European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00144.24S.0910.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiete: Gewerblicher Rechtsschutz, Zivilverfahrensrecht
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Die gefährdete Partei hat die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung vorläufig selbst zu tragen.
Begründung:
[1] Die gefährdete Partei (im Folgenden: Antragstellerin) betreibt eine Rechtsanwaltskanzlei in Wien. In einem Vorverfahren erwirkte sie gegen die Zweitantragsgegnerin eine einstweilige Verfügung mit der dieser untersagt wurde, im geschäftlichen Verkehr im Auftrag Dritter Aufforderungsschreiben an (potenzielle) Besitzstörer zu versenden, mit denen diese zur Abgabe von Unterlassungserklärungen und/oder zur Zahlung von Geldbeträgen aufgefordert werden und/oder mit denen Vergleichsangebote für das Absehen von der Einbringung einer Besitzstörungsklage unterbreitet werden (4 Ob 5/24z). Das dem zugrunde liegende Geschäftsmodell ist in der zitierten Entscheidung näher beschrieben. Der Senat bejahte einen Verstoß gegen § 8 Abs 2 RAO, weil die Konstruktion des angegriffenen Geschäftsmodells primär (nur) dazu diene, um nach außen zu verschleiern, dass die Interessen der betreuten Kunden von der Zweitantragsgegnerin als deren (nicht anwaltliche) Vertreterin durchgesetzt werden sollen.
[2] Die Erstantragsgegnerin (eine britische Limited) bietet nunmehr ein modifiziertes Geschäftsmodell an, das durch die automatisiert erfolgte Einschaltung von sogenannten „Partnerrechtsanwälten“ geprägt ist. Den (potentiellen) Kunden wird aber (nach wie vor) unter dem Schlagwort „Wir schützen Ihren Besitz!“ angeboten, dass die Erstantragstellerin ihnen bei Besitzstörungen durch Falschparker „schnell und unbürokratisch“ behilflich ist. Nach Meldung durch einen Kunden würden die Halterdaten des Störers ermittelt und die Partneranwälte sich mit ihm postalisch in Verbindung setzen. Wie beim Vorgängermodell würden die Kunden mit Zahlung des Störers bis zu 200 EUR erhalten; es würden keine Kosten für den Kunden anfallen, sodass dieser auch vom Risiko einer etwaigen Klagsführung wegen Besitzstörung (somit von allen Gerichts‑ und Anwaltskosten) befreit sei.
[3] Dem neuen Modell liegen (bzw lagen) Allgemeine Vertragsbedingungen der Erstantragsgegnerin zugrunde, wonach der Erstantragsgegnerin ein Erfolgshonorar von 50 % (der vom Störer geleisteten Zahlung) zusteht. Der Kunde befreit den Rechtsanwalt gegenüber der Erstantragsgegnerin vom Anwaltsgeheimnis und bevollmächtigt diese, gegenüber dem Rechtsanwalt rechtsgeschäftliche Erklärungen abzugeben sowie diesem auch Weisungen zu erteilen.
[4] Die Erstantragsgegnerin änderte während des Verfahrens ihre AGB dahin, dass die Passage über das Weisungsrecht gestrichen wurde.
[5] Mit ihrem Sicherungsantrag begehrt die Antragstellerin die Erlassung einer einstweiligen Verfügung dahin, dass der Erstantragsgegnerin verboten werde, im geschäftlichen Verkehr Personen, die von (potenziellen) Besitzstörungen betroffen sind, bei der Durchsetzung ihrer Besitzschutzansprüche dadurch zu unterstützen, indem sie im Namen dieser Personen Rechtsanwälte mit der außergerichtlichen Abmahnung (potenzieller) Besitzstörer und/oder der gerichtlichen Anspruchsdurchsetzung mandatiert, die der Erstantragsgegnerin bei der Mandatserfüllung weisungsunterworfen sind (= erstes Begehren). Nach dem zweiten Begehren soll der Erstantragsgegnerin (zusammengefasst) verboten werden, sich für die Vermittlung von Mandanten, die Besitzschutzansprüche geltend machen wollen, ein Erfolgs- und Vermittlungshonorar auszubedingen, das in einem Prozentsatz der von (potenziellen) Besitzstörern vereinnahmten Zahlungen besteht.
[6] Mit gesonderten Begehren nimmt die Antragstellerin die Zweitantragsgegnerin und den Drittantragsgegner (der Geschäftsführer der Erst‑ und Zweitantragsgegnerinnen) dahin in Anspruch, dass ihnen die (näher dargelegte) Förderung (bzw Veranlassung oder Ermöglichung) der angegriffenen Wettbewerbsverstöße (der Erstantragsgegnerin) verboten werde.
[7] Die Erstantragsgegnerin verhalte sich durch Verletzung des § 8 RAO und (hinsichtlich des zweiten Begehrens) des § 47 Abs 1 Z 6 RL‑BA 2015 unlauter iSd § 1 Abs 1 Z 1 UWG („Vorsprung durch Rechtsbruch“). Das zweite Begehren wird auch auf das Quota-litis-Verbot nach § 879 Abs 2 Z 2 ABGB gestützt. An dieses Verbot sei die Erstantragsgegnerin wegen ihrer direkten Einflussnahme auf die Partnerrechtsanwälte gebunden. Die Zweitantragsgegnerin fördere die Wettbewerbsverstöße; vom Drittantragsgegner würden diese veranlasst bzw ermöglicht.
[8] Die Antragsgegner wandten ein, sie seien Prozessfinanzierer bzw reine Vermittler, ein Verstoß gegen § 8 RAO sowie § 47 Abs 3 Z 6 RL‑BA 2015 liege nicht vor. Das Weisungsrecht sei nach Änderung der AGB nicht mehr Verfahrensgegenstand.
[9] Das Erstgericht gab hinsichtlich der Erstantragsgegnerin (nur) dem ersten Begehren und den dazu korrespondierenden Begehren betreffend die Zweitantragsgegnerin und den Drittantragsgegner rechtskräftig statt. In diesem Zusammenhang bejahte es mit Blick auf das Weisungsrecht gegenüber den Partnerrechtsanwälten einen Verstoß gegen § 8 RAO. Trotz Änderung der AGB im Zusammenhang mit dem Weisungsrecht sei nach wie vor von einer Wiederholungsgefahr auszugehen, zumal der Drittantragsgegner als Vertreter der Erstantragsgegnerin bei der Änderung der AGB nicht aus Einsicht gehandelt habe.
[10] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragstellerin statt und erließ die einstweilige Verfügung auch hinsichtlich des zweiten Begehrens. Diesbezüglich bejahte es Verstöße gegen § 47 Abs 3 Z 6 RL‑BA 2015 und das Quota-litis-Verbot nach § 879 Abs 2 Z 2 ABGB. Es hielt – auch mit Blick auf die rechtskräftige Entscheidung zum ersten Begehren – fest, dass die Antragsgegner weiterhin in unzulässiger Weise Rechtsanwaltsdienste anböten.
[11] Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige. Es ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil das Geschäftsmodell der Antragsgegner prominent beworben werde und ein über den Einzelfall hinausgehendes Interesse an der Beurteilung der zugrunde liegenden Rechtsfragen bestehe.
[12] Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Antragsgegner mit dem (erkennbaren) Antrag, den Sicherungsantrag hinsichtlich des zweiten Begehrens abzuweisen.
[13] Die Antragstellerin beantragte in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen bzw ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[14] Der Revisionsrekurs ist ungeachtet des – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Zulassungsausspruchs des Rekursgerichts in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen nicht zulässig.
[15] 1. Wird die vom Rekursgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage im Rechtsmittel nicht releviert, und auch sonst keine erhebliche Rechtsfrage aufgeworfen, so ist das Rechtsmittel unzulässig (vgl RS0080388 [T1]).
[16] 2. Die Antragsgegner stützen die Zulässigkeit des Rechtsmittels auf den Umstand, dass das Rekursgericht mangels rechtsanwaltlicher Leistungen der Antragsgegner die Anwendung des Quota-litis-Verbots nach § 879 Abs 2 Z 2 ABGB unvertretbar angenommen hätte. Die Antragsgegner hätten nämlich (nur) als Prozessfinanzierer agiert, weshalb die genannte Bestimmung auf sie nicht anwendbar sei.
[17] 2.1 Darauf kann die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht gestützt werden. Selbst wenn man sich dem Standpunkt der Antragsgegner anschließt, sie würden gegenständlich als Prozessfinanzierer agieren, läge keine unvertretbare Rechtsansicht des Rekursgerichts vor.
[18] 2.2 Nach neuerer Rechtsprechung beschränkt sich der Begriff des „Rechtsfreunds“ iSd § 879 Abs 2 Z 2 ABGB nämlich nicht ausschließlich auf Rechtsanwälte oder sonstige Personen, für die – den anwaltlichen Standespflichten vergleichbare – Standesregeln bestehen (4 Ob 81/99m; 4 Ob 14/18i; 4 Ob 180/20d). Auch ein Prozessfinanzierer kann dem Verbot unterliegen, wenn dieser seinem Kunden Rechtsberatung erteilt oder versucht, Einfluss auf die Verfahrensführung durch den Anwalt zu nehmen (4 Ob 180/20d).
[19] 2.3 Mit Blick auf das festgestellte (und der bereits rechtskräftigen Entscheidung über das erste Begehren zugrunde liegende) Weisungsrecht der Erstantragsgegnerin gegenüber ihren Partnerrechtsanwälten, des Umstands, dass diese von den Kunden der Erstantragsgegnerin ihr gegenüber von der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht entbunden werden und auch wegen der Möglichkeit der Erstantragsgegnerin, dass sie gegenüber den Rechtsanwälten (ohne jegliche inhaltliche Einschränkungen und Rücksprache mit den Kunden) auch rechtsgeschäftliche Erklärungen als Vertreter der Kunden abgeben dürfen, bedarf die Beurteilung des Rekursgerichts keiner Korrektur durch gegenteilige Sachentscheidung. Vielmehr hat das Zweitgericht aus den referierten Umständen vertretbar abgeleitet, die Antragsgegner (und nicht ihre Kunden oder die Partnerrechtsanwälte) seien „Herr des Verfahrens“ (zur Durchsetzung der Besitzstörungsansprüche). Die Pflicht der Partnerrechtsanwälte, die Interessen ihrer Mandanten umfassend wahrzunehmen (vgl § 9 Abs 1 RAO) war damit deutlich eingeschränkt. Das korrespondiert sogar mit den Ausführungen im Revisionsrekurs, in dem davon die Rede ist, dass „die Antragsgegner de facto als Prozessführer (agieren) und … diese Prozessführung auch zulässig (ist)“.
[20] 2.4 Auch die öffentliche Äußerung des Drittantragsgegners (die aufgrund einer vorgelegten Urkunde, deren Echtheit und Richtigkeit nicht bestritten wurde, der Entscheidung zugrundegelegt werden konnte, vgl RS0121557 [T3]; RS0040083 [T1]), dass „sich die Rechtsanwaltschaft … sohin warm anziehen (kann)“ bzw dessen Prophezeiung, dass „die geschützte Werkstatt des § 8 RAO (nicht) auf ewig vor Konkurrenz vor Firmen und Dienstleister wie unsere schützen wird“, fügt sich in das Bild, dass die Rechtsdurchsetzung im Zusammenhang mit Besitzstörungen ungeachtet des Einschaltens von Partnerrechtsanwälten in Händen der Antragsgegner liegt.
[21] 2.5 Aufgrund der referierten Umstände ist das Rekursgericht jedenfalls vertretbar davon ausgegangen, dass die Erstantragsgegnerin gegenüber ihren Kunden selbst inhaltliche Leistungen erbringt, die einem Rechtsanwalt vorbehalten sind. Dass deshalb das Verbot des § 879 Abs 2 Z 2 ABGB auch auf die Erstantragsgegnerin anzuwenden ist, wirft mit Blick auf die oben referierte Rechtsprechung damit keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung auf.
[22] 3.1 Der Rechtsansicht des Rekursgerichts, dass die konkrete Entgeltvereinbarung, die der Erstantragsgegnerin 50 % des vom Besitzstörer (außergerichtlich) erstrittenen Betrags sichert, das Verbot des § 879 Abs 2 Z 2 ABGB auch inhaltlich verletzt (vgl etwa 4 Ob 14/18i) hält das Rechtsmittel inhaltlich nichts Stichhaltiges entgegen. Die Antragsgegner beschränken sich hier nur auf den knappen Hinweis, dass es den Kunden wegen des Grundrechts auf Unverletzlichkeit des Eigentums frei stünde, wie sie mit den übrigen 50 % (also dem Anteil der Kunden) verfahren möchten. Damit wird auf die Argumente des Rekursgerichts nicht ansatzweise eingegangen.
[23] 3.2 Die Bejahung des Rechtsbruchs iSd § 1 Abs 1 Z 1 UWG wegen Verstoßes des Quota-litis-Verbots nach § 879 Abs 2 Z 2 ABGB und die damit verbundene Stattgabe des zweiten Begehrens werfen daher keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung auf.
[24] 3.3 Ob das zweite Begehren (zusätzlich) auch einen allfälligen Verstoß gegen § 47 Abs 1 Z 6 RL‑BA 2015 gestützt werden kann, bedarf damit keiner Klärung, sodass die Zulässigkeit des Rechtsmittels (mangels Präjudizialität) insoweit zu verneinen ist.
[25] 4. In dritter Instanz halten die Antragsgegner den im erstgerichtlichen Verfahren vertretenen Standpunkt, wegen der Änderung der AGB sei die Wiederholungsgefahr weggefallen, nicht mehr aufrecht. Der Hinweis auf einen nach der erstinstanzlichen Entscheidung mittlerweile zwischen der Antragstellerin und der Erstantragsgegnerin abgeschlossenen Vergleich kann die Zulässigkeit des Rechtsmittels schon wegen der Verletzung des Neuerungsverbots nicht begründen (zB 4 Ob 158/23y, Rz 83; 2 Ob 105/23i, Rz 9 uvm).
[26] 5. Der Revisionsrekurs ist daher mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§§ 528a, 510 Abs 3 ZPO iVm §§ 78, 402 EO).
[27] 6. Die Entscheidung über die Kosten der Revisionsrekursbeantwortung beruht auf § 393 Abs 1 EO, §§ 41, 52 Abs 1 ZPO.
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