OGH 4Ob83/24w

OGH4Ob83/24w23.5.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden, sowie den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M. und Mag. Waldstätten sowie den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei *, vertreten durch Mag. Alfons Umschaden, MBA, M.B.L., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei *, vertreten durch Dr. Leopold Boyer ua Rechtsanwälte in Zistersdorf, wegen 10.080 EUR sA und Feststellung (Streitwert 3.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Berufungsgericht vom 8. August 2023, GZ 21 R 104/23a‑19, mit dem das Zwischenurteil des Bezirksgerichts Gänserndorf vom 13. Jänner 2023, GZ 12 C 941/22f-14, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00083.24W.0523.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.221,90 EUR (darin enthalten 203,65 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin führte ihren Hund auf einem an verbautem Ortsgebiet angrenzendem Feld an der Leine spazieren, als der freilaufende Hund des Beklagten den Hund der Klägerin ansprang. Beim folgenden Gerangel stieß einer der beiden Hunde an das Bein der Klägerin, die daraufhin einen Schritt machte und mit dem rechten Fuß umknickte.

[2] Die Klägerin begehrte Schmerzengeld und die Feststellung der Haftung des Beklagten für künftige Schäden.

[3] Der Beklagtebestritt und brachte vor, dass die Hunde einander in einem Abstand von ein bis zwei Metern bellend gegenüber gestanden seien, als die Klägerin zwischen diese getreten sei, sich vermutlich in der Leine verfangen habe und dadurch einen schlechten Auftritt gehabt habe.

[4] Die Vorinstanzen bejahten die Haftung des Beklagten dem Grunde nach mit Zwischenurteil. Er habe sich vor dem Ableinen seines Hundes nicht vergewissert, ob andere Hunde oder Personen in unmittelbarer Nähe seien.

[5] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision nachträglich zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu fehle, ob auch ein bis dahin folgsamer und vollkommen unauffälliger Hund im Freiland ohne Leinenpflicht nicht abgeleint werden dürfe, wenn andere Personen und/oder Hunde in Blickweite seien, obwohl der Hund nie mit anderen Hunden Probleme gehabt habe und regelmäßig abgeleint worden sei.

[6] Die Revision des Beklagtenstrebt eine gänzliche Klagsabweisung, hilfsweise eine Aufhebung der Entscheidungen und Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht an.

Rechtliche Beurteilung

[7] Sieistungeachtet des – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruchs des Berufungsgerichts nicht zulässig.

[8] 1. Die in der Zulassungsbegründung des Berufungsgericht formulierte und vom Revisionswerber aufgegriffene Frage stellt sich hier nicht, weil weder vorgebracht noch festgestellt ist, dass es sich beim Hund des Beklagten um einen bis dahin folgsamen Hund handelte. Auch sonst zeigt die Revision keine erhebliche Rechtsfrage auf:

[9] 2. Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft und liegt nicht vor.

[10] 2.1. Ein Berufungsgericht ist schon deshalb nicht gehalten, eine Verfahrenspartei zu ergänzendem Vorbringen anzuleiten, weil dieses im Rechtsmittelstadium gegen das Neuerungsverbot des § 482 Abs 1 ZPO verstoßen würde.

[11] 2.2. Ein Verfahrensfehler des Erstgerichts könnte mangels Rüge im Berufungsverfahren vom Obersten Gerichtshof nicht mehr aufgegriffen werden (RS0074223), liegt hier aber ohnedies nicht vor. Das Prozessvorbringen des Beklagten, dass die Klägerin ohne Beteiligung seines Hundes zu Sturz kam, war weder unschlüssig noch widersprüchlich. Das Erstgericht hat schlicht aufgrund der Beweisergebnisse den von der Klägerin geschilderten Unfallhergang als zutreffend gehalten.

[12] In diesem Fall geht die Prozessleitungspflicht nach § 182a ZPO nicht so weit, dass ein Gericht eine Partei auf Rechtsgründe hinweisen müsste, die sich nicht aus ihrem bisherigen Tatsachenvortrag ergeben, sondern ein anderes Tatsachenvorbringen erfordern würden (RS0120057). Das Erstgericht hatte den anwaltlich vertretenen Beklagten deshalb nicht aufzufordern, hilfsweise auch ein Mitverschulden der Klägerin einzuwenden.

[13] 3.1. Wird jemand durch ein Tier beschädigt, so ist gemäß § 1320 Abs 1 ABGB derjenige dafür verantwortlich, der es dazu angetrieben, gereizt oder zu verwahren vernachlässigt hat. Derjenige, der das Tier hält, ist verantwortlich, wenn er nicht beweist, dass er für die erforderliche Verwahrung oder Beaufsichtigung gesorgt hatte.

[14] 3.2. Das Maß der Sorgfaltspflichten bei Verwahrung und Beaufsichtigung durch den Tierhalter hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab und wirft daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage auf (RS0030567 [T1]; RS0030157 [T10]). Haftungsfragen wegen Verletzung der Verwahrungs- bzw Beaufsichtigungspflicht des Tierhalters könnten daher nur dann an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden, wenn der Entscheidung des Berufungsgerichts eine grobe Fehlbeurteilung anhaften würde, die es im Interesse der Rechtssicherheit zu korrigieren gälte (5 Ob 207/98x).

[15] 3.3. Eine solche Fehlbeurteilung zeigt die Revision nicht auf. Insbesondere halten die Vorinstanzen ein Ableinen von Hunden im Freiland keineswegs grundsätzlich für unzulässig.

[16] Dass der Beklagte im konkreten Fall den Entlastungsbeweis nicht erbracht habe, weil er vor dem Ableinen die nur 50 Meter weit entfernte Klägerin und ihren Hund hätte beachten müssen, hält sich im Rahmen der höchstgerichtlichen Rechtsprechung (vgl RS0030567, wonach ein Hund auch in ländlicher Umgebung nicht stets frei herumlaufen darf). Der Beklagte hat nämlich kein Vorbringen erstattet, wie er seine Halterpflichten beim abgeleinten Hund erfüllen kann, etwa durch Training auf verbale Kommandos.

[17] 4. Sekundäre Feststellungsmängel liegen nur dann vor, wenn Tatsachen fehlen, die für die Beurteilung wesentlich sind, und diese nach dem Vorbringen der Parteien und den Ergebnissen des Verfahrens zu prüfen waren (RS0053317).

[18] Solche sind hier zu verneinen, weil der Beklagte in erster Instanz kein Tatsachenvorbringen zum richtigen Verhalten bei einem Gerangel unter Beteiligung eines Listenhundes erstattete.

[19] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1, § 50 Abs 1 ZPO.

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