VfGH B4/81

VfGHB4/8115.6.1982

EStG 1972; gleichheitswidrige Anwendung des §8 Abs2 Z1 lita iVm §4 Abs1 und 5

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
EStG §4 Abs1
EStG §8 Abs2 Z1 lita
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
EStG §4 Abs1
EStG §8 Abs2 Z1 lita

 

Spruch:

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer betreibt ein Elektrounternehmen. Seine Firma ist im Handelsregister eingetragen. Er ermittelt den Gewinn gemäß §5 iVm §4 Abs1 Einkommensteuergesetz 1972 (EStG 1972).

Das Finanzamt Deutschlandsberg hat mit Bescheiden, die dem Beschwerdeführer am 7. März 1979 zugestellt wurden, die Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuer für die Jahre 1975 und 1977 festgesetzt.

Die Finanzlandesdirektion für Stmk. hat der dagegen vom Beschwerdeführer erhobenen Berufung mit Bescheid vom 15. Oktober 1980 teilweise Folge gegeben. Die Finanzlandesdirektion hat jedoch - entgegen dem Antrag des Beschwerdeführers - bei der Veranlagung der Einkommen- und Gewerbesteuer 1977 die Kosten für die Errichtung einer Wohnung nicht anerkannt. Diese 75 Quadratmeter große Wohnung war der Tochter des Beschwerdeführers, die in seinem Unternehmen angestellt ist, als "Dienstwohnung" zur Verfügung gestellt worden. Die Finanzlandesdirektion vertrat die Ansicht, daß es sich bei dieser Wohnung um notwendiges Privatvermögen handle, sodaß sie nicht als Betriebsvermögen anerkannt werden könne.

2. Gegen diesen Berufungsbescheid vom 15. Oktober 1980 wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, dies - wie sich aus ihrer Begründung deutlich ergibt - nur soweit, als die der Tochter des Beschwerdeführers zur Verfügung gestellte Wohnung bei der Bemessung der Einkommen- und Gewerbesteuer 1977 nicht als Betriebsvermögen berücksichtigt und daher auch bei der Bemessung der Umsatzsteuer nicht als Vorsteuerabzugspost berücksichtigt wurde. Der Beschwerdeführer behauptet, in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden zu sein. Er beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den VwGH.

3. Die Finanzlandesdirektion für Stmk. hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie begehrt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Dem - auf den Beschwerdeführer anwendbaren - §4 Abs1 EStG 1972 zufolge ist der Gewinn iS dieses Gesetzes der Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluß des Wirtschaftsjahres und dem Betriebsvermögen am Schluß des vorangegangenen Wirtschaftsjahres, vermehrt um den Wert der Entnahmen und vermindert um den Wert der Einlagen.

Dem §8 Abs2 Z1 EStG 1972 zufolge darf bei der Gewinnermittlung eine vorzeitige Abschreibung bei unbeweglichen Wirtschaftsgütern grundsätzlich nicht vorgenommen werden. Ausgenommen von diesem Grundsatz sind ua. nach der lita dieser Gesetzesstelle, "Gebäude, soweit sie für Wohnzwecke betriebszugehöriger Arbeitnehmer bestimmt sind".

Gemäß §6 Abs2 Gewerbesteuergesetz 1953 ist der nach den Vorschriften des EStG zu ermittelnde Gewinn der Gewerbesteuerveranlagung zugrunde zu legen.

2. Strittig ist hier ausschließlich die Frage, ob die von der Tochter des Beschwerdeführers - die in seinem Unternehmen angestellt ist - bewohnte Wohnung zum Betriebsvermögen zu zählen ist, und eine vorzeitige Abschreibung iS des §8 Abs2 Z1 lita EStG 1972 in Betracht kommt.

a) Im angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde ihre ablehnende Haltung wie folgt begründet:

"Protokollierte Gewerbetreibende haben grundsätzlich die Wahl, Wirtschaftsgüter, deren Verwendung sowohl betrieblich als auch privat möglich ist, zum Betriebsvermögen zu erklären und so in die Gewinnermittlung nach §5 EStG 1972 einzubeziehen (gewillkürtes Betriebsvermögen). Wirtschaftsgüter, die nur der privaten Bedürfnisbefriedigung dienen, kommen hiefür als notwendiges Privatvermögen nicht in Betracht.

Zur Frage der Betriebsbedingtheit der Angestelltenwohnung für M. St. wurde vom Bw. hervorgehoben, daß auch die Bereitstellung dieser aus rein betrieblichen Erwägungen erfolgte nicht zuletzt, um eine verläßliche Arbeitskraft an den Betrieb zu binden - und daß die Wohnung bei der Gehaltsabrechnung seiner Tochter auch als Sachbezug entsprechend berücksichtigt werde (S 975,-).

Nach den Feststellungen des Finanzamtes hat die - im übrigen unverheiratete - Tochter des Bw. bis zur Beendigung der Wohnungsadaptierungen im Hausverband der Eltern gewohnt. Die Kücheneinrichtung der strittigen Wohnung wurde weiters von der Firma St. finanziert (S 27.051,-), die sonstige Wohnungseinrichtung hat zur Gänze die Tochter M. getragen.

Demgegenüber ist festzuhalten, daß die gesamte Einrichtung der zweitadaptierten Wohnung mit Ausnahme einer Waschmaschine vom Bw. bereitgestellt worden ist, und zwar mit Gegenständen, die aus dem Altbestand herrührten. Diese Wohnung wird dem interimsmäßigen technischen Firmenberater sowie den sonstigen Arbeitnehmern unentgeltlich zur Benutzung überlassen.

Augenscheinlich ist somit, daß die Wohnung der Tochter M. hinsichtlich Größe als auch (Teil-)Ausstattung gegenüber derjenigen für sonstige Arbeitnehmer einen erhöhten Wohnkomfort aufweist, wie er sonst bei vergleichbaren Betrieben alleinstehenden fremden Dienstnehmern nicht zugebilligt wird.

Auch werden bestandrechtsähnliche, nur für die Dauer eines Dienstverhältnisses gültige entgeltliche Wohnungsnutzungsverträge im Regelfall schriftlich abgeschlossen und weist das Fehlen einer schriftlichen Vereinbarung darüber, daß die Tochter bei Beendigung des Dienstverhältnisses die von ihr im weiteren selbst eingerichtete Wohnung tatsächlich zwingend zu räumen habe, gleichfalls auf außerbetriebliche Interessensabwägungen hin.

Das Finanzamt konnte daher schlüssig davon ausgehen, daß die Zurverfügungstellung dieser Wohnung aus Gründen einer privaten Wohnversorgung der zuvor im Hausverband der Eltern wohnenden Tochter erfolgte.

Die bloß formale Behandlung als Betriebsvermögen - z.B. Ausweisung als Anlagevermögen, Berücksichtigung als Sachbezug kann aber bei Vorhandensein entgegenstehender Sachverhaltsmerkmale auch im Falle protokollierter Gewerbetreibender keine Betriebszugehörigkeit von Wirtschaftsgütern begründen. Die Wohnung der Tochter M. war daher als notwendiges Privatvermögen anzusehen und die Vornahme der vorzeitigen Abschreibung gemäß §8 EStG 1972 zu versagen (vgl. dazu VwGH-Erk. vom 1. 2. 1980, Zahlen 1535, 1747, 1748/79, und Erk. vom 1. 2. 1980, Zahlen 732, 908, 3413/79)."

b) Der Beschwerdeführer hält dieses Vorgehen der Behörde für denkunmöglich und willkürlich.

Den von der Behörde herangezogenen Erk. des VwGH sei ein völlig anderer Sachverhalt zugrunde gelegen.

Die Wohnung, um die es gehe, sei 75 Quadratmeter groß und liege unter dem Durchschnitt der im sozialen Wohnungsbau geförderten Wohnungsgrößen von 60 bis 130 Quadratmeter. Die Tochter des Beschwerdeführers sei nicht als Betriebsübernehmer vorgesehen; sie habe keine Familie, bewohne die Wohnung allein und habe sie im Falle der Beendigung ihres Dienstverhältnisses zu räumen. Die Wohnung liege im gleichen Haus wie die Geschäftsräume. Er (der Beschwerdeführer) wohne nicht in diesem Gebäude. Betriebliche Notwendigkeiten erforderten aber die ständige Anwesenheit einer Vertrauensperson im Haus. Die Tätigkeit seiner (des Beschwerdeführers) Tochter sei mit der eines Prokuristen in einem Handelsunternehmen vergleichbar, sodaß die Größe der ihr als Teil ihres Einkommens zur Verfügung gestellten Wohnung ihrer Stellung und Leistung im Betrieb adäquat sei.

Die von der belangten Behörde ins Treffen geführten Beurteilungskriterien reduzierten sich unter Bedachtnahme darauf, daß die Zurverfügungstellung der Wohnung ein Sachbezug (somit ein Teil des für die Dauer der Dienstleistung geschuldeten Entgeltes) sei, auf die Tatsache, daß die Dienstnehmerin, die die vom Beschwerdeführer aus Betriebsmitteln geschaffene Wohnung bewohne, seine Tochter sei und mit ihm bis zum Jahre 1977 im gemeinsamen Familienverband gelebt habe. Wäre die Dienstnehmern nicht seine Tochter, sondern eine zu ihm fremde Person, so hätte die belangte Behörde die Wohnung zweifellos als Betriebsvermögen anerkannt.

Die belangte Behörde habe in sachlich nicht gerechtfertigter Weise das zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Tochter bestehende Abstammungsverhältnis zur Grundlage einer unterschiedlichen Behandlung vor dem Gesetz gemacht.

Der Behörde sei ein mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellender Fehler unterlaufen: Aus dem Wortlaut und dem Sinn des §8 Abs2 Z1 lita EStG 1972 ergebe sich, daß diese Bestimmung immer dann anzuwenden sei, wenn aus Betriebsmitteln Gebäude, welche für Wohnzwecke betriebszugehöriger Arbeitnehmer (dauernd) bestimmt sind, geschaffen werden. Es könne kein einleuchtender Grund gesehen werden, die Zuordnung einer derartigen Wohnung zum Betriebsvermögen abzulehnen, wenn sie tatsächlich als Dienstnehmerwohnung für Betriebsangehörige genützt wird.

3. Der VfGH hat unter dem Gesichtspunkt des vorliegenden Beschwerdefalles gegen die bei der Erlassung des bekämpften Bescheides angewendeten Rechtsvorschriften keine verfassungsrechtlichen Bedenken; auch der Beschwerdeführer bringt in dieser Hinsicht nichts vor. Demnach könnte die von ihm behauptete Verletzung des Gleichheitsrechtes gemäß der ständigen Rechtsprechung des VfGH (s. zB VfSlg. 8823/1980) nur vorliegen, wenn die Behörde bei der Erlassung des Bescheides Willkür geübt oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hätte. Letzteres fällt ihr nach Ansicht des VfGH tatsächlich zur Last.

Die einem Betriebsinhaber gehörigen Wirtschaftsgüter sind entweder dem Betriebsvermögen oder dem Privatvermögen zuzuordnen. Nach §5 EStG 1972 ist bei Gewerbetreibenden, deren Firma - wie hier - im Handelsregister eingetragen ist, unter Beachtung der Vorschriften dieses Bundesgesetzes über die Gewinnermittlung für den Schluß des Wirtschaftsjahres das Betriebsvermögen anzusetzen (§4 Abs1 erster Satz), das nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchhaltung auszuweisen ist. Nach diesen Grundsätzen, die zum Teil auf Bestimmungen des Handelsrechtes fußen, zum Teil durch die Rechtsprechung herausgebildet sind oder auf allgemeiner kaufmännischer Übung beruhen, ist zu unterscheiden zwischen Gegenständen, die dem Betriebsvermögen oder dem Privatvermögen des Kaufmannes zugerechnet werden müssen (sogenanntes notwendiges Betriebsvermögen oder notwendiges Privatvermögen) und solchen, bei denen es dem Entschluß des Kaufmannes vorbehalten bleibt, ob er einen Gegenstand als Teil des Betriebsvermögens ansieht (sogenanntes gewillkürtes Betriebsvermögen - vgl. Schimetschek, Die Schaffung gewillkürten Betriebsvermögens, Finanzjournal, 1976, S 53, und die dort zitierte Judikatur des VwGH).

Nach der ständigen Judikatur des VwGH (zB VwSlg. 2492 F/1961, 3703 F/1968 und 5324 F/1978) findet die "willkürliche" Aufnahme von Wirtschaftsgütern in die Bilanz eines Vollkaufmannes ihre Grenze dort, wo es sich um notwendiges Privatvermögen handelt. Der VwGH folgert daraus, daß eine vorzeitige Abschreibung nach §8 EStG 1972 nur dann in Betracht kommt, wenn das Wirtschaftsgut zum (notwendigen oder gewillkürten) Betriebsvermögen gehört, daß sie dann aber ausgeschlossen ist, wenn es notwendiges Privatvermögen ist (vgl. zB VwSlg. 5324 F/1978; VwGH 10. 10. 1978 Z 195/78).

Der VwGH judiziert, daß notwendiges Privatvermögen dann vorliegt, wenn das Wirtschaftsgut überwiegend die private Lebenssphäre berührt (vgl. VwSlg. 2056 F/1959 und 3607 F/1967). Gewillkürtes Betriebsvermögen können nach Meinung des VwGH nur Gegenstände sein, die in einem gewissen objektiven Zusammenhang mit dem Betrieb stehen bzw. geeignet sind, eine entsprechende Funktion im Betriebsgeschehen zu erfüllen (vgl. zB VwSlg. 3055 F/1964; VwGH 25. 9. 1964 Z 1164/63, 3. 12. 1965 Z 2199, 2200/64 und 16. 1. 1973 Z 629/72).

Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung des VwGH ist festzuhalten, daß sich die Argumente der belangten Behörde, welche die Größe und Ausstattung der Wohnung sowie das Fehlen eines schriftlichen Vertrages über die Wohnungsnutzung betreffen, bei der hier gegebenen objektiven Sachlage als eine zur Stützung ihrer Auffassung untaugliche Begründung darstellen. Die belangte Behörde stellte das Bestehen eines (von ihr abgabenrechtlich offenkundig stets voll anerkannten) Dienstverhältnisses zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Tochter in der Dauer von mehr als 15 Jahren ebensowenig in Abrede wie die vom Beschwerdeführer aufgestellte Behauptung, daß seine Tochter in dem 14 Dienstnehmer umfassenden Betrieb eine leitende Stellung bekleide. Bei diesen Gegebenheiten ist es nicht im mindesten gerechtfertigt, aus der Wohnungsgröße von 75 Quadratmeter den Schluß zu ziehen, daß eine solche Wohnung einem vergleichbaren anderen Angestellten nicht zur Verfügung gestellt worden wäre. Auch die Annahme der belangten Behörde, es sei ein "erhöhter Wohnkomfort" gegeben, ist nicht haltbar. Es geht nicht an, von einem solchen Wohnkomfort zu sprechen, wenn der Dienstnehmer die Wohnung praktisch allein einrichtet und der Dienstgeber bloß eine Kücheneinrichtung im - verhältnismäßig geringen - Wert von rund S 27.000,- beistellt. Schließlich ist es auch nicht haltbar, aus dem Nichtvorliegen eines schriftlichen Vertrages über die Wohnungsnutzung bei der hier gegebenen Situation diese weitreichenden Schlußfolgerungen zu ziehen, ohne überhaupt festzustellen, ob ein schriftlicher Dienstvertrag vorliegt. Sind aber die eben behandelten Umstände absolut ungeeignet, den von der belangten Behörde eingenommenen Standpunkt zu stützen, so erweist sich das Abstellen auf das nahe Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Angestellten als das sodann verbleibende einzige Argument, welches aber ebenfalls untauglich ist. Da eine Rechtsvorschrift, die eine Unterscheidung (ausschließlich) nach diesem Gesichtspunkt träfe, ganz offenkundig gegen das auch den Gesetzgeber bindende Gleichheitsgebot verstoßen würde (vgl. zB VfSlg. 8709/1979), erweist sich auch eine inhaltlich entsprechende Rechtsanwendung als Verstoß gegen den Gleichheitssatz.

4. Der bekämpfte Bescheid war aus diesen Gründen als verfassungswidrig aufzuheben, sodaß ein Eingehen auf die weiteren Beschwerdeausführungen entbehrlich war.

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