European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00064.24Y.0417.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Erwachsenenschutzrecht
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Am 14. 11. 2023 stellte die durch eine Opferschutzeinrichtung iSd § 382f EO vertretene gefährdete Partei (in der Folge: Antragsteller) einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß §§ 382b, 382c EO mit dem Begehren, der Gegnerin der gefährdeten Partei (in der Folge: Antragsgegnerin) für die Dauer von sechs Monaten die Rückkehr in die näher bezeichnete Wohnung und für die Dauer eines Jahres das Zusammentreffen mit ihr sowie die Annäherung an sie und an den Wohnort zu verbieten.
[2] Das Erstgericht verfügte die Zustellung dieses Antrags an die Antragsgegnerin mit dem Auftrag, sich dazu „allfällig bis zum 24. 11. 2023, 10:00 Uhr schriftlich (Fax‑Nummer: [...]) bei Gericht einlangend zu äußern“. Für den Fall der nicht fristgerechten Äußerung kündigte es unter Hinweis auf § 56 EO die Erlassung der beantragten einstweiligen Verfügung an.
[3] Am 24. 11. 2023, 10:21:54 Uhr, langte beim Erstgericht im Wege des ERV eine Äußerung der nunmehr anwaltlich vertretenen Antragsgegnerin ein. Sie nahm zu den Behauptungen des Antragstellers Stellung und beantragte die Abweisung seines Antrags.
[4] Mit den Beschlüssen vom 24. 11. 2023 wies das Erstgericht die Äußerung der Antragsgegnerin als verspätet zurück und erließ die beantragte einstweilige Verfügung, wobei es die Äußerung der Antragsgegnerin nicht berücksichtigte.
[5] Das Rekursgericht gab den dagegen von der Antragsgegnerin erhobenen Rekursen keine Folge. Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ es zu, weil es bei der Beantwortung der Frage, ob das Ende einer richterlichen Frist mit einer bestimmten Stunde eines Tages festgelegt werden könne, von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweiche.
[6] Gegen diesen Beschluss des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs der Antragsgegnerin mit einem Aufhebungsantrag.
Rechtliche Beurteilung
[7] Der Antragsteller beteiligte sich am Revisionsrekursverfahren nicht.
I. Z ur Zurückweisung der Äußerung:
[8] Der Revisionsrekurs ist unzulässig.
[9] § 402 Abs 1 EO ordnet an, dass Revisionsrekurse gegen einen Beschluss über einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung, über einen Widerspruch nach § 397 EO oder über einen Antrag auf Einschränkung oder Aufhebung einer einstweiligen Verfügung nicht (allein) deshalb unzulässig sind, weil das Gericht zweiter Instanz den angefochtenen Beschluss zur Gänze bestätigt hat. Diese Bestimmung erfasst nach ständiger Rechtsprechung nur Sachentscheidungen, nicht aber formelle Entscheidungen, wie etwa über Prozesshindernisse (RS0097225).
[10] Im vorliegenden Fall bestätigte das Rekursgericht den Beschluss des Erstgerichts, mit dem die Äußerung der Antragsgegnerin – und somit schon kein in § 402 Abs 1 EO genannter Antrag oder Rechtsbehelf – aus noch dazu bloß formellen Gründen (Verspätung) zurückgewiesen wurde. Der Revisionsrekurs der Antragsgegnerin ist hier nach §§ 78, 402 Abs 2 EO iVm § 528 Abs 2 Z 2 ZPO jedenfalls unzulässig.
II. Zu r Erlassung der einstweiligen Verfügung:
[11] Der Revisionsrekurs ist ungeachtet des – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Zulassungsausspruchs des Rekursgerichts in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen iSv § 528 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
[12] 1. Die Antragsgegnerin bemängelt ausschließlich, dass ihre Äußerung bei der Entscheidung über die Erlassung der einstweiligen Verfügung als verspätet beurteilt wurde und aus diesem Grund unberücksichtigt blieb.
[13] 2.1 Soweit die Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang eine Nichtigkeit bzw Mangelhaftigkeit des erstgerichtlichen Verfahrens geltend macht, ist ihr entgegenzuhalten, dass im Provisorialverfahren die Verneinung eines im Rekursverfahren gerügten Nichtigkeitsgrundes (RS0097225 [T1, T6, T8]) ebenso wenig anfechtbar ist wie ein in zweiter Instanz verneinter Verfahrensmangel (vgl RS0097225 [T7], 7 Ob 57/21i).
[14] 2.2 Eine Aktenwidrigkeit liegt nur bei einem Widerspruch zwischen Prozessakten und tatsächlichen Urteilsvoraussetzungen vor, wobei aber dieser Widerspruch einerseits wesentlich, andererseits unmittelbar aus den Akten ersichtlich und behebbar sein muss (RS0043421). Aktenwidrigkeit ist daher bei einem Widerspruch zwischen dem Inhalt eines bestimmten Aktenstücks einerseits und dessen Zugrundelegung und Wiedergabe durch das Rechtsmittelgericht andererseits verwirklicht (RS0043397 [T2], RS0043284). Die Ansicht des Rekursgerichts, dass die Äußerung verspätet erfolgt sei, stellt die rechtliche Beurteilung dar und kann nicht als Aktenwidrigkeit geltend gemacht werden.
[15] 3. Die Ausführungen zur unrichtigen rechtlichen Beurteilungkönnen schon deshalb nicht erfolgreich sein, weil die Zurückweisung der Äußerung mit Zustellung der bestätigenden Rekursentscheidung an die Antragsgegnerin in Rechtskraft erwuchs. Eine Berücksichtigung dieser Äußerung ist daher nicht mehr möglich.
[16] 4. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 528a Abs 1 ZPO iVm § 510 Abs 3 ZPO).
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