OGH 7Ob61/24g

OGH7Ob61/24g17.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen L* A*, geboren am * 2010, *, vertreten durch das Magistrat der Stadt Wien, MA 11 Wiener Kinder‑ und Jugendhilfe – Rechtsvertretung Bezirke 12, 23, *, wegen Unterhalt, infolge Rekurses des Vaters S* A*, vertreten durch Dr. Michele Grogger‑Endlicher, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 10. November 2023, GZ 44 R 459/23k‑340, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Liesing vom 28. August 2023, GZ 17 Pu 49/22y‑332, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00061.24G.0417.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] Der Revisionsrekurs ist ungeachtet des – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Zulassungsausspruchs des Rekursgerichts in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen im Sinn von § 62 AußStrG nicht zulässig. Die Begründung kann sich auf die Anführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 71 Abs 3 AußStrG).

[2] 1. Der Vater wurde mit Beschluss des Bezirksgerichts Meidling vom 25. 1. 2018, 1 Pu 73/10b‑173, zur Zahlung einer monatlichen Unterhaltsleistung von 300 EUR für die Minderjährige verpflichtet. Am 23. 2. 2021 – eingeschränkt am 27. 4. 2021 – stellte der Vater den Antrag, seine Unterhaltsverpflichtung ab 1. 3. 2021 auf monatlich 230 EUR herabzusetzen. Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist die Abweisung dieses Antrags für den Zeitraum ab 1. 7. 2021.

[3] 2.1 Soweit der Vater eine Verletzung der Manuduktionspflicht durch das Erstgericht im Zusammenhang mit der Darstellung seines Gesundheitszustands behauptet, wurde eine solche im Rekurs nicht zur Darstellung gebracht. Ein im Rekurs nicht geltend gemachter Mangel des Verfahrens erster Instanz, welchen das Rekursgericht nicht von Amts wegen aufgreifen muss, kann nicht erfolgreich im Revisionsrekurs geltend gemacht werden (RS0030748 [T3]; 1 Ob 190/07h; 5 Ob 78/09w).

[4] 2.2 Soweit der Vater auch eine Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens infolge einer Verletzung der Anleitungspflicht durch das Rekursgericht behauptet, wird ein solches nicht in einer der Judikatur des Obersten Gerichtshofs entsprechenden Qualität ausgeführt. Zur Darlegung einer Verletzung der richterlichen Anleitungs‑ und Erörterungspflicht hätte der Vater ausführen müssen, aufgrund welcher Aspekte des erstinstanzlichen Parteivorbringens das Rekursgericht einen Erörterungsbedarf hätte erkennen sollen und welches konkrete Vorbringen er in diesem Fall erstattet hätte.

[5] 3.1 Die Frage, ob ein Sachverständigengutachten (hier aus dem Fachgebiet Orthopädie und orthopädische Chirurgie) den Feststellungen zugrunde gelegt werden kann oder wegen einer Unvollständigkeit oder Widersprüchlichkeit ein weiteres Gutachten eingeholt werden muss, ist eine solche der Beweiswürdigung und als Tatfrage nicht reversibel (RS0043163; RS0043320 [T21]; RS0113643 [T7]). Dies gilt auch für die Frage, ob für die getroffenen Feststellungen weitere Sachverständigengutachten eingeholt werden sollen (RS0043320; RS0113643 [T4]).

[6] 3.2 Das Erfordernis der Einholung eines Gutachtens aus dem Fachgebiet der Neurologie und Psychiatrie, weil „die Verweigerung von Kontakten zu seiner Tochter zu verstärkt gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen“ verneinte das Rekursgericht wegen Verstoßes gegen das Neuerungsverbot. Gegen diese Beurteilung bringt der Vater keine Argumente.

[7] 4.1 Nach dem Anspannungsgrundsatz hat der Unterhaltsschuldner alle Kräfte anzuspannen, um seiner Verpflichtung nachkommen zu können; er muss alle persönlichen Fähigkeiten, insbesondere seine Arbeitskraft so gut wie möglich einsetzen. Tut er dies nicht, wird er so behandelt, als bezöge er Einkünfte, die er bei zumutbarer Erwerbstätigkeit hätte erzielen können (RS0047686). Eine Anspannung des Unterhaltsschuldners auf ein Einkommen, das er tatsächlich nicht erzielt, aber bei zumutbarem Einsatz aller seiner Kräfte erzielen könnte, kommt nur in Betracht, wenn er pflichtwidrig zumutbare Einkunftsbemühungen unterlässt, ihn also ein Verschulden daran trifft, dass er kein oder kein höheres Erwerbseinkommen hat. Dabei genügt bereits die leicht fahrlässige Herbeiführung des Einkommensmangels durch Außerachtlassung pflichtgemäßer zumutbarer Einkommensbemühungen (RS0047495 [T2, T24, T29, T31]). Die Behauptungs‑ und Beweislast für fehlendes Verschulden bzw mangelnde Fahrlässigkeit trifft den Angespannten (RS0006261 [T19]).

[8] 4.2 Nach ständiger Rechtsprechung kommt es im Fall des Verlustes des Arbeitsplatzes des Unterhaltspflichtigen bei der Ermittlung der Unterhaltsbemessungsgrundlagen ganz maßgeblich auf dessen Verhalten nach dem Verlust an (RS0106230; vgl auch RS0047503). Der Mangel an zielstrebiger oder tatkräftiger Arbeitsplatzsuche löst den Anspannungsgrundsatz aus (RS0106230 [T2]). Die bloße Anmeldung bei Arbeitsvermittlungsstellen allein reicht grundsätzlich nicht aus, vielmehr hat der Unterhaltspflichtige zur Erzielung eines angemessenen Einkommens auch Eigeninitiative zu entfalten (RS0106230 [T4] = 1 Ob 65/16i; RS0047503 [T2]). Neben den Vermittlungsversuchen der für ihn zuständigen Geschäftsstelle des AMS muss er eigene Anstrengungen unternehmen, ein Arbeitsverhältnis einzugehen (vgl 1 Ob 65/16i). Dabei gilt, dass der Unterhaltsschuldner darzutun hat, dass und wie er seinen Verpflichtungen, nach Kräften zum Unterhalt beizutragen nachgekommen ist (1 Ob 65/16i; RS0047536). Den Unterhaltspflichtigen trifft somit die Behauptungs‑ und Beweislast dafür, dass er sein früheres bzw ein adäquates Einkommen unverschuldet nicht erzielen kann (RS0047536 [T3; T4]; RS0006261 [T18]).

[9] 4.3 Ob der Anspannungsgrundsatz anwendbar ist, richtet sich jeweils nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls (RS0007096) und begründet damit in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG).

[10] 4.4 Das Rekursgericht ging davon aus, dass der behauptungs‑ und beweispflichtige Vater – über die eine Leistungserbringung des AMS überhaupt erst voraussetzende Erfüllung der Betreuungsvereinbarungen hinaus – kein Vorbringen zu eigenen Anstrengungen, ein Arbeitsverhältnis einzugehen erstattet habe.

[11] Dagegen bringt der Vater keine stichhaltigen Argumente. Insbesondere zeigt er nicht auf, aufgrund welchen erstinstanzlichen Prozessvorbringens eine ausreichende Eigeninitiative zur Darstellung gebracht worden sein soll. Selbst im Revisionsrekurs werden in diesem Zusammenhang keine entsprechenden Behauptungen aufgestellt.

[12] 4.5 Der Vater erzielte zuletzt – vor der unverschuldeten Beendigung seines Arbeitsverhältnisses – ein Einkommen von 1.600 EUR als Sicherheitsmitarbeiter. Seine Leistungs‑ und Arbeitsfähigkeit und seine Vermittlung am allgemeinen Arbeitsmarkt aus gesundheitlichen Gründen ist nicht eingeschränkt, ihm ist eine Beschäftigung im vollen Ausmaß möglich

[13] 4.6 Wenn die Vorinstanzen vor diesem Hintergrund davon ausgingen, dass der Vater nicht dargelegt habe, dass er unverschuldet keiner Erwerbstätigkeit nachgehe und er bei entsprechend pflichtgemäßem Verhalten ein Einkommen in der bisherigen Höhe erzielen könnte, weshalb er auf dieses anzuspannen sei, so hält sich diese Beurteilung im Rahmen der Judikatur und ist im hier vorliegenden Einzelfall nicht korrekturbedürftig.

[14] 5. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 72 Abs 3 ZPO).

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