OGH 15Os158/23h

OGH15Os158/23h15.5.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Mai 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Dr. Mann und Dr. Sadoghi und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel in Gegenwart der Schriftführerin FI Jäger in der Strafsache gegen * S* und weitere Angeklagte wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten L* W* gegen das Urteil des Landesgerichts Steyr als Schöffengericht vom 20. Oktober 2023, GZ 17 Hv 61/23d‑156, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Artner, des Angeklagten W* und seines Verteidigers Mag. Deutsch zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0150OS00158.23H.0515.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Suchtgiftdelikte

 

Spruch:

 

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Punkten II./D./ und II./G./2./b./ des Schuldspruchs und demzufolge auch im Strafausspruch betreffend L* W* (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

L* W* wird gemäß § 259 Z 3 StPO vom Vorwurf freigesprochen, er habe am 7. Februar 2023 K* W* mit dem Vorsatz, dass diese im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechts, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werde, dazu bestimmt, die Sterbeurkunde seines Stiefvaters durch Abänderung des Sterbedatums von 7. Jänner 2023 auf 7. Februar 2023 zu verfälschen.

Für die ihm weiterhin zur Last liegenden strafbaren Handlungenwird L* W* unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 28a Abs 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe von

drei Jahren

verurteilt.

Die Vorhaftanrechnung wird dem Erstgericht überlassen.

Dem Angeklagten L* W* fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde L* W* der Vergehen der Nötigung nach §§ 15 Abs 1, 105 Abs 1 StGB (II./A./), der Entziehung von Energie nach § 132 Abs 1 StGB (II./B./), der Unterschlagung nach § 134 Abs 1 StGB (II./C./), der Urkundenfälschung nach [gemeint:] §§ 12 zweiter Fall, 223 Abs 1 StGB (II./D./), des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 zweiter Fall StGB (II./E./) und des Diebstahls nach § 127 StGB (II./F./) sowie der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall SMG, § 12 zweiter und dritter Fall StGB (II./G./1./ und II./G./2./a./), des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG, § 12 dritter Fall StGB (I./G./2./b./), des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 „vierter, fünfter und sechster Fall“, Abs 2 Z 3 SMG, § 12 zweiter und dritter Fall StGB (II./G./3./) und der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (II./G./4./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in K* und an anderen Orten teils als Mittäter, teils als Bestimmungstäter oder Täter durch sonstigen Beitrag

A./ Ende August 2022 versucht, * M* durch gefährliche Drohung mit der Zufügung einer Körperverletzung, nämlich der sinngemäßen Äußerung, dieser solle wegen der zu II./A./ und II./B./ der Anklage geschilderten Vorfälle (Körperverletzung und Drohung zum Nachteil des S*) nicht zur Polizei gehen, wobei er mit einer Hand gegen M* aufzielte und einen Schlag andeutete, dazu zu nötigen, keine Aussage als Zeuge bei der Polizei zu machen;

B./ von 18. August 2021 bis 24. September 2022 in mehreren Angriffen mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, dadurch, dass er konsenslos sein elektrisch betriebenes Kraftfahrzeug BMW i3 durch Anstecken an den im Keller des Mehrparteienhauses *, befindlichen Gemeinschaftssteckdosen auflud, der N*GMBH bzw der Gemeinschaft der Mieter des Mehrparteienhauses *, elektrische Energie im Wert von zumindest 122,39 Euro entzogen;

C./ am 3. Februar 2023 ein fremdes Gut, das er gefunden hatte, nämlich 70 Euro Bargeld, welches unmittelbar vor ihm eine unbekannte Person im Ausgabeschacht des Geldausgabeautomaten des E*‑Marktes in K* vergessen hatte, sich oder einem Dritten mit dem Vorsatz zueignet, sich oder den Dritten dadurch unrechtmäßig zu bereichern;

D./ am 7. Februar 2023 K* W* mit dem Vorsatz, dass diese im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht wird, dazu bestimmt, für ihn eine Sterbeurkunde seines Stiefvaters * St* durch Verändern des Sterbedatums von 7. Jänner 2023 auf 7. Februar 2023 zu verfälschen;

E./ mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten durch das Verhalten des Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, seinen Schichtleiter * G* durch Täuschung über Tatsachen unter Verwendung einer verfälschten Urkunde, nämlich der Vorspiegelung, er müsse das Begräbnis seines Stiefvaters * St* besuchen, wobei er diesem per Facebook Messenger die zu II./D./ verfälschte Sterbeurkunde übermittelte, dazu veranlasst, ihm einen Tag „normalen“ Urlaub und weiters einen Tag Sonderurlaub zu gewähren, wodurch der T* AG ein Vermögensschaden entstand;

F./ im Zeitraum zumindest von Anfang 2023 bis 20. März 2023 Gewahrsamsträgern der T* AG fremde bewegliche Sachen, nämlich diverse Betriebsmittel wie Silikonsprays, Industriereiniger, Hochleistungsschmierstoffe, Druckschläuche und dergleichen mit dem Vorsatz weggenommen, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern;

G./ vorschriftswidrig Suchtgift in zahlreichen Angriffen

1./ von Februar bis Mai 2022 teils als Bestimmungs- sowie Beitragstäter zu unbekannten Tätern in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich zumindest 1.147 Gramm Amphetamin mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 10,81 % aus Polen aus- und nach Österreich eingeführt;

2./ als Beitragstäter am 12. Juli 2022 * Sty* gemeinsam mit S* dabei unterstützt, in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich zumindest 300 Gramm Cannabiskraut mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 13,80 % THCA und zumindest 1,02 % Delta‑9‑THC, zumindest 100 Gramm Amphetamin mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 10,81 %, zumindest 10 Stück XTC‑Tabletten und zumindest 1 Gramm Kokain mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 75,14 %, aus Polen aus- und nach Österreich einzuführen, indem er diverse Transportaufgaben übernahm;

3./ ab Mai 2017 bis 20. März 2023 in einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich insgesamt zumindest 1.128 Gramm Amphetamin mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 10,81 % sowie zumindest 2.042,50 Gramm Cannabiskraut mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 13,80 % THCA und zumindest 1,02 % Delta-9-THC anderen teils selbst, teils als Beitrags- bzw Bestimmungstäter des S* großteils gewinnbringend „angeboten, verschafft und überlassen“, und zwar in einer Vielzahl von Angriffen im Urteil bezeichneten bekannten und unbekannten Abnehmern;

4./ in einem unbekannten Zeitraum bis 12. Juli 2022 vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich Cannabiskraut, Amphetamin und Kokain ausschließlich zum persönlichen Gebrauch erworben und besessen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die vom Angeklagten W* aus § 281 Abs 1 Z 5 und „Z 9“ StPO gegen II./G./3./ und 4./ des Schuldspruchs erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – nicht berechtigt.

[4] Zu II./G./4./ des Schuldspruchs behauptet die Mängelrüge (Z 5 dritter Fall) Widersprüchlichkeit des Urteils betreffend den Tatzeitraum, spricht damit aber keine entscheidende Tatsache an, weil die Annahme eines kürzeren Tatzeitraums den Schuldspruch oder die Subsumtion nicht in Frage stellen würde (RIS‑Justiz RS0116736 [T13]).

[5] Die Subsumtionsrüge (nominell „Z 9“, inhaltlich Z 10) zielt betreffend II./G./3./ des Schuldspruchs auf die Annahme der Privilegierung nach § 28a Abs 3 SMG ab, nimmt aber nicht Maß an den dazu getroffenen Feststellungen des Schöffengerichts (vgl jedoch RIS‑Justiz RS0099810). Die angesprochene Privilegierung setzt kumulativ die Gewöhnung an Suchtmittel und die Begehung der Straftat nach dem SMG vorwiegend deshalb, um sich für den persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen voraus. Die Argumentation der Rüge zum Begriff der Gewöhnung an Suchtmittel (vgl dazu RIS‑Justiz RS0124621) geht schon deshalb ins Leere, weil allein die Feststellung, wonach der Angeklagte die Taten nicht vorwiegend in der Absicht beging, „die Hälfte des Geldes in neuerliche Suchtmittelbeschaffung fließen zu lassen oder sich Suchtmittel für den persönlichen Gebrauch zu verschaffen“ (US 25), die Annahme der Privilegierung ausschließt. Der Nichtigkeitswerber argumentiert bloß nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehene Schuldberufung, indem er ausführt, es sei nichts Ungewöhnliches, dass jemand zwei Fahrzeuge besitze.

[6] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

[7] Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof jedoch davon (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO), dass dem Punkt II./D./ des Schuldspruchs nicht geltend gemachte Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO zum Nachteil des Rechtsmittelwerbers anhaftet, auf welche auch die Generalprokuratur hinweist.

[8] Urkundenfälschung nach § 223 Abs 1 StGB wird von Urkundenbetrug nach § 147 Abs 1 Z 1 erster Fall StGB verdrängt, soweit das Urkundendelikt dem Betrug dient und dieser auch zumindest versucht wird (RIS‑Justiz RS0094523, RS0094599; Kirchbacher/Sadoghi in WK2 StGB § 147 Rz 23 f; Kienapfel/Schroll in WK2 StGB § 223 Rz 259/2). Da L* W* nach den Urteilsfeststellungen die in seinem Auftrag verfälschte Sterbeurkunde seines Stiefvaters sogleich bei einem Betrug gegenüber seinem Dienstgeber verwendete und die Verfälschung der Urkunde (erkennbar) allein den Zweck hatte, dass diese als Täuschungsmittel beim Betrug gebraucht werde (US 18; RIS‑Justiz RS0094405), ist eine Verurteilung (auch) wegen des Vergehens der Urkundenfälschung nach (gemeint) §§ 12 zweiter Fall, 223 Abs 1 StGB (II./D./) daher verfehlt.

[9] Dieser Rechtsfehler hatte – wie aus dem Spruch ersichtlich – die Aufhebung eines Teils des Schuldspruchs und einen diesbezüglichen Freispruch zur Folge.

[10] Punkt II./G./2./b./ war ersatzlos aufzuheben, weil er weder im Referat der entscheidenden Tatsachen noch in der Begründung des Urteils Deckung findet.

[11] Bei der zufolge der Kassation des Strafausspruchs erforderlichen Strafneubemessung war gemäß § 28a Abs 2 SMG unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB von einem Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe auszugehen.

[12] Dabei wertete der Oberste Gerichtshof das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen und den langen Tatzeitraum erschwerend, mildernd hingegen die teilweise geständige Verantwortung und die Unbescholtenheit des Angeklagten, die teilweise Sicherstellung von Suchtgift sowie den Umstand, dass es teilweise beim Versuch blieb, und erachtete die aus dem Spruch ersichtliche Sanktion als angemessen.

[13] Teilweise bedingte Nachsicht der Strafe nach § 43a Abs 4 StGB kam nicht in Betracht (RIS‑Justiz RS0092050).

[14] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

[15] Mit Blick auf die Stellungnahme der Generalprokuratur bleibt anzumerken, dass der Oberste Gerichtshof keinen Grund für eine weitere amtswegige Aufhebung von Schuldsprüchen sah.

[16] Die Feststellungen tragen den Schuldspruch des Angeklagten S* wegen der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall SMG, § 12 dritter Fall StGB (I./B./1./) und nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG, § 12 dritter Fall StGB (I./B./2./). Aus den erstgerichtlichen Konstatierungen ergibt sich nämlich, dass der Genannte den Mitangeklagten die Übernahme von „Transport- und Ausbewahrungsaufgaben“ und das Abholen vom Bahnhof nach der Suchtgifteinfuhr schon davor zugesagt hatte (US 15 f; RIS‑Justiz RS0087917; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 19).

[17] Entsprechendes gilt für den Schuldspruch des Rechtsmittelwerbers wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall SMG, § 12 dritter Fall StGB zu II./G./2./a./ (US 20).

[18] Zu I./B./2./ ist der Generalprokuratur zwar zuzustimmen, dass ein Liefern von Suchtgift an Abnehmer durch S* nicht Täterschaft durch sonstigen Beitrag nach § 12 dritter Fall StGB, sondern unmittelbare Täterschaft nach § 12 erster Fall begründet. Dies kann mit Blick auf die Gleichwertigkeit der Täterschaftsformen jedoch dahinstehen (Fabrizy/Michel‑Kwapinski/Oshidari, StGB14 § 12 Rz 27). Dass das Überlassen von Suchtgift durch S* an * R* schon Gegenstand des Schuldspruchs I./A./8./ ist, trifft schon mit Blick auf die unterschiedlichen, sich auch nicht überschneidenden Tatzeiten nicht zu.

[19] Das Erstgericht hat betreffend das Überlassen von Suchtgift durch S* als unmittelbarer Täter (I./A./) und betreffend die Unterstützung des Rechtsmittelwerbers (I./B./2./) jeweils das Handeln mit Additionsvorsatz konstatiert (US 14 f zu I./A./ und US 15 f zu I./B./2./) und daher zwei gesonderte tatbestandliche Handlungseinheiten angenommen. Daher erfolgte die gesonderte Annahme zweier Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG (I./A./ und I./B./2./) zu Recht (vgl RIS-Justiz RS0131856 [T4]).

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