OGH 4Nc6/24f

OGH4Nc6/24f25.3.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden, sowie den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi und die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Pflegschaftssache für die Minderjährigen 1. *, geboren * 2021 und 2. *, geboren * 2022, beide *, aufgrund der Vorlage des Aktes AZ 3 Ps 52/24g (früher: AZ 2 Ps 108/19b)durch das Bezirksgericht Klagenfurt, zur Genehmigung der Übertragung der Zuständigkeit gemäß § 111 Abs 2 JN, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040NC00006.24F.0325.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 25. Jänner 2024, GZ 2 Ps 108/19b‑150, gemäß § 111 Abs 1 JN verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Lienz wird gemäß § 111 Abs 2 JN genehmigt.

 

Begründung:

[1] Die2021 und 2022 geborenen Geschwister haben einen 2019 geborenen Bruder. Dieser lebt schon seit Oktober 2022 in der Obhut der mütterlichen Urgroßmutter in Klagenfurt.

[2] Die beiden jüngeren Kinder verblieben zunächst bei den Eltern in Klagenfurt, bis das Pflegschaftsgericht diesen mit Beschluss vom 29. 12. 2023 die Obsorge im Teilbereich Pflege und Erziehung entzog. Die beiden Geschwisterhalten sich seit 4. 1. 2024 im SOS‑Kinderdorf Osttirol auf, weil trotz längerer Suche keine Möglichkeit in der Nähe des bisherigen Wohnortes gefunden wurde, wo beide Kinder zusammen aufgenommen werden konnten.

[3] Das Bezirksgericht Klagenfurt übertrug den Pflegschaftsakt mit Beschluss vom 31. 1. 2024 deshalb an das Bezirksgericht Lienz, in dessen Sprengel das SOS-Kinderdorf liegt.

[4] Das Bezirksgericht Lienz lehnte die Übernahme ab, weil ein Zuständigkeitswechsel bei kurzfristigen Änderungen des Wohn- oder Aufenthaltsorts nicht zweckmäßig sei. Außerdem sei ein Kontaktrechtsantrag der Eltern offen. Das übertragende Gericht habe sich bereits aufgrund zahlreicher Erhebungsschritte einen persönlichen Eindruck von den maßgeblichen Personen gemacht, die Minderjährigen seien aufgrund ihres Alters nicht zu befragen.

Rechtliche Beurteilung

[5] Das Bezirksgericht Klagenfurt legte den Akt dem Obersten Gerichtshof gemäß § 111 Abs 2 JN vor. Es betonte, dass nun eine neue Richterin für den Pflegschaftsakt zuständig sei, die deshalb keine besondere Sachkenntnis zum bisherigen Pflegschaftsverfahren habe. Der Aufenthalt der Geschwister im SOS-Kinderdorf werde voraussichtlich längerfristig sein.

[6] 1.1. Das Pflegschaftsgericht kann gemäß § 111 Abs 1 JN die Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse des Minderjährigen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird.

[7] 1.2. Ausschlaggebendes Kriterium für eine Übertragung der Zuständigkeit ist stets das Kindeswohl (vgl RS0047074). Dabei ist in der Regel das Naheverhältnis zwischen Pflegebefohlenem und Gericht von wesentlicher Bedeutung, sodass im Allgemeinen das Gericht am besten geeignet ist, in dessen Sprengel der Minderjährige seinen Wohnsitz oder (gewöhnlichen) Aufenthalt hat (RS0047074 [T18]). Dies gilt auch, wenn die Eltern oder andere Verfahrensbeteiligte ihre Wohnsitze bzw gewöhnliche Aufenthalte außerhalb dieses Sprengels haben (5 Nc 30/21p Rz 7).

[8] 1.3. Auch eine ungewisse Aufenthaltsdauer des Kindes im Sprengel bildet kein Übertragungshindernis, weil ungewisse, in der Zukunft vielleicht eintretende Änderungen der Verhältnisse für den Übertragungszeitpunkt keine Wirksamkeit entfalten (RS0047300 [T13]).

1.4. Selbst offene Anträge sprechen nicht grundsätzlich gegen eine Zuständigkeitsübertragung (vgl RS0046929 [T3]), es sei denn, dem übertragenden Gericht käme zur Entscheidung eine besondere Sachkenntnis zu (RS0047032).

[9] 2.1. Im vorliegenden Fall konnte für die beiden Geschwister in Krisenpflege trotz wochenlanger Suche keine wohnortnähere Unterbringung gefunden werden, sodass sie schließlich im SOS-Kinderdorf Osttirol aufgenommen wurden. Aus dem Akt ergeben sich keine Anzeichen, dass diese mühsam erarbeitete Lösung demnächst durch eine andere Form der Unterbringung, insbesondere in einem andern Gerichtssprengel ersetzt wird.

[10] Da ein Richterwechsel am Bezirksgericht Klagenfurt eingetreten ist, kann auch eine besondere Kenntnis der Pflegschaftssache nicht für eine Beibehaltung der Zuständigkeit ins Treffen geführt werden.

[11] 2.2. Es hat daher bei der allgemeinen Regel zu bleiben, dass das Naheverhältnis zwischen Minderjährigem und Gericht von wesentlicher Bedeutung und daher jenes Gericht besser als Pflegschaftsgericht geeignet ist, in dessen Sprengel die Geschwister jetzt ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben (vgl 4 Nc 7/22z mwN).

[12] Der Übertragungsbeschluss des Bezirksgerichts Klagenfurt ist daher zu genehmigen.

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