OGH 8Ob63/24h

OGH8Ob63/24h26.6.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Tarmann‑Prentner als Vorsitzende sowie die Hofräte MMag. Matzka, Dr. Stefula, Dr. Thunhart und Mag. Dr. Sengstschmid als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*, vertreten durch Mag. Katharina Hantig‑Gröbl, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei L* GmbH, *, vertreten durch Mag. Daniel Schöpf und andere Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 16.390,64 EUR sA und Feststellung, über die ordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. Februar 2024, GZ 2 R 12/24k‑30, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 14. November 2023, GZ 31 Cg 8/23w‑23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0080OB00063.24H.0626.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.650,20 EUR (darin 441,70 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Das Berufungsgericht hat seinen Entscheidungsgegenstand als 30.000 EUR übersteigend bewertet und die ordentliche Revision gegen sein die Klagsabweisung durch das Erstgericht bestätigendes Urteil für zulässig erklärt, weil Rechtsprechung zur „erforderlichen Mindestkontrollfrequenz im Obst- und Gemüsebereich von Supermärkten“ fehle.

Rechtliche Beurteilung

[2] Weder das Berufungsgericht noch die Klägerin zeigen das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO auf. Die Revision ist daher entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):

[3] 1.1. Verkehrssicherungspflichten dürfen nicht überspannt werden (RS0023355 [T35]; RS0023487 [T4, T17]; RS0023607 [T2]). Ihr Umfang richtet sich vor allem danach, inwieweit die Verkehrsteilnehmer vorhandene Gefahren selbst erkennen und ihnen begegnen können (RS0023726). Vom Inhaber eines Geschäfts kann keine Beseitigung sämtlicher Gefahrenquellen gefordert werden, vielmehr ist auch vom Kunden zu erwarten, dass er beim Gehen „vor die Füße schaut“ (RS0023787 [T3]; RS0027447).

[4] 1.2. Der konkrete Inhalt von Verkehrssicherungspflichten hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0110202; RS0111380). Die Frage, ob der Sicherungspflichtige die im Wesentlichen von der konkreten örtlichen Situation abhängigen zumutbaren Maßnahmen unterlassen hat, ist wegen ihrer Einzelfallbezogenheit regelmäßig keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO und kann daher – von (hier nicht erkennbarer) krasser Fehlbeurteilung abgesehen – die Zulässigkeit der Revision nicht rechtfertigen (6 Ob 117/11s mwN; RS0044088 [T35, T42]).

[5] 2. In einem Supermarkt der Beklagten übersah die damals 71 Jahre alte Klägerin als deren Kundin – auf dem Weg zur Kassa und schon zu dieser blickend – auf dem Boden liegende, teils schon zerquetschte „weiße“ Weinbeeren, rutschte auf ihnen aus, stürzte und verletzte sich dadurch schwer. Die beiden Mitarbeiter der kleinen, allgemein wenig frequentierten und auch im Unfallszeitpunkt gegen Mittag schlecht besuchten Filiale sollten nach den Vorgaben der Beklagten den Obst- und Gemüsebereich halbstündlich auf Frische und Präsentation der Waren überprüfen; tatsächlich kontrollierten und säuberten sie den Bereich aber zumindest stündlich. Wenn die Mitarbeiter eine Verschmutzung bemerkten, entfernten sie diese sofort. Bei der letzten Kontrolle vor dem Sturz der Klägerin war keine Bodenverschmutzung festgestellt worden; wann diese genau stattgefunden hatte, war nicht feststellbar.

[6] 3. Die Vorinstanzen waren übereinstimmend der zusammengefassten Auffassung, dass der Beklagten im konkreten Fall nicht vorgeworfen werden könne, ihren Verkehrssicherungspflichten nicht nachgekommen zu sein.

[7] 4.1. Diese Einschätzung, zu der die Vorinstanzen unter richtiger Darlegung der einschlägigen höchstgerichtlichen Rechtsprechungsgrundsätze gelangten, ist im Einzelfall zumindest vertretbar.

[8] 4.2. Mit der in der Revision vertretenen Meinung, es wären zumindest halbstündliche Kontrollen durchzuführen gewesen, wird keine Unvertretbarkeit der konkreten Einzelfallbeurteilung der Vorinstanzen aufgezeigt.

[9] 4.3. Es gehört nicht zu den Aufgaben des Obersten Gerichtshofs nach § 502 Abs 1 ZPO, von den konkreten Umständen des Einzelfalls abstrahierende, allgemeingültige „Kontrollfrequenzen“ oder sonstige generelle Ex-ante-Handlungsanleitungen zur Pflege und Reinigung von Obst- und Gemüseabteilungen in Supermärkten aufzustellen.

[10] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision konkret hingewiesen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte