European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0020OB00195.24A.1212.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 877,68 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 146,28 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Der 2017 verstorbene Erblasser hinterließ sechs Kinder, darunter die Streitteile. Sein Nachlass, dessen reiner Wert sich auf 2.000.394,27 EUR belief, wurde dem Beklagten als testamentarischem Alleinerben eingeantwortet. Der Erblasser ließ den an Morbus Bechterew erkrankten Kläger ohne Gegenleistung auf dem Hof M* (in der Folge: Erbhof) wohnen und versorgte ihn auch mit – aus dem laufenden Einkommen ohne Heranziehung des Vermögensstamms finanzierten – Lebensmitteln, weil er den chronisch kranken Kläger, der nur über ein geringes Einkommen verfügte, unterstützen wollte. Der Erblasser setzte einer seiner Töchter einen weiteren Bauernhof (in der Folge: Bauernhof) als Vermächtnis aus, wobei er letztwillig anordnete, dass diese Tochter dem Kläger ein lebenslanges Wohnrecht gewähren müsse. Dieses Wohnrecht ist mit 140.000 EUR zu bewerten.
[2] Der Kläger begehrt die – einem Zwölftel des Reinnachlasses entsprechende – Zahlung von 166.699,52 EUR sA als Pflichtteil.
[3] Der Beklagte wendet ein, dass der Kläger den Pflichtteil deckende Zuwendungen erhalten habe und in der Zurverfügungstellung von Wohnraum am Erbhof eine hinzuzurechnende Schenkung liege.
[4] Die Vorinstanzen verpflichteten den Beklagten zur Zahlung von 15.328,24 EUR sA und wiesen das Zahlungsmehrbegehren von 151.371,28 EUR sA ab. Der Erblasser habe dem Kläger ein Wohnrecht am Bauernhof in Form eines Untervermächtnisses vermacht, das sich der Kläger nach § 780 ABGB anrechnen lassen müsse. Die dem Kläger aus dem Familienverhältnis heraus gewährte Erlaubnis, am Erbhof zu leben, sei als nur prekaristische Überlassung zu qualifizieren und unterliege schon deswegen keiner Hinzu‑ und Anrechnung. Außerdem seien sowohl die Ausnahmetatbestände des § 784 erster Fall ABGB – also Zuwendung ohne Schmälerung des Stammvermögens – als auch des § 784 dritter Fall ABGB – also Zuwendung aus sittlicher Pflicht – erfüllt.
[5] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil aktuelle höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob das unentgeltliche Wohnen und die Verpflegung des Klägers am Erbhof als Zuwendung iSd § 781 Abs 2 Z 6 ABGB anzusehen sei. Bejahendenfalls sei auch die Frage zu beantworten, ob darin eine Schenkung ohne Schmälerung des Stammvermögens liege.
[6] Die Revisionen der Streitteile sind – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts – mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
[7] 1. Die (in der Revision des Beklagten relevierte) Aktenwidrigkeit des Berufungsverfahrens liegt – wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat – nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Mit seinen Ausführungen zur Fälschung letztwilliger Verfügungen entfernt sich der Beklagte vom festgestellten Sachverhalt.
[8] 2. Der Kläger setzt sich in seiner Revision mit den rechtlichen Ausführungen des Berufungsgerichts zur Anrechnung des ihm als Untervermächtnis ausgesetzten Wohnrechts am Bauernhof nach § 780 Abs 1 ABGB nicht auseinander, sodass keine gesetzmäßig ausgeführte Rechtsrüge vorliegt (vgl RS0043605).
[9] 3. Der allgemeine Begriff „sittliche Pflicht" bedarf anhand konkreter Umstände einer Auslegung. Dabei kommt es grundsätzlich und für die verschiedensten Lebensbereiche auf die Anschauungen der redlichen und rechtsverbundenen Mitglieder der betroffenen Verkehrskreise an. Auch der Maßstab des „bonus pater familias" und der Normfamilie ist für die Frage der sittlichen Pflicht heranzuziehen (RS0121353). Eine Schenkung, mit der einer sittlichen Pflicht entsprochen wurde, ist nur dann anzunehmen, wenn dazu eine besondere aus den konkreten Umständen des Falls erwachsene, in den Geboten der Sittlichkeit wurzelnde Verpflichtung des Schenkers (Erblassers) bestand. Dies lässt sich nur von Fall zu Fall unter Berücksichtigung der persönlichen Beziehungen zwischen Schenker und Beschenktem, ihres Vermögens und ihrer Lebensstellung entscheiden. Wegen der Einzelfallbezogenheit dieser Beurteilung stellen sich regelmäßig keine erheblichen Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO (2 Ob 224/22p Rz 11 mwN).
[10] Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht vor dem Hintergrund der chronischen Erkrankung des Klägers und seines geringen Einkommens in nicht korrekturbedürftiger Weise angenommen, dass das Zurverfügungstellen von Kost und Logis durch den Erblasser in Entsprechung einer sittlicher Pflicht erfolgte.
[11] 4. Die (der Prüfung des Vorliegens einer Ausnahme nach § 784 ABGB grundsätzlich vorgelagerte) Frage des Vorliegens einer Schenkung iSd § 781 ABGB ist damit für den Verfahrensausgang nicht entscheidend. Auch das Vorliegen der (weiteren) Ausnahme des § 784 erster Fall ABGB bedarf keiner näheren Prüfung.
[12] 5. Insgesamt waren die Revisionen damit zurückzuweisen.
[13] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Da die Streitteile in ihren Revisionsbeantwortungen auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen haben, dienten diese jeweils der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung. Die Kosten waren zu saldieren, ein Rundungsfehler des Klägers zu korrigieren. Der vom Erstgericht ausgesprochene Kostenvorbehalt nach § 52 Abs 1 ZPO steht der Kostenentscheidung im Zwischenstreit über die Zulässigkeit der Revision nicht entgegen (vgl RS0129365).
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