OGH 9ObA86/23x

OGH9ObA86/23x24.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Johannes Pflug (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Maria Buhr (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei G*, vertreten durch Mag. Martin Wakolbinger und Mag.Lisa-Maria Landl, Rechtsanwälte in Enns, gegen die beklagte Partei W* GmbH*, vertreten durch Dr. Bernhard Steinbüchler ua, Rechtsanwälte in St. Florian, wegen 504,26 EUR brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. August 2023, GZ 11 Ra 33/23m‑13, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 10. Mai 2023, GZ 11 Cga 8/23w‑7, nicht Folge gegeben wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:009OBA00086.23X.0424.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

I. Die Urkundenvorlage vom 30. Jänner 2024 wird zurückgewiesen.

II. Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 303,02 EUR (darin enthalten 50,50 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Beklagte führt gewerbsmäßig Personentransporte mit Autobussen durch und ist Mitglied des Fachverbandes der Autobus-, Luftfahrt- und Schifffahrtunternehmungen, Berufsgruppe Autobus der Wirtschaftskammer Österreich. Die Klägerin war von 5. 9. 2021 bis zu ihrem Pensionsantritt am 1. 3. 2023 bei der Beklagten als Linienbusfahrerin im Ausmaß von 20 Stunden pro Woche beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis ist der Kollektivvertrag für Dienstnehmer in den privaten Autobusbetrieben (KV) anwendbar. Ihr Bruttostundenlohn betrug 13,57 EUR. Von 1. 7. bis zum 31. 12. 2022 arbeitete sie an 122 Tagen und trat dabei ihren Dienst täglich um 4:42 Uhr an.

[2] Die Klägerin begehrte 504,26 EUR sA. Sie habe ihren Dienst jeweils um 4:42 Uhr angetreten. Daher stehe ihr gemäß Punkt 2. lit b der Lohnordnung des KV pro Tag für jeweils 18 Minuten ein Nachtzuschlag von 100 % des Bruttostundenlohns zu. Die Bestimmung bezwecke eine Besserstellung für Arbeitnehmer im Gelegenheits- und Linienverkehr und gehe als lex specialis der allgemeinen Bestimmung unter Punkt III. 2. lit k 2. im 1. Teil des KV vor, die eine Mindestdauer der Nachtarbeit von einer Stunde vorsehe. Darüber hinaus sei es unionsrechtswidrig, die Zahlung des Nachtzuschlags von einer Mindestzeit abhängig zu machen, da nach § 14 AZG, der auf Art 7 der RL 2002/51/EG basiere, weder eine Regelmäßigkeit noch ein Mindestausmaß erforderlich sei. Der in § 14 AZG angeordnete Zeitraum werde durch die kollektivvertragliche Regelung bis 5:00 Uhr ausgedehnt. Insgesamt stehe ihr ein Nachtzuschlag von 496,66 EUR sowie 7,60 EUR an Beiträgen zur Mitarbeitervorsorgekasse zu.

[3] Die Beklagte bestreitet. Der Anspruch bestehe nicht, da die Nachtarbeit die in Punkt III. 2. lit k im 1. Teil des KV vorgesehene Mindestschwelle von einer Stunde nicht erreiche. Bei der Regelung in der Lohnordnung handle es sich um keine lex specialis, jedenfalls nicht für Lenker. Der Zweck der Anordnung einer Mindestschwelle von einer Stunde liege darin, eine gewisse Erheblichkeitsschwelle für die Nachtarbeitszulage einzubauen, um Bagatellabrechnungen zu vermeiden, die sich im Linienverkehr daraus ergeben würden, dass die Arbeitszeiten aufgrund der Gebundenheit an die Fahrpläne in der Regel nicht zu vollen Stunden beginnen würden. Eine Honorierung der Nachtarbeitszeit erst ab mehr als einer Stunde sei auch nicht unionsrechtswidrig, da das AZG nur die Grenzen der Arbeitszeit und die Ruhezeit festlege, jedoch keine Folgen für den Entlohnungsanspruch habe.

[4] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Während im ersten Teil des KV allgemeine Bestimmungen enthalten seien, regle der als „Lohnordnung“ bezeichnete zweite Teil lohngestaltende Fragen. Eine Mindestdauer für die Nachtarbeit wie in Punkt III. 2. lit k 2. des 1. Teils des KV sei in der Lohnordnung nicht vorgesehen. Offenkundig erfolge in der Lohnordnung gezielt eine eigenständige Definition des Begriffs „Nachtarbeit“, da auch der Zeitraum abweichend auf 5:00 Uhr ausgedehnt werde. Es sei davon auszugehen, dass die beiden Bestimmungen unterschiedliche Regelungsgebiete beträfen. Durch die Regelungen unter Punkt III. 2. lit k im 1. Teil des KV sollten lediglich die durch § 14 Abs 4 AZG ermöglichten Abweichungen vom AZG verwirklicht werden. Dabei gehe es gerade nicht um Fragen der Entlohnung.

[5] Nicht nachvollziehbar sei, dass die Regelung in der Lohnordnung dem Wortlaut nach nicht für Lenker, sondern nur für allfällige andere Dienstnehmer gültig sein solle. Dass der Zweck der Festlegung einer Mindestschwelle von einer Stunde der Vereinfachung der Abrechnung diene, lasse sich weder aus dem Normtext entnehmen noch erscheine dies angesichts der überwiegend automatisiert erfolgenden Abbrechung erforderlich.

[6] Das Berufungsgericht gab der gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung der Beklagten nicht Folge.

Es teilte die Auffassung des Erstgerichts, dass es sich im 1. Teil des KV um die Regelung der Arbeitszeit iSd AZG, und im 2. Teil um Fragen der Entlohnung und Zulagen handle. Dass die beiden Regelungsbereiche nicht miteinander zusammenhängen, ergebe sich bereits daraus, dass sie sowohl den zeitlichen Bereich unterschiedlich regelten, die Mindestschwelle von einer Stunde für die Frage der Zulage nicht in die Regelung aufgenommen worden sei und teilweise unterschiedliche Begriffe verwendet würden.

[7] Inwiefern eine höhere Entlohnung, insbesondere nicht nur für ganze, sondern auch für anteilig geleistete Arbeitsstunden in der Nacht, unionsrechtlichen Intentionen und dem Regelungszweck der VO (EG) 561/2006 zuwiderlaufen würden, sei nicht ersichtlich. Es sei auch im Sinn eines gerechten Ausgleichs nicht sachgerecht, Arbeitnehmern Zulagen vorzuenthalten, nur weil sie im Minutenbereich abzurechnen wären.

[8] Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht für zulässig erachtet, weil der Auslegung einer Kollektivvertragsbestimmung regelmäßig wegen des größeren Personenkreises der betroffenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erhebliche Bedeutung zukomme.

[9] Gegen diese Entscheidung wendet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen dahingehend abzuändern, dass die Klage abgewiesen wird. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[10] Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[11] Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig, aber nicht berechtigt.

[12] Jeder Partei steht nur eine einzige Rechtsmittelschrift oder Rechtsmittelgegenschrift zu. Weitere Rechtsmittelschriften und Rechtsmittelgegenschriften, Nachträge und Ergänzungen sind unzulässig (RS0041666).

[13] 1. Der 1. Teil des KV „Allgemeine Bestimmungen“ enthält unter Punkt „III Arbeitzeit“ in 2. lit k folgende Bestimmung:

Nachtarbeit für Lenker von Kraftfahrzeugen

1. Als Nachtzeit gilt die Zeit zwischen 0.00 Uhr und 4.00 Uhr.

2. Als Nachtarbeit gilt jede Tätigkeit, die in der Zeit zwischen 0.00 Uhr und 4.00 Uhr den Zeitraum von einer Stunde überschreitet.

3. Die Tagesarbeitszeit des Lenkers darf an Tagen, an denen er Nachtarbeit leistet, zehn Stunden überschreiten.

4. Gemäß § 14 Abs. 4 AZG gebührt aus arbeitsorganisatorischen Gründen für geleistete Nachtarbeit kein Ausgleich.“

[14] Punkt XI. „Lohnordnung“ verweist darauf, dass die Lohnordnung im II. Teil des KV enthalten ist, der einen integrierenden Bestandteil dieses KV bildet.

[15] In dieser Lohnordnung ist unter „2. Zulagen“ in lit b geregelt:

Nachtstunden in der Zeit von 24 Uhr bis 5 Uhr sind im Gelegenheits- und Linienverkehr mit einem Zuschlag von 100 Prozent des Bundeskollektivvertrages zu entlohnen.

[16] 2. Wesentliche Frage des Verfahrens ist, ob die im ersten Abschnitt enthaltene Bestimmung des Punkt III 2. lit k 2. der KV zur Mindestdauer der Nachtarbeit bei Auslegung der Regelung über die Zulagen heranzuziehen ist.

[17] 3. Richtig haben die Vorinstanzen darauf hingewiesen, dass Punkt III schon nach der Überschrift Regelungen betreffend die Arbeitszeit enthält. Dabei ist 2. lit k auf Lenker von Kraftfahrzeugen eingeschränkt. Offenkundig im Hinblick auf § 14 AZG und der in Abs 4 dieser Bestimmung enthalten Befugnis zu abweichenden Regelungen durch Kollektivvertrag wird definiert, wann die Tätigkeit eines Lenkers als Nachtarbeit gilt, weiters wird der Umfang der zulässigen Tagesarbeitszeit und die Nichtgewährung eines Ausgleichs für geleistete Nachtarbeit geregelt.

[18] Es handelt sich daher um eine ausschließlich arbeitszeitrechtliche Regelung ohne Bezug auf eine entgeltrechtliche Komponente. Dass eine andere Bestimmung des gleichen Abschnitts in anderem Zusammenhang eine Mindestbezahlung vorsieht, ist für die hier zu beurteilende Frage ohne Relevanz.

[19] 4. Die in der Lohnordnung vorgesehene Zulage für Nachtstunden enthält keinen Verweis auf Punkt III 2. lit k 2. Richtig ist zwar, wie in der Revision ausgeführt, dass das Fehlen eines Verweises nicht notwendiger Weise bedeutet, dass nicht auf Begriffsdefinitionen in anderen Abschnitten zurückgegriffen werden kann. Allerdings enthält die Lohnordnung eine völlig eigenständige Regelung. Sie bezieht sich auf einen anderen Personenkreis (Dienstnehmer des „Gelegenheits- und Linienverkehrs“), einen anderen Zeitraum („24 Uhr bis 5 Uhr“) und enthält den in Punkt III. 2 lit k nicht verwendeten Begriff „Nachtstunde“ (statt „Nachtarbeit“).

[20] Damit gibt es aber keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kollektivvertragsparteien die Zulagenregelung im Sinn der arbeitszeitlichen Definition von „Nachtarbeit“ in Punkt III. 2 lit k 2. verstanden haben.

[21] 5. Entgegen der Revision lässt sich für den Standpunkt der Beklagten auch nichts aus der Verwendung des Begriffs „Nachtstunde“ gewinnen. Sie selbst geht offenbar davon aus, dass Arbeiten, die in der Zeit zwischen 24 Uhr und 5 Uhr geleistet werden, zur Gänze mit einem Zuschlag zu honorieren sind, sofern sie eine Stunde überschreiten. Das bedeutet, dass auch nach dem Standpunkt der Beklagten nicht nur volle Stunden abgegolten werden. Werden daher 1 Stunde 30 Minuten geleistet, sind 90 Minuten mit Zuschlag zu bezahlen.

[22] Auch die in V. 2. enthaltene Regelung der Überstundenentlohnung verwendet den Begriff „Nachtüberstunden“, ohne dass sich daraus schließen lässt, dass nur volle Stunden als Überstunden abgegolten werden sollen.

[23] 6. Dass es ein Anliegen der Richtlinie 2002/15/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 „zur Regelung der Arbeitszeit von Personen, die Fahrtätigkeiten im Bereich des Straßentransports ausüben“ ist, im Hinblick auf die Nachteile für die Gesundheit der Arbeitnehmer und deren Sicherheit sowie die Straßenverkehrssicherheit im Allgemeinen die Zeiten, in denen Nachtarbeit geleistet wird, einzuschränken (Erwägungsgründe 11 und 12) bietet keine Grundlage dafür, Zulagen für die Arbeitsleistung unter diesen erschwerten Bedingungen als unionsrechtswidrig anzusehen.

[24] 7. Wie schon von den Vorinstanzen ausgeführt, ist die Notwendigkeit minutengenauer Abrechnungen jedenfalls kein Argument gegen die Gewährung eines Zuschlags auch bei Leistungen unter einer Stunde und sind letztlich auch bei Leistungen über einer Stunde und Abrechnungen entsprechend den oft nach Minuten getakteten Fahrplänen ohnehin unvermeidbar.

[25] 8. Die Bestimmung 2.b. der Lohnordnung ist daher eigenständig auszulegen. Da sie selbst keine Mindestdauer für eine Zulage vorsieht und es auch sonst keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Kollektivvertragsparteien eine Mindestdauer vorsehen wollten, stehen die Zuschläge nach Punkt 2.b. für Dienstleistungen im Gelegenheits- und Linienverkehr zwischen 24:00 Uhr und 5:00 Uhr unabhängig von einer Mindestdauer der in dieser Zeit erbrachten Dienstleistung zu.

[26] 9. Der Revision war daher nicht Folge zu geben.

[27] 10. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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