European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0030OB00151.25I.1028.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.355,90 EUR (darin enthalten 392,65 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] DerKläger, der zwischen Juli 2014 und Juli 2022 als Subagent für den Beklagten tätig war, begehrte mit der vorliegenden Klage Bucheinsicht und 30.835,23 EUR sA an ausständigen Provisionen vom Beklagten. Im Verfahren vereinbarten die Parteien einfaches Ruhen und schlossen einen außergerichtlichen Vergleich, der eine Bereinigung sämtlicher wechselseitiger Ansprüche durch Leistung einer Abschlagszahlung durch den Beklagten vorsah. Nach Zahlung des vereinbarten Betrags beantragte der Beklagte die Fortsetzung des Verfahrens, weil er die außergerichtliche Vereinbarung aufgrund eines wesentlichen Geschäftsirrtums als „nichtig“ erachtete.
[2] Das Erstgerichtwies die Klage ab. Der außergerichtliche Vergleich sei wirksam zustande gekommen und damit die vereinbarte Generalbereinigung eingetreten. Da der Kläger das Klagebegehren trotzdem aufrechterhalten habe, sei darüber inhaltlich zu entscheiden.
[3] Das Berufungsgericht wies die dagegen vom Beklagten erhobene Berufung mangels Beschwer zurück. Abgesehen davon, dass aus den Gründen einer Entscheidung eine Beschwer schon grundsätzlich nicht abgeleitet werden könne, würden weder die im Vorprozess erfolgte Beurteilung von Vorfragen noch die dort getroffenen Feststellungen in einem Folgeprozess binden.
Rechtliche Beurteilung
[4] Der gegen diesen Beschluss erhobene Rekurs des Beklagten ist zwar gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO als (Voll-)Rekurs zulässig (vgl RS0098745); er ist aber nicht berechtigt.
[5] 1. Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels ist ein Eingriff in die geschützte Rechtssphäre des Rechtsmittelwerbers (RS0006497). Es ist nur derjenige rechtsmittellegitimiert, der durch die bekämpfte Entscheidung formell sowie auch materiell beschwert ist (RS0041868). Formelle Beschwer liegt vor, wenn die Entscheidung von dem ihr zugrunde liegenden Sachantrag des Rechtsmittelwerbers zu seinem Nachteil abweicht (RS0041868). Materiell beschwert ist, wer in seinem Rechtsschutzbegehren durch die angefochtene Entscheidung unmittelbar beeinträchtigt wird, wer also ein Bedürfnis auf Rechtsschutz hat (RS0041746; RS0043815), weil in seine Rechtssphäre nachteilig eingegriffen wird (RS0118925).
[6] 2. Eine formelle Beschwer scheidet hier aus, weil dem Antrag des Beklagten auf Klageabweisung stattgegeben wurde.
[7] 3.1. Entgegen der Ansicht des Beklagten ist er auch nicht materiell beschwert, weil das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen ist, dass seine Rechtsstellung durch die erstinstanzliche Entscheidung über das Klagebegehren nicht beeinträchtigt wird.
[8] 3.2. Zwar enthalten die Entscheidungsgründe auch Feststellungen zur außergerichtlichen Vereinbarung der Parteien. Allein aus den Gründen einer Entscheidung kann eine Beschwer in der Regel aber nicht abgeleitet werden (RS0043947; RS0041929). Eine Ausnahme anerkennt die Rechtsprechungnur bei Aufhebungsbeschlüssen (RS0007094; RS0043947 [T1]), Zwischenurteilen (RS0040958), Zwischenfeststellungsanträgen (RS0043947 [T6, T9]) und Rechtsgestaltungsklagen nach § 105 ArbVG (RS0043947 [T5]). Eine dieser Ausnahmen liegt hier nicht vor.
[9] 3.3. Das Ausmaß der Bindungswirkung eines rechtskräftigen Urteils wird grundsätzlich durch den Urteilsspruch bestimmt (RS0041331; RS0041357), zu dessen Individualisierung und Auslegung auch die Entscheidungsgründe heranzuziehen sind. Dies gilt vor allem dann, wenn der Umfang der Rechtskraftwirkung eines abweisenden Urteils festgestellt werden soll (RS0043259; RS0041357; RS0041305). Insofern kommt es auf den vom Gericht herangezogenen „maßgeblichen“ Sachverhalt an (RS0039843 [T3]; 8 Ob 90/20y Rz 15). Die Bindungswirkung der rechtskräftigen Verneinung eines Anspruchs steht aber nur der Geltendmachung desselben Begehrens aus denselben rechtserzeugenden Tatsachen entgegen, beschränkt sich also auf den konkreten Anspruch und den für dessen Abweisung herangezogenen Rechtsgrund (vgl 4 Ob 53/25k Rz 15; 7 Ob 86/18z Pkt 4.). Darüber hinaus erwachsen die Feststellungen hingegen nicht isoliert in Rechtskraft (vgl RS0041285 [T4]; RS0041342 [T4]; RS0118570 [T1]), sodass diesen für spätere Verfahren auch keine Bindungswirkung zukommt (vgl RS0036826; RS0123760 [T2]).
[10] Dementsprechend hat der Oberste Gerichtshof in einem vergleichbaren Fall ausgesprochen, dass die Feststellungen zu einer während des Verfahrens getroffenen außergerichtlichen Vereinbarung, derenBereinigungswirkung auch den geltend gemachten Anspruch erfasste und daher zur Abweisung der Klage führte, in künftigen Verfahren die Parteien nicht binden und daher die dortige Beklagte durch diese Feststellungen nicht beschwert ist (4 Ob 199/21z).
[11] 4. Die Zurückweisung der Berufung des Beklagten durch das Berufungsgericht ist somit nicht zu beanstanden. Dem Rekurs ist daher der Erfolg zu versagen.
[12] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.
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