OGH 2Ob56/24k

OGH2Ob56/24k28.5.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart, Dr. Kikinger und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Dr. Andreas Pascher, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. E*, und 2. S*, beide vertreten durch Weixelbaumer Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 134.446,45 EUR sA und Feststellung, über den Rekurs der erstbeklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 18. Jänner 2024, GZ 1 R 166/23x‑59, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 28. August 2023, GZ 57 Cg 86/22h‑51, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0020OB00056.24K.0528.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Schadenersatz nach Verkehrsunfall

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Während eines von der in Deutschland ansässigen Erstbeklagten veranstalteten Testtages auf dem Salzburgring ereignete sich im Bereich der Boxenausfahrt ein Unfall, an dem der Kläger mit seinem Ferrari 458 Challenge und ein von der Erstbeklagten gehaltener, nicht zum Verkehr zugelassener Honda Civic R TCR beteiligt waren.

[2] Nach den Teilnahmebedingungen nutzen die Fahrer den Kurs zur Durchführung von Versuchsfahrten. Während des Testtages durfte der Salzburgring nur von den angemeldeten Veranstaltungsteilnehmern befahren werden. Bei einem Testtag gibt es – anders als bei Rennveranstaltungen – niemanden, der Zeichen oder Signale gibt. Es darf auch auf der Strecke angehalten oder auf der Start-Ziel-Geraden der Start geübt werden.

[3] Der Kläger begehrt – soweit Gegenstand des Rekursverfahrens – von der erstbeklagten Halterin gestützt auf EKHG den Ersatz des ihm aufgrund des Unfalls entstandenen Schadens und stellt ein Feststellungsbegehren.

[4] Die Erstbeklagte wendet zusammengefasst ein, mangels Berührung der Fahrzeuge liege kein Unfall im Sinn des EKHG vor. Beim von ihr gehaltenen Fahrzeug handle es sich um einen nicht zum Verkehr zugelassenen Rennwagen. Es habe lediglich ein Testtag stattgefunden, bei dem es weder eine offizielle Zeitnehmung noch ein Qualifikationstraining oder ein Rennen gegeben habe.

[5] Das Erstgericht ging gemäß Art 4 Abs 2 Rom II‑VO von der Maßgeblichkeit österreichischen Sachrechts aus und bejahte die Anwendbarkeit des EKHG. Eine Kollision zwischen den Fahrzeugen sei keine Anwendungsvoraussetzung. Dass sich der Unfall auf einer privaten Straße ereignet habe, stehe der Gefährdungshaftung ebenso wenig entgegen wie die fehlende Verkehrszulassung des Fahrzeugs der Erstbeklagten.

[6] Das von beiden Seiten angerufene Berufungsgericht hob die der Klage teilweise stattgebende Entscheidung auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung, insbesonderezu den geltenden Sportregeln, auf. Es schloss sich im Zusammenhang mit der Anwendbarkeit des EKHG im Wesentlichen der Rechtsansicht des Erstgerichts an. Ob der Rennwagen der Erstbeklagten zulassungsfähig sei, sei nicht entscheidend, weil die Anwendbarkeit des EKHG nicht auf zum Verkehr zugelassene Fahrzeuge eingeschränkt sei. Der Salzburgring sei auch nicht mit vom Anwendungsbereich des EKHG ausgenommenen Gokartbahnen vergleichbar. Auch wenn es sich um eine nicht zum öffentlichen Verkehr zugängliche Fläche handle, sei sie dennoch dem Fußgänger- und Fahrzeugverkehr geöffnet und nicht ausschließlich für Rennwagen bei Motorsportveranstaltungen bestimmt (Einsatz von Rettungsfahrzeugen, Fahrsicherheitstraining, etc). Den Rekurs ließ das Berufungsgericht zu, weil eine Klarstellung zur Anwendbarkeit des EKHG auf Unfälle, die sich auf abgesperrten, privaten Rennstrecken ereignen, geboten sei.

[7] Dagegen richtet sich der Rekurs der Erstbeklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem auf Abweisung der Klage gerichteten Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[8] Der Kläger beantragt, den Rekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Der Rekurs der Erstbeklagten ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig und in der Sache auch berechtigt. Da sich durch die teils abweichende Rechtsansicht aber nichts an der Aufhebung ändert, ist dem Rekurs nicht Folge zu geben (RS0007094 [T7]).

[10] Der Rekurs argumentiert, das EKHG knüpfe an die Unfallbeteiligung eines Kraftfahrzeugs iSd § 2 Z 1 KFG an. Ein solches liege vor, wenn es sich um ein zur Verwendung auf Straßen bestimmtes oder ein auf einer Straße verwendetes Fahrzeug handelt. Aufgrund der fehlenden Verkehrszulassung des von der Erstbeklagten gehaltenen Fahrzeugs liege kein zur Verwendung auf Straßen bestimmtes Kraftfahrzeug vor. Beim Salzburgring handle es sich aufgrund der ausschließlichen Motorsportwidmung auch um keine dem Verkehrsbedürfnis dienende Straße iSd § 2 Abs 1 Z 1 StVO.

[11] 1. Die – zutreffend auf Art 4 Abs 1 Rom II‑VO gestützte – Anwendung österreichischen Sachrechts ist im Rekursverfahren unstrittig.

[12] 2. Die Anwendung des EKHG setzt einen Unfall beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs voraus. Der sich auf eine Haftung nach dem EKHG stützende Kläger hat dessen Anwendungsvoraussetzungen zu behaupten und zu beweisen. Er muss daher nachweisen, dass ein Schaden durch einen Unfall beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs iSd § 1 EKHG verursacht wurde (2 Ob 183/22h Rz 25).

[13] 3. Unter einem Unfall im Gefährdungshaftungsrecht wird ganz allgemein ein von außen her plötzlich einwirkendes schädigendes Ereignis verstanden. Eine physische Berührung mit dem Kraftfahrzeug (Eisenbahn) oder eine (sonstige) mechanische Gewalteinwirkung (beispielsweise Aufprall) ist nicht erforderlich (2 Ob 198/23s Rz 27 = RS0058130 [T6]). Dies zieht die Erstbeklagte im Rekursverfahren nicht mehr in Zweifel.

[14] 4. Der Begriff des Kraftfahrzeugs ist nach § 2 Abs 2 Satz 1 EKHG im Sinn des KFG 1967 auszulegen. Ob ein Kraftfahrzeug iSd §§ 1, 2 Abs 2 EKHG vorliegt, ist damit vom Gericht letztlich nach der Bestimmung des § 2 Z 1 KFG zu prüfen.

[15] Nach § 2 Z 1 KFG ist ein Kraftfahrzeug ein zur Verwendung auf Straßen (vgl § 2 Abs 1 Z 1 StVO, Anm) bestimmtes (erster Fall) oder auf Straßen verwendetes (zweiter Fall) Fahrzeug, das durch technisch freigemachte Energie angetrieben wird und nicht an Gleise gebunden ist, auch wenn seine Antriebsenergie Oberleitungen entnommen wird. Es werden damit nur „Straßenfahrzeuge“ als Kraftfahrzeuge angesehen (2 Ob 183/22h Rz 27 mwN).

[16] Nach § 2 Abs 1 Z 1 StVO gilt als Straße eine für den Fußgänger- oder Fahrzeugverkehr bestimmte Landfläche. Die Gesetzesmaterialien (ErläutRV 22 BlgNR 9. GP  50) halten in diesem Zusammenhang fest, aus der Beschränkung auf den Fahrzeug- und Fußgängerverkehr ergebe sich, dass Flächen, die ausschließlich dem Sport dienen (zB Schipisten), aber auch Kinderspielplätze und Holzriesen keine Straßen sind. Ebenso seien Landflächen, die ausschließlich dem Viehtrieb dienen, keine Straßen.

[17] Straßen sind daher zusammengefasst Landflächen, die dem Fußgänger- oder Fahrzeugverkehr dienen, also der räumlichen Fortbewegung von einem Ort zu einem anderen Ort durch Personen oder Fahrzeuge (aus den vielfältigsten Motiven), wobei als Zweck der Fortbewegung die Raumüberwindung im Vordergrund stehen muss. Steht ein anderer Zweck als der der Raumüberwindung im Vordergrund und ist die Raumüberwindung lediglich Nebenzweck, dann kann eine Landfläche, die einem solchen „anderen Zweck“ dient, nicht als Straße im Sinne der Straßenverkehrsordnung qualifiziert werden (Pürstl, StVO‑ON16 § 2 Anm 2).

[18] 5.1 Dass der haftungsbegründende Betrieb auf einer Straße mit öffentlichen Verkehr erfolgt (RS0058090; Danzl, EKHG11 § 2 Anm 5e) oder das Kraftfahrzeug zum Verkehr zugelassen ist (2 Ob 7/92; Danzl, EKHG11 § 2 Anm 5d), ist für die Anwendbarkeit des EKHG nicht erforderlich.

[19] 5.2 Ausschließlich der Unterhaltung und nicht dem Verkehr dienende bahnähnliche Einrichtungen in Vergnügungsstätten, wie Rutschbahn, Berg- und Talbahn und dergleichen unterliegen aber nicht dem EKHG (RS0058093). Auch auf Autodromanlagen (RS0029895), Sommerrodelbahnen (RS0058088) oder Gokartbahnen (2 Ob 84/00t; 2 Ob 239/99g) ist das EKHG mangels Vorliegens eines „Straßenfahrzeugs“ nicht anwendbar.

[20] Im Zusammenhang mit Gokartbahnen hat der Oberste Gerichtshof (2 Ob 84/00t) betont, dass die verwendeten Flächen nicht der Befriedigung eines Verkehrsbedürfnisses, sondern lediglich des Spieltriebs dienen und ist zum Ergebnis gelangt, dass im Hinblick auf den bloßen Unterhaltungszweck von Anlage und Fahrzeugen das Vorliegen einer Straße und eines Kraftfahrzeugs zu verneinen ist.

[21] 5.3 Hingegen hat der Oberste Gerichtshof schon wiederholt auch „Rennunfälle“ dem EKHG unterstellt und zu RS0058219 den Rechtssatz gebildet, das EKHG gelte auch bei „Kraftfahrzeugrennen“.

[22] Die indizierte Entscheidung 2 Ob 62/84 betraf die Tötung eines Streckenpostens im Zuge eines auf einer Rennstrecke veranstalteten Autorennens unter Beteiligung eines PKWs der Marke Alfasud.

[23] Der zu 2 Ob 149/97v entschiedene, ebenfalls obigem Rechtssatz zugeordnete Sachverhalt betraf einen Unfall während des „Alpl‑Bergrennens“ auf einer Bundesstraße mit einem PKW der Marke Sunbeam, Type Lotus, bei dem ein Zuseher getötet wurde.

[24] Auch zu 2 Ob 60/91 bejahte der Oberste Gerichtshof im Zusammenhang mit einem Unfall zwischen zwei zum öffentlichen Verkehr zugelassenen Motorrädern bei einem „Publikumsrennen“ am für die Öffentlichkeit gesperrten Salzburgring die Anwendbarkeit des EKHG.

[25] Zu 2 Ob 7/92 wurde die Anwendbarkeit des EKHG auf einen Unfall mit einem nicht zum Verkehr zugelassenen Motorrad bei einem Motocross-Rennen auf einer durch Plastikbänder abgegrenzten Rennstrecke bejaht.

[26] 6.1 Maßgebliches Kriterium für die Anwendbarkeit des EKHG ist die Kraftfahrzeugeigenschaft des Fahrzeugs der Erstbeklagten, die sich entweder aus der Bestimmung zur Verwendung auf Straßen (§ 2 Z 1 erster Fall KFG) oder der (tatsächlichen) Verwendung auf Straßen (§ 2 Z 1 zweiter Fall KFG) ergeben kann.

[27] 6.2 Nach Ansicht des Senats handelt es sich beim Salzburgring während des Testtages um keine Straße iSd § 2 Abs 1 Z 1 StVO, sodass der Tatbestand des § 2 Z 1 zweiter Fall KFG nicht erfüllt ist.

[28] Die Erstbeklagte weist zutreffend darauf hin, dass bei ihrer Nutzung des Salzburgrings während des Testtages ausschließlich der Unterhaltungszweck und die Befriedigung des „Motorsportbedürfnisses“, nicht aber eines Verkehrsbedürfnisses im Vordergrund steht. Die Raumüberwindung ist bloßes Mittel zum Unterhaltungszweck. Der Salzburgring ist daher beim Testtag im Zusammenhang mit den dabei verwendeten, der Befriedigung des Motorsportbedürfnisses dienenden Fahrzeugen im Hinblick auf den bloßen Unterhaltungszweck nicht als Straße im Sinn des § 2 Abs 1 Z 1 StVO zu qualifizieren.

[29] Dem stehen auch die oben (Pkt 5.3) genannten Entscheidungen nicht entgegen, weil es sich bei den jeweils beteiligten Fahrzeugen offenbar um Kraftfahrzeuge im Sinn des § 2 Z 1 erster Fall KFG handelte und im Wesentlichen lediglich die Frage zu klären war, ob der Umstand, dass es sich um einen „Rennunfall“ handelt, der Anwendung des EKHG entgegensteht.

[30] 6.3 Die Bestimmung eines Fahrzeugs zur Verwendung (auch) auf Straßen ist (objektiv) nach der Bauart und Ausrüstung, unabhängig von der augenblicklichen Verwendung zu beurteilen (vgl Grubmann, KFG5 § 2 Anm 1). Die Zulassung zum Verkehr ist kein Tatbestandsmerkmal des § 2 Z 1 erster Fall KFG (vgl auch Grubmann, KFG5 § 36 Anm 4; Neumayr in Schwimann/Neumayr 5 § 2 EKHG Rz 6;Schauer in Schwimann/Kodek 5 § 2 EKHG Rz 11).

[31] Ob es sich beim Fahrzeug der Erstbeklagten nach Bauart und Ausrüstung unabhängig von seiner derzeitigen Verwendung bzw fehlenden Zulassung um ein auch zur Verwendung auf Straßen bestimmtes Fahrzeug oder um einen zur ausschließlichen Verwendung auf Rennstrecken – diese sind zumindest bei Verwendung zu bloßen Motorsport- bzw Unterhaltungszwecken nicht als Straßen iSd § 2 Abs 1 Z 1 StVO zu qualifizieren (vgl Pkt 6.2) – bestimmten Rennwagen handelt, kann derzeit mangels ausreichender Feststellungsgrundlage nicht abschließend beurteilt werden. Im Ergebnis hat es daher bei der Aufhebung durch das Berufungsgericht zu bleiben.

[32] 7.  Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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