European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0060OB00143.24H.1106.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Unterhaltsrecht inkl. UVG
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Dem Revisionsrekurs, dessen Kosten der Vater selbst zu tragen hat, wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Pflegschaftssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Begründung:
[1] Die Minderjährige ist das Kind von Mag. C* und Ing. W*. Die Ehe der Eltern ist geschieden. Die Obsorge kommt beiden Elternteilen gemeinsam zu, der hauptsächliche Aufenthalt des Kindes ist bei der Mutter. Der Unterhaltsanspruch der Minderjährigen gegenüber ihrem Vater wurde zuletzt mit Beschluss des Erstgerichts vom 1. 8. 2019 mit monatlich 250 EUR beginnend mit 1. 9. 2019 festgesetzt.
[2] Der Vater ist selbständig erwerbstätig. Im Wirtschaftsjahr 2019 erwirtschaftete sein Unternehmen einen Verlust von 18.341,67 EUR und im Wirtschaftsjahr 2020 einen Verlust von 16.339,45 EUR. Die monatlichen Privatentnahmen des Vaters betragen insgesamt 2.531,30 EUR und setzen sich aus Miete, Stromkosten, Prämien für die Haushaltsversicherung, den Unterhaltszahlungen für die Minderjährige, Lebenshaltungskosten und der Privatnutzung des PKW zusammen. Der Vater hat keine weiteren Sorgepflichten.
[3] Die Minderjährige beantragte eine Unterhaltserhöhung auf 500 EUR monatlich ab 1. 11. 2022. Bevor sich der Vater selbständig gemacht habe, habe er 24 Jahre lang als Angestellter im Bereich EDV gearbeitet und ein Einkommen von zumindest 3.000 EUR monatlich bezogen. Dem Vater sei es jederzeit möglich, wieder einer ähnlichen Tätigkeit nachzugehen. Eine Anspannung auf ein Einkommen von monatlich 2.500 EUR sei realistisch. Der Vater schulde daher den geltend gemachten Unterhalt.
[4] Der Vater wendete ein, er sei finanziell nicht in der Lage, einen höheren monatlichen Unterhalt für die Minderjährige zu bezahlen.
[5] Das Erstgericht erhöhte den monatlichen Unterhalt auf 470 EUR monatlich ab 1. 11. 2022 und wies das Mehrbegehren (rechtskräftig) ab. Da der selbständig tätige Vater in den vergangenen Jahren ausschließlich Verluste mit seiner selbständigen Tätigkeit erzielt habe, seien seine Privatentnahmen in Höhe von 2.531,30 EUR als Unterhaltsbemessungsgrundlage heranzuziehen. Ausgehend davon ergebe sich unter Anwendung der Prozentsatzmethode der zugesprochene Unterhalt.
[6] Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Vaters nicht Folge. Das Erstgericht habe zutreffend die Privatentnahmen des Vaters als Unterhaltsbemessungsgrundlage herangezogen. Gegen die dabei vorgenommene Schätzung der Lebenshaltungskosten (Nahrung, Bekleidung etc) des Vaters gemäß § 32 AußStrG mit 400 EUR monatlich bestünden keine Bedenken. Auch die Berücksichtigung der Unterhaltszahlungen an die Minderjährige (250 EUR monatlich) entspreche der Judikatur.
[7] Das Rekursgericht erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig, weil die Einbeziehung von geleisteten Unterhaltszahlungen in die Privatentnahmen von der Lehre kritisiert werde.
Rechtliche Beurteilung
[8] Der Revisionsrekurs des Vaters ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig, er ist auch im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.
[9] 1. Privatentnahmen eines selbständig tätigen Unterhaltspflichtigen sind als Bemessungsgrundlage heranzuziehen, wenn sie entweder den Reingewinn aus dem Unternehmen übersteigen oder die Betriebsbilanz einen Verlust aufweist (RS0047382 [T21]; RS0013386 [T33]). Der Unterhaltspflichtige muss letztlich die Unterhaltsberechtigten an seinem aufrecht erhaltenen Lebensstandard teilhaben lassen (RS0047382; RS0011596).
[10] 2. Dass im vorliegenden Fall die Privatentnahmen des Vaters als Unterhaltsbemessungsgrundlage heranzuziehen sind, wird von der Minderjährigen nicht bestritten. Auch der Vater zieht dies grundsätzlich nicht in Zweifel, meint jedoch, die Heranziehung der Privatentnahmen setze voraus, dass diese aus vorhandenen Mitteln und nicht durch Erhöhung der Verbindlichkeiten finanziert worden seien.
[11] 3. Die ältere Rechtsprechung vertrat die Ansicht, es mache keinen Unterschied, ob der Unterhaltsschuldner die den Reingewinn des Unternehmens übersteigenden Privatentnahmen aus Reserven oder Rückstellungen finanziere oder durch eine Erhöhung seiner Bankschulden (6 Ob 119/98p; 9 Ob 34/01t; 1 Ob 71/05f; 1 Ob 257/09i; RS0047382 [T3]). Hingegen sind nach der jüngeren Judikatur des Obersten Gerichtshofs Privatentnahmen, die nicht aus vorhandenen Mitteln, sondern durch Erhöhung der Bankverbindlichkeiten des Unternehmens finanziert wurden, nur unter der Voraussetzung in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzurechnen, dass den Schulden noch Unternehmensvermögen gegenübersteht. Ist dies nicht (mehr) der Fall, ist die Situation gleich wie jene eines (vermögenslosen) unselbständig Erwerbstätigen, der seinen Lebensunterhalt durch Überziehung seines Girokontos oder Aufnahme eines Privatkredits finanziert; in beiden Fällen ist mangels gegenüberstehenden Vermögens ein Eingriff in die Vermögenssubstanz nicht (mehr) möglich, sodass solche „Privatentnahmen“ (für Unterhaltszahlungen) nicht in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzurechnen sind (2 Ob 115/11t; 3 Ob 16/15x; 8 Ob 63/15w; RS0127422; Gitschthaler, Unterhaltsrecht4 Rz 212; Limberg in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.07 § 231 Rz 37; Kolmasch in Schwimann/Neumayr, ABGB‑TaKomm § 231 Rz 76). Dieser Ansicht schließt sich der erkennende Senat an.
[12] 4. Die Frage, ob der Vater die Privatentnahmen aus vorhandenen Mitteln oder durch Erhöhung der Verbindlichkeiten seines Unternehmens finanziert hat, wurde im bisherigen Verfahren nicht berücksichtigt. Da der Oberste Gerichtshof auch im Verfahren außer Streitsachen die Parteien in seiner Entscheidung nicht mit einer Rechtsauffassung überraschen darf, die sie nicht beachtet haben und auf die sie bislang von den Gerichten nicht aufmerksam gemacht wurden (RS0037300 [T53, T55]; 1 Ob 93/19m), ist den Parteien Gelegenheit zur Äußerung zu diesem neuen Aspekt zu geben. Dabei wird schon an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass der Unterhaltsverpflichtete die seine Unterhaltsverpflichtung aufhebenden oder vermindernden Umstände zu behaupten und zu beweisen hat (RS0006261 [T6, T8]); er hat daher (konkret) darzulegen und zu beweisen, dass er die Privatentnahmen durch Erhöhung der Verbindlichkeiten des Unternehmens finanziert hat und den Schulden kein Unternehmensvermögen gegenübersteht (Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht10 11; vgl auch 3 Ob 16/15x). Die vom Rekursgericht als erheblich angesehene Rechtsfrage stellt sich somit derzeit nicht.
[13] 5. Der Revisionsrekurs des Vaters ist daher im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.
[14] 6. Gemäß § 101 Abs 2 AußStrG findet in Verfahren über Unterhaltsansprüche minderjähriger Kinder ein Kostenersatz nicht statt.
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