VfGH B464/78

VfGHB464/7814.5.1981

Bundesstraßengesetz 1971; keine Bedenken gegen §18 Abs2; zur Frage der Parteistellung im Enteignungsverfahren; keine Parteistellung der Eigentümer von Superädifikaten; kein Entzug des gesetzlichen Richters

Normen

B-VG Art83 Abs2
StGG Art5
ABGB §435
AVG §8
BStG 1971 §17
BStG 1971 §18 Abs2
EisenbahnenteignungsG §5
EisenbahnenteignungsG §25 Abs4
EisenbahnenteignungsG §30 Abs1
B-VG Art83 Abs2
StGG Art5
ABGB §435
AVG §8
BStG 1971 §17
BStG 1971 §18 Abs2
EisenbahnenteignungsG §5
EisenbahnenteignungsG §25 Abs4
EisenbahnenteignungsG §30 Abs1

 

Spruch:

1. Das Verfahren wird hinsichtlich der Beschwerdeführer W.D., J.K., R.M., L.N., J.N., J.P., F.S. und J.Z. eingestellt.

2. Die Beschwerde der übrigen Beschwerdeführer wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Kundmachung vom 13. Dezember 1977 leitete der Landeshauptmann von Wien zum Zweck der Herstellung eines Teilstückes der Donauufer-Autobahn A 22, Abschnitt Landesgrenze Wien/Niederösterreich - Nordbrücke, ein Enteignungsverfahren ein. Diese Kundmachung wurde im Amtsblatt der Stadt Wien verlautbart und an der Amtstafel angeschlagen; überdies wurde sie dem Chorherrenstift Klosterneuburg als alleinigen Grundeigentümer der beanspruchten Liegenschaften zugestellt.

Mit einer Eingabe vom 18. Jänner 1978 erhoben der Kleingärtner- und Siedlerverein "Schwarzlackenau" sowie drei weitere Beschwerdeführer des verfassungsgerichtlichen Verfahrens Einwendungen. Sie brachten vor, als Eigentümer von Superädifikaten auf den zu enteignenden Liegenschaften Beteiligtenstellung in Anspruch zu nehmen.

Bei der am 23. Jänner 1978 durchgeführten mündlichen Enteignungsverhandlung erklärten diese vier Personen sowie die übrigen Beschwerdeführer dieses verfassungsgerichtlichen Verfahrens Parteistellung gemäß §8 AVG in Anspruch zu nehmen. Auch hiebei stützten sie sich auf die Qualifikation ihrer Rechtsstellung als "Eigentümer von Superädifikaten".

Im Protokoll der Verhandlung heißt es sodann:

"Der Verhandlungsleiter gibt zu der Enteignungsverhandlung folgende

Verfahrensanordnung bekannt:

Die von den Bestandnehmern hinsichtlich der von ihnen auf Pachtgründen errichteten bzw. erworbenen Objekte geltend gemachte Parteistellung wird nicht anerkannt. Sie haben ihre Ansprüche auf Befriedigung aus der Entschädigung vor den zuständigen ordentlichen Gerichten gemäß §20 Abs5 Bundesstraßengesetz geltend zu machen (vgl. Erk. des VwGH vom 7. Juni 1977, Zl. 63/75)."

Dies werteten die Beschwerdeführer als mündlich verkündeten und in der Niederschrift beurkundeten Bescheid und erhoben dagegen Berufung an den Bundesminister für Bauten und Technik. Die Berufungswerber beantragten, den Bescheid dahin abzuändern, daß ihre Parteistellung im Enteignungsverfahren anerkannt werde, in eventu den Bescheid zu beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides über die Parteistellung der betroffenen Einschreiter an die Behörde erster Instanz zu verweisen.

Mit Bescheid des Bundesministers für Bauten und Technik vom 6. Juli 1978 wurden die Berufungen abgewiesen; weiters wurde ausgesprochen, daß den Beschwerdeführern in dem vom Landeshauptmann von Wien zum Zweck der Enteignung von Grundflächen aus dem Grundeigentum des Stiftes Klosterneuburg geführten Verfahren keine Parteistellung zuerkannt werde.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den VfGH, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Unverletzlichkeit des Eigentums und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides, in eventu die Abtretung an den VwGH beantragt wird.

Die belangte Behörde hat in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Hinsichtlich der Beschwerdeführer W.D., J.K., R.M., L.N., J.N., J.P., F.S. und J.Z. wurde die Beschwerde mit Schriftsatz vom 19. September 1978 zurückgezogen.

Das Verfahren wird daher, soweit es sich auf die genannten Beschwerdeführer bezieht, eingestellt.

III. Der VfGH hat über die Beschwerde der übrigen Beschwerdeführer erwogen:

1. Die Beschwerdeführer machen geltend, durch den Bescheid, mit dem ihnen Parteistellung im gegenständlichen Enteignungsverfahren verweigert wurde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden zu sein.

Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH kann auch durch die rechtswidrige Nicht-Anerkennung der prozessualen Parteienrechte jemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden, dies aber nur dann, wenn aus diesem Grund eine Sachentscheidung verweigert wird (vgl. VfSlg. 3813/1960, 3884/1961, 5496/1967, 6746/1972). Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird dabei nach der Rechtsprechung des VfGH jedenfalls dann verletzt, wenn die Verweigerung der Sachentscheidung durch Zurückweisung einer verfahrensrechtlich zulässigen Berufung (vgl. VfSlg. 4021/1961, 5230/1966, 5448/1967) aus dem Grund erfolgt, daß die Unzulässigkeit der Berufung zu Unrecht mit dem Mangel der Parteistellung des Berufungswerbers begründet ist (vgl. VfSlg. 6216/1970 mit Hinweisen auf Vorjudikatur).

Wäre daher im vorliegenden Fall über die Parteistellung der Beschwerdeführer nicht gesondert mit Bescheid abgesprochen worden, sondern im Zuge der meritorischen Entscheidung die Parteistellung verneint worden, so hätte der VfGH nach seiner ständigen Rechtsprechung die Rechtmäßigkeit der Verweigerung der Parteistellung unter dem Gesichtspunkt des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter zu prüfen. Der VfGH sieht keinen Grund, den dieser Rechtsprechung zugrundeliegenden Gedanken nicht auch auf einen Fall wie den vorliegenden anzuwenden, in dem auf Grund einer spezifischen prozessualen Situation die behördliche Entscheidung, mit der den Beschwerdeführern Parteistellung (im Enteignungsverfahren) verweigert wurde, nicht als Zurückweisung einer Berufung, sondern als gesonderter Abspruch über die Parteistellung selbst ergangen ist. Vielmehr vermeint der VfGH, daß das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter auch dann verletzt wird, wenn in einem abgesonderten Bescheid nur über die Parteistellung abgesprochen und diese zu Unrecht verneint wird, was eine bindende Wirkung für das Hauptverfahren hat, auf das sich die Parteistellung bezieht und sich dort dahin gehend auswirkt, daß der Person gegenüber, der die Parteistellung aberkannt wird, im Hauptverfahren eine Sachentscheidung begrifflich gar nicht mehr ergehen kann. Sie ist nämlich dadurch gehindert, ihre Sache vor der Behörde geltend zu machen und wird daher auf diese Weise ihrem gesetzlichen Richter entzogen.

Führt aber die rechtswidrige Verweigerung der prozessualen Parteienrechte zu einer Verweigerung einer Entscheidung in der Sache selbst, so wird das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt (vgl. VfSlg. 3884/1961, 5496/1967), gleichviel in welcher Form die getroffene Entscheidung unter dem Gesichtspunkt der spezifischen verfahrensrechtlichen Situation ergeht (vgl. VfSlg. 8279/1978).

Soweit Entscheidungen des VfGH (wie insb. VfSlg. 5551/1967) auf der Ansicht beruhen, daß die rechtswidrige Verweigerung einer Entscheidung in der Hauptsache durch die Verweigerung der Parteistellung dann nicht zu einer Verletzung des Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter führt, wenn die Entscheidung über die Parteistellung selbst die Sachentscheidung ist, über die die Behörde abzusprechen hatte, kann der VfGH diese Ansicht aus den genannten Gründen nicht aufrechterhalten. Denn entscheidend für die Beantwortung der Frage, ob das Grundrecht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt ist, ist nicht die prozessuale Zufälligkeit der von der Behörde gewählten Entscheidungsform, sondern der Effekt der rechtswidrigen Verweigerung einer Entscheidung in merito durch eine behördliche Entscheidung.

Der Gerichtshof hatte daher zu prüfen, ob die Verweigerung der Parteistellung zu Recht erfolgte.

2. Gemäß §17 Bundesstraßengesetz 1971, BGBl. 286/1971, (in der hier geltenden Stammfassung) kann für die Herstellung von Bundesstraßen samt den zugehörigen baulichen Anlagen sowie aus Verkehrsrücksichten das Eigentum an Liegenschaften, die dauernde oder zeitweilige Einräumung, Einschränkung und Aufhebung von dinglichen Rechten an solchen im Wege der Enteignung in Anspruch genommen werden. Das gleiche gilt für Baulichkeiten und sonstige Anlagen, deren Entfernung sich aus Gründen der Verkehrssicherheit als notwendig erweist.

Dabei gilt als Enteigneter gemäß §18 Abs2 BStG 1971 derjenige, welchem der Gegenstand der Enteignung gehört oder dem ein dingliches Recht zusteht.

Wie die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes in übereinstimmender und ständiger Rechtsprechung erkannt haben, bewirkt diese Rechtslage, daß Partei im Enteignungsverfahren jeder ist, dem der Gegenstand der Enteignung gehört oder dem an einem Gegenstand der Enteignung ein dingliches Recht zusteht. Nur gegen diese Personen richtet sich das Enteignungsverfahren (vgl. VfSlg. 5271/1966, 7810/1976, VfSlg. 8620/1979; VwGH 24. 2. 1960 Z 2639/59, 7. 6. 1977 Z 63/75 ua.).

3. Gegen die Regelung des §18 Abs2 BStrG hat der Gerichtshof keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Wohl greift der Enteignungsbescheid nach der Rechtsprechung des OGH auch in das Recht des Bestandnehmers des enteigneten Grundstückes ein, denn der Enteignungswerber erlangt originäres Eigentum, sodaß obligatorische Rechte Dritter erlöschen (vgl. insoweit OGH SZ 40/110, MietSlg. 20.199), und das Bestandrecht ist als vermögenswertes Privatrecht nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH Eigentum iS des Art5 StGG. Es steht dem Gesetzgeber aber frei, an die bloß schuldrechtliche - also relative - Natur des Bestandrechts anzuknüpfen, die Benützung der Sache durch den Bestandnehmer im Rahmen des Verfahrens gegen den durch den Bestandvertrag zur Wahrung der Interessen des Bestandnehmers verhaltenen Eigentümer zu berücksichtigen und den auf ihn entfallenden Teil der Entschädigung mit der Entschädigung des Eigentümers zu verbinden (nach §5 des sinngemäß anwendbaren EisenbahnenteignungsG ist bei der Ermittlung der Entschädigung auch auf die Nachteile Rücksicht zu nehmen, die die Bestandnehmer durch die Enteignung erleiden, und deren Vergütung dem Enteigneten obliegt; der auf die Vergütung dieser Nachteile entfallende Betrag ist nach §30 Abs1 iVm §25 Abs4 leg. cit. auch besonders zu bestimmen). Die Entscheidung im Entschädigungsverfahren bindet mangels Beteiligung des Bestandnehmers im Verhältnis des Eigentümers zum Bestandnehmer nicht. Daher wird auch über die Entschädigung des Bestandnehmers in diesem Verfahren nicht abgesprochen (vgl. auch OGH SZ 42/95).

4. Auf Basis dieser Rechtslage hat die belangte Behörde die Parteistellung der Beschwerdeführer zu Recht verneint. Denn diese machen Ansprüche nicht als Eigentümer oder dinglich Berechtigte an den enteigneten Grundstücken geltend. Sie behaupten vielmehr, daß durch die Enteignung der Liegenschaften "zwangsläufig" auch ihre Grundbenutzungsrechte und die auf den enteigneten Liegenschaften befindlichen Überbauten (iS des §435 ABGB) enteignet worden seien.

a) Es bedarf keiner näheren Erörterung, daß den Beschwerdeführern nach der dargelegten Rechtslage insoweit keine Parteistellung zukommt, als sie Berechtigte aus einem die Errichtung von Bauwerken sowie deren befristete Belassung einschließenden obligatorischen Grundbenützungsrecht sind.

b) Die Beschwerdeführer meinen allerdings, daß die in Rede stehenden Baulichkeiten auf den enteigneten Grundstücken Superädifikate iS des §435 ABGB seien, an denen ihnen selbständiges Eigentum zustünde.

Es kann nun der belangten Behörde nicht vorgeworfen werden, daß sie nicht geprüft hat, ob die Behauptung der Beschwerdeführer zutrifft, daß es sich bei den Baulichkeiten auf den in Enteignung gezogenen Grundflächen um Superädifikate iS des §435 ABGB handle. Sie ist nämlich zu Recht davon ausgegangen, daß den Beschwerdeführern selbst dann, wenn ihre Behauptung zuträfe, keine Parteistellung im Enteignungsverfahren zukommt:

Als Superädifikate werden, wie in der Begründung des angefochtenen Bescheides richtig ausgeführt ist, Bauwerke bezeichnet, die auf fremdem Grund zur Errichtung gelangen und nicht Zugehör dieses Grundes, sondern Gegenstand selbständigen Eigentums sind (vgl. Angst,

Die rechtliche Behandlung von Überbauten, ÖJZ 1972, 119; Koziol - Welser, Grundriß des Bürgerlichen Rechts II, 5. Auflage, 8). Als Voraussetzung dieser rechtlichen Selbständigkeit verlangt §435 ABGB, daß es sich um Bauwerke handelt, die auf fremdem Grund in der Absicht aufgeführt sind, dort nicht ständig zu verbleiben. Eine solide Bauweise schließt die Überbaueigenschaft nicht aus (vgl. Klang, in:

Klang, 2. Auflage, II, 12, 27, 370; Koziol - Welser, 7), doch muß in diesem Fall das Recht zur Benützung der Grundfläche unter dem Bauwerk zeitlich begrenzt sein (vgl. OGH v. 21. 1. 1948, SZ 21/57; v. 7. 6. 1966, JBl. 1966, 618).

Diese Überbauten, die als bewegliche Sache gelten (vgl. Koziol - Welser, 7 f.), "werden von den rechtlichen Schicksalen des Grundes, auf dem sie stehen, nicht berührt, da sie nicht dessen Zugehör sind" (Klang, 371). Sie verbleiben daher auch nach einer Enteignung der Liegenschaft weiter im Eigentum der bisherigen Eigentümer.

Im vorliegenden Fall war der Enteignungsantrag vom 22. November 1977 nur auf Enteignung bestimmter bezeichneter Grundflächen gerichtet, die im Eigentum des Chorherrenstiftes Klosterneuburg standen. Auch in der mündlichen Verhandlung vom 23. Jänner 1978 wurde vom Vertreter der Bundesstraßenverwaltung in Erwiderung zum Vorbringen, die Beschwerdeführer hätten als Eigentümer von Superädifikaten Parteistellung, ausdrücklich erklärt, die Enteignung richte sich nur gegen den Liegenschaftseigentümer und an der Liegenschaft selbst dinglich Berechtigte (vgl. Niederschrift, Seite 4).

Da somit Gegenstand des Enteignungsverfahrens nicht das Eigentum an den allenfalls bestehenden Superädifikaten war, kann den Eigentümern solcher Superädifikate aus diesem Titel im gegenständlichen Enteignungsverfahren auch keine Parteistellung zukommen.

c) Die belangte Behörde hat daher den Beschwerdeführern zu Recht keine Parteistellung zuerkannt. Der angefochtene Bescheid verletzt daher das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nicht.

5. Unter diesen Umständen sowie angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der die behördliche Entscheidung tragenden Rechtsvorschriften (vgl. Pkt. III.3.) ist es auch ausgeschlossen, daß die Beschwerdeführer in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt worden wären.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte