OGH 23Ds10/23g

OGH23Ds10/23g3.6.2024

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 3. Juni 2024 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Musger als weiteren Richter sowie die Rechtsanwälte Dr. Schlager und Mag. Brunar als Anwaltsrichter in Gegenwart des Schriftführers Edermaier‑Edermayr, LL.M., in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, wegen der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt über die Berufung des Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der * Rechtsanwaltskammer vom 5. Juni 2023, GZ D 9/23‑18, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Artner, des Kammeranwalts Mag. Haumer, des Beschuldigten und seines Verteidigers Mag. Markowski zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0230DS00010.23G.0603.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte

 

Spruch:

 

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Beschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Rechtsanwalt * der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt und nach § 16 Abs 1 Z 2 DSt zu einer unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehenen (§ 16 Abs 2 letzter Satz DSt) Geldbuße von 3.000 Euro verurteilt.

[2] Nach dem Inhalt des Schuldspruchs ist er am 16. März 2022 im Verfahren AZ * E * des Bezirksgerichts * für die am 17. Februar 2022 verstorbene * eingeschritten, ohne vertretungsberechtigt oder bevollmächtigt zu sein.

[3] Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die gegen die Aussprüche über die Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen in deren Rahmen siehe RIS‑Justiz RS0128656 [T1]) und die Strafe (§ 49 letzter Satz DSt) gerichtete Berufung des Disziplinarbeschuldigten, der keine Berechtigung zukommt.

[4] Nach den Feststellungen des Disziplinarrats wurde der Beschuldigte mit Beschluss des Bezirksgerichts * vom 17. Jänner 2020, GZ * P *, zum gerichtlichen Erwachsenenvertreter der * bestellt, wobei der Wirkungsbereich unter anderem auch die Vertretung vor Gerichten umfasste (Beilage ./A).

[5] Eine Bevollmächtigung des Beschuldigten durch * war indessen nicht erfolgt.

[6] Einer pflegschaftsgerichtlich genehmigten (Beilage ./C) Räumungsklage der durch den Beschuldigten vertretenen * gegen * und andere Beklagte (Beilage ./B) wurde mit Urteil des Landesgerichts * vom 26. April 2021, GZ * Cg *, stattgegeben (Beilage ./F). Der dagegen von den Beklagten eingebrachten Berufung gab das Oberlandesgerichts* als Berufungsgericht mit Urteil vom 22. September 2021, AZ * R*, nicht Folge (Beilage ./G).

 

[7] Zur Exekution des Urteils wurden beim Bezirksgericht * die Verfahren AZ * E * und AZ * E * geführt.

[8] Am 16. März 2022 brachte der Beschuldigte im zweitgenannten Verfahren für die am 17. Februar 2022 verstorbene * (richtig: in Vertretung der Verlassenschaft nach *) einen Antrag gemäß § 54f EO ein (Beilage ./D; ES 4 f).

[9] Die Berufung richtet sich zunächst (nominell) gegen die Feststellung, wonach eine Bevollmächtigung durch * nicht erfolgt war. Sie erschöpft sich dazu aber in der bloßen Rechtsbehauptung, der Beschuldigte sei „sehr wohl zur gerichtlichen Vertretung der * bevollmächtigt“ gewesen, „wie sich dies a) aus dem eindeutigen Wortlaut der (abstrakten) Erwachsenenvertretung einerseits, b) dem konkreten (auch pflegschaftsgerichtlich genehmigten) Anlassfall zur Klagsführung andererseits und der darauf erfolgten c) rechtmäßigen Vollmachtsbekanntgabe zum ausgewiesenen Vertreter am Landesgericht * zu GZ * Cg * zu einer Prozessvollmacht für dieses konkrete Verfahren und der rechtmäßigen gerichtlichen Vertretung der Frau * in diesem Verfahren durch den DB manifestierte“.

[10] Das Vorbringen gründet sich somit allein auf die (verfehlte; siehe gleich unten) Annahme, die gerichtliche Bestellung zum Erwachsenenvertreter sowie die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung einer Klagsführung hätten die Wirkung einer Prozessvollmacht oder wären einer solchen gleichzuhalten. Umstände, die geeignet wären, Bedenken an der Beweiswürdigung der angefochtenen Entscheidung zu wecken und auf diese Weise die getroffenen Feststellungen substantiiert in Frage zu stellen (§ 49 DSt; vgl Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 49 DSt Rz 2), werden damit nicht aufgezeigt. Solcherartverfehlt der Berufungswerber den Anfechtungsrahmen einer Berufung wegen Schuld (im engeren Sinn; vgl dazu RIS‑Justiz RS0122980; eingehend Ratz, WK‑StPO § 464 Rz 2 und 8 je mwN).

Rechtliche Beurteilung

[11] Als Rechtsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) verstanden, ist die Berufung gleichfalls nicht im Recht. Entgegen dem dort vertretenen Standpunkt bewirkt die rechtskräftige (vgl dazu Schauer in Gitschthaler/Höllwerth,AußStrG I2 § 125 Rz 2) Bestellung (auch) eines Rechtsanwalts zum Erwachsenenvertreter (§§ 271, 274 Abs 4 und 5 ABGB, §§ 123 Abs 1, 125 AußStrG) nämlich bloß, dass dieser bestimmt zu bezeichnende Angelegenheiten (§ 123 Abs 1 Z 2 AußStrG; vgl Schauer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I2 § 123 Rz 9; hier ua die Vertretung vor Gerichten) für die betroffene Person zu besorgen hat. Einzelne (prozessuale) Rechtshandlungen des Erwachsenenvertreters (so etwa eine Klagsführung) können dabei einer pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung bedürfen (§ 258 Abs 4 iVm § 167 Abs 3 ABGB, § 132 Abs 1 AußStrG; vgl Mokrejs/Weinhappel in Rummel/Lukas/Geroldinger, ABGB4 § 167 Rz 57; Fischer‑Czermak in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.05 § 167 Rz 27).

[12] Davon zu unterscheiden ist die einem Rechtsanwalt durch Willensakt der vertretenen Partei erteilte und in § 31 Abs 1 ZPO legaldefinierte Prozessvollmacht (gewillkürte Vertretung; Zib in Fasching/Konecny 3II/1§ 26 ZPO Rz 7, §§ 31, 32 ZPO Rz 1).

[13] Die persönliche Befreiung eines Rechtsanwalts von der Anwaltspflicht im Zivilprozess (§ 28 Abs 1 ZPO) kommt diesem nicht nur in eigener Sache zu, sondern auch dann, wenn er etwa als Erwachsenenvertreter einschreitet(Zib in Fasching/Konecny 3II/1 § 28 ZPO Rz 17; RIS‑Justiz RS0127987, 1 Ob 82/12h mwN).

[14] Damit geht der Einwand, dass – neben der Bestellung zum Erwachsenenvertreter mit dem Wirkungsbereich der Vertretung vor Gericht und der pflegschaftsbehördlichen Genehmigung der Klagsführung – „eine weitere (ausdrückliche/nochmalige) Bevollmächtigung ... für die prozessuale Vertretung … weder rechtlich vorgesehen, noch in der Praxis üblich“ sei, ebenso ins Leere wie der Hinweis drauf, dass dem Beschuldigten nie vorgeworfen worden sei, bereits zu Lebzeiten der Vertretenen „eine prozessuale Vertretung ohne entsprechende Prozessvollmacht ausgeübt“ zu haben.

[15] Losgelöst von den insoweit getroffenen Negativfeststellungen (ES 4 f) bestünde mit Blick auf § 28 Abs 1 ZPO und die diesbezügliche (eben zitierte) Rechtsprechung im Übrigen auch kein Anlass dafür,die hier gegenständliche pflegschaftsgerichtliche Genehmigung (allein) der Prozessführung (Beilage ./C) zugleich als Genehmigung eines Insichgeschäfts zu verstehen, mit dem der Beschuldigte als Vertreter der Betroffenen * sich selbst als Rechtsanwalt Prozessvollmacht erteilt hätte (zum Ganzen erneut 1 Ob 82/12h).

[16] Während eine (hier nach den nicht erfolgreich bekämpften Feststellungen [erneut ES 4 f] eben gerade nicht erteilte) Prozessvollmacht durch den Tod des Vollmachtgebers nicht aufgehoben wird (§ 35 Abs 1 ZPO) und der Prozessbevollmächtigte einer betreibenden Partei nach deren Ableben bis zur Einantwortung des Nachlasses auch zur Einleitung und Fortführung eines Exekutionsverfahrens (aber ausschließlich) namens der Verlassenschaft ermächtigt ist (RIS‑Justiz RS0000331 [T1 und T2]), endet die Vertretungsbefugnis des Erwachsenenvertreters jedenfalls mit dem Tod der vertretenen Person (§ 246 Abs 1 Z 1 ABGB; vgl auch RIS‑Justiz RS0048925, RS0049121; Zib in Fasching/Konecny 3II/1§ 35 ZPO Rz 5/1).

[17] Daran ändert im Übrigen auch eine vom Beschuldigten geforderte (ON 7 im Ds‑Akt) vernetzte Betrachtung von §§ 35 und 155 ZPO nichts, weil nach letzterer Bestimmung gleichfalls nur die (bereits zum Zeitpunkt des Todes der Partei bei Gericht ausgewiesene) Prozessvollmacht iSd § 31 ZPO die Verfahrensunterbrechung abwendet (Fink in Fasching/Konecny 3II/3§ 155 ZPO Rz 49 ff [Rz 53]).

[18] Demgemäß schritt der Beschuldigte nach dem Tod der * im Verfahren AZ * E * des Bezirksgerichts * ohne Vertretungsbefugnis für diese ein.

[19] Aus welchen Gründen seine gegenteilige Auffassung trotz des klaren Gesetzeswortlauts und der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vertretbar sein sollte, macht die Berufung nicht klar (vgl RIS‑Justiz RS0023526 [insb T11] sowie RS0089972 [insb T2 bis T4]; vgl auch 20 Os 5/16k). Ebensowenig legt sie dar, inwiefern das Fehlen von Anhaltspunkten für einen Versuch des Beschuldigten, „das Gericht über das Vorliegen einer Vollmacht oder das Ableben der Vollmachtgeberin zu täuschen“, für diese Beurteilung erheblich sei.

[20] Im Übrigen orientiert sich die Behauptung, der Beschuldigte habe seine Rechtsansicht – vom Bezirksgericht * unbeanstandet geblieben – bereits im hier verfahrensgegenständlichen Antrag nach § 54f EO „ausdrücklich angeführt“, weder an den getroffenen Feststellungen (vgl aber RIS‑Justiz RS0099810) noch am Akteninhalt (vgl Beilage ./D, nach der die Vertretungsbefugnis ausschließlich auf die Weitergeltung der [angeblich] bestehenden Prozessvollmacht gemäß § 35 ZPO gestützt wurde).

[21] Der Berufung gegen den Ausspruch über die Schuld war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – ein Erfolg zu versagen.

[22] Bleibt zur direkt beim Obersten Gerichtshof eingebrachten Äußerung des Beschuldigten zur Berufungsgegenausführung des (richtig:) Kammeranwalts (erneut ON 7 im Ds‑Akt) anzumerken, dass die Behauptung eines dadurch begründeten Verstoßes gegen das Überraschungs- und Neuerungsverbot unverständlich ist und sich schon deshalb einer Erwiderung entzieht.

[23] Auch die (implizit erhobene; § 49 letzter Satz DSt) Strafberufung ist nicht im Recht.

[24] Der Disziplinarrat verhängte über den Beschuldigten nach § 16 Abs 1 Z 2 DSt eine Geldbuße von 3.000 Euro, deren Vollzug nach § 16 Abs 2 letzter Satz DSt für eine dreijährige Probezeit bedingt nachgesehen wurde. Bei der Strafbemessung wertete er das Zusammentreffen zweier Disziplinarvergehen als erschwerend, als mildernd dagegen die bisherige disziplinarrechtliche Unbescholtenheit des Beschuldigten.

[25] Unter Zugrundelegung dieser richtig und vollständig angeführten Strafzumessungsgründe (vgl dazu auch RIS‑Justiz RS0054839) entspricht die im untersten Bereich des Strafrahmens von bis zu 45.000 Euro (§ 16 Abs 1 Z 2 DSt) bemessene und ohnehin bedingt nachgesehene Geldbuße Tatunrecht und Täterschuld sowie Präventionserfordernissen und trägt den (mangels diesbezüglicher Angaben des Beschuldigten zutreffend zugrundegelegten) durchschnittlichen Einkommens‑ und Vermögensverhältnissen eines Rechtsanwalts auch unter Berücksichtigung der beiden Sorgepflichten des Beschuldigten angemessen Rechnung (§ 16 Abs 6 DSt).

[26] Ein schriftlicher Verweis (§ 16 Abs 1 Z 1 DSt) kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die dem Beschuldigten zur Last liegenden Vergehen nicht bloß geringfügige Verfehlungen darstellen (vgl RIS‑Justiz RS0075487 [T1] sowie [erneut] RS0089972) und die Verhängung einer Geldbuße auch aus spezial- und generalpräventiven Gründen geboten ist.

[27] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte