OGH 1Ob95/24p

OGH1Ob95/24p24.10.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Familienrechtssache des Antragstellers G*, vertreten durch die Korn & Gärtner Rechtsanwälte OG in Salzburg, gegen die Antragsgegnerin E*, vertreten durch die Pallauf Meißnitzer Staindl & Partner Rechtsanwälte (OG) in Salzburg, wegen Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse, über den Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 9. April 2024, GZ 21 R 81/23t‑60, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Hallein vom 16. Februar 2023, GZ 31 FAM 58/18h‑45, teilweise aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0010OB00095.24P.1024.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Familienrecht (ohne Unterhalt)

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Die im Juni 1990 zwischen den Streitteilen geschlossene Ehe wurde mit Urteil des Erstgerichts vom 22. 5. 2018 unter Ausspruch eines überwiegenden Verschuldens des Mannes geschieden. Die eheliche Lebensgemeinschaft ist seit 7. 6. 2017 aufgehoben.

[2] Die Frau brachte eine Liegenschaft in die Ehe ein, auf welcher (während der aufrechten Ehegemeinschaft) das eheliche Wohnhaus in räumlicher Verbindung mit dem Betriebsgebäude für einen Tischlereibetrieb errichtet wurde. Der Mann führte den Tischlereibetrieb; er hatte zum Zweck der Betriebsführung ein Baurecht auf der genannten Liegenschaft. Die Frau arbeitete im Tischlereibetrieb im Büro und erledigte die Lohnverrechnung sowie die Buchhaltung. Bei Bedarf half sie auch in der Werkstatt bei leichten Arbeiten mit. Sie bürgte zudem für einen vom Mann für den Tischlereibetrieb aufgenommenen Kredit von 150.000 EUR.

[3] Im Jahr 2003 wurde beim Mann die Lungenerkrankung COPD diagnostiziert. Ab 2007 verschlechterte sich sein Gesundheitszustand laufend. Im Herbst 2014 erlitt er einen Lungeninfarkt (Pneumothorax) und im Juli 2015 wurde ein Befall der Lunge mit einem Aspergilluspilz festgestellt. Im Februar 2017 hatte derMann eine Lungentransplantation.

[4] Aufgrund seiner Krankheit konnte er nur mehr eine geringe Arbeitsleistung erbringen, weshalb der Umsatz des Tischlereibetriebs zurückging. Am 7. 12. 2015 unterzeichneten die Parteien einen Übergabsvertrag und eine Scheidungsfolgenvereinbarung jeweils als Notariatsakt. Mit dem Übergabsvertrag übergab der Mann der Frau den Tischlereibetrieb mit allen Aktiva und Passiva zu Buchwerten zum Bilanzstichtag 31. 12. 2015 zum Zwecke der Weiterführung des Betriebs durch die Frau. In der Scheidungsfolgenvereinbarung wurde unter anderem vereinbart, dass beide Parteien wechselseitig auf eine Ausgleichszahlung für die Ehewohnung verzichten und das eheliche Gebrauchsvermögen einvernehmlich aufgeteilt wird.

[5] Seit dem Auszug des Mannes bewohnt die Frau die ehemalige Ehewohnung.

[6] Der Mann begehrte eine Ausgleichszahlung von 362.500 EUR für das auf der ehelichen Liegenschaft befindliche Wohn- und Betriebsgebäude und für aufzuteilende eheliche Ersparnisse.

[7] Die Frautrat diesem Antrag entgegen. Die Ehewohnung falle aufgrund der Scheidungsfolgenvereinbarung nicht in die Aufteilungsmasse. Zum Aufteilungsstichtag sei kein aufzuteilendes Vermögen mehr vorhanden gewesen. Im Übrigen stünden ihr noch Gegenforderungen aus dem Übergabsvertrag und der Scheidungsfolgenvereinbarung von insgesamt 556.056,45 EUR (darin Forderungen aus dem Übergabsvertrag von 456.056,45 EUR, und zwar 56.600 EUR für offenen Baurechtszins, 150.000 EUR für ein von ihr gegebenes Darlehen, 185.456,45 EUR für die Überziehung des Betriebskontos und 64.000 EUR für Mitarbeiterabfertigungen, zuzüglich einer Forderung aus der Scheidungsfolgenvereinbarung von 100.000 EUR für die Abgeltung von Überstunden) sowie rechtskräftig zuerkannte Kostenersatzansprüche von 62.735,77 EUR zu, die sie compensando einwandte.

[8] Das Erstgericht sprach dem Mann – neben diversen Gebrauchsgegenständen (Punkt 3.) – eine Ausgleichszahlung von insgesamt 110.383 EUR zu (Punkt 1.) und wies ein Mehrbegehren von 252.117 EUR ab (Punkt 2.). Über die compensando eingewandten Gegenforderungen traf es keine Entscheidung.

[9] Dieser Beschluss blieb in Ansehung seines Punkt 3. sowie des Zuspruchs eines Betrags von 15.342,73 EUR und der Abweisung eines Betrags von 12.500 EUR von den Parteien unangefochten. Die Frau bekämpfte den darüber hinausgehenden Zuspruch von 95.040,27 EUR, der Mann die Abweisung von 239.617 EUR.

[10] Das Rekursgericht gab beiden Rekursen Folge und hob den erstgerichtlichen Beschluss im Anfechtungsumfang zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung auf.

[11] Es ging davon aus, dass es sich bei dem Notariatsakt vom 7. 12. 2015, in dem die Parteien unter anderem ausdrücklich vereinbart hätten, wechselseitig auf eine Ausgleichszahlung für die Ehewohnung zu verzichten, um eine formgültige Vorausvereinbarung iSd § 97 Abs 1 EheG handle. Nach § 97 Abs 2 EheG könne von einer im Voraus geschlossenen Vereinbarung über die Aufteilung der ehelichen Ersparnisse und des ehelichen Gebrauchsvermögens mit Ausnahme der Ehewohnung nur abgewichen werden, soweit die Vereinbarung in einer Gesamtbetrachtung des in die Aufteilung einzubeziehenden Vermögens im Zeitpunkt der Aufteilungsentscheidung einen Teil unbillig benachteilige, sodass ihm die Zuhaltung unzumutbar sei. Von der Billigkeitskontrolle nach § 97 Abs 2 EheG sei die Ehewohnung daher ausgenommen. Die Vereinbarung über ihre rechtliche Zuordnung (insbesondere dingliche Rechte daran) sei bestandsfest, nur Vereinbarungen über die „Nutzung“ der Ehewohnung würden einer gerichtlichen Nachkontrolle nach § 97 Abs 3 EheG unterliegen. Auf die vom Mann angestellten Billigkeitserwägungen zum Wert der Ehewohnung müsse damit nicht näher eingegangen werden. Der vereinbarte Verzicht auf eine Ausgleichszahlung umfasse damit sowohl sämtliche Beiträge der Frau, als auch den festgestellten finanziellen Beitrag des Mannes zur Errichtung (auch) des Wohnhauses.

[12] Das Rekursgericht gelangte weiters zu dem Schluss, dass das Erstgericht seine (dislozierte) Feststellung, wonach sämtliche Guthaben auf den Sparbüchern und Konten der Frau mit den Endziffern 028 779, 584 599, 071 167, 030 452 und 011 373 aus Schenkungen und Erbschaften an sie stammten, nicht (überprüfbar) begründet habe. Auch die Feststellungen zu den Abbuchungen vom Sparbuch „Athen“ mit den Endziffern 504 266 reichten für eine abschließende rechtliche Beurteilung aller daraus in die Aufteilungsmasse fallenden Beträge nicht aus. Das Erstgericht habe keine Entscheidung darüber getroffen, ob dieses Sparbuch (mit einem Guthabensstand von 79.604,71 EUR zum Aufteilungszeitpunkt) in die Aufteilungsmasse falle oder nicht. Dafür habe es das Sparbuch mit den Endziffern 571 539 mit einem Betrag von 75.694,90 EUR in die Aufteilungsmasse einbezogen, obwohl dieses nach den Feststellungen bereits 1996, also viele Jahre vor der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft, saldiert worden sei. Ob das Erstgericht diese beiden Sparbücher wegen des ähnlich hohen Einlagenstands verwechselt habe, könne das Rekursgericht nicht vorwegnehmen. Ergänzungsbedürftig seien die erstinstanzlichen Feststellungen zum (beim Mann befindlichen, aber von der Bank gesperrten) Sparbuch „Athen“ insbesondere auch in Bezug auf die vom Mann angestrebte Berücksichtigung von Behebungen in Höhe von 98.500 EUR nach § 91 Abs 1 EheG, und zwar zur Frage, ob die Verwendung dieser Sparguthaben durch die Frau (sollte es sich dabei um eheliche Ersparnisse gehandelt haben) mit Zustimmung des Mannes erfolgt sei und ob diese der bisherigen Lebensführung der Streitteile entsprochen habe. Nach den Feststellungen sei das Guthaben des Sparbuchs „Happy Birthday“, das aus Einnahmen des Tischlereibetriebs gespeist worden sei, im Laufe des Jahres 1996 für die Errichtung des Wohn- und Betriebsgebäudes auf der ehelichen Liegenschaft investiert worden. Es fehlten jegliche Anhaltspunkte und Feststellungen dazu, zu welchem Teil eine solche private Verwendung des Guthabens für die Errichtung des Wohnhauses erfolgt sei, und in welchem Anteil die auf dem Sparbuch gesammelten Einnahmen aus dem Betrieb wieder dem Betrieb in Form der Errichtung des Firmengebäudes zugeflossen seien. Zwar habe das Erstgericht ausgeführt, dass eine wertverfolgende Betrachtung des Guthabens dieses Sparbuchs insofern schwierig sei, als nicht genau festgestellt werden habe können, inwieweit das Guthaben in welchen Teilen „der Gebäude“ noch fortwirke. Diese ergänzende Negativfeststellung trage aber die rechtliche Annahme nicht, dass ein aus Betriebseinnahmen stammender Betrag von 101.907,77 EUR, der auf einem rein aus solchen Betriebseinnahmen gespeisten Sparbuch angelegt gewesen sei, bei der Saldierung im Jahr 1996 zur Gänze schlüssig in eheliches Vermögen umgewidmet worden sei. Gleiches müsse für den schon vor der Eheschließung aus Kundenzahlungen angesparten Betrag von 8.000 EUR gelten. Stehe nicht fest, inwieweit das Guthaben aus diesem Sparbuch in welchen Teilen der Gebäude noch fortwirke, dann könne eine wertverfolgende Berücksichtigung bei der Aufteilung (allein) des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse nicht erfolgen. Darüber hinaus habe der Mann mit der Scheidungsfolgenvereinbarung auf jegliche Ausgleichszahlung für die Ehewohnung verzichtet, damit auch auf einen Ausgleich für einen betragsmäßig nicht feststehenden Beitrag zu deren Errichtung aus der Verwendung des Sparbuchs „Happy Birthday“.

[13] Den ordentlichen Revisionrekurs ließ das Rekursgericht zu, weil zur Frage, ob nach § 97 Abs 2 EheG jegliche (die Formvorschriften erfüllenden) Vorausvereinbarungen über die Ehewohnung, die nicht die Nutzung der Ehewohnung betreffen würden (§ 97 Abs 3 EheG), der gerichtlichen Nachkontrolle nach § 97 Abs 2 EheG entzogen seien, in der Literatur unterschiedliche Standpunkte vertreten würden.

[14] Mit seinemordentlichen Revisionsrekurs strebt der Mann eine Ausgleichszahlung von insgesamt 350.000 EUR an.

[15] Die Frau beantragt in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

[16] Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellungzulässig. Er ist im Ergebnis allerdings nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

A. Vorbemerkungen:

[17] 1. Die Nichterledigung eines Antrags kann von den Parteien auch im Außerstreitverfahren mit Beschlussergänzungsantrag (§ 41 AußStrG iVm § 423 ZPO) oder mit Rekurs (§ 57 Z 3 AußStrG) geltend gemacht werden (6 Ob 191/98a; 6 Ob 141/04k). Unterbleibt das, scheidet der Antrag aus dem Verfahren aus (1 Ob 181/16y; 2 Ob 122/20k; vgl zum Zivilprozess RS0041490).

[18] Das betrifft hier die von der Frau eingewandten Gegenforderungen (siehe zu den Forderungen insbesondere aus dem Übergabsvertrag aber auch RS0006058).

[19] 2. Im Rechtsmittelverfahren ziehen die Parteien die Beurteilung des Erstgerichts, dass die zum Unternehmen gehörigen Sachen nicht in die Aufteilungsmasse fallen, zu Recht nicht (mehr) in Zweifel (RS0057528).

[20] So sind die behaupteten Forderungen der Frau gegen den Mann aus dem Übergabsvertrag nicht der Aufteilungsmasse, sondern dem übergebenen Unternehmen (Tischlereibetrieb) zuzuordnen. Sie haben ebenso wie der Einwand der Frau, der Mann sei durch den Übergabsvertrag gegenüber Dritten entschuldet worden (wobei er diese Schulden freilich im Innenverhältnis gegenüber der Frau übernommen hat), bei der Aufteilungsentscheidung außer Betracht zu bleiben.

[21] Dagegen unterliegt die Ehewohnung grundsätzlich stets der Aufteilung:

[22] Ein Haus verliert nicht seine Qualifikation als Ehewohnung, weil es auch dem Unternehmen eines Ehegatten dient (RS0057479). Die von beiden Ehegatten während der aufrechten ehelichen Lebensgemeinschaft geschaffene Werterhöhung der Liegenschaft durch den Bau des als Ehewohnung in Benützung beider Parteien stehenden Hauses unterfällt dem Aufteilungsverfahren und ist dessen Wert grundsätzlich auch für die Festsetzung der Ausgleichszahlung von Bedeutung, während die übrigen Teile der Liegenschaft – auch bloß wertmäßig – von der Aufteilung ausgenommen bleiben (RS0057479 [insb T5]).

[23] Die Parteien gehen hier übereinstimmend davon aus, dass die gesamte Liegenschaft mit der Ehewohnung und dem Betriebsgebäude im Alleineigentum der Frau bleibt. Fraglich ist im Revisionsrekursverfahren daher in erster Linie, ob die Scheidungsfolgenvereinbarung vom 7. 12. 2015 der Einbeziehung des Werts der Ehewohnung in die Aufteilung entgegensteht.

B. Zum Revisionsrekurs:

[24] 1. Der Revisionsrekurs des Mannes macht geltend, dass

‑ nach § 97 Abs 2 EheG nur Vereinbarungen über eine in die Ehe eingebrachte Wohnung einer Überprüfung durch das Gericht entzogen werden sollten, nicht aber über eine sogenannte Errungenschaftsehewohnung;

‑ diese Bestimmung jedenfalls die Zuerkennung eines Ausgleichs dafür nicht ausschließe, dass die Ehewohnung bei einem der Partner verbleibe;

‑ die am Sparbuch „Happy Birthday“ aus Kundenzahlungen gespeisten Guthaben sehr wohl schlüssig in eheliche Ersparnisse umgewidmet worden seien.

2. Zur Bestimmung des § 97 EheG:

[25] 2.1. Sogenannte Vorausvereinbarungen (auch Vorwegvereinbarungen) sind Vereinbarungen, die von den Ehegatten ohne Zusammenhang mit einer Eheauflösungsabsicht getroffen werden. Auf sie finden (anders als auf die im Zusammenhang mit einem Verfahren auf Scheidung, Aufhebung oder Nichtigerklärung der Ehe geschlossenen Vereinbarungen nach § 97 Abs 5 EheG) die Bestimmungen des § 97 Abs 1 bis 4 EheG Anwendung.

[26] 2.2. Die Neugestaltung des § 97 EheG durch das FamRÄG 2009 verfolgte das Ziel, den Ehegatten weitreichende Privatautonomie zur Regelung der nachehelichen Vermögensaufteilung einzuräumen, insbesondere sollte im Zusammenspiel mit der Änderung des § 82 Abs 2 („Opt‑in“) und § 87 Abs 1 („Opt‑out“) EheG der „Gestaltungsspielraum der Ehegatten hinsichtlich der Ehewohnung in moderater Weise“ erweitert werden (IA 673/A BlgNR 24. GP  36). Mit „Opt‑in“ ist die Möglichkeit der Ehegatten gemeint, im Voraus die Einbeziehung einer Ehewohnung in die Aufteilung zu vereinbaren, die ein Ehegatte in die Ehe eingebracht, von Todes wegen erworben hat oder die ihm von dritter Seite geschenkt worden ist; mit „Opt‑out“ die Möglichkeit, die Übertragung des Eigentums oder eines anderen dinglichen Rechts an einer solchen Wohnung im Rahmen der Aufteilung vorweg auszuschließen.

[27] § 97 EheG erlaubt grundsätzlich ohne inhaltliche Einschränkungen Vereinbarungen über die Aufteilung der gesamten ehelichen Errungenschaft, also sämtliche Vereinbarungen, die die Aufteilung der ehelichen Ersparnisse, der Ehewohnung und des übrigen ehelichen Gebrauchsvermögens zum Gegenstand haben (Stabentheiner/Pierer in Rummel/Lukas, ABGB4 § 97 EheG Rz 1 [Stand 1. 7. 2021, rdb.at]). Bei Vorliegen der in § 97 Abs 2 und 3 EheG geregelten Voraussetzungen kann der Außerstreitrichter allerdings diese Vorausvereinbarungen überprüfen und von ihnen abweichen (1 Ob 144/12a).

[28] § 97 Abs 2 EheG lautet:

Von einer im Voraus geschlossenen Vereinbarung über die Aufteilung der ehelichen Ersparnisse und des ehelichen Gebrauchsvermögens mit Ausnahme der Ehewohnung kann das Gericht bei der Aufteilung nur abweichen, soweit die Vereinbarung in einer Gesamtbetrachtung des in die Aufteilung einzubeziehenden Vermögens im Zeitpunkt der Aufteilungsentscheidung einen Teil unbillig benachteiligt, sodass ihm die Zuhaltung unzumutbar ist.

 

[29] § 97 Abs 3 EheG bestimmt:

Von einer im Voraus geschlossenen Vereinbarung über die Nutzung der Ehewohnung durch einen Ehegatten kann das Gericht bei der Aufteilung nur abweichen, soweit der andere Ehegatte oder ein gemeinsames Kind seine Lebensbedürfnisse nicht hinreichend decken kann oder eine deutliche Verschlechterung seiner Lebensverhältnisse hinnehmen müsste.

 

[30] Weicht das Gericht von einer im Voraus geschlossenen Vereinbarung ab, ist gemäß § 97 Abs 4 EheG insbesondere auf die Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse, die Dauer der Ehe sowie darauf Bedacht zu nehmen, inwieweit der Vereinbarung eine rechtliche Beratung vorangegangen ist und in welcher Form sie geschlossen wurde.

[31] 2.3. Die Materialien zum FamRÄG 2009 führen nach Erläuterung der Bestimmungen des § 82 Abs 2 („Opt‑in“) und § 87 Abs 1 zweiter Satz („Opt‑out“) EheG unter anderem aus (IA 673/A BlgNR 24. GP  36 f; Anm: Hervorhebungen durch den Senat):

„Der vorgeschlagene § 97 EheG sieht nun weitere Kautelen für solche Vorweg-Vereinbarungen der Ehegatten vor: [...] Abs 2 beschäftigt sich mit der Frage, ob und inwieweit das Gericht von solchen Vereinbarungen bei der Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens (mit Ausnahme der Ehewohnung) und der ehelichen Ersparnisse abgehen kann. Abs 3 behandelt dagegen das Abgehen von einer Vereinbarung über die Aufteilung der Ehewohnung. […]

Soweit eine Vereinbarung über das eheliche Gebrauchsvermögen (mit Ausnahme der in Abs 3 geregelten Vereinbarungen über die Ehewohnung) oder die ehelichen Ersparnisse oder die Zuhaltung einer solchen Vereinbarung – im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung gesehen – bei einer Gesamtbetrachtung der Vermögenslage der Ehegatten so unbillig wäre, dass sie einen Teil unzumutbar benachteiligt, soll das Gericht im Aufteilungsverfahren nicht daran gebunden sein (Abs 2). […]

Das Gericht kann demnach von einer Vereinbarung über die Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens oder der ehelichen Ersparnisse abgehen, wenn diese von Anfang an zu einer unbilligen und unzumutbaren Benachteiligung eines Teils führt. Das wird etwa dann der Fall sein, wenn sie die Ziele der Aufteilung des ehelichen Vermögens vorweg unterläuft und dem benachteiligten Ehegatten keinen angemessenen Anteil am gemeinsamen Vermögen sichert, sondern ihn mehr oder weniger mit Almosen abfertigt. Das Gericht kann im Aufteilungsverfahren aber auch von einer ursprünglich ausgewogenen und angemessenen Vereinbarung abweichen, wenn deren Zuhaltung nach den Umständen des Einzelfalls den anderen so unbillig benachteiligt, dass ihm deren Zuhaltung nicht mehr zugemutet werden kann. Bei dieser Entscheidung sind (nach Abs 4) insbesondere die Dauer der Ehe und die Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse der Ehegatten zu berücksichtigen.

Abs 3 behandelt das Schicksal von Vereinbarungen über die Ehewohnung: Das Gericht kann hier von Vereinbarungen über die Nutzung dieser Wohnung abweichen, soweit der Ehegatte oder ein gemeinsames Kind seine Lebensbedürfnisse nicht hinreichend decken kann. [...] Diese Befugnis des Gerichts erstreckt sich freilich nur auf Vereinbarungen, die die Nutzung der Ehewohnung durch einen Ehegatten regeln. Nicht aber kann das Gericht von Vereinbarungen abgehen, die die rechtliche Zuordnung der Ehewohnung an einen Ehegatten vorsehen. Sie sollen das Gericht im Aufteilungsverfahren weiterhin insoweit binden, als es diese Zuordnung nicht mehr in Frage stellen kann. Das schließt nicht aus, dass das Gericht eine Entscheidung trifft, die eine andere Nutzung der Ehewohnung vorsieht, als die Ehegatten vereinbart haben. Auch kann das Gericht bei der Aufteilung des übrigen Gebrauchsvermögens und der Ersparnisse durch einen entsprechenden Ausgleich darauf Bedacht nehmen, dass das Recht an der Wohnung bei einem Ehegatten verbleibt.“

 

[32] 2.4. Daraus ergibt sich, dass eine Vorausvereinbarung über die „Nutzung“ der Ehewohnung überprüft werden kann. Dagegen ist eine Vereinbarung über die „rechtliche Zuordnung“ der Ehewohnung „bestandsfest“ oder „korrekturresistent“ (Nademleinsky in Schwimann/Neumayr, ABGB Taschenkommentar6 [2023] § 97 EheG Rz 7; Gitschthaler in Schwimann/Kodek 5 II § 87 EheG Rz 8). Das heißt, das Gericht ist jedenfalls an die in der Vereinbarung festgelegte Zuteilung des Eigentums (und anderer dinglicher Rechte) gebunden (Hinteregger, Familienrecht10 [2022] 136; Fischer-Czermak, Ehepakte und Vermögensaufteilung nach Scheidung, FS Fenyves [2013] 113).

[33] Das Gericht kann aber – wie die Materialien klarstellen – bei der Aufteilung des übrigen Gebrauchsvermögens und der Ersparnisse durch einen entsprechenden Ausgleich darauf Bedacht nehmen, dass das Recht an der Wohnung bei einem Ehegatten verbleibt. Dieser Umstand ist daher entsprechend dem in § 83 Abs 1 EheG verankerten Billigkeitsgrundsatz (vgl RS0079235) bei der Aufteilungsentscheidung zu berücksichtigen, und zwar unabhängig von der Korrekturmöglichkeit nach § 97 EheG. Das kann dazu führen, dass im Hinblick auf die bindende Vorausvereinbarung über die Ehewohnung bei der Aufteilung des übrigen Vermögens vom an sich gebotenen Aufteilungsschlüssel abgewichen wird und ein Mehrzuspruch an den weichenden Ehegatten erfolgt. Dieser darf sich wertmäßig aber nur innerhalb der verbleibenden Aufteilungsmasse bewegen.

[34] 2.5. An diesen Befund schließen sich zwei Fragen an, die in der Lehre strittig sind und von der Rechtsprechung bislang nicht geklärt wurden:

[35] 2.5.1. Besonders umstritten (Schwimann in Zak 2009/530 schreibt von einem „interpretatorischen Schlachtfeld“) ist die Frage, ob die Ausnahme der Ehewohnung von der Nachkontrolle in § 97 Abs 2 EheG für alle Arten von Ehewohnungen gilt, also auch für eine Ehewohnung, die – wie hier – zur ehelichen Errungenschaft gehört (Errungenschaftsehewohnung). Der Gesetzgeber differenziert in § 97 EheG nicht zwischen eingebrachten Wohnungen und Errungenschaftsehewohnungen.

[36] 2.5.1.1. Ein Teil der Lehre tritt für eine teleologische Reduktion des § 97 Abs 2 EheG ein und will Vorausvereinbarungen über Errungenschaftsehewohnungen sehr wohl in dessen Anwendungsbereich einbeziehen (Schwimann, Zak 2009/530; Stabentheiner/Pierer in Rummel/Lukas, ABGB4 § 97 EheG Rz 17 f [Stand 1. 7. 2021, rdb.at]; Sagerer/Schiavon, Partnerschaft, Ehe und Scheidung [2012] 185 ff; Oberhumer, Unternehmen und Gesellschaftsanteile in der nachehelichen Vermögensaufteilung [2011] 279 ff; Ferrari, Zu Vorausvereinbarungen über die Ehewohnung nach § 97 EheG, EF‑Z 2015/37; Kerschner/Sagerer-Forić/Schoditsch, Familienrecht7 [2020] Rz 2/116; Gitschthaler, Aufteilungsrecht3 [2022] Rz 831; Gitschthaler in Schwimann/Kodek 5 II § 87 EheG Rz 8 ff). Der andere Teil der Lehre folgt dieser Auffassung nicht (Hopf/Kathrein, Eherecht3 § 97 EheG Rz 5; Fischer‑Czermak, Ehepakte und Vermögensaufteilung nach Scheidung, FS Fenyves [2013] 112 f; Moser, Rechtsgeschäftliche Vereinbarungen im Trennungsfolgenrecht [2013] 48; Deixler‑Hübner in Gitschthaler/Höllwerth, EuPR2 [2021] § 97 EheG Rz 10; Koch in KBB7 § 97 EheG Rz 4; Perner/Spitzer, wobl 2010, 33 f; Kissich in Fenyves/Kerschner/Vonkilch,Klang3 § 97 EheG Rz 46 ff).

[37] Die Befürworter einer teleologischen Reduktion sehen einen inhaltlichen Konnex der Ausnahme in § 97 Abs 2 EheG mit der Möglichkeit einer Opt-out-Vereinbarung nach § 87 Abs 1 zweiter Satz EheG. Diese Regelungsbefugnis der Ehegatten beziehe sich ja auch ausschließlich auf eine Ehewohnung, die ein Ehegatte in die Ehe eingebracht, von Todes wegen erworben oder die ihm ein Dritter geschenkt habe, also nicht auf Errungenschaftsehewohnungen. Argumentiert wird, dass nach dem Gesetzeszweck heiratswillige Liegenschaftseigentümer und schenkungswillige Verwandte nicht durch die Gefahr des Verlusts einer eingebrachten Ehewohnung von der Eheschließung bzw Schenkung abgeschreckt werden sollten. Da es dem Gesetzgeber nur um eingebrachte, ererbte oder geschenkte Wohnungen gegangen sei, wäre es nicht einsichtig, Vorausvereinbarungen über Errungenschaftsehewohnungen aus dem Unzumutbarkeitskalkül des § 97 Abs 2 EheG auszunehmen, zumal diese Wohnungen nicht selten das einzige Aufteilungsvermögen bildeten (vgl etwa Schwimann, Zak 2009/530; Gitschthaler in Schwimann/Kodek 5 II § 87 EheG Rz 9; jeweils unter Hinweis auf die Materialien). Schließlich wäre es unverständlich, wenn Vorausvereinbarungen über Errungenschaftsehewohnungen einer eingeschränkteren gerichtlichen Billigkeitskorrektur unterlägen als Vorausvereinbarungen über unbedeutende Ersparnisse (so zB Oberhumer, Unternehmen und Gesellschaftsanteile in der nachehelichen Vermögensaufteilung [2011] 281). Ferrari (Zu Vorausvereinbarungen über die Ehewohnung nach § 97 EheG, EF‑Z 2015/37) hebt unter anderem hervor, dass es der Bestimmung des § 87 Abs 1 zweiter Satz EheG gar nicht bedürfte, wenn nicht eigene Rechtsfolgen für solche Vereinbarungen vorgesehen wären. Stabentheiner/Pierer (in Rummel/Lukas, ABGB4 § 97 EheG Rz 18 [Stand 1. 7. 2021, rdb.at]) verweisen weiters auf die Materialien zum so nicht Gesetz gewordenen FamRÄG 2006 (RV 1626 BlgNR 22. GP ), die zu großen Teilen unverändert in den (oben bereits auszugsweise zitierten) IA zum FamRÄG 2009 übernommen worden seien: Darin werde nämlich der auch vom (späteren) Gesetzgeber als bedeutsam angesehene Zusammenhang zwischen einer Opt-out-Vereinbarung und der Anordnung eines Benützungsrechts (im alten Entwurf Abs 2, nunmehr Abs 3) angesprochen, wenn es heiße, dass der neue § 97 Abs 2 EheG [gemeint: gerichtliche Anordnung eines temporären Benützungsrechts] dem Umstand Rechnung trage, dass bindende Eigentumsverhältnisse aufgrund einer Opt‑out‑Vereinbarung sich im Verlauf der Zeit als unbillig herausstellen könnten.

[38] Die Gegenmeinung (übersichtlich dargestellt bei Kissich in Fenyves/Kerschner/Vonkilch,Klang3 § 97 EheG Rz 49) beruft sich auf den klaren Wortlaut der Bestimmung, die Gesetzesmaterialien und auch auf den Bewahrungsgrundsatz. Die Beschränkung der gerichtlichen Korrekturbefugnisse auf die Wohnungsnutzung sei nicht unsachlich. Gerade weil es sich bei der Ehewohnung oftmals um den wertvollsten Teil des ehelichen Vermögens handle, solle einer Vereinbarung in Notariatsaktsform weitgehende Bestandfestigkeit zukommen. Existenzgefährdenden Umständen könne durch die gerichtliche Abweichungsmöglichkeit bei der Nutzungsregelung im Rahmen des § 97 Abs 3 EheG die Spitze genommen werden.

[39] Kissich (Fenyves/Kerschner/Vonkilch,Klang3 § 97 EheG Rz 51) räumt zwar ein, dass Vertreterinnen und Vertreter der teleologischen Reduktion plausible Argumente vorbringen würden. Allerdings seien seit der Reform über zehn Jahre vergangen, in denen der Gesetzgeber genug Zeit gehabt hätte, sein Werk nachzubessern. Es könne nicht Aufgabe der Gerichte sein, kontroversiell diskutierte Reformen zu korrigieren, insbesondere wenn der Wortlaut der Norm eindeutig sei, den Materialien kein Hinweis auf eine Interpretation contra legem zu entnehmen sei und historische, systematische und teleologische Argumente für beide Auslegungsvarianten gefunden werden könnten. Aus diesen Gründen sei eine teleologische Reduktion abzulehnen.

2.5.1.2. Dazu ist zu erwägen:

[40] Unbefriedigende Gesetzesbestimmungen zu ändern, ist nicht Sache der Rechtsprechung, sondern der Gesetzgebung (RS0008880 [T2]). Die teleologische Reduktion einer gesetzlichen Regelung erfordert den klaren Nachweis des Gesetzeszwecks, an dem sich die (letztlich Gesetzeswortlaut korrigierende) Auslegung orientieren soll (RS0106113 [T3]).

[41] Dieser klare Nachweis kann hier schließlich nicht erbracht werden: Auch die Errungenschaftsehewohnung fällt dem Wortlaut entsprechend unter die Ausnahme des § 97 Abs 2 EheG. Aus den Materialien ergibt sich nicht (zweifelsfrei), dass der Gesetzgeber die Errungenschaftswohnung nicht dieser Ausnahme hätte unterwerfen wollen. Eine teleologische Reduktion im Sinn der dargestellten Literaturstimmen ist daher abzulehnen.

[42] Dieses Ergebnis ist aber im Weiteren nicht von entscheidender Bedeutung, weil – wie sogleich zu zeigen sein wird – nach Ansicht des Fachsenats die Reichweite der Ausnahme auf die rechtliche Zuordnung der Ehewohnung zu beschränken ist.

[43] 2.5.2. Die zweite im Zusammenhang mit der Ausnahme der Ehewohnung aus der Billigkeitskontrolle nach § 97 Abs 2 EheG zu klärende Frage ist nämlich, ob (auch) eine mit einer Regelung über die Rechte an der (Errungenschafts-)Ehewohnung im Zusammenhang stehende Ausgleichsvereinbarung „korrekturresistent“ ist (dieser Ansicht offenbar Gitschthaler in Schwimann/Kodek 5 II § 87 EheG Rz 9; eher offenlassend Kissich in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 97 EheG Rz 45).

[44] Dafür ist kein überzeugender Grund ersichtlich. Auch die Gesetzesmaterialien gehen davon aus, dass (nur) die rechtliche Zuordnung der Ehewohnung an einen Ehegatten das Aufteilungsgericht binden soll („insoweit ..., als es diese Zuordnung nicht mehr in Frage stellen kann“). Eine Regelung über den Ausgleich für die Schaffung der Ehewohnung durch eheliche Errungenschaft geht jedoch über die rechtliche Zuordnung der Ehewohnung hinaus und betrifft die Aufteilung des (übrigen) Vermögens, das § 97 Abs 2 EheG der Billigkeitskorrektur unterwirft.

[45] Eine diesbezügliche Vereinbarung ist daher jedenfalls nach § 97 Abs 2 EheG zu beurteilen und unter dessen Voraussetzungen korrigierbar.

[46] Für diese Lösung sprechen schon die skizzierten Unklarheiten in Bezug auf die gesetzgeberische Absicht und die gewichtigen Argumente für eine teleologische Reduktion des Gesetzes, die es erfordern, die Ausnahme der Ehewohnung aus § 97 Abs 2 EheG eng zu interpretieren.

[47] Die Gefahr, dass dadurch die Vereinbarung über die rechtliche Zuordnung der Ehewohnung ausgehöhlt wird, weil der Ehegatte, dem die Ehewohnung verbleiben soll, gezwungen sein könnte, die eheliche Liegenschaft zu verkaufen oder zu belasten, um eine ihm trotz anders lautender Vorausvereinbarung auferlegte Ausgleichszahlung zu finanzieren, ist eher gering: Grundvoraussetzung für die Eingriffsbefugnis des Gerichts ist die grobe Unbilligkeit der Vorausvereinbarung. Auch bei Vorliegen dieser Voraussetzung ist Ziel einer Korrektur nicht ein Ausgleich in voller („idealtypischer“) Höhe (siehe dazu näher unter Punkt 4.). Schließlich setzt die Auferlegung einer nicht im Wert der verbleibenden Aufteilungsmasse Deckung findenden Ausgleichszahlung voraus, dass die Restmasse nicht ausreicht, um eine „extreme Benachteiligung“ abzufedern (Nademleinsky in Schwimann/Neumayr, ABGB Taschenkommentar6 [2023] § 97 EheG Rz 7). Sollte dies aber so sein und der ausgleichspflichtige Ehegatte über keine anderen Mitteln verfügen, wäre im Einzelfall auch die Notwendigkeit einer Belastung oder allenfalls Veräußerung der Ehewohnung als faktische Folge der gebotenen Vereinbarungskorrektur hinzunehmen.

3. Daraus ergibt sich nachstehendes Zwischenergebnis:

[48] 3.1. Nur die rechtliche Zuordnung der Ehewohnung durch Vorausvereinbarung ist „korrekturresistent“; eine Vorausvereinbarung über den Ausgleich für die Errungenschaftsehewohnung fällt demgegenüber unter das Billigkeitskorrektiv des § 97 Abs 2 EheG.

[49] Die Eheleute haben hier in der Scheidungsfolgenvereinbarung wechselseitig auf eine Ausgleichszahlung für die Ehewohnung verzichtet. Ob darin auch eine Vereinbarung über die rechtliche Zuordnung der Ehewohnung liegt, kann dahin gestellt bleiben, weil die Parteien übereinstimmend davon ausgehen, dass die Ehewohnung im Alleineigentum der Frau verbleibt.

[50] 3.2. Der Vorausverzicht auf eine Ausgleichszahlung für die Ehewohnung, die eine eheliche Errungenschaft bildet, unterliegt einer Nachkontrolle durch das Außerstreitgericht. Das Erstgericht wird sich daher die Frage zu stellen haben, ob die Zuhaltung der Vereinbarung den Mann nach den Umständen des Einzelfalls so unbillig benachteiligt, dass sie ihm nicht mehr zugemutet werden kann. Dafür ist entgegen der bisherigen Rechtsansicht der Vorinstanzen eine Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Mannes zum Wert der Errungenschaftsehewohnung und den Beiträgen der Parteien iSd § 82 Abs 1 Z 1 EheG erforderlich.

4. Grundsätzliche Erwägungen zur Nachkontrolle gemäß § 97 Abs 2 iVm Abs 4 EheG:

[51] 4.1. Zunächst ist zu klären, welchen Beurteilungsmaßstab das Gericht anzulegen und auf welchen Zeitpunkt es dabei abzustellen hat:

[52] 4.1.1. Ab wann die Zuhaltung einer Vereinbarung iSd § 97 Abs 2 EheG unzumutbar ist, legt das Gesetz nicht konkret dar. Die Materialien sprechen davon, dass eine unbillige und unzumutbare Benachteiligung eines Teils etwa dann vorliegen werde, wenn die Vereinbarung „die Ziele der Aufteilung des ehelichen Vermögens vorweg unterläuft und dem benachteiligten Ehegatten keinen angemessenen Anteil am gemeinsamen Vermögen sichert, sondern ihn mehr oder weniger mit Almosen abfertigt“. Auch diese Ausführungen lassen in Anbetracht der denkbaren Bandbreite zwischen bloßen Almosen und einem angemessenen Anteil am gemeinsamen Vermögen im Dunkeln, welchen Maßstab das Gesetz vor Augen hat.

[53] Vertreten wird in der Literatur einerseits die Auffassung, dass die unbillige Benachteiligung iSd § 97 Abs 2 EheG noch nicht die Schwelle der Sittenwidrigkeit erreichen müsse, zum anderen, dass Abs 2 dem Sittenwidrigkeitsvorbehalt des § 879 Abs 1 ABGB entsprechen würde (Stabentheiner/Pierer in Rummel/Lukas, ABGB4 § 97 EheG Rz 20 mwN [Stand 1. 7. 2021, rdb.at]).

[54] Nach Nademleinsky (in Schwimann/Neumayr, ABGB Taschenkommentar6 [2023] § 97 EheG Rz 7) setzt eine „unzumutbare Benachteiligung“ eine über die Verletzung der Billigkeit des § 83 EheG hinausgehende extreme Verkürzung des angemessenen Aufteilungsanteils bis zur vergleichsweisen Dimension eines „Almosens“ oder mit existenzgefährdender Wirkung voraus.

[55] Deixler-Hübner (in Gitschthaler/Höllwerth, EuPR2 [2021] § 97 EheG Rz 11) meint unter Hinweis auf die Materialien, dass das Aufteilungsgericht nur bei einer über die allgemeine Unbilligkeit iSd § 83 EheG hinausgehenden groben Ungleichgewichtslage einschreiten und hier korrigierend eingreifen könne, weil anderenfalls die eingeräumte Privatautonomie wieder konterkariert würde. Nur grob benachteiligende Vereinbarungen würden der aufteilungsrichterlichen Nachkontrolle unterliegen, ohne dass freilich das Maß der Sittenwidrigkeit erreicht sei. Letztlich bestünden daher nun drei verschiedene Maßstäbe: „die schlicht unbilligen“ Vereinbarungen, die bindungsfest seien, die grob benachteiligenden Vereinbarungen, die das Aufteilungsgericht im Sinn einer Anpassung zu korrigieren habe, und die sittenwidrigen Vereinbarungen, die im streitigen Verfahren angefochten werden könnten. Die Grenzen seien hier aber fließend und nicht immer klar zu ziehen.

[56] 4.1.2. Der letztgenannten Ansicht ist gegenüber der Gleichsetzung der in § 97 Abs 2 EheG genannten Unbilligkeit und Unzumutbarkeit mit dem Sittenwidrigkeitsvorbehalt des § 879 Abs 1 ABGB der Vorzug zu geben. Denn esist nicht ersichtlich, warum es der besonderen Nachkontrolle nach § 97 Abs 2 EheG bedürfte, wenn die Voraussetzungen für eine Anfechtbarkeit der Vorausvereinbarung nach § 879 ABGB erfüllt sein müssten. Vielmehr liegt nahe, dass § 97 Abs 2 EheG dem betroffenen Ehegatten einen weitergehenden und umfassenderen Schutz bieten soll, der eine Berücksichtigung anderer – für eine Sittenwidrigkeitsprüfung nach ABGB nicht unbedingt relevanter – Aspekte oder eine abweichende Gewichtung erlaubt. So kann sich eine „unbillige Unzumutbarkeit“ iSd § 97 Abs 2 EheG insbesondere unter Bedachtnahme auf die in § 97 Abs 4 EheG demonstrativ genannten Kriterien, wie die Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse und die der Vorausvereinbarung vorangegangene rechtliche Beratung, ergeben oder etwa im Hinblick darauf, dass sich ein allfälliges Verschulden eines Ehegatten benachteiligend auf die Vermögensentwicklung ausgewirkt hat (vgl Deixler‑Hübner in Gitschthaler/Höllwerth, EuPR2 [2021] § 97 EheG Rz 14). Auch könnte – wie hier – eine schwere Erkrankung eines der Ehegatten, die ihn an einer Erwerbstätigkeit hindert, bei der Beurteilung von Relevanz sein.

[57] 4.1.3. Die „unbillige Unzumutbarkeit“ nach § 97 Abs 2 EheG beurteilt sich jedenfalls nach allen maßgeblichen Umständen des Einzelfalls im Zeitpunkt der Aufteilungsentscheidung (1 Ob 168/15z). Die unbillige und unzumutbare Benachteilung muss nicht schon bei Abschluss der Vereinbarung vorliegen, sondern kann auch erst durch spätere Umstandsänderung eingetreten sein („Umstandsklausel“; 1 Ob 144/12a).

[58] 4.1.4.  Ob die Voraussetzungen für die Anwendung von § 97 Abs 2 EheG vorliegen, entzieht sich als Frage des Einzelfalls einer generalisierenden Betrachtung. Allerdings liegt es nahe, insofern auf die § 934 ABGB zugrunde liegende Wertung zurückzugreifen: Wenn die Rechtsordnung bei gegenseitigen Verträgen eine Verkürzung über die Hälfte Grund für einen Eingriff in die Privatautonomie ansieht, wird das auch bei Vereinbarungen iSv § 97 Abs 2 EheG in die Beurteilung der groben Unbilligkeit einzufließen haben. Es spricht daher – abhängig von den Umständen des Einzelfalls – nichts dagegen, eine krasse Benachteiligung iSd § 97 Abs 2 EheG dann anzunehmen, wenn der betroffene Ehegatte aufgrund der Vorausvereinbarung nicht einmal die Hälfte dessen erhielte, was ihm zustünde, wenn man die Vorausvereinbarung wegdenkt.

[59] 4.1.5. Daher bedarf es im konkreten Fall für die Nachkontrolle grundsätzlich einer Gegenüberstellung dessen, was dem Mann ohne die Vorausvereinbarung zustünde, und dem, was ihm trotz der Vorausvereinbarung zukommt („Kontroll- oder Parallelrechnung“).

[60] Dazu ist die gesamte – für die Aufteilung relevante – finanzielle Situation der Ehegatten zum Aufteilungsstichtag zu berücksichtigen. So sind – neben der Ehewohnung – insbesondere auch die weiteren Regelungen der Scheidungsfolgenvereinbarung in Anschlag zu bringen, etwa der Umstand, dass der Mann auf eine Auszahlung aus der (auf seinen Namen abgeschlossenen) Lebensversicherung Polizzen Nummer * verzichtet hat, obgleich die laufenden Prämien von der Frau während aufrechter Ehe eingezahlt wurden.

[61] Sollte eine Gesamtbetrachtung ergeben, dass die Vermögenswerte, die dem Mann unter Berücksichtigung der Scheidungsfolgenvereinbarung zukommen würden, weniger als die Hälfte dessen betragen, was ihm ohne diese Vereinbarung zustände, könnte das Aufteilungsgericht – vorbehaltlich entgegenstehender Billigkeitserwägungen im Einzelfall – korrigierend eingreifen.

[62] 4.2. Damit stellt sich die Frage nach dem Umfang dieser Korrekturbefugnis:

[63] 4.2.1. Nademleinsky (in Schwimann/Neumayr, ABGB Taschenkommentar6 [2023] § 97 EheG Rz 7) meint, die richterliche Korrektur habe so weit zu erfolgen, dass damit der Vereinbarung die „unzumutbare Spitze“ genommen werde; korrigierende Teilanpassung der Vereinbarung könne genügen.

[64] Kissich (in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 97 EheG Rz 38) führt aus, dass schon der Wortlaut des § 97 Abs 2 EheG („Korrektur“, „soweit“) verdeutliche, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen nicht notwendigerweise die gesamte Vereinbarung unbeachtlich sei. Die Materialien würden dies unterstreichen: Vielfach werde „es genügen, sie entsprechend anzupassen und darauf im Übrigen im Aufteilungsverfahren nach wie vor Bedacht zu nehmen“. Es sei daher nicht Aufgabe des Gerichts, eine iSd § 83 EheG ausgewogene (idealtypische) Vereinbarung zu schaffen, sondern auf Grundlage der Billigkeitskriterien (siehe § 83 EheG) und der Vorgaben nach § 97 Abs 4 EheG eine Aufteilungsregelung zu finden, die nicht mehr zu einer derart krassen Benachteiligung führt.

[65] Auch Stabentheiner/Pierer (in Rummel/Lukas, ABGB2 § 97 EheG Rz 24 [Stand 1. 7. 2021, rdb.at]) gehen davon aus, dass, sofern möglich, die Vorausvereinbarung nicht zur Gänze wegfallen, sondern nur korrigiert werden solle, wenn dies in einem sinnvollen Rahmen umgesetzt werden könne. Wenn sich die vertragliche Regelung aber selbst mit Anpassungen nicht vernünftig in eine adäquate Gesamtentscheidung einbauen lasse, müsse sie zur Gänze außer Betracht bleiben.

[66] 4.2.2. Aus all dem folgt, dass eine gewisse Unausgewogenheit bei der Aufteilungsentscheidung letztlich in Kauf genommen werden muss, weil eine gerichtliche Regelung, wie sie ohne die Vereinbarung geboten gewesen wäre, die nach § 97 Abs 2 EheG grundsätzlich zu wahrende Privatautonomie unterliefe und damit nicht von der Korrekturbefugnis des Aufteilungsgerichts gedeckt ist.

[67] In welchem Ausmaß und auf welche Art die Korrektur vor diesem Hintergrund zu erfolgen hat, ist jedoch stets von den besonderen Umständen des Einzelfalls abhängig und entzieht sich genereller Aussagen, jedenfalls zu beachten sind die Kriterien des § 94 Abs 4 EheG.

[68] Für den konkreten Fall würde das bedeuten, dass dem Mann – bei Vorliegen der Voraussetzungen – in Ansehung des Errungenschaftsanteils an der Ehewohnung eine Ausgleichszahlung zugesprochen werden könnte, die (nur) sicherstellt, dass ihm die Zuhaltung der Vereinbarung nicht mehr unzumutbar ist.

[69] 4.3. Ob und inwieweit die vorliegende Scheidungsfolgenvereinbarung zu korrigieren ist, kann auf Grundlage des bislang festgestellten Sachverhalts allerdings noch in keiner Weise beurteilt werden. Es bedarf einer Ergänzung des Verfahrens und weiterer Feststellungen, die die bereits angesprochene Gegenüberstellung („Kontroll- bzw Parallelrechnung“) ermöglichen. Schon wegen dieser Feststellungsmängel erweist sich die Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung (im Anfechtungsumfang) als zutreffend.

5. Bei Ermittlung der Ausgleichszahlung für die Ehewohnung sind folgende Grundsätze zu beachten:

[70] 5.1. Bewertungsstichtag für die Ehewohnung ist der Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz (RS0057644). Voreheliche Beiträge der Streitteile iSd § 82 Abs 1 Z 1 EheG, die in der Ehewohnung wertbildend aufgegangen sind, müssen wertverfolgend berücksichtigt werden (RS0057490). Sie sind vor Aufteilung des Vermögens von dessen Wert rechnerisch abzuziehen und dem betreffenden Ehegatten vorweg zuzuweisen (RS0057478 [T4]). Dabei ist nicht vom seinerzeitigen Wert des Eingebrachten auszugehen, sondern darauf abzustellen, inwieweit die Leistung wertmäßig im betreffenden Vermögensgegenstand fortwirkt (RS0057478 [T5]). Dies hat dergestalt zu erfolgen, dass der Wert des eingebrachten Vermögens zum Verkehrswert der damit finanzierten Sache bei deren Erwerb ins Verhältnis gesetzt und daraus die „Einbringungsquote“ ermittelt wird (1 Ob 97/19z; 1 Ob 113/23h mwN). Ein dieser Quote entsprechender Teil des Werts der Liegenschaft wäre von diesem Wert abzuziehen und dem einbringenden Gatten vorweg zuzuweisen. Der verbleibende Betrag wäre (als eheliche Errungenschaft) auf die Ehegatten entsprechend dem Aufteilungsschlüssel (hier 1 : 1) aufzuteilen.

[71] Ein Ehegatte, der behauptet, dass in seinem Eigentum stehende Vermögenswerte nach § 82 Abs 1 EheG der Aufteilung entzogen seien, hat das Vorliegen des Ausnahmetatbestands zu beweisen (RS0130108). Verbleibende Unklarheiten gehen daher zu Lasten des Beweispflichtigen.

5.2. Ausgehend von dieser Rechtslage kann mit den bislang getroffenen Feststellungen aus folgenden Gründen nicht das Auslangen gefunden werden:

[72] Das Erstgericht hat festgestellt, dass Wohnhaus und Firmengebäude insgesamt mit 1,1 Mio EUR versichert seien und der Versicherungswert „in etwa“ dem Gebäudewert entspreche, wobei zwischen Wohnhaus und Werkstatt ein Werteverhältnis 1 : 2 bestehe. Außerdem hat es festgestellt, dass die Finanzierung der Ehewohnung neben Verwendung des Guthabens vom Sparbuch „Happy Birthday“ zum größten Teil aus den in die Ehe eingebrachten Vermögenswerten der Frau erfolgt sei. Es sei lediglich ein Finanzierungsbedarf in Höhe von 35.964 EUR verblieben, welcher von beiden Ehegatten gemeinsam gestemmt worden sei.

[73] Diese Feststellungen lassen offen, ob es sich bei dem (nur sehr annäherungsweise festgestellten) Gebäudewert um den Wert zum maßgeblichen Stichtag handelt. Es fehlen weiters Feststellungen dazu, inwieweit voreheliche Beiträge der Streitteile wertmäßig in der Ehewohnung fortwirken. Die bisherigen Feststellungen erlauben (zu Lasten der Frau noch) keine Beurteilung, in welchem Umfang die von ihr investierten vorehelichen Ersparnisse im Wohngebäude wertbildend aufgegangen sind. Zur Berechnung der Einbringungsquote bedarf es überdies der Feststellung des Werts der Ehewohnung im Zeitpunkt der Errichtung (der der Einfachheit halber mit den gesamten Errichtungskosten gleichgesetzt werden kann).

6. Zum Sparbuch „Happy Birthday“:

[74] 6.1. Das Erstgericht hat festgestellt, dass der Mann auf diesem Sparbuch, das vor der Ehe einen Einlagestand von 8.000 EUR [sic] aufwies, Zahlungen von Kunden des Tischlereibetriebs vereinnahmte und sich im Juni 1996 darauf ein Guthaben von 1.600.429,78 ATS befand. Das gesamte Guthaben wurde im Lauf des Jahres 1996 für die Errichtung „der Gebäude“ auf der ehelichen Liegenschaft investiert.

[75] 6.2. Diese Erträgnisse aus dem (damals) Unternehmen des Mannes wurden, soweit sie (während der aufrechten ehelichen Lebensgemeinschaft) in den Bau der Ehewohnung flossen, zweifellos schlüssig für private Zwecke umgewidmet (RS0057713). Allein durch die Einzahlung der Unternehmenserträge auf das Sparbuch erfolgte allerdings noch keine (darüber hinausgehende) schlüssige Umwidmung für private Zwecke, was aber wiederum Voraussetzung für die vom Mann geforderte Anwendung des § 91 Abs 2 EheG wäre. Entgegen seiner Meinung steht nämlich nicht fest, dass die Einzahlungen der Kunden darauf verbucht wurden, „um sie später unter anderem zur Errichtung des Wohnhauses zu verwenden“.

[76] 6.3. Erträgnisse eines nicht in die Aufteilung einzubeziehenden Unternehmens sind nach Umwidmung für Privatzwecke der Aufteilung zu unterziehen (RS0057713 [T1]). Soweit diese Erträgnisse in die Ehewohnung investiert wurden und damit schlüssig für private Zwecke umgewidmet wurden, kommt daher – anders als die Ausführungen des Rekursgerichts nahe legen – von vornherein keine wertverfolgende Berücksichtigung zugunsten des Mannes in Betracht.

[77] Bei Ermittlung des (hypothetisch) der Aufteilung unterliegenden Werts der Ehewohnung ist aber nicht maßgeblich, welcher Betrag des Sparguthabens tatsächlich in die Errichtung geflossen ist (was die Vorinstanzen für bedeutend halten). Entscheidend ist in dem Zusammenhang vielmehr, ob und inwieweit die Parteien Beiträge iSd § 82 Abs 1 Z 1 EheG – also von ihnen eingebrachte oder ihnen zugewendete Vermögenswerte – unter Beweis stellen können (RS0130108), die wertmäßig in der Ehewohnung noch fortwirken, sodass diese insofern nicht als eheliche Errungenschaft zu werten wäre. Diesbezügliche Zweifel gingen zugunsten der ehelichen Errungenschaft, also des aufzuteilenden Vermögens, an dem der Mann entsprechend der Aufteilungsquote partizipieren würde, wenn sein Vorausverzicht auf eine Ausgleichszahlung für die Ehewohnung nicht (vollumfänglich) griffe.

[78] 7. Soweit das Rekursgericht das Verfahren in Ansehung diverser Sparbücher und Konten und Behebungen für ergänzungsbedürftig hält, kann der Oberste Gerichtshof dem nicht entgegentreten (RS0042179; RS0043414). Richtig ist jedenfalls die Auffassung des Rekursgerichts, dass der Umfang der Aufteilungsmasse (Ersparnisse zum Stichtag einerseits und Grundlagen für eine Hinzurechnung nach § 91 EheG andererseits) mangelfrei festzustellen ist. Auch die Resultate dieser Ergänzungen wird das Erstgericht in die für die Billigkeitskontrolle erforderliche Gesamtbetrachtung einfließen lassen müssen.

8. Ergebnis und Kosten:

[79] 8.1. Da die Frage, ob und inwieweit dem Mann ein Ausgleich für die eine eheliche Errungenschaft bildende Ehewohnung zuzuerkennen ist, einer weiteren Klärung bedarf, hat es im Ergebnis bei der aufhebenden Entscheidung des Rekursgerichts zu bleiben. Dem Revisionsrekurs ist daher nicht Folge zu geben. Neben den bereits vom Rekursgericht erteilten Aufträgen wird das Erstgericht das Verfahren im Sinn der obigen Erwägungen zu ergänzen und dementsprechend eine neuerliche Entscheidung zu treffen haben.

[80] 8.2. Die tragenden Erwägungen dieser Entscheidung können wie folgt zusammengefasst werden:

Das Gericht kann von einer Vereinbarung über die Aufteilung einer Ehewohnung nach § 97 Abs 2 und Abs 3 EheG auch bei grober Unbilligkeit nur in Bezug auf die Nutzung dieser Wohnung abweichen. Bildet die Ehewohnung aber ganz oder teilweise eheliche Errungenschaft, so ist unter den Voraussetzungen des § 97 Abs 2 EheG die Auferlegung einer Ausgleichszahlung möglich.

Ob Unzumutbarkeit iSd § 97 Abs 2 EheG vorliegt, ist durch einen Vergleich der Aufteilungsergebnisse mit und ohne Beachtung der Vereinbarung zu ermitteln. Ein Indiz für die Unzumutbarkeit kann im Einzelfall darin liegen, dass ein Ehegatte bei Beachtung der Vereinbarung mehr als die Hälfte weniger erhielte als ohne diese Vereinbarung.

Ist Unzumutbarkeit anzunehmen, so ist unter Bedachtnahme auf § 97 Abs 4 EheG (nur) so weit von der Vereinbarung abzuweichen, dass das Ergebnis der Aufteilung im Einzelfall nicht mehr unzumutbar ist.

 

[81] 8.3. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 78 Abs 1 letzter Satz AußStrG.

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