OLG Wien 132Bs129/17s

OLG Wien132Bs129/17s19.5.2017

Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Dr. Dostal als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. Neubauer und Dr. Vetter als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen Markus L***** wegen §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 1 Z 1 StGB über die Beschwerde des Genannten gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 10. April 2017, 111 Hv 111/16f-50, nichtöffentlich den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OLG0009:2017:1320BS00129.17S.0519.000

 

Spruch:

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

Markus L***** wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 21. November 2016 (ON 21), rechtskräftig abgeändert durch die Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien vom 20. März 2017 (ON 41), wegen des Vergehens nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 1 Z 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zweieinhalb Jahren verurteilt. Unter einem wurde gemäß § 494 a Abs 4 StPO iVm § 53 Abs 1 StGB die dem Angeklagten mit Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau vom 10. März 2015, GZ 22 BE 16/15v (nunmehr 187 BE 125/15t des Landesgerichts für Strafsachen Wien), gewährte bedingte Entlassung widerrufen. Der Strafrest beträgt ein Jahr.

Mit Eingabe vom 24. März 2017 (ON 42) beantragte Markus L***** einen Strafaufschub nach § 39 SMG.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Landesgericht für Strafsachen Wien den gestellten Antrag ab (ON 50) und führte - unter Verweis auf Pieber in WK2 StVG § 6 Rz 9 - zusammengefasst begründend aus, dass die verhängte Freiheitsstrafe und jener Strafrest, dessen bedingte Nachsicht zugleich mit dem Urteil widerrufen wurde, Gegenstand ein und derselben Strafvollzugsanordnung seien und gemeinsam die zu vollziehende Freiheitsstrafe im Sinne des § 6 Abs 1 StVG bilden würden. Um einer – nach dem Willen des Gesetzgebers – mit § 494a StPO angestrebten „Gesamtregelung“ der Straffrage nahezukommen, sei es daher (unter Berufung auf OLG Wien 33 Bs 102/15i, 17 Bs 14/17h und 22 Bs 31/14h; Nimmervoll, Praxisfragen zu § 39 SMG, ÖJZ 2013/78 [713f]) sachgerecht, den aufgrund des gleichzeitigen Widerrufs zu vollziehenden Strafrest (auch) als Teil der „verhängten Freiheitsstrafe“ im Sinne des § 39 Abs 1 SMG zu betrachten, der damit bei der Entscheidung, ob nach dieser Bestimmung ein Aufschub des Vollzugs der aktuell verhängten Strafe zu gewähren ist, deren Schicksal teile. Konkret betrage die aus dem Urteil und dem Widerrufsbeschluss resultierende, zu vollziehende Freiheitsstrafe dreieinhalb Jahre und übersteige damit die gesetzliche Höchstgrenze des § 39 Abs 1 SMG. Aufgrund des vorgelegten Gutachtens würden die übrigen Aufschubsvoraussetzungen vorliegen.

Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des Verurteilten (ON 51), mit der er moniert, dass sich die Überschreitung der 3-Jahres-Grenze nach der verhängten Strafe ohne Einbeziehung des Widerrufs zu richten habe.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 39 Abs 1 Z 1 SMG ist der Vollzug einer nach diesem Bundesgesetz „außer nach § 28a Abs 2, 4 oder 5“ oder wegen einer wegen einer Straftat, die mit der Beschaffung von Suchtmitteln in Zusammenhang steht, verhängten Geldstrafe oder drei Jahre nicht übersteigenden Freiheitsstrafe nach Anhörung der Staatsanwaltschaft – auch noch nach Übernahme in einen Strafvollzug (§ 3 Abs 4 StVG) – für die Dauer von höchstens zwei Jahren aufzuschieben, wenn der Verurteilte an Suchtmittel gewöhnt ist und sich bereit erklärt, sich einer notwendigen und zweckmäßigen ihm nach den Umständen möglichen und zumutbaren und nicht offenbaren aussichtslosen gesundheitsbezogenen Maßnahme, gegebenenfalls einschließlich einer bis zu sechs Monate dauernden stationären Aufnahme, zu unterziehen.

Auch wenn die Regelung des § 39 SMG am ehesten mit den Formen des Aufschubs des Strafvollzugs nach dem StVG vergleichbar ist und ursprünglich als Sonderform zu § 6 StVG konstruiert war, sind seit der SMG-Novelle 2007 die Voraussetzungen nunmehr autonom zu prüfen (Litzka/Matzka/Zeder SMG2 § 39 Rz 4).

§ 39 Abs 1 SMG stellt dem Wortlaut nach hinsichtlich der Höchstdauer der aufzuschiebenden Freiheitsstrafe auf die „verhängte … drei Jahre nicht übersteigenden Freiheitsstrafe“ ab und nicht wie § 6 StVG im Hinblick auf den Aufschub des Strafvollzugs aus anderen Gründen auf das Ausmaß der zu „vollziehende Freiheitsstrafe“. Das Schicksal von mit dem Urteil ergangenen Beschlüssen auf Widerruf von Strafen oder Strafresten ist in § 39 Abs 1 SMG nicht geregelt (vgl auch Nimmervoll, ÖJZ 2013/78 S 714 mwN).

Allerdings ist bereits aus der vom Gesetzgeber gewählten Betitelung des § 39 SMG mit „Aufschub des Strafvollzugs“ abzuleiten, dass es nicht auf die Dauer der verhängten, sondern auf die Dauer der zu vollziehenden Freiheitsstrafe ankommt (Birklbauer/Keplinger, SMG-Praxiskommentar S 236). Für diese Interpretation spricht auch, dass bei Verhängung einer teilbedingten Strafe, nur der zu vollziehende (unbedingte) Teil der Freiheitsstrafe den Ausschlag für die Anwendbarkeit des § 39 SMG gibt und nicht auf die Gesamtdauer der mit Urteil verhängten Freiheitsstrafe abgestellt wird (Schwaighofer in WK² SMG § 39 Rz 13; Birklbauer/Keplinger, SMG-Praxiskommentar S 236; Hinterhofer/Rosbaud, Kommentar zum SMG § 39 Rz 11; zu § 6 StVG:

RIS-Justiz RS0087426, insb 15 Os 131/89; ausdrücklich darauf bezugnehmend: 946 der Beilagen XVIII. GP, S 15), die „verhängte Strafe“ insofern der „zu vollziehenden Strafe“ iSd § 6 Abs 1 StVG gleichgesetzt wird.

Aus den eben zitierten Beilagen ergibt sich, dass der Gesetzgeber mit einer vorgeschlagene Neufassung des § 6 StVG der Entscheidung 15 Os 131/89, wonach es für einen Strafaufschub bei teilbedingten Freiheitsstrafen ebenso wie beim Vollzug von Strafresten auf die Dauer jener „Freiheitsstrafe“ ankommt, die den Gegenstand der Strafvollzugsanordnung bildet, Rechnung tragen wollte. Wie von Pieber (mit ausführlicher Begründung inWK² StVG § 6 Rz 19) zutreffend argumentiert, ist der in den EBRV (auch) zu findende (missverständliche) Satz, dass eine Zusammenrechnung mehrerer Strafteile oder Strafreste weiterhin nicht in Betracht kommen solle, so zu verstehen, dass nur in verschiedenen Strafurteilen widerrufene Strafreste oder -teile nicht zusammenzurechnen sind.

Die Anordnung des Vollzugs des Strafurteils (dh der Erlass der Strafvollzugsanordnung iSd § 3 Abs 1 StVG) steht gem § 7 Abs 1 StVG und § 397 letzter Satz StPO dem Vorsitzenden des erkennenden Gerichtes zu. Wenn gleichzeitig mit dem Urteil ein Widerrufsbeschluss gem § 494a Abs 4 StPO gefasst wurde, ist das den Widerruf der bedingten Nachsicht oder bedingten Entlassung aussprechende Gericht auch erkennendes Gericht iSd § 397 StPO, sodass diesem auch die Anordnung des Vollzugs der Widerrufsentscheidung obliegt (RIS-Justiz RS0101517, Pieber in WK² StVG § 3 Rz 6).

Mit Blick auf die genannten Umstände ist sohin davon auszugehen, dass fallkonkret die (insgesamt) zu vollziehende, den Gegenstand der Strafvollzugsanordnung bildenden Strafe, von dreieinhalb Jahren der Anwendung des § 39 Abs 1 SMG entgegensteht (idS bereits OLG Wien zu § 39 SMG: 33 Bs 102/15i, 17 Bs 14/17h; 32 Bs 295/14p; zu § 6 StVG: 22 Bs 331/14h, 22 Bs 300/14z). Dies zumal auch die in den eben zu § 39 SMG angeführten Entscheidungen des OLG Wien zu findende (auf Nimmervoll, ÖJZ 2013/78 S 714 zurückzuführende) Argumentation, dass § 494a StPO mit der Neuordnung des Widerrufsverfahrens eine „Gesamtregelung“ der Straffrage dahingehend anstrebe, dass aus Anlass der neuen Urteilsfällung auch über noch offene bedingte Unrechtsfolgen aus anderen Entscheidungen zu befinden ist, dafür spricht, den zugleich mit der neuen Verurteilung ausgesprochenen Widerruf der ursprünglich bedingt nachgesehenen Strafe als Teil der „verhängten … Freiheitsstrafe“ iSd § 39 SMG anzusehen.

Die vom Beschwerdeführer angeführte, seine Rechtsansicht teilende (zu § 6 StVG ergangene) Entscheidung des OLG Wien, 23 Bs 359/16m, bezieht sich in erster Linie auf 14 Os 137/90. Diese Entscheidung, wonach „die Freiheitsstrafe“ nach § 6 StVG, jene Stafe, jenen Straf-Rest oder jener Straf-Teil ist, auf welche sich der vom Gericht angeordnete Vollzug beziehe, orientiert sich wiederum an EvBl 1990/33 (= 15 Os 131/89). Insofern in dieser Entscheidung auch – im Widerspruch zu 15 Os 131/89 - festgehalten wird, dass eine Zusammenrechnung mehrerer unmittelbar nacheinander zu vollziehender Freiheitsstrafen bei Prüfung der Voraussetzungen nach § 6 StVG, ob der damit verbundenen nachteiligen Wirkungen für den Verurteilten einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung bedürfe, ist anzumerken, dass der Gesetzgeber – wie oben bereits ausgeführt – bei der im Zuge der Strafvolllzugsnovelle 1993 erfolgten Neuregelung der § 6 StVG nicht diese Entscheidung, sondern ausdrücklich 15 Os 131/89 (= EvBl 1990/33; vgl auch Pieber in WK² StVG § 6 Rz 19) vor Augen hatte.

Zur Therapierung seiner Suchterkrankung wird es daher am Beschwerdeführer liegen, sich innerhalb des Strafvollzuges einer Entwöhnungsbehandlung (§ 68a Abs 1 lit a StVG) zu unterziehen; seiner Beschwerde war jedoch ein Erfolg zu versagen.

 

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