European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0020OB00087.24V.0528.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Schadenersatz nach Verkehrsunfall
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Mit dem angefochtenen Teilzwischenurteil lastete das Berufungsgericht dem Lenker des mit Blaulicht unterwegs gewesenen, bei der Erstbeklagten haftpflichtversicherten und von der Zweitbeklagten gehaltenen Zivilstreifenfahrzeugs eine Verletzung des § 26 Abs 3 zweiter Satz StVO an, weil dieser zwar zunächst bei Rotlicht an der Kreuzung angehalten habe, dann aber dennoch in diese eingefahren sei, obwohl er sich nicht sicher sein habe können, die Kreuzung aufgrund des sich auf dem Fahrrad bei Grünlicht nähernden Klägers ohne dessen Gefährdung passieren zu können. Den Kläger treffe aber ein Mitverschulden, weil er entgegen § 38 Abs 4 StVO die Verkehrslage nicht aufmerksam beobachtet, das Blaulicht des Einsatzfahrzeugs trotz wesentlich früherer Wahrnehmbarkeit zunächst nicht bemerkt und darauf verspätet mit einer überzogenen Vollbremsung reagiert habe, obwohl auch ein normales Bremsmanöver zur Unfallvermeidung ausgereicht hätte.
Rechtliche Beurteilung
[2] Die dagegen gerichtete außerordentliche Revision des Klägers ist mangels Relevierung einer Rechtsfrage der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
[3] 1. Gemäß § 38 Abs 4 StVO gilt grünes Licht als Zeichen für „Freie Fahrt“. Bei diesem Zeichen haben die Lenker von Fahrzeugen, wenn es die Verkehrslage zulässt, weiterzufahren oder einzubiegen. Grünes Licht bedeutet kein absolutes Gebot, das Zeichen „Freie Fahrt“ zu befolgen; es befreit den Verkehrsteilnehmer nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht von der Verpflichtung, die Verkehrslage zu beobachten und seine Weiterfahrt danach einzurichten (RS0075345; RS0075354). Die Befugnis, während der Grün-Phase in eine durch Lichtzeichen geregelte Kreuzung einzufahren, wird durch § 38 Abs 4 StVO vielmehr nur nach Maßgabe der jeweils aktuellen, unter Bedacht auf § 3 StVO aus der ex-ante-Sicht des Fahrzeuglenkers zu beurteilenden Verkehrslage eingeräumt (16 Os 40/91 = RS0075357).
[4] 2.1 Eine (zeitliche) Einschränkung des Gebots, auch bei Grünlicht die Verkehrslage zu beobachten und die Weiterfahrt nach dieser einzurichten, auf eine Einfahrt unmittelbar nach Aufleuchten des Grünlichts, ist entgegen der Revision weder dem klaren, insoweit nicht differenzierenden Wortlaut des § 38 Abs 4 StVO noch der Rechtsprechung zu entnehmen, mögen die zu RS0075345 indizierten Entscheidungen (aufgrund der besonderen Gefahrenträchtigkeit) auch überwiegend Unfälle zwischen (unmittelbar) nach Aufleuchten des Grünlichts Einfahrenden und noch im Kreuzungsbereich befindlichen „Nachzüglern“ betroffen haben. Das Gebot des § 38 Abs 4 StVO, die Weiterfahrt nach der zu beobachtenden Verkehrslage einzurichten, gilt zwar insbesondere (iVm § 38 Abs 2 StVO: vgl 8 Ob 302/82 = ZVR 1984/81; vgl 8 Ob 88/81 = ZVR 1982/357), aber nicht ausschließlich bei einer Einfahrt unmittelbar nach Aufleuchten des Grünlichts.
[5] 2.2 Auch die von der Revision ins Treffen geführte, einen Unfall zwischen PKW und Fußgänger betreffende Entscheidung 16 Os 40/91 stellt auf die (gesamte) „Grün-Phase“, und nicht nur auf eine Einfahrt unmittelbar nach Aufleuchten des Grünlichts ab, mag der Sachverhalt auch einen „fliegenden Start“ unmittelbar nach Beginn der Grün‑Phase betroffen haben.
[6] Die Entscheidung des VwGH (1203/1978) ist nicht einschlägig, weil diese die Abgrenzung zwischen § 38 Abs 4 und 18 Abs 3 StVO betrifft und (nur) in diesem Zusammenhang festgehalten wird, dass bei einem – hier nicht vorliegenden – Aufschließen an das letzte Fahrzeug einer bis zur Kreuzung zurückreichenden Kolonne auf einer lichtgeregelten Kreuzung bei „Grün“ und Behinderung des einsetzenden Querverkehrs nicht gegen § 38 Abs 4 StVO, sondern gegen § 18 Abs 3 StVO verstoßen wird.
[7] 2.3 Grundsätzlich dürfen die bei Grünlicht in eine Kreuzung Einfahrenden zwar darauf vertrauen, dass aus der nunmehr gesperrten Querrichtung niemand mehr in die Kreuzung einfahren wird (RS0073414 [T4]). Der Kläger hätte bei erster Wahrnehmbarkeit des Blaulichts des Einsatzfahrzeugs aufgrund dessen Stillstandsposition hinter der Haltelinie bei Rotlicht auch noch darauf vertrauen dürfen, dass das noch stehende Einsatzfahrzeug das Rotlicht weiterhin beachten und den Querverkehr abwarten wird (2 Ob 95/23v Rz 22). Nach dem (erkennbaren) Überfahren der Haltelinie hätte er aber nicht mehr auf eine Achtung seines Vorrangs vertrauen dürfen und seine Fahrweise darauf abstimmen müssen.
[8] Besteht – wie hier – genügend Zeit und Möglichkeit, um auf das Fehlverhalten des anderen Verkehrsteilnehmers in einer völlig risikolosen Weise und ohne jede Gefahr der Herbeiführung eines Unfalls zu reagieren, entspricht es der Rechtsprechung (vgl RS0023292 [T11]), keine entschuldbare Schreckreaktion zuzubilligen.
[9] 3. Das von der Revision offenbar intendierte Ergebnis, bei bereits länger leuchtendem Grünlicht die Verkehrslage (im Kreuzungsbereich) überhaupt nicht beobachten zu müssen, stünde auch im Widerspruch zu § 3 Abs 1 StVO, nach dem die Teilnahme am Straßenverkehr ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksichtnahme erfordert.
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