OGH 504Präs16/24y

OGH504Präs16/24y19.4.2024

Der Präsident des Obersten Gerichtshofs fasst im Verfahren 96 Hv 105/22x (1 Ns 7/24h) des Landesgerichts für Strafsachen Wien über den Antrag der Verurteilten Dr. B* auf Ablehnung der Präsidentin des Oberlandesgerichts Wien, Mag. Lehmayer, den

Beschluss:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:504PRA00016.24Y.0419.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

Dr. B* wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 27. Jänner 2023 wegen § 107b Abs 1, 3a Z 1 erster Fall, Abs 4 zweiter Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt worden war (ON 45.2). Die dagegen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde der Verurteilten wurde mit Beschluss des Obersten Gerichtshofes vom 6. September 2023 zurückgewiesen (ON 58.1). Mit Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 7. Dezember 2023 wurde der Berufung der Verurteilten keine Folge gegeben (ON 64.5).

Am 11. Dezember 2023 brachte der nunmehrige Wahlverteidiger der Verurteilten, Dr. W*, einen Wiedereinsetzungsantrag (wegen „Verteidigerfehlleistungen“ des bisherigen Verteidigers) gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Nichtigkeitsbeschwerde, verbunden mit nachgeholter Nichtigkeitsbeschwerde, einen Wiederaufnahmeantrag, verbunden mit einem Aufschiebungsantrag, und eine Wahrungsanregung beim Landesgericht für Strafsachen Wien ein (ON 63.1), wobei ua eine Befangenheit der Vorsitzenden des Schöffengerichts Mag. K* vorgebracht wurde.

Mit 22. Dezember 2023 wurde der Akt, nach eingelangter (ablehnender) Stellungnahme der Staatsanwaltschaft nach § 364 Abs 2 StPO (ON 72), dem Obersten Gerichtshof zuständigkeitshalber (GZ 14 Os 136/23s) vorgelegt (ON 74).

Der Wiederaufnahmeantrag wurde mit Beschluss vom 12. Jänner 2024 abgewiesen (ON 82), die dagegen erhobene Beschwerde (ON 89) liegt dem Oberlandesgericht Wien zu GZ 31 Bs 26/24m zur Behandlung vor.

Mit 24. Jänner 2024 brachte der Wahlverteidiger sodann eine Stellungnahme (betreffend eines Kostenbestimmungsantrages der Privatbeteiligtenvertreterin) ein (ON 87) und führte ua einen „offenen“ Antrag auf „Feststellung der Befangenheit der Vorsitzenden“ an.

Mit Beschluss vom 13. Februar 2024 zu dg 1 Ns 7/24k (ON 94) erkannte der Präsident des Landesgerichts für Strafsachen Wien Mag. Forsthuber, dass die Ablehnung der vorsitzenden Richterin nicht gerechtfertigt sei, und wies dem Gesetz entsprechend (§ 45 Abs 2 StPO) darauf hin, dass gegen diesen Beschluss ein selbstständiges Rechtsmittel nicht zustehe.

Mit Schriftsatz vom 27. Februar 2024 (ON 98) wiederholte der Wahlverteidiger seine Ablehnung der Vorsitzenden und machte auch Befangenheit des aus seiner Sicht unsachlich und willkürlich handelnden Präsidenten Mag. Forsthuber in Hinblick auf seine – unter einem auch angefochtene – Entscheidung geltend.

Dieses Schreiben legte Mag. Forsthuber sodann am 1. März 2024 unter Hinweis auf die rechtskräftige Erledigung des Strafverfahrens und darauf, keinen Anschein einer Befangenheit zu erblicken und sich gegen den Vorwurf der Willkür zu verwehren, der zuständigen Präsidentin des Oberlandesgerichts Wien zur Entscheidung vor.

Die Präsidentin des Oberlandesgerichts Wien wies den Ablehnungsantrag zurück. Der Ablehnungsantrag setze eine konkret‑aktuelle Kompetenz in einem bereits anhängigen und noch nicht rechtskräftig beendeten Verfahren voraus. Weil der Präsident des Landesgerichts für Strafsachen Wien Mag. Forsthuber bereits am 13. Februar 2024 rechtskräftig entschieden hatte, sei der gegen ihn gerichtete Ablehnungsantrag zurückzuweisen.

Daraufhin brachte die Verurteilte einen Ablehnungsantrag gegen die Präsidentin des Oberlandesgerichts Wien ein. Es sei unerfindlich, warum der Präsident des Landesgerichts für Strafsachen keine „konkret‑aktuelle Kompetenz“ zur Entscheidung über den Ablehnungsantrag gehabt haben solle. Art 13 EMRK garantiere ein Rechtsmittel für jeden Grundrechtseingriff. Da im Ablehnungsantrag auch Diskriminierung aufgrund der Herkunft der Beschuldigten geltend gemacht werde, bewege sich diese Eingabe auch im Bereich des Unionsrechts und seiner Diskriminierungsverbote. Die Entscheidung des Präsidenten des Landesgerichts für Strafsachen Wien müsse daher auch im Rechtsweg anfechtbar sein. Es sei auch klar, dass die Ablehnung des Präsidenten des Landesgerichts für Strafsachen Wien einen Akt betreffe, in dem mehrere Verfahren noch anhängig seien. Daher hätte die Präsidentin des Oberlandesgerichts Wien dem Antrag stattgeben müssen. Die Verweigerung einer sachlichen Auseinandersetzung mit dem Akt sei daher unvertretbar.

Daher werde die Befangenheit der Präsidentin des Oberlandesgerichts Wien geltend gemacht.

Der Antrag ist unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 44 Abs 3 StPO steht es allen Beteiligten eines Verfahrens zu, einen Antrag auf Ablehnung eines Richters wegen Ausschließung einzubringen. Die Normen des 4. Abschnitts des 2. Hauptstücks der StPO zielen darauf ab, die unparteiische Entscheidungsfindung zu garantieren (Lässig in Wiener Kommentar StPO vor §§ 43–47 Rz 4). Daraus sowie aus dem Wortlaut der §§ 43 und 47 StPO folgt, dass die Ausgeschlossenheit sowie die Befangenheit eine konkret‑aktuelle Kompetenz des Betroffenen voraussetzen (Lässig aaO; RIS‑Justiz RS0097075) und daher erfolgreich nur in Bezug auf ein (bereits) anhängiges (und noch nicht rechtskräftig beendetes) Verfahren geltend gemacht werden können (RIS‑Justiz RS0097219).

Eine derartige Fallkonstellation liegt hier jedoch nicht vor: Der Präsident des Landesgerichts für Strafsachen entscheidet über den Ablehnungsantrag gegen eines Richters endgültig. Nach Fällung der den Ablehnungsantrag gegen die Richterin verwerfenden Entscheidung, die nach dem Gesagten keinem weiteren Rechtszug unterlag, bestand für eine (weitere) Tätigkeit des Präsidenten des Landesgerichts für Strafsachen Wien kein Raum.

Nach § 43 Abs 1 Z 3 StPO ist ein Richter vom gesamten Verfahren unter anderem dann ausgeschlossen, wenn andere Gründe vorliegen, die geeignet sind, seine volle Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit in Zweifel zu ziehen. Solche Gründe bringt die Verurteilte im vorliegenden Fall nicht zur Darstellung.

§ 43 Abs 1 Z 3 StPO umfasst alle Fälle der Hemmung einer unparteiischen Entscheidungsfindung durch unsachliche Motive (15 Os 54/06; Lässig in Wiener Kommentar StPO § 43 Rz 9). Nach dieser Bestimmung sind vor allem persönliche Beziehungen des Richters zu einer Prozesspartei, deren Vertreter oder einer Beweisperson beachtlich (Lässig aaO § 43 StPO Rz 11). Hingegen ist der Umstand, dass sich die Rechtsansicht des Richters nicht mit jener der Prozessparteien deckt (SSt 60/22; 13 Ns 5/03; 15 Os 54/06i; 14 Os 78/07t; Lässig aaO § 43 StPO Rz 12) per se nicht geeignet, die Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit des Betroffenen in Zweifel zu setzen (Lässig aaO § 43 StPO Rz 12).

Über die Ausschließung des Präsidenten eines Oberlandesgerichts hat der Präsident des Obersten Gerichtshofs zu entscheiden (RIS‑Justiz RS0124709; Lässig in Wiener Kommentar § 45 StPO Rz 4a).

Wenn die Präsidentin des Oberlandesgerichts Wien sich bei ihrer Entscheidung von der herrschenden Rechtsprechung und Lehre hat leiten lassen, kann darin jedenfalls kein Hinweis auf eine Befangenheit erblickt werden.

In Hinblick auf den Ausschluss eines selbständigen Rechtsmittels in § 45 Abs 3 StPO besteht im konkreten Ablehnungsverfahren für eine weitere Tätigkeit der Präsidentin des Oberlandesgerichts Wien kein Raum. Mangels konkret‑aktueller Entscheidungszuständigkeit der Präsidentin des Oberlandesgerichts Wien ist der Ablehnungsantrag schon aus diesem Grund unzulässig.

Der unzulässige Ablehnungsantrag war daher spruchgemäß zurückzuweisen.

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