European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0050OB00057.24D.1114.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Klägerin beauftragte die Beklagte mit der Errichtung eines behindertengerechten Zubaues zu ihrem Einfamilienhaus.
[2] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist (nur) die vom Berufungsgericht mit Teilurteil bestätigte Abweisung des Mehrbegehrens der Klägerin in Höhe von 84.440 EUR betreffend das Deckungskapital für die Behebung des Mangels „Höhenunterschied im Erdgeschoss“ und die Zurückweisung der Klage (in Gestalt einer Maßgabebestätigung) in Bezug auf die Kosten der eingeholten Privatgutachten in Höhe von 4.299,14 EUR.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die außerordentliche Revision der Klägerin zeigt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.
[4] 1.1. Die behaupteten Revisionsgründe der Aktenwidrigkeit und der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurden geprüft, sie liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
[5] 1.2. Entgegen der Behauptung der Klägerin hat das Berufungsgericht seiner rechtlichen Beurteilung nicht eine Feststellung zugrunde gelegt, die das Erstgericht gar nicht getroffen hat (zur Aktenwidrigkeit zufolge unrichtiger Wiedergabe der Feststellungen des Erstgerichts vgl RS0116014).
[6] Es ist zwar richtig, dass das Erstgericht eine Feststellung, dass die ÖNORM B1600 (oder andere Regelwerke) vereinbart worden sei, nicht getroffen hat. Die Aussage des Berufungsgerichts, mit ihrem Vorbringen, die Regelwerke der ÖNORM B1600 seien nicht vereinbart worden, sondern ein ebener Übergang, entferne sich die Klägerin vom festgestellten Sachverhalt, bezieht sich aber – ungeachtet der missverständlichen Formulierung des Berufungsgerichts – auch nicht auf die Vereinbarung dieser Regelwerke, sondern erkennbar nur auf die Behauptung der Vereinbarung eines „ebenen Übergangs“. Das ergibt sich nicht nur aus der unmittelbar nachfolgenden Klarstellung, dass das Erstgericht die Vereinbarung eines „niveaugleichen“ und nicht eines „ebenen“ Übergangs festgestellt habe. Das Berufungsgericht bezieht sich in der Folge auch nicht auf eine ausdrückliche Vereinbarung der ÖNORM B1600 oder entsprechender Regelwerke, es zieht – auch wenn es dies nicht ausdrücklich ausführt – lediglich die darin normierten Toleranzgrenzen zur Auslegung der vereinbarten Eigenschaft „Niveaugleichheit“ heran.
[7] 1.3. Die in der Berufung behauptete Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz wegen der Abweisung des Beweisantrags auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens und der Verletzung der Anleitungspflicht nach § 182a ZPO in Bezug auf die Geltendmachung der Sachverständigenkosten hat das Berufungsgericht mit ausführlicher Begründung verneint. Diese angeblichen Verfahrensmängel können daher in der Revision nicht mehr geltend gemacht werden (RS0042963; RS0106371).
[8] Der Grundsatz, dass vom Gericht zweiter Instanz verneinte Verfahrensmängel erster Instanz nicht mehr an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden können, wäre zwar dann nicht anzuwenden, wenn das Berufungsgericht einen Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens infolge einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung nicht wahrgenommen hat (RS0042963 [T37]; RS0106371 [T5]; RS0043051). Diese Ausnahme bezieht sich allerdings nur auf den Fall, dass sich das Berufungsgericht mit einer Mängelrüge nicht oder unvollständig befasste, nicht jedoch auf den Fall, dass es – wie hier – einen primären Verfahrensmangel nach ausdrücklicher Prüfung verneint hat, unterläge doch sonst jede zweitinstanzliche Entscheidung über eine Mängelrüge der Nachprüfung durch den Obersten Gerichtshof (RS0043051 [T4]; RS0042963 [T55]).
[9] 2.1. Nach § 924 Satz 1 ABGB leistet der Übergeber Gewähr für Mängel, die bei der Übergabe vorhanden sind. Eine Leistung ist im gewährleistungsrechtlichen Sinn als mangelhaft anzusehen, wenn sie qualitativ oder quantitativ hinter dem Geschuldeten, also dem Vertragsinhalt, zurückbleibt (RS0018547). Der geschuldete Vertragsgegenstand wird durch die gewöhnlich vorausgesetzten oder die ausdrücklich oder stillschweigend zugesicherten Eigenschaften bestimmt. Ob eine Eigenschaft als zugesichert anzusehen ist, hängt nicht davon ab, was der Erklärende wollte, sondern was der Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben aus der Erklärung des Vertragspartners erschließen durfte. Seine berechtigte Erwartung ist an der Verkehrsauffassung zu messen (RS0018547 [T5, T6]; RS0114333). Die Mangelhaftigkeit eines Leistungsgegenstands ist allerdings nicht abstrakt, sondern immer aufgrund des konkreten Vertrags zu beurteilen (RS0107680; RS0126729).
[10] § 924 ABGB ist auch auf Werkverträge anzuwenden. Bei einer Werkleistung im Sinn des Werkvertragsrechts ist ein „Mangel“ iSd § 922 ABGB das Abweichen des Geleisteten vom Geschuldeten, das sich nach der vertraglichen Leistungsbeschreibung bestimmt (9 Ob 3/22i mwN).
[11] 2.2. Für die Beurteilung der Mangelhaftigkeit kommt es demnach entscheidend auf die Vertragsauslegung an. Fragen der Vertragsauslegung begründen im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 ZPO (RS0042936; RS0112106). Die einzelfallbezogene Beurteilung rechtsgeschäftlicher Erklärungen rechtfertigt eine Anrufung des Obersten Gerichtshofs nur dann, wenn aus Gründen der Rechtssicherheit die Korrektur einer unhaltbaren, durch die Missachtung fundamentaler Auslegungsregeln zustande gekommenen Entscheidung geboten ist (4 Ob 212/23i mwN).
[12] 2.3. Nach der vertraglichen Leistungsbeschreibung war der Übergang von Alt- zu Neubestand „niveaugleich“ auszuführen. Nach dem Verständnis des Berufungsgerichts werde diese Eigenschaft durch die (weit kostengünstigere) „Rampenlösung“ verwirklicht, weil mit dieser Zusicherung nicht jede minimale Steigung ausgeschlossen worden sei. Eine nach diesem Angleichen des Estrichs verbleibende – tatsächlich minimale – Steigung von 0,34 % könne als vertragskonforme Verbesserung angesehen werden.
[13] Dieses Auslegungsergebnis ist jedenfalls keine auffallende, aus Gründen der Rechtssicherheit oder Einzelfallgerechtigkeit aufzugreifende Fehlbeurteilung. Es ist insbesondere nicht zu beanstanden, die Toleranzgrenzen aus der einschlägigen ÖNORM als Auslegungshilfe heranzuziehen, sind diese doch in besonderer Weise zur Bestimmung der Verkehrsauffassung geeignet (vgl RS0062063).
[14] Ist der Mangel noch nicht verbessert und fordert der Besteller das Deckungskapital für die Mängelbehebungskosten, hat er Anspruch auf Ersatz der objektiv notwendigen Behebungskosten (RS0115060). Maßgeblich sind dabei die voraussichtlichen Mängelbehebungskosten, deren Höhe nach den allgemeinen Beweislastregeln der Geschädigte zu beweisen hat (RS0115060 [T1]).
[15] 3. Die außerordentliche Revision war somit mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
[16] Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
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