OGH 7Ob92/24s

OGH7Ob92/24s19.6.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*, vertreten durch MMMag. Dr. Franz Josef Giesinger Rechtsanwalt GmbH in Götzis, gegen die beklagte Partei M* Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, *, vertreten durch MUSEY rechtsanwalt gmbH in Salzburg, wegen 33.612,50 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 11. April 2024, GZ 6 R 30/24k‑25, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00092.24S.0619.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Zwischen den Streitteilen besteht ein Unfallversicherungsvertrag, dem die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Unfallversicherung 2010 (AUVB 2010/Fassung 02/2015) zugrunde liegen. Diese lauten auszugsweise:

Abschnitt C:

Begrenzungen des Versicherungsschutzes

Artikel 19

Unversicherbare Sportarten

Insbesondere die nachstehenden Sportarten und Aktivitäten sind nicht versicherbar:

[...]

5. Klettern/Bergsteigen über Schwierigkeitsgrad VI nach französischer Skala; Klettersteig über Schwierigkeitsgrad E; ...

[...]

Artikel 20

Ausschlüsse

Soweit nichts anderes vereinbart ist, umfasst der Versicherungsschutz nicht:

[...]

10. Unfälle, die bei der Ausübung von folgenden besonders gefährlichen Sportarten eintreten: Bungeejumping, House‑Running, Hydro Speed, Basejumping, Scad Diving, Airboarding, Rafting, Canyoning, Kitesurfen, Indoorklettern, Klettern/Bergsteigen über Schwierigkeitsgrad IV nach französischer Skala, Klettersteig über Schwierigkeitsgrad D, Tauchen in Tiefen von 40 bis max. 60 m nach absolvierter Tauchausbildung und nur bei ausschließlicher Pressluftverwendung.

[...]“

[2] Die Klägerin stürzte am 20. Mai 2023 beim Klettern in einer Indoorhalle im Zuge des Abseilens ab und verletzte sich dabei.

Rechtliche Beurteilung

[3] 1.1 Nach der der Inhaltskontrolle gemäß § 879 ABGB vorgehenden Geltungskontrolle gemäß § 864a ABGB (RS0037089) ist nur eine Klausel objektiv ungewöhnlich, die von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweicht, mit der also nach den Umständen vernünftigerweise nicht zu rechnen war; der Klausel muss somit ein Überrumpelungseffekt oder Übertölpelungseffekt innewohnen (RS0014646). Die Ungewöhnlichkeit eines Inhalts ist nach dem Gesetzestext objektiv zu verstehen. Die Subsumption hat sich an der Verkehrsüblichkeit beim betreffenden Geschäftstyp zu orientieren (RS0014627).

[4] 1.2 Gemäß § 879 Abs 3 ABGB ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung, die nicht eine der beiden beiderseitigen Hauptleistungen festlegt nichtig, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls einen Teil gröblich benachteiligt. Das dadurch geschaffene bewegliche System berücksichtigt einerseits die objektive Äquivalenzstörung und andererseits die „verdünnte Willensfreiheit“ (RS0016914). Eine gröbliche Benachteiligung ist jedenfalls stets dann anzunehmen, wenn die dem Vertragspartner zugedachte Rechtsposition in einem auffallenden Missverhältnis zur vergleichbaren Rechtsposition des anderen steht (RS0016914 [T4, T32]).

[5] 1.3 Maßstab für das Transparenzgebot des § 6 Abs 3 KSchG ist das Verständnis des für die jeweilige Vertragsart typischen Durchschnittskunden. Es soll verhindert werden, dass der Verbraucher durch ein unzutreffendes oder unklares Bild seiner vertraglichen Position von der Durchsetzung seiner Rechte abgehalten wird (RS0037107 [T6], RS0115219).

[6] 1.4 Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) sind nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insb T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]). Als Ausnahmetatbestände, die die vom Versicherer übernommenen Gefahren einschränken oder ausschließen, dürfen Ausschlüsse nicht weiter ausgelegt werden, als es ihr Sinn unter Betrachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise sowie des Regelungszusammenhangs erfordert (RS0107031).

[7] 2. Die Vorinstanzen verneinten – der eben dargestellten Rechtsprechung folgend – mit ausführlicher Begründung die Intransparenz des Risikoausschlusses gemäß § 6 Abs 3 KSchG, sowie weiters dessen Ungewöhnlichkeit nach § 864a ABGB und dessen gröbliche Benachteiligunggemäß § 879 Abs 3 ABGB. Diese Beurteilung, gegen die die Klägerin keine stichhaltigen Argumente bringt, ist nicht zu beanstanden.

[8] 2.1 Der Umstand, dass die Sportart „Indoorklettern“ nicht in Art 19 AUVB, wohl aber in Art 20.10 AUVB genannt wird, macht die Bestimmung nicht intransparent. Daraus folgt nur eindeutig, dass es sich beim „Indoorklettern“ um eine versicherbare Sportart handelt. Weiters ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Art 20.10 AUVB, der „Indoorklettern“ und „Klettern/Bergsteigen über Schwierigkeitsgrad IV nach französischer Skala“ als eigene Sportarten nennt, völlig klar, dass die bei „Klettern/Bergsteigen“ angeführten Einschränkungen nicht für die Sportart „Indoorklettern“ gelten.

[9] 2.2 Der erkennende Senat hat auch bereits wiederholt ausgesprochen, dass jedem Versicherungsnehmer das Wissen zugemutet werden muss, das einem Unfallversicherungsvertrag gewisse Begrenzungsnormen zugrunde liegen. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer hat grundsätzlich mit Risikoausschlüssen und Einschränkungen zu rechnen (vgl RS0016777). Sie sind insoweit weder ungewöhnlich nach § 864a ABGB noch im Sinn des § 879 Abs 3 ABGB gröblich benachteiligend. Dies gilt um so mehr, wenn – wie in der Unfallversicherung üblich – eine erhöhte Gefahrensituation aus dem Versicherungsschutz ausgenommen wird (vgl 7 Ob 70/21a).

[10] 2.3 Die Klausel findet sich auch dort, wo sie vom Versicherungsnehmer zu vermuten ist. Unfälle vom Versicherungsschutz auszunehmen, die bei der Ausübung bestimmter Sportarten auftreten, ist für Unfallversicherungsbedingungen geradezu typisch. Dass – wie die Klägerin erstmals in der Revision meint – andere Unfallversicherer „Indoorklettern“ nicht anführen und damit die Versicherungsbedingungen unterschiedlicher Versicherer keine identen Risikoausschlüsse beinhalten, bewirkt für sich allein nicht die Ungewöhnlichkeit der Bestimmung; würde doch die – offenbar von der Klägerin gewünschte – völlige Gleichstellung der Risikoausschlüsse in diesem Zusammenhang zu einem Verlust der Produktdiversität führen.

[11] 2.4 Auch, dass die Vorinstanzen „Indoorklettern“ aufgrund der mit der Ausübung dieser Sportarten verbundenen Risiken, aus großer Höhe auf den Boden zu stürzen, beim Klettern oder auch Sichern an die Wand zu prallen, mit einer stürzenden Person zusammenzustoßen und schließlich von herabfallenden Gegenständen getroffen zu werden, als gefährliche Sportart beurteilten, ist nicht zu beanstanden. Die Entscheidung 7 Ob 191/16p ist schon deshalb nicht einschlägig, weil es dort um die Auslegung des Begriffs „Freeclimbing“ ging.

[12] 3. Da jeder durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer zweifelsohne unter der Sportart „Indoorklettern“ nicht nur das Hinaufklettern, sondern auch das Abseilen versteht, gehtauchdie Argumentation der Klägerin zur fehlenden Kausalität des Risikoausschlusses ins Leere.

[13] 4. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).

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