OGH 9Ob38/24i

OGH9Ob38/24i24.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Fichtenau als Vorsitzende sowie die Hofräte Mag. Ziegelbauer, Dr. Hargassner, die Hofrätin Mag. Korn und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen E*, wohnhaft bei der Mutter N*, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters A*, vertreten durch Dr. Christine Fidler‑Fassmann, Rechtsanwältin in Wien, wegen Kontaktrecht, gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 16. Jänner 2024, GZ 23 R 511/23d‑101, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0090OB00038.24I.0424.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Beim Kontaktrecht zwischen Eltern und Kindern handelt es sich um ein Grundrecht ihrer Beziehung, das unter dem Schutz des Art 8 EMRK steht (RS0047754). Einschränkungen des Kontakts zwischen dem Kind und dem nicht betreuenden Elternteil müssen deshalb die Ausnahme darstellen. Eine Beschränkung ist nur dann zulässig, wenn konkrete Umstände vorliegen, die eine Gefährdung der psychischen oder physischen Integrität des Kindes besorgen lassen (RS0048384 [T7]); im Übrigen ist dem Kontaktberechtigten, um den Zweck des Kontakts zu erreichen, der Kontakt zu seinem Kind unbeschränkt, das heißt ohne Beeinträchtigung durch Zuziehung weiterer Personen oder Bindung an bestimmte Örtlichkeiten, zu gestatten und ihm die Möglichkeit einer individuellen Gestaltung der Besuche zu bieten (RS0048369; RS0048384). Oberstes Prinzip der Gestaltung des Kontaktrechts ist immer das Wohl des Kindes (RS0047958 ua); im Konfliktfall hat auch das Interesse eines Elternteils gegenüber dem Wohl des Kindes zurückzutreten (RS0048062).

[2] 2. Nach ständiger Rechtsprechung ist die nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung, inwieweit einem Elternteil unter Bedachtnahme auf Persönlichkeit, Eigenschaften und Lebensumstände das Kontaktrecht eingeräumt werden soll, grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls abhängig; es kann ihr deshalb keine Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG zuerkannt werden, wenn nicht leitende Grundsätze der Rechtsprechung verletzt werden (RS0097114). Dies ist hier nicht der Fall.

[3] 3.1 Dem Vater wurde mit dem angefochtenen Beschluss des Erstgerichts ein Kontaktrecht zur 10‑jährigen Tochter eingeräumt, das – soweit für das Rechtsmittelverfahren von Bedeutung – ausschließlich im Umkreis von 15 Kilometern zum Wohnsitz der Mutter oder in W* auszuüben ist. Das Erstgericht stellte dazu fest, dass die Tochter seit Oktober 2021 sämtliche Kontakte zum Vater an dessen Wohnsitz ablehnt und von ihm auch nicht auf dieses Thema angesprochen werden will. Sie ist mit der Beibehaltung von Kontakten zum Vater, wie sie in den letzten Monaten stattfanden, einverstanden und hat Angst vor Autofahrten mit dem Vater. Es begründete seine Entscheidung mit den von ihm als beachtlich angesehenen und ausdrücklich von der Tochter, für die ein Kinderbeistand bestellt war, schriftlich formulierten Wünschen, was im Einklang mit der Rechtsprechung steht (vgl § 160 Abs 3 ABGB; 10 Ob 53/16s; RS0047937 [T10]).

[4] 3.2 Dem hält der Vater im Revisionsrekurs entgegen, dass die „abstrakte Angst“ der Tochter keine reale Grundlage habe. Eine Gefährdung des Kindeswohls an seinem Wohnsitz sei nicht festgestellt. Das Erstgericht habe seine Entscheidung nicht mit „konkreten Umständen“ am Wohnsitz des Vaters begründet, die eine Gefährdung der psychischen oder physischen Integrität des Kindes besorgen lassen könnten.

[5] Dem ist nicht zu folgen:

[6] Der vorliegende Fall ist nicht mit der vom Vater für seinen Standpunkt ins Treffen geführten Entscheidung 3 Ob 217/20p vergleichbar. Aus den Feststellungen des Erstgerichts ergibt sich, dass die Tochter schon 2022 mit psychosomatischen Reaktionen auf Kontakte zum Vater reagierte, und dass sie subjektiv der Meinung sei, nur die Mutter könne ihr bei Auftreten des von ihr empfundenen „Notgefühls“ helfen. Auch der Vater gesteht im Revisionsrekurs zu, dass die Angst der Tochter „real vorhanden ist“ und dass er sie „selbstverständlich ernst“ nehme und sich „nie darüber hinwegsetzen würde“. Er zeigt damit – vor dem Hintergrund des für die Entscheidung maßgeblichen Kindeswohls – keine Unvertretbarkeit der Rechtsansicht des Rekursgerichts im Einzelfall auf, sodass der außerordentliche Revisionsrekurs mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG zurückzuweisen war.

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