OGH 8ObA9/23s

OGH8ObA9/23s22.3.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat MMag. Matzka als Vorsitzenden, die Senatspräsidentin Dr. Tarmann‑Prentner und den Hofrat Dr. Stefula sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Bernhard Gruber (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Arnaud Berthou (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei B* K*, vertreten durch Urbanek & Rudolph Rechtsanwälte OG in St. Pölten, gegen die beklagte Partei A* E*, vertreten durch Mag. Werner Piplits, Rechtsanwalt in Wien, wegen Übermittlung von Arbeitszeitaufzeichnungen und 157,67 EUR brutto sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. November 2022, GZ 7 Ra 81/22s‑18, mit dem das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 13. Mai 2022, GZ 22 Cga 5/22x‑12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:008OBA00009.23S.0322.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 939,24 EUR (darin 156,54 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger war vom 11. 1. 2010 bis 15. 10. 2021 beim Beklagten als Installations- und Duschwandmonteur beschäftigt. Auf das durch Arbeitnehmerkündigung beendete Dienstverhältnis war der Kollektivvertrag für Arbeiter im eisen- und metallverarbeitenden Gewerbe (in der Folge: KV) anzuwenden.

[2] Die Arbeitszeitaufzeichnungen erfolgten im Betrieb des Beklagten seit 2010 auf einem vom Unternehmen zur Verfügung gestellten Firmen-iPad. Jeder Mitarbeiter, auch der Kläger, hatte auf dem ihm zur Verfügung gestellten iPad die von ihm geleisteten Stunden einzutragen, die bereits unter der Woche durch Synchronisieren mit dem Firmenlaptop des Beklagten an diesen übermittelt wurden. Den Mitarbeitern standen sämtliche von ihnen gemachten Aufzeichnungen bis zur Beendigung des Dienstverhältnisses zur Verfügung. Einmal monatlich wurden die Aufzeichnungen ausgedruckt, von den Mitarbeitern unterschrieben und dem Dienstgeber übergeben. Wurden nach Durchsicht der Aufzeichnungen vom Dienstgeber Änderungen daran vorgenommen, wurde dies mit dem Mitarbeiter besprochen. Wenn keine Besprechung und Änderung stattfand, wurden die aufgezeichneten Stunden ausbezahlt.

[3] Während des aufrechten Arbeitsverhältnisses hat der Kläger nie verlangt, dass ihm diese Arbeitszeitaufzeichnungen auch in Papierform zur Verfügung gestellt werden. Es steht auch nicht fest, dass er danach ein solches Verlangen gestellt hat. Lediglich die Ehefrau des Klägers begehrte nach der Kündigung bei der Sekretärin des Beklagten die Übermittlung der Arbeitszeitaufzeichnungen, die ihr daraufhin für das Jahr 2021 zugesandt wurden.

[4] Erstmals mit Schreiben vom 21. 10. 2021 des Klagevertreters wurden die „aufgrund gesetzlicher Verpflichtung geführten“ Arbeitszeitaufzeichnungen vom Beklagten gefordert, ohne konkreten Zeitraum. In einem nicht unterfertigten E‑Mail vom 18. 11. 2021 präzisierte er den Anspruchszeitraum mit 2018 bis 2020 sowie September 2021.

[5] In der Klage wird das Begehren auf Auszahlung restlichen Entgelts für Überstunden sowie die Übermittlung aller Arbeitszeitaufzeichnungen des Klägers für die Jahre 2019 und 2020 erhoben.

[6] Der Beklagte wandte Verfall nach Abschnitt XX. des KV ein.

[7] Das Erstgericht sprach dem Kläger das begehrte restliche Entgelt (unangefochten) zu und wies das Herausgabebegehren ab. Er habe den Anspruch auf Übermittlung der begehrten Arbeitszeitaufzeichnungen nicht innerhalb der kollektivvertraglichen Verfallsfrist schriftlich geltend gemacht.

[8] Das Berufungsgericht gab dem gegen die Teilabweisung seines Begehrens gerichteten Rechtsmittel des Klägers nicht Folge. Das Erstgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass auch der Anspruch nach § 26 Abs 8 AZG einer kollektivvertraglichen Verfallsfrist unterliegen könne, zumal das Gesetz selbst als Rechtsfolge der Nichtgewährung eine Verfallshemmung vorsehe. Die Verpflichtung zur Vorlage „einmal monatlich“ stelle klar den untrennbaren Zusammenhang dieser Bestimmung mit dem Zweck kollektivvertraglicher Verfallsfristen her. Ein rückwirkendes Verlangen auf Übermittlung von Arbeitszeitaufzeichnungen komme daher nur für Perioden in Frage, in denen ein Verfall noch nicht eingetreten sein könne.

[9] Die ordentliche Revision sei zuzulassen, weil zur Frage, ob kollektivvertragliche Fallfristen auf den Anspruch nach § 26 Abs 8 AZG anzuwenden sind, noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung bestehe.

[10] Die auf den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision des Klägers strebt die gänzliche Klagsstattgebung an. Der Beklagte beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[11] Die Revision ist im Sinne des Ausspruchs des Berufungsgerichts zur Klarstellung der Rechtslage zulässig. Sie ist jedoch nicht berechtigt.

[12] 1. Nach § 26 Abs 8 AZG haben Arbeitnehmerinnen/Arbeitnehmer einmal monatlich Anspruch auf kostenfreie Übermittlung ihrer Arbeitszeitaufzeichnungen, wenn sie nachweislich verlangt werden.

[13] Es handelt sich dabei um einen im ordentlichen Rechtsweg durchsetzbaren arbeitsvertraglichen Anspruch (9 ObA 103/18i mwN). Zweck des § 26 Abs 8 AZG ist, dem Arbeitnehmer die Kontrolle der Arbeitszeitaufzeichnungen und damit letztlich auch die Überprüfung der Richtigkeit der Entgeltabrechnung des Arbeitgebers sowie die Überprüfung der Einhaltung von Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten zu ermöglichen bzw zu erleichtern (9 ObA 103/18i; vgl Peschek/Unterrieder, Arbeitszeitaufzeichnungen und Verfall seit dem ASRÄG 2014, ecolex 2015, 228 [229]; Schrank, Die Neuerungen bei den Arbeitszeitaufzeichnungen – Überlegungen zur Neufassung von § 26 AZG durch das ASRÄG 2014, ZAS 2015/26, 169 [173]; Schrank, Arbeitszeit Kommentar7 § 26 Rz 29b; Heilegger in Gasteiger/Heilegger/Klein,Arbeitszeitgesetz7 § 26 Rz 21).

[14] Wird dem Arbeitnehmer die Übermittlung der Arbeitszeitaufzeichnungen verwehrt, ordnet § 26 Abs 9 AZG als Sanktion die Hemmung von Verfallsfristen an.

[15] 2. Nach Abschnitt XX. Punkt 1. des KV für Arbeiter im eisen- und metallverarbeitenden Gewerbe müssen alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis bei sonstigem Verfall innerhalb von sechs Monaten nach Fälligkeit bzw Bekanntwerden – wenn sie nicht anerkannt werden – schriftlich geltend gemacht werden.

[16] Von dieser Verfallsklausel sind alle jene Ansprüche erfasst, deren Rechtsgrund unmittelbar aus dem Arbeitsverhältnis abzuleiten ist und die spätestens im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bereits bestanden haben (vgl RS0097327). Um den Lauf einer Verfallsfrist zu unterbrechen, muss das Begehren wenigstens annähernd konkretisiert werden, sodass der Arbeitgeber erkennen kann, welche Ansprüche ihrer Art nach gemeint sind (vgl 8 ObA 90/08f; RS0034446; RS0034441). Eine Beschränkung der hier anzuwendenden Verfallsklausel auf Entgeltansprüche lässt sich ihrer Formulierung nicht entnehmen, vielmehr bezieht sie sich ausdrücklich sowohl auf Fälligkeit (dh von Geldforderungen) als auch auf Bekanntwerden des Anspruchs.

[17] Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass kollektivvertragliche Ausschlussfristen auch für zwingende gesetzliche Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis zulässig sind, weil derartige Verfallsklauseln nicht die Ansprüche selbst, sondern nur ihre Geltendmachung beschränken. Nur dann, wenn sie zum Nachteil des Dienstnehmers gegen zwingende gesetzliche Bestimmungen über die Frist zur Geltendmachung von Ansprüchen verstoßen, wie etwa gegen § 1162d ABGB oder gegen § 34 AngG, könnten derartige kollektivvertragliche Bestimmungen nichtig sein (RS0034517).

[18] Für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Übermittlung von monatlichen Arbeitszeitaufzeichnungen gemäß § 26 Abs 8 AZG besteht keine zwingende gesetzliche Bestimmung, innerhalb welcher Frist diese geltend zu machen sind, sodass die Ausschlussfrist des Abschnitt XX. Pkt 1. Z 1 KV zum Tragen kommt.

[19] 3. Davon ausgehend erachtet der Senat die Begründung der Vorinstanzen für die Abweisung des noch strittigen Klagebegehrens für zutreffend, weshalb darauf verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO).

[20] Wörtlich normiert § 26 Abs 8 AZG einen Anspruch auf Übermittlung der Arbeitszeitaufzeichnungen einmal monatlich, wenn der Arbeitnehmer es verlangt. Nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch liegt es nahe, dass der Anspruch „ab Verlangen“ bestehen soll. Von einer rückwirkenden Übermittlungspflicht für mehr als ein Monat zurückreichende Vorperioden ist in dieser Bestimmung nicht die Rede.

[21] Selbst wenn aber diese Regelungunter Berücksichtigung ihrer Zielsetzung teleologisch dahin interpretiert werden kann, dass der Anspruch auch Aufzeichnungen aus früheren Perioden umfasst, für die dem Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Verlangens noch ein rechtliches Interesse an der Nachprüfung seiner Arbeitszeit zuzubilligen ist, gilt diese Überlegung nicht für Zeiträume, für die Nachforderungen wegen bereits eingetretenen Verfalls ohnehin nicht mehr möglich wären.

[22] Die Anwendbarkeit der Verfallsklausel auf den Anspruch auf Übermittlung der Arbeitszeitaufzeichnungen ist daher nach zutreffender Rechtsansicht der Vorinstanzen im System des Kollektivvertrags eine vernünftige, zweckentsprechend praktisch durchführbare Regelung (vgl RS0008828; RS0010089 [T14, T15]). Sie steht mit dem Gesetzeszweck der § 26 Abs 8 und Abs 9 Z 1 AZG in keinem Widerspruch, kann doch eine bereits abgelaufene kollektivvertragliche Verfallsfrist nicht mehr gehemmt werden.

[23] 4. Im Übrigen verfügte der Kläger nach den Sachverhaltsfeststellungen während des aufrechten Dienstverhältnisses über seine gesamten Arbeitszeitaufzeichnungen, weil er sie selbst als Datei auf seinem Firmen-iPad geführt hat und sie periodisch auf Papier ausgedruckt und von ihm unterschrieben wurden. Allfällige gelegentliche Abänderungen wurden mit dem Kläger besprochen und waren ihm daher ebenfalls bekannt.

[24] Eine bestimmte Form, in der die Arbeitszeitaufzeichnungen zu übermitteln sind, schreibt § 26 Abs 8 AZG nicht vor.

[25] 5. Der Revision war daher keine Folge zu gehen.

[26] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 2 ASGG iVm §§ 41 und 50 ZPO.

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