OGH 7Ob145/24k

OGH7Ob145/24k23.10.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. S* A*, vertreten durch Dr. Martin Sommer, Rechtsanwalt in Leoben, gegen die beklagte Partei S* Krankenanstalten Gesellschaft m.b.H., *, vertreten durch die Reif und Partner Rechtsanwälte OG in Graz, wegen 70.590,93 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 27. Juni 2024, GZ 5 R 45/24p‑48, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00145.24K.1023.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger unterzog sich in einem von der Beklagten betriebenen Krankenhaus einem arthroskopischen Eingriff am rechten Kniegelenk. Dabei erlitt er als Komplikation des Eingriffs eine tiefe Beinvenenthrombose.

[2] Das Erstgericht wies die Klage ab. Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung des Klägers keine Folge.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers.

[4] 1. Der Patient kann nur dann wirksam in eine medizinische Behandlung einwilligen, wenn er über die Bedeutung des vorgesehenen Eingriffs und seine möglichen Folgen hinreichend aufgeklärt wurde (RS0026499; RS0038176). Die Aufklärungspflicht gilt vor allem bei Vorliegen einer typischen Gefahr. Diese Typizität ergibt sich nicht aus der Komplikationshäufigkeit sondern daraus, dass das Risiko speziell dem geplanten Eingriff anhaftet und auch bei Anwendung allergrößter Sorgfalt und fehlerfreier Durchführung nicht sicher vermeidbar ist (RS0026340). Auf typische Risiken einer Operation ist daher unabhängig von prozentmäßigen statischen Wahrscheinlichkeiten, also auch bei einer allfälligen Seltenheit ihres Eintritts, hinzuweisen (RS0026581). Der Umfang der Aufklärungspflicht bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls und wirft – von krassen Fehlentscheidungen abgesehen – keine erhebliche Rechtsfrage auf (RS0026529).

[5] 2.1. Im vorliegenden Fall erlitt der Kläger als Folge eines operativen Eingriffs eine tiefe Beinvenenthrombose. Der Kläger wurde vor der Operation von einer Ärztin der Beklagten in einem Gespräch unter Zuhilfenahme von zwei Standardaufklärungsbögen über den Eingriff und seine Folgen aufgeklärt. Er wurde dabei auch über den Umstand, dass der operative Eingriff eine Beinvenenthrombose zur Folge haben kann, aufgeklärt, was die Revision auch nicht bestreitet.

[6] 2.2. Damit ist aber die vom Kläger zitierte Entscheidung des (deutschen) Bundesgerichtshofs (BGH VI ZR 329/94 = r + s 1996, 100) schon mangels Vergleichbarkeit der Sachverhalte nicht einschlägig. Der BGH sah dortin der Aushändigung eines Merkblatts nach Anordnung der Behandlung, in dem auf die Gefahr von Blutumlaufstörungen hingewiesen wurde, keine ordnungsgemäße Aufklärung. Außerdem fehlten Feststellungen, ob und in welchem Maße das Thromboserisiko zur Zeit der Behandlung ernsthaft und für den Patienten erkennbar in der Diskussion gewesen sei. Damit stand aber im Fall des BGH – anders als hier – gerade nicht fest, dass ordnungsgemäß über die Thrombosegefahr aufgeklärt worden war. Hinzu kommt, dass die von der Revision behaupteten „unterschiedlichen Expertenmeinungen“ zur Verabreichung einer medikamentösen Thromboseprophylaxe keine Deckung im Sachverhalt haben. Vielmehr steht fest, dass nach den Regeln der Kunst und unter Berücksichtigung rezenter Publikationen die Verabreichung einer medikamentösen Thromboseprophylaxe nicht angezeigt war.

[7] 3.1. Im Übrigen geht es im vorliegenden Fall nicht primär um eine ordnungsgemäße Aufklärung vor der Operation (präoperativ), sondern um die Frage, ob die Ärzte der Beklagten dem Kläger nach der Operation am rechten Kniegelenk (postoperativ) eine Nachbehandlung in Form einer medikamentösen Thromboseprophylaxe oder von Thrombose-Strümpfen anbieten oder zumindest mit ihm erörtern hätten müssen.

[8] 3.2. Nach der Rechtsprechung ist eine Aufklärung über Behandlungsalternativen (hier Nachbehandlungsalternativen) erforderlich, wenn für den konkreten Behandlungsfall mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Behandlungsmethoden zur Verfügung stehen, die gleichwertig sind, aber unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen haben (RS0026426 [T11]). Hier steht aber fest, dass sich beim Kläger mangels patientenspezifischer perioperativer Risikofaktoren und einem altersentsprechenden unauffälligen physikalischen Status eine Thrombosegefahr nicht ableiten ließ und daher eine Thromboseprophylaxe nicht angezeigt war. Es gab zum Behandlungszeitpunkt auch keine überzeugende wissenschaftliche Evidenz, dass die Gabe von medikamentöser Thromboseprophylaxe oderdas Tragen von Kompressionsstrümpfen das Auftreten einer tiefen Beinvenenthrombose bei Patienten, die sich einer einfachen Arthroskopie und Teilmeniskektomie unterziehen und bei denen – wie beim Kläger – kein individueller Risikofaktor für die Ausprägung einer tiefen Beinvenenthrombose besteht, wirksam verhindern hätte können. Weiters steht fest, dass die Verabreichung einer medikamentösen Thromboseprophylaxe nicht unerhebliche Risiken beinhaltet hätte. Im vorliegenden Fall waren daher weder die medikamentöse Thromboseprophylaxe noch das Tragen von Kompressionsstrümpfen medizinisch indizierte Behandlungsmethoden.

[9] 3.3. Auch die von der Revision mehrfach zitierte Entscheidung 9 Ob 52/12f ist nicht einschlägig. Dort ging es um die Frage der präoperativen Aufklärung über eine (zahntechnische) Prophylaxe, um eine im Zuge der Operation möglicherweise auftretende weitere Lockerung von Zähnen des Patienten hintanzuhalten. Der Oberste Gerichtshofsprach aus, dass die Aufklärung auch einen Hinweis auf adäquate prophylaktische Behandlungsschritte zur Vermeidung oder zumindest größtmöglichen Hintanhaltung an sich typischer Operationsrisiken – dort die weitere Lockerung von Zähnen im Zuge der Operation – zu beinhalten hat. Daraus ist aber nicht abzuleiten, dass ein Arzt den Patienten über eine aus medizinischer Sicht nicht indizierte Nachbehandlung in Form einer medikamentösen Thromboseprophylaxe – die wiederum nicht unerhebliche Risiken beinhaltet – und für deren Wirksamkeit es keine medizinische Evidenz gibt, aufzuklären hätte.

[10] 4. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, die Beklagte habe ihre Aufklärungspflicht nicht verletzt, ist somit nicht korrekturbedürftig. Daher sind auch die von der Revision behaupteten sekundären Feststellungsmängel nicht von Relevanz.

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