European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0120OS00016.24F.0627.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiete: Jugendstrafsachen, Sexualdelikte
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Über die Berufungen und die Beschwerden hat das Oberlandesgericht Wien zu entscheiden.
Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden
* R* „der Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105, 106 Abs 1 Z 1 StGB (I./A./1./‑3./, 9./ und 10./), der Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105, 106 Abs 1 Z 1 und 3 StGB (I./A./4./‑8./)“, des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (I./B./), des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach §§ 15, 202 Abs 1 StGB (II./) sowie des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB (IV./) und
* V* „der Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 12 dritter Fall, 105, 106 Abs 1 Z 1 StGB (III./ iVm I./A./1./ ‑ 3./, 9./ und 10./), der Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 12 dritter Fall, 105, 106 Abs 1 Z 1 und 3 StGB“ (III./ iVm I./A./4./ bis 8./), des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 12 dritter Fall, 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 und 3 StGB (III./ iVm I./B./), des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach §§ 12 dritter Fall, 15, 202 Abs 1 StGB (III./ iVm II./) sowie des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB (IV./) schuldig erkannt.
[2] Danach haben am 15. Juni 2023 in W*
I./ * R* * C* durch gefährliche Drohung mit dem Tod, indem er eine Pistole auf ihn richtete, zu Handlungen, Duldungen und Unterlassungen
A./ genötigt, nämlich
1./ zur Gewährung des Einlasses in seine Wohnung,
2./ zur Entsperrung und Aushändigung seines Mobiltelefons,
3./ zum Besteigen der Duschkabine und der Duldung des Abduschens mit kaltem Wasser,
4./ zur Duldung des Urinierens auf seine Beine,
5./ zum vollständigen Entkleiden seines Körpers,
6./ zum Austrinken eines Glases mit Toilettenspülwasser,
7./ auf die Knie zu gehen und den Boden zu küssen,
8./ zum Bellen wie ein Hund,
9./ zur Tätigung der Aussage „Es tut mir leid, L*, es tut mir leid, I*“,
10./ zur Tätigung der auf Video aufgenommenen Aussage, dass nichts passiert sei und er alles freiwillig gemacht habe,
wobei * C* zu den Punkten 4./ bis 8./ zu Handlungen und Duldungen veranlasst wurde, die besonders wichtige Interessen seiner Person verletzten;
B./ zu nötigen versucht, und zwar zur Abstandnahme von der polizeilichen Anzeigeerstattung wegen der zu A./ beschriebenen Tathandlungen;
II./ * R* * C* mit gefährlicher Drohung, indem er eine Pistole auf diesen richtete und ihn zur Selbstbefriedigung aufforderte, zur Vornahme einer geschlechtlichen Handlung zu nötigen versucht;
III./ * V* zu den unter I./ und II./ beschriebenen Tathandlungen sonst beigetragen, indem er sich mit * R* zum Tatort begab und sich während der Tathandlungen vereinbarungsgemäß (US 5) jederzeit zum Eingreifen bereit hielt, diesen in seinem Tatentschluss bestärkte, und ihn bei einzelnen Nötigungshandlungen durch das Bringen des Toilettenwassers und das Urinieren auf * C* unterstützte;
IV./ * R* und * V* im bewussten und gewollten Zusammenwirken unter Verwendung einer Waffe dadurch, dass * R* * C* durch das Richten einer Pistole am Eingreifen hinderte, somit durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben, während * V* dessen Wohnung durchsuchte und Gegenstände des Opfers an sich nahm, fremde bewegliche Sachen, und zwar 200 Euro Bargeld, zwei Sonnenbrillen, Kopfhörer, ein Glas, eine Tasse und einen Schlüsselanhänger mit dem Vorsatz weggenommen, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richten sich Nichtigkeitsbeschwerden, die * R* auf Z 5, 9 lit a und 10 sowie * V* auf Z 5, 5a, 9 lit a und 10, jeweils des § 281 Abs 1 StPO, stützen. Sie schlagen fehl.
I./ Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten R*:
[4] Die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) bezieht sich zunächst auf angeblich übergangene Aussagen von im Ermittlungsverfahren vernommenen Zeuginnen (S* [ON 24.4], O* [ON 24.3.] und L* [ON 53.3]). Deren Angaben sind aber nicht im Sinn des § 258 Abs 1 StPO vorgekommen, weil diese Personen in der Hauptverhandlung weder vernommen noch deren Vernehmungsprotokolle gemäß § 252 StPO verlesen oder vorgetragen wurden (vgl den die ON 24 und ON 53.3 nicht enthaltenden Vortrag gemäß § 252 Abs 2a StPO im HV-Protokoll ON 99.2 S 55). Auf derartige Verfahrensergebnisse kann aber Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO nicht gestützt werden (vgl § 258 Abs 1 StPO; RIS-Justiz RS0098646 [insb T1, T2 und T4]; Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 9.119).
[5] Der weiteren Beschwerde zuwider hat sich das Erstgericht mit Abweichungen in den Angaben des – insgesamt als glaubwürdig erachteten – Opfers ohnedies auseinandergesetzt (US 11). Entsprechend § 270 Abs 2 Z 5 StPO waren die Tatrichter aber nicht verpflichtet, sämtliche Details der Depositionen dieses Zeugen zu erörtern.
[6] Schließlich gibt die Rüge nicht bekannt, welche Ergebnisse des gegen * C* geführten Verfahrens AZ 145 Hv 69/23i des Landesgerichts für Strafsachen Wien zwecks Einschätzung der Glaubwürdigkeit des Genannten zu berücksichtigen gewesen wären. Im Übrigen ist eine Erörterung von Feststellungen, Beweiswürdigung und rechtlicher Beurteilung einer anderen Entscheidung unter dem Aspekt der Urteilsunvollständigkeit nicht geboten (RIS-Justiz RS0134169).
[7] Soweit die Rechtsrüge (Z 9 lit a) argumentiert, dass der Urteilssachverhalt den Raubvorwurf laut Schuldspruch IV./ in Bezug auf die Wegnahme (auch) eines Schlüsselanhängers nicht trage, wird nicht klar, inwieweit dadurch ein für die Schuldfrage relevanter Umstand (im Sinn einer selbstständigen Tat) angesprochen sein soll (vgl RIS‑Justiz RS0118720 [T4]).
[8] Die weitere Beschwerde (nominell Z 9 lit a und 10) geht über weite Strecken mit dem Einwand fehlender Feststellungen zur Bedrohung des Raubopfers (in objektiver und subjektiver Hinsicht) und zur Verwendung einer Waffe (§ 143 Abs 1 StGB) prozessordnungswidrig an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe vorbei (RIS-Justiz RS0099810). Demnach hatte der – mit entsprechendem Vorsatz handelnde (US 6) – Beschwerdeführer die Pistole während der Tatausführung durch den Mitangeklagten V* nicht nur „bei sich“, sondern diese dem Opfer zuvor an den Kopf gehalten (US 5) und in der Folge auch angekündigt, diese für den Zeugen C* sichtbare Waffe gegen diesen einzusetzen (vgl US 6, 13, 17).
[9] Aus welchem Grund aus den erwähnten Konstatierungen und jenen zur während der fortdauernden Verwendung der Waffe stattfindenden Sachwegnahme durch den Angeklagten V* (US 6) kein räumlich-zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Einsatz des Raubmittels und der Erlangung der Sachherrschaft (vgl dazu Fabrizy/ Michel‑Kwapinski/Oshidari, StGB14 § 142 Rz 5) ableitbar sein soll, gibt das – bloß unsubstantiierte Behauptungen aufstellende – Rechtsmittel (nominell Z 10) nicht bekannt.
[10] Der zu den Urteilsfakten I./A./4./ bis 8./ erhobene Einwand (Z 10), wonach die dort abgeurteilten abgenötigten Duldungen (Urinieren auf die Beine des Opfers) und Handlungen (sich nackt Auszuziehen, Trinken des Toilettenspülwassers, Küssen des Bodens, Von-sich-Geben von Hundelauten) keine besonders wichtigen Interessen im Sinn des § 106 Abs 1 Z 3 letzter Fall StGB darstellen sollen, setzt sich über das Erfordernis methodengerechter Ableitung aus dem Gesetz hinweg (RIS-Justiz RS0118429). Bleibt lediglich der Vollständigkeit halber zu erwähnen, dass die genannte Bestimmung auch Erniedrigungen und Demütigungen erfasst, die das mit einer Nötigung (§ 105 Abs 1 StGB) üblicherweise verbundene Maß erheblich überschreiten (vgl dazu etwa § 201 Abs 2 StGB und RIS-Justiz RS0095315; zu § 106 Abs 1 Z 3 StGB siehe RIS-Justiz RS0093025; Schwaighofer in WK2 StGB § 106 Rz 17; 12 Os 68/11h).
[11] Die Konstatierungen zum Bereicherungsvorsatz finden sich – von der Beschwerde abermals prozessordnungswidrig übergangen – auf US 6 f.
II./ Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten V*:
[12] Entgegen der den Schuldspruch III./ iVm II./ betreffenden Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) hat der Schöffensenat die leugnende Einlassung des Beschwerdeführers ohnedies berücksichtigt (US 11 f). Mit Details zu dessen Angaben mussten sich die Tatrichter nicht befassen (vgl erneut § 270 Abs 2 Z 5 StPO).
[13] Die Tatsachenrüge (Z 5a) bekämpft bloß den Vorwurf der Wegnahme von Kopfhörern als eines Teils der Raubbeute und bezieht sich solcherart auf keine entscheidenden Tatsachen.
[14] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) behauptet fehlende Feststellungen zu einem kausalen Beitrag (§ 12 dritter Fall StGB) zur Nötigungshandlung des Angeklagten R* laut Urteilsfaktum III./ iVm I./B./. Sie übergeht jedoch prozessordnungswidrig (RIS-Justiz RS0099810), dass sich die Feststellungen zu den Beitragshandlungen des Beschwerdeführers ausdrücklich auf sämtliche Tathandlungen des Vorgenannten beziehen (US 9 f).
[15] Aus welchem Grund die zum Eintritt der unrechtmäßigen Bereicherung getroffene Konstatierung, wonach der Angeklagte V* diese „billigend in Kauf“ nahm (US 7) für die rechtliche Annahme der subjektiven Innentendenz des § 142 StGB (Schuldspruch IV./) nicht ausreichen soll, erklärt die Subsumtionsrüge (Z 10) nicht (vgl RIS-Justiz RS0089250).
[16] Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).
[17] Bleibt mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO anzumerken, dass die Angeklagten die zu I./A./ (Angeklagter R*) und III./ iVm I./A./ (Angeklagter V*) abgeurteilten Tathandlungen nach den Feststellungen (vgl die Konstatierungen zur zeitlichen Abfolge und der einheitlichen Motivationslage – US 7 ff) in tatbestandlicher Handlungseinheit (zum Begriff vgl RIS-Justiz RS0120233; Ratz in WK2 StGB Vor §§ 28–31 Rz 89) verübt haben. Damit war die Annahme jeweils mehrerer Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (I./A./1./ bis 3./, 9./, 10./) und nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 und 3 StGB (I./A./4./ bis 8./) – hinsichtlich des Angeklagten V* auch nach § 12 dritter Fall StGB (III./ iVm den oben genannten Schuldsprüchen) – verfehlt. Richtigerweise wäre der Sachverhalt jeweils nur einem Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 und 3 StGB (und nach § 12 dritter Fall StGB beim Angeklagten V*) zu unterstellen gewesen.
[18] Dieser Subsumtionsfehler (Z 10) blieb jedoch ohne Nachteil, weil der jeweils angenommene Erschwerungsgrund der Begehung mehrerer strafbarer Handlungen nach § 33 Abs 1 Z 1 StGB weiterhin Anwendung findet und anstelle der bei der Strafbemessung genannten Anzahl an Verbrechen (US 21 und 22) die mehrfache Tatbegehung tritt (vgl RIS-Justiz RS0114927; insb 14 Os 117/20t). Angesichts dieser Klarstellung ist das Oberlandesgericht bei der Entscheidung über die Berufungen der Angeklagten nicht an die insoweit fehlerhaften Schuldsprüche gebunden (RIS-Justiz RS0118870).
[19] Die Kostenentscheidung gründet auf § 390a Abs 1 StPO.
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