3 litb
FinStrG §16
FinStrG §17 Abs2 lita
FinStrG §19 Abs1
FinStrG §20
FinStrG §35 Abs1
Spruch:
1. Der Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid, soweit dieser die Berufung gegen die Verpflichtung zum Wertersatz und die Festlegung der für den Fall der Uneinbringlichkeit an ihre Stelle tretenden Freiheitsstrafe abgewiesen hat, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt worden.
Der Bescheid wird insoweit aufgehoben.
2. Im übrigen ist der Bf. durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Das Zollamt Wien als Finanzstrafbehörde erster Instanz sprach (im zweiten Rechtsgang) mit Straferk. vom 24. Oktober 1978 den Bf. schuldig, am 2. Mai 1975 anläßlich einer Einreise aus der Schweiz eingangsabgabepflichtige Waren, nämlich zwei Teletype-Terminals, vorsätzlich unter Verletzung einer zollrechtlichen Erklärungspflicht dem Zollverfahren entzogen und dadurch das Finanzvergehen des Schmuggels (§35 Abs1 FinStrG) begangen zu haben; es wurde ihm eine Geldstrafe von 10000 S auferlegt (Ersatzfreiheitsstrafe 20 Tage) und auf Wertersatz erkannt (Ersatzfreiheitsstrafe 18 Tage). Seine Berufung gegen das Straferk., in der er die Glaubwürdigkeit des Zeugen R M bestritt, die Unmöglichkeit der Verheimlichung dermaßen sperriger Gegenstände behauptete und unter Hinweis auf den Verlust der Vorsteuerabzugsmöglichkeit leugnete, einen Vorteil erlangt zu haben, blieb erfolglos.
Die gegen die Berufungsentscheidung vom 21. Feber 1980 gerichtete Beschwerde rügt die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes, über ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung der Verteidigung zu verfügen (Art6 Abs3 litb MRK). Der Bf. habe sich von Oktober 1977 bis Oktober 1979 in gerichtlicher Haft befunden und über sein Unternehmen sei der Konkurs eröffnet worden, sodaß es ihm nicht möglich gewesen sei, für seine Rechtfertigung wesentliche Unterlagen beizuschaffen, selbst einzusehen und auf ihre Vollständigkeit zu überprüfen; seine Anträge, Geschäftsunterlagen auszuheben oder zu beschlagnahmen, seien abgewiesen worden.
II. Die Beschwerde ist im Ergebnis teilweise begründet. Der Bf. ist zwar insgesamt nicht im Recht auf ein faires Verfahren, durch die Verurteilung zum Wertersatz aber im Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt worden.
1. Die behauptete Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes leitet der Bf. daraus ab, daß die Behörde in Handhabung der Bestimmungen des FinStrG gegen das in Art6 Abs3 litb MRK verankerte Gebot verstoßen habe, dem Angeklagten ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung zur Verfügung zu stellen. Da die Bestimmungen des FinStrG selbst offenkundig nichts enthalten, was diesem Gebot widersprechen würde, kann aus Anlaß des vorliegenden Beschwerdefalles dahingestellt bleiben, wieweit der - nur zugunsten des Gesetzgebers, nicht auch der Vollziehung erklärte - Vorbehalt Österreichs zu Art5 MRK (daß nämlich die in den Verwaltungsverfahrensgesetzen vorgesehenen Maßnahmen des Freiheitsentzuges unter der in der österreichischen Bundesverfassung vorgesehenen nachprüfenden Kontrolle durch den VwGH oder den VfGH unberührt bleiben) auch die Anwendung des Art6 MRK im Finanzstrafverfahren beschränkt (vgl. dazu VfSlg. 5021/1965, 8111/1977 und 8234/1978). Es ist vielmehr unmittelbar zu prüfen, ob die Behörde das Gesetz in einer gegen Art6 Abs3 litb MRK verstoßenden Weise gehandhabt hat.
Davon kann jedoch keine Rede sein:
Der Bf. erklärte schon bei seiner ersten Vernehmung als Verdächtiger am 17. Dezember 1975, er habe den Verzollungsnachweis für die beiden Rechenmaschinen nicht zur Hand und nehme an, daß sie sich bei seinem Steuerberater befinden. Den Fortgang des Untersuchungsverfahrens in bezug auf diese Unterlagen schildert das Straferk. erster Instanz in Übereinstimmung mit dem Akteninhalt so:
"Er kündigte an, die Verzollungsunterlagen, welche sich bei seinem Steuerberater Dkf. Dr. B befänden, nach Beendigung einer längeren Geschäftsreise Anfang Jänner 1976 beizubringen.
Am 8. 1. 1976 wurde der Beschuldigte fernmündlich vom Zollamt Wien aufgefordert, den Verzollungsnachweis baldigst zu erbringen. Der Beschuldigte sagte dies zu. Am 26. 1. 1976 wurde festgestellt, daß P noch immer nicht den geforderten Nachweis erbracht hatte. Am 27. 1. 1976 kündigte der Beschuldigte die Vorlage der Verzollungsunterlagen über die bereits oben genannte Steuerberatungskanzlei an.
Am 29. 1. 1976 betraute der Beschuldigte Dkfm. Dr. B mit seiner Verteidigung und legte über diesen ein Konvolut von Belegen vor ...'
welche jedoch nicht die den gegenständl. Fall betreffenden Verzollungsnachweise beinhalteten. ...
Am 29. 3. 1976 wurde P über seinen Verteidiger zur Vernehmung geladen. Der Verteidiger teilte jedoch fernmündlich mit, P nicht erreichen zu können. Ein weiterer Vernehmungsversuch am 29. 4. 1976 mißlang abermals.
Am 21. 1. 1977 teilte die Kanzlei Dr. B fernmündlich und sodann am 7. 2. 1977 schriftlich die Vollmachtskündigung durch P mit ...
Anläßlich der am 12. 6. 1977 anberaumten mündlichen Verhandlung kam er der ordnungsgemäß ausgewiesenen Ladung nicht nach und ließ sein Fernbleiben durch seinen nunmehr mit der Verteidigung betrauten Rechtsanwalt Dr. W mit einer dringenden Geschäftsreise entschuldigen. Dr. W versicherte, die Verzollungsunterlagen befänden sich angeblich bei der Speditionsfirma W. Er werde sich bemühen, diese binnen Monatsfrist beizubringen.
Nach Ablauf dieser ihm gewährten Frist konnte der Beschuldigte über seinen Verteidiger den Verzollungsnachweis abermals nicht erbringen. Er behauptete jedoch neuerlich, über die Speditionsfirma W oder durch K & N die verfahrensgegenständlichen Waren einer Verzollung zugeführt zu haben. Eine ihm neuerlich gewährte Frist verstrich ungenützt."
Am 28. September 1977 erklärte der Vertreter des Bf., er habe seinen Mandanten seit 13. Juli 1977 nicht mehr gesehen; dieser habe aber die Beischaffung der Unterlagen selbst übernommen. Nach der Begründung des Urteils des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 15. März 1978, Z 6c Vr 8765/77, hat sich der Bf. nach Zustellung der Anklageschrift wegen des Verbrechens des schweren Betruges im Jahre 1977 bis zu seiner Verhaftung am 18. Oktober 1977 verborgen gehalten. Am 29. September 1977 erließ das Zollamt das erste Straferk., das jedoch von der Berufungsbehörde aufgehoben wurde; die Sache wurde zur Ergänzung des Untersuchungsverfahrens an das Zollamt zurückverwiesen.
In der Folge veranlaßte die Strafbehörde neuerliche Ermittlungen bei den Zollämtern Lustenau und Höchst; sie blieben ohne Ergebnis. Das Straferk. vom 24. Oktober 1978 führt sodann aus:
"Weiters befinden sich Verzollungsunterlagen entgegen der Behauptung des Beschuldigten weder bei der Firma K & N, noch bei der Speditionsfirma W oder Speditionsfirma H noch in der Steuerberatungskanzlei des Dkfm. Dr. B noch beim Masseverwalter der H. P. GesmbH., Dr. S. Auch die damalige Geschäftsführerein I, welche erst im Sommer 1975 aus der Fa. P GesmbH. ausschied, bekräftigte in der mündlichen Verhandlung ihre szt. Aussagen, welchen zufolge P ihr niemals derartige Verzollungsbelege übergeben hatte. Es ist ihr auch nicht erinnerlich, daß irgendeine Speditionsfirma eine Rechnung für die durchgeführte Verzollungsbestätigung gelegt hätte. Als sie P mehrmals nach den entsprechenden Belegen fragte, meinte dieser nur, daß sich die Verzollungsunterlagen beim Spediteur befänden. Die die angebliche Verzollung betreffenden Rechnungen oder Quittungen einer Speditionsfirma konnte der Beschuldigte gleichfalls nicht vorlegen.
Die in der Zeit vom 1. 7. 1975 bis 31. 12. 1975 bei der Fa. P GesmbH. beschäftigt W, die noch von J hinsichtlich ihrer Tätigkeit in der Firma eingeschult worden war, konnte bezüglich der gegenständl. Geräte keine Auskunft geben, erklärte jedoch, daß alle anfallenden Rechnungen etc. regelmäßig der Steuerberatungskanzlei Dr. B übersandt wurden. ...
Nach eingehender Durchsicht aller beim Masseverwalter der Fa. P GesmbH., Rechtsanwalt Dr. S, aufliegenden Geschäftsunterlagen durch ha. Beamte konnte festgestellt werden, daß Verzollungs- und Geschäftsunterlagen ... nicht vorhanden sind."
Am 23. Mai 1978 wurde der verhaftete Bf. vernommen. Er kündigte gerichtliche Schritte gegen den Masseverwalter an und erbat eine längere Frist. Die neuerliche mündliche Verhandlung in der Finanzstrafsache wurde schließlich am 19. September 1978 in Gegenwart des verhafteten Bf. abgehalten und am 6. und 12. Oktober 1978 fortgesetzt.
Insgesamt standen dem Bf. zur Nachforschung nach Unterlagen über die behauptete Verzollung daher rund drei Jahre zur Verfügung. Davon war er fast zwei Jahre auf freiem Fuß. Die Möglichkeit - und Notwendigkeit -, der Belastung durch einen Zeugen den Nachweis der geschehenen Verzollung entgegenzusetzen, war ihm von Beginn des Verfahrens an bekannt. Die in Betracht kommenden Nachforschungen waren gleichfalls klar und von begrenztem Umfang. Auch wenn man die - einschlägige Aktivitäten nicht schlechthin ausschließende - gerichtliche Haft und allerlei Widerwärtigkeiten in Betracht zieht, die das Auffinden eines bestimmten Beleges erschweren mögen, kann daher nicht die Rede davon sein, daß ihm Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung gefehlt hätten. Art6 Abs3 litb MRK gewährleistet nicht, daß das Verfahren so lange andauert, bis der Beschuldigte tatsächlich alles versucht hat, was er selbst für zweckdienlich hält, um Entlastungsmaterial aufzufinden. In dem durch diese Verfassungsbestimmung gewährleisteten Recht ist der Bf. nicht verletzt worden.
2. Gleichwohl ist der Bf. durch den angefochtenen Bescheid in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden. Der im Berufungsweg bestätigte Strafbescheid hat nämlich für die zwei Teletype-Terminals auf Wertersatz erkannt und eine Ersatzfreiheitsstrafe festgelegt. Der Wertersatz ist nach §19 Abs1 FinStrG an die Stelle des Verfalles getreten. Dem Verfall unterliegen nach §17 Abs2 lita FinStrG ohne jede Rücksicht auf ihren Wert die Sachen, hinsichtlich derer das Finanzvergehen begangen wurde. Diese Bestimmung hat der VfGH mit Erk. G34/83-10 vom 14. Dezember 1983 wegen Verstoßes gegen das Gleichheitsgebot als verfassungswidrig aufgehoben. Er hat dabei ausgesprochen, daß die Aufhebung mit Ablauf des 30. November 1984 in Kraft tritt. Im Anlaßfall dieses Gesetzesprüfungsverfahrens ist die aufgehobene Bestimmung nach Art140 Abs7 B-VG nicht mehr anzuwenden. Das bedeutet, daß auch Aussprüchen über den Wertersatz und die an seine Stelle tretende Ersatzfreiheitsstrafe die Grundlage fehlt (vgl. VfSlg. 9976/1984).
Wäre der vorliegende, bereits lange vor Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens anhängig gewordene Beschwerdefall zu einem früheren Zeitpunkt zur Verhandlung gekommen, hätte auch er Anlaß geboten, ein Gesetzesprüfungsverfahren über §17 Abs2 lita FinStrG einzuleiten. Nun hat der VfGH allerdings im Erk. VfSlg. 8234/1978 in Abkehr von einer früheren Rechtsprechung ausgesprochen, daß auf dem Boden der jetzt maßgebenden, durch die B-VG-Nov. BGBl. 302/1975 herbeigeführten Verfassungsrechtslage als "Anlaßfall" iS des Art140 Abs7 B-VG nur eine solche Rechtssache verstanden werden könne, anläßlich der das Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes bereits tatsächlich eingeleitet worden ist. Demnach würde der vorliegende Fall kein Anlaßfall sein.
An dieser Auffassung kann der Gerichtshof jedoch nicht mehr festhalten. Es hängt dann nämlich von den Zufälligkeiten des Geschäftsganges und insbesondere von der Menge und Art der anfallenden Rechtssachen, also ausschließlich von Umständen im Schoße des Gerichtshofes selbst ab, ob ein Beschwerdefall mit Anlaß eines Gesetzesprüfungsverfahrens wird, das bereits aus Anlaß eines anderen Beschwerdefalles eingeleitet worden ist. Oftmals kommt aber die Präjudizialität der in einem anderen Fall in Prüfung gezogenen Norm - weil ihre Anwendung im Verwaltungsverfahren nicht strittig gewesen und daher auch in der Beschwerde nicht zur Sprache gekommen ist - erst im Stadium der Vorbereitung der mündlichen Verhandlung, in der Verhandlung selbst oder sogar erst in der Beratung über die Beschwerde hervor. Es wäre indes nicht gerechtfertigt, einem Bf. nur deshalb den Vorteil des Anlaßfalles zu versagen, weil die Notwendigkeit der Einbeziehung seines Falles in das laufende Gesetzesprüfungsverfahren zu spät erkennbar war. Mag auch der Verfassungsgesetzgeber bloß Beschwerdefälle vor Augen gehabt haben, die tatsächlich zur Einleitung des Gesetzespüfungsverfahrens geführt haben, es kann ihm doch nicht zugesonnen werden, die anderen - leicht eintretenden - Fälle von der Anlaßfallwirkung ausgeschlossen zu haben.
Der VfGH meint daher, dem von Art140 Abs7 B-VG genannten Anlaßfall im engeren Sinn alle jene Fälle gleichhalten zu müssen, die im Zeitpunkt der Ausschreibung der Verhandlung in dem eine präjudizielle Gesetzesstelle betreffenden Gesetzesprüfungsverfahren bereits anhängig geworden sind.
Für den vorliegenden Fall bedeutet das die Unanwendbarkeit der mit dem Verfall zusammenhängenden Bestimmungen des Finanzstrafgesetzes. Soweit die Berufungsbehörde den Strafbescheid unter Anwendung dieser Bestimmungen bestätigt hat, wurde der Bf. im Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt. Insoweit ist der Bescheid aufzuheben.
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