OGH 9Ob53/24w

OGH9Ob53/24w26.6.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner, Mag. Korn, Dr. Stiefsohn und Dr. Wallner-Friedl in der Pflegschaftssache der minderjährigen Kinder 1. E*, geboren am *, 2. N*, geboren am *, und 3. T*, geboren am *, alle wohnhaft bei der Mutter Dr. J*, diese vertreten durch Matt Anwälte OG in Bregenz, wegen Obsorge und Kontaktrecht (hier: Elternberatung), über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters Dr. R*, vertreten durch Battlogg Rechtsanwalts GmbH in Schruns, gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 18. April 2024, GZ 3 R 92/24p‑305, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0090OB00053.24W.0626.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Familienrecht (ohne Unterhalt)

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Zwischen den Eltern der drei minderjährigen Kinder besteht seit Auflösung deren Lebensgemeinschaft im Jahre 2020 ein ausgeprägter Obsorge- und Kontaktrechtsstreit mit zahlreichen wechselseitigen Anträgen. Beiden Eltern kommt die Obsorge zu. Die Kinder leben im Haushalt der Mutter. Dem Vater wurde ein Kontaktrecht eingeräumt.

[2] Verfahrensgegenständlich sind die Regelung des Kontaktrechts, wobei der Kindesvater mehrere Anträge auf Verhängung von Beugestrafen zur Durchsetzung seines einstweiligen Kontaktrechts gestellt hat, sowie der Antrag der Kindesmutter auf Übertragung der alleinigen Obsorge.

[3] Mit dem vom Rekursgericht bestätigten Beschluss trug das Erstgericht den Eltern gemäß § 107 Abs 3 AußStrG auf, während der kommenden sechs Monate eine verpflichtende Elternberatung zur Etablierung verlässlicher Kontakte der Kinder zu beiden Elternteilen (§ 138 Z 9 ABGB) sowie der Vermeidung von Loyalitätskonflikten der Minderjährigen (§ 138 Z 10 ABGB) in Form von alle 14 Tage stattfindenden einzelnen und gemeinsamen Terminen in Anspruch zu nehmen und dem Gericht unaufgefordert binnen vier Wochen und in weiterer Folge monatlich Bestätigungen über die Inanspruchnahme dieser Beratungen vorzulegen. Soweit dies aus fachlicher Sicht als förderlich eingeschätzt wird, sollen bei den Terminen auch die Minderjährigen im Sinn von Familiengesprächen miteinbezogen werden.

[4] Die Elternberatung hat folgende Ziele:

[5] Diesem Beschluss wurde wegen der bestehenden Kindeswohlgefährdung, die aus der konflikthaften Situation zwischen den Eltern resultiert, vorläufige Verbindlichkeit und Vollstreckbarkeit gemäß § 44 Abs 1 AußStrG zuerkannt, um erhebliche Nachteile für die Kinder zu verhindern.

Rechtliche Beurteilung

[6] Der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters zeigt keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG auf.

[7] 1. Gemäß § 107 Abs 3 AußStrG idF des KindNamRÄG 2013, BGBl I 2013/15, hat das Gericht im Verfahren über die Obsorge und die persönlichen Kontakte die zur Sicherung des Kindeswohls erforderlichen Maßnahmen anzuordnen, soweit dadurch nicht Interessen einer Partei, deren Schutz das Verfahren dient, gefährdet oder Belange der übrigen Parteien unzumutbar beeinträchtigt werden. Als eine derartige Maßnahme kommt gemäß § 107 Abs 3 Z 1 AußStrG ua der verpflichtende Besuch einer Elternberatung in Betracht. Durch den Einleitungssatz zu § 107 Abs 3 AußStrG ist sichergestellt, dass ein solcher Auftrag unter dem Vorbehalt steht, die Interessen des Pflegebefohlenen nicht zu gefährden und die Belange der Parteien nicht unzumutbar zu beeinträchtigen (9 Ob 30/22k Rz 23).

[8] 2. Die Erziehungsberatung dient nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers dem Wohl des Kindes, indem sie den Blick und die Aufmerksamkeit der Eltern auf die Bedürfnisse und Nöte ihrer Kinder lenken soll, wodurch künftige Streitigkeiten um Kontaktrecht und Obsorge vermieden werden sollen (Beck in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG² § 107 AußStrG Rz 19). Mit § 107 Abs 3 Z 1 wird dem Gericht die Möglichkeit eröffnet, Eltern mit fachlich fundierter Anleitung und Begleitung zu einem Dialog über die Bedürfnisse ihrer Kinder sowie zu Haltungs- und Verhaltensänderungen bei der Gestaltung ihrer Elternschaft hinzuführen (Beck in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG² § 107 AußStrG Rz 20). Das Erreichen dieses Zieles bedarf eines länger andauernden Beratungsprozesses (Deixler-Hübner in Rechberger/Klicka, AußStrG³ § 107 AußStrG Rz 23).

[9] 3. Die Erziehungsberatung muss zur Sicherung des Kindeswohls erforderlich und geeignet sein (1 Ob 7/19i; RS0129700 [T1]). Um diese Prüfung zu ermöglichen, hat das Gericht eine ausreichende Tatsachengrundlage zu schaffen und substantiiert zu begründen, wieso die gewählte Maßnahme dem Kindeswohl dient. Andererseits sind an die erforderlichen Erfolgsaussichten keine strengen Anforderungen zu stellen (Einberger in Schneider/Verweijen AußStrG § 107, Rz 18 f [Stand 1. 10. 2018, rdb.at]). Die Entscheidung, ob und welche Maßnahme zur Sicherung des Kindeswohls erforderlich ist und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht, ist grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls abhängig. Daher kommt ihr im Regelfall keine erhebliche Bedeutung im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG zu, sofern nicht leitende Grundsätze verletzt wurden (RS0130780).

[10] 4.1. Die übereinstimmende Entscheidung der Vorinstanzen entspricht den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen. Der außerordentliche Revisionsrekurs führt keine Entscheidungen an, von denen die Vorinstanzen – so aber die Behauptung – abgewichen wären.

[11] 4.2. Die Entscheidungen sind auch nicht unvertretbar, nur weil die bereits einmal aufgetragene und durchgeführte Elternberatung noch zu keinem Erfolg geführt hat. Nach den Feststellungen ist diese Maßnahme zur Sicherung des Kindeswohls erforderlich, da sich die Eltern in einer hoch konflikthaften Situation befinden, die sich massiv auf die Kinder auswirkt, weil diese in einen Loyalitätskonflikt gedrängt werden. Aufgrund der Kindeswohlgefährdung durch den massiven Konflikt zwischen den Eltern ist eine Fremdbetreuung der Kinder in Betracht zu ziehen. Als gelindere Maßnahme kommt nur eine Beratung der Eltern durch speziell geschulte Fachpersonen in Betracht. Der Vater missversteht die Rechtsansicht des Rekursgerichts, welches ausführt, dass es bei der angeordneten Maßnahme nicht darum gehe, bereits unmittelbare Kontakte zwischen den Kindern und ihm zu bewirken, sondern darum, Sorgen und Bedürfnisse der Kinder zu verstehen, wenn er meint, dass er das Kontaktrecht als Endziel (für sich) formuliert habe. Das Rekursgericht wies den Vater vielmehr darauf hin, dass die Maßnahme primär zum Wohle der Kinder gesetzt wurde, um in deren Interesse an einer psychisch und emotional gesunden Entwicklung die vorhandenen Probleme aufzuarbeiten. Nicht nur die Elternberaterin empfiehlt einen weiteren Versuch der Elternberatung, sondern auch der dem Verfahren beigezogene Sachverständige führte im Zuge der Erörterung einer neuerlichen Elternberatung aus, dass diese unter bestimmten, von ihm auch näher beschriebenen Rahmenbedingungen und unter Zusammenarbeit aller Fachpersonen noch einmal versucht werden könne und bei nachhaltiger Umsetzung einer Fremdbetreuung vorzuziehen sei. Konkrete Gründe, weshalb die vom Erstgericht aufgetragene Elternberatung von vornherein ungeeignet wäre, den Konflikt zwischen den Eltern zu beenden bzw die Elternberatung in das Privatleben des Vaters für diesen unzumutbar eingreife, werden im außerordentlichen Revisionsrekurs nicht dargetan. Dass sich der Vater für eine Fremdbetreuung ausgesprochen hat, steht dem gerichtlichen Auftrag einer Elternberatung (als gelinderes Mittel) ebenfalls nicht entgegen.

[12] 4.3. Auch die Vorwürfe des Revisionswerbers, die Mutter sabotiere sein Kontaktrecht und das Erstgericht habe dieses bislang nicht durchzusetzen vermocht, weshalb eine Fremdunterbringung der Kinder angezeigt sei, stehen der angeordneten Maßnahme nach § 107 Abs 3 Z 1 AußStrG nicht entgegen. Vielmehr unterstreicht diese (auch für den Vater unbefriedigende) Situation die Notwendigkeit einer Elternberatung. Dass der Vater erklärt, unter der Bedingung der sofortigen Umsetzung seines Kontaktrechts zur Elternberatung bereit zu sein, macht die angeordnete Maßnahme ebenfalls nicht unzulässig.

[13] Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG ist der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters zurückzuweisen.

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