OGH 13Os49/24s

OGH13Os49/24s11.9.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. September 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. Wachter in der Strafsache gegen * H* wegen des Vergehens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 fünfter Fall und Abs 2 StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen, AZ 96 Hv 83/23p des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss dieses Gerichts vom 13. Mai 2024 (ON 52) sowie über dessen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen das Versäumen der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 13. März 2024 (ON 43.3), ferner über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen dieses Urteil sowie die Beschwerden des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen den zugleich ergangenen Beschluss auf Absehen vom Widerruf bedingter Strafnachsicht und Verlängerung einer Probezeit nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0130OS00049.24S.0911.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird bewilligt.

Mit seiner Beschwerde gegen den Beschluss auf Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde wird der Angeklagte hierauf verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden gegen den zugleich mit dem Urteil ergangenen Beschluss werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 13. März 2024 (ON 43.3) wurde * H* – soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung – des Vergehens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 fünfter Fall und Abs 2 StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat er mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz im angefochtenen Urteil genannte Personen durch Täuschung über seine Zahlungsfähigkeit und -willigkeit zu Handlungen, nämlich zum Abschluss jeweils eines Mietvertrags und anschließender Überlassung des Bestandsobjekts zur Nutzung, verleitet, die die Eigentümer im 5.000 Euro übersteigenden Betrag von zusammen 68.102,15 Euro (an nicht geleisteten Mietzinszahlungen) am Vermögen schädigten, und zwar

(1) am 30. April 2020 für eine Wohnung in W* und

(2) am 28. April 2022 für ein Einfamilienhaus in K*, wobei er zur Täuschung ein falsches Beweismittel, nämlich eine inhaltlich unrichtige Lohn- und Gehaltsabrechnung, benützte.

[3] Gegen dieses Urteil meldete er – fristgerecht – Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an (ON 45 und 46).

[4] Eine Urteilsausfertigung wurde dem Verteidiger mit Wirksamkeit (§ 89d Abs 2 GOG) vom 3. April 2024 zugestellt. Die Frist zur Ausführung der Rechtsmittel (§§ 285 Abs 1, 294 Abs 2 StPO) endete demzufolge (vgl § 84 Abs 1 StPO) mit Ablauf des 2. Mai 2024.

[5] An diesem Tag langte bei Gericht (im elektronischen Rechtsverkehr) bloß ein als „Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung“ betiteltes – jedoch kein Vorbringen enthaltendes – Rubrum ein (ON 50).

[6] Erst am 3. Mai 2024 wurde eine Ausführung der (auf § 281 Abs 1 Z 5 und 9 [richtig] lit a StPO gestützten) Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung gegen die Aussprüche über die Strafe und über die privatrechtlichen Ansprüche (die gemäß § 498 Abs 3 dritter Satz StPO auch als Beschwerde gegen den zugleich mit dem Urteil ergangenen Beschluss auf Probezeitverlängerung zu betrachten ist) eingebracht (ON 51).

[7] Mit Beschluss vom 13. Mai 2024 (ON 52) wies die Vorsitzende des Schöffengerichts die Nichtigkeitsbeschwerde zurück.

Rechtliche Beurteilung

[8] Am 28. Mai 2024 brachte der Verteidiger sowohl eine Beschwerde (ON 54) des Angeklagten gegen diesen Beschluss als auch einen Antrag (ON 55) auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung ein.

Zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand:

[9] Nach dem Antragsvorbringen – an dessen Richtigkeit zu zweifeln für den Obersten Gerichtshof kein Anlass besteht – war eine sonst zuverlässige, langjährige Kanzleiangestellte des Verteidigers damit betraut, den Schriftsatz (ON 51) am 2. Mai 2024 abzufertigen. Aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen wurde dabei anstelle des (die Rechtsmittelausführung enthaltenden, vollständigen) Schriftsatzes bloß das betreffende Deckblatt (ON 50) abgefertigt. Als die Kanzleimitarbeiterin dies Tags darauf bemerkte, nahm sie – in der Meinung, damit das fragliche „Formalerfordernis“ zu erfüllen – aus eigenem die (neuerliche) Abfertigung (nunmehr) des vollständigen Schriftsatzes vor. Dem Verteidiger selbst gelangte die Fristversäumnis mit dem Beschluss vom 13. Mai 2024 (ON 52) zur Kenntnis.

[10] Gemäß § 364 Abs 1 Z 1 StPO ist Verfahrensbeteiligten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, sofern sie nachweisen, dass es ihnen durch unvorhersehbare oder unabwendbare Ereignisse unmöglich war, eine Frist einzuhalten oder eine Verfahrenshandlung vorzunehmen, es sei denn, dass ihnen oder ihren Vertretern ein Versehen nicht bloß minderen Grades zur Last liegt.

[11] Das gegenständliche, einmalige Versehen einer sonst verlässlichen Kanzleiangestellten (ohne Hinweis auf ein Organisationsverschulden des Verteidigers) ist als ein solches bloß minderen Grades aufzufassen (vgl RIS‑Justiz RS0101310 [insbesondere T7] sowie Lewisch, WK‑StPO § 364 Rz 39 f), sodass der Wiedereinsetzungsgrund gegeben ist.

[12] Die versäumte schriftliche Verfahrenshandlung ist – wie eingangs dargestellt – bereits nachgeholt worden, bevor der Verteidiger von der Verspätung erfahren hat. Eines neuerlichen Nachholens (im Wortlaut des § 364 Abs 1 Z 3 StPO) „zugleich“ mit dem Antrag bedurfte es – nach dem Telos der Bestimmung – nicht (Lewisch, WK‑StPO § 364 Rz 45 mwN).

[13] Hiervon ausgehend war die – innerhalb von vierzehn Tagen nach Aufhören des Hindernisses (§ 364 Abs 1 Z 2 StPO) beantragte – Wiedereinsetzung zu bewilligen.

[14] Mit seiner Beschwerde gegen den Beschluss auf Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde war der Angeklagte hierauf zu verweisen (RIS‑Justiz RS0101221 [T3], 12 Os 144/10h, 145/10f, 158/10t sowie Lewisch, WK‑StPO § 364 Rz 55).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde:

[15] Die Mängelrüge (Z 5) erschöpft sich darin, die Feststellung mangelnder Zahlungsfähigkeit und -willigkeit des Beschwerdeführers zur jeweiligen Tatzeit (US 8, 10 und 11 ff) – zudem ohne Bezugnahme auf die Urteilsgründe (siehe aber RIS‑Justiz RS0119370) – zu bestreiten. Begründungsmängel werden damit nicht geltend gemacht, sondern bloß unsubstantiiert behauptet.

[16] Das auf Z 9 lit a gestützte Beschwerdevorbringen entwickelt seine Forderung nach einem Wegfall (soweit verständlich nur) der Subsumtion nach § 147 Abs 1 Z 1 fünfter Fall StGB (und solcherart der Sache nach Z 10) nicht auf der Basis der dazu getroffenen Urteilsfeststellungen (US 10 f, vgl auch US 24 f). Damit verfehlt es den – gerade darin gelegenen – Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0099810).

[17] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

[18] Die Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden gegen den Beschluss nach § 494a StPO kommt dem Oberlandesgericht zu (§§ 285i, 498 Abs 3 letzter Satz StPO).

[19] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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