OGH 15Os109/23b

OGH15Os109/23b11.3.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. März 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Dr. Mann und Dr. Sadoghi sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel in Gegenwart des Schriftführers Mag. Novak in der Medienrechtssache der Antragstellerin Mag. * S* gegen die Antragsgegnerinnen M* GmbH und o* GmbH wegen §§ 14 ff MedienG, AZ 112 Hv 15/20a des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über den Antrag der Antragsgegnerinnen auf Erneuerung des Medienrechtsverfahrens in Bezug auf den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 27. April 2023, AZ 17 Bs 266/22z, nach Anhörung der Generalprokuratur sowie der Antragstellerin in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0150OS00109.23B.0311.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiete: Grundrechte, Medienrecht

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

[1] In der Medienrechtssache der Antragstellerin Mag. * S* gegen die Antragsgegnerinnen M* GmbH und o* GmbH wegen §§ 14 ff MedienG, AZ 112 Hv 15/20a des Landesgerichts für Strafsachen Wien, wurde mit Urteil dieses Gerichts vom 6. Februar 2020 den Antragsgegnerinnen gemäß § 17 Abs 1 MedienG die Veröffentlichung von – im Spruch wiedergegebenen – Gegendarstellungen aufgetragen und diesen gemäß § 18 Abs 1 MedienG die Zahlung einer Geldbuße auferlegt.

[2] Der dagegen von den Antragsgegnerinnen erhobenen Berufung gab das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht mit Urteil vom 9. September 2020, AZ 17 Bs 222/20a, Folge, hob das angefochtene Urteil auf und wies die Anträge auf Anordnung der Veröffentlichung der begehrten Gegendarstellungen und auf Auferlegung von Geldbußen ab. Ferner wurden die Antragsgegnerinnen gemäß § 17 Abs 4 MedienG zur Veröffentlichung von im Urteilsspruch angeführten Teilen des Berufungsurteils ermächtigt. Letztlich wurde die Antragstellerin gemäß § 17 Abs 5 MedienG zur Zahlung des Einschaltungsentgelts für die zu Unrecht erwirkten Veröffentlichungen der Gegendarstellungen und die Veröffentlichungen des Berufungsurteils verurteilt.

[3] Mit Antrag vom 16. November 2020 begehrten die Antragsgegnerinnen gemäß § 17 Abs 5 MedienG die Bestimmung des Einschaltungsentgelts für die zu Unrecht erwirkten Veröffentlichungen der Gegendarstellungen und die Veröffentlichungen des Berufungsurteils.

[4] Mit Beschluss vom 31. Oktober 2022, GZ 112 Hv 15/20a‑43, bestimmte das Landesgericht für Strafsachen Wien diese von der Antragstellerin den Antragsgegnerinnen zu zahlenden Einschaltungsentgelte der Höhe nach.

[5] Gegen diesen Beschluss erhob die Antragstellerin Beschwerde und stellte aus deren Anlass beim Verfassungsgerichtshof im Sinn des Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B-VG den Antrag, über die Verfassungswidrigkeit des § 17 Abs 5 MedienG zu erkennen.

[6] Mit Erkenntnis vom 15. März 2023, GZ G 297/2022‑24, hob der Verfassungsgerichtshof § 17 Abs 5 MedienG idF BGBl 1993/20 wegen Verstoßes gegen das Recht auf Meinungsäußerung (Art 10 MRK) und auf Privatleben (Art 8 MRK) als verfassungswidrig auf und bestimmte als Frist für die Aufhebung den Ablauf des 30. Juni 2024.

[7] Mit Beschluss vom 27. April 2023, AZ 17 Bs 266/22z, gab das Oberlandesgericht Wien der Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss vom 31. Oktober 2022 Folge, hob diesen auf und wies den Antrag der Antragsgegnerinnen auf Bestimmung der Einschaltungsentgelte für die zu Unrecht erwirkten Veröffentlichungen der Gegendarstellungen und die Veröffentlichungen des Berufungsurteils ab.

[8] Begründend verwies das Beschwerdegericht darauf, dass die Aufhebung des § 17 Abs 5 MedienG durch den Verfassungsgerichtshof für die Beschwerdeführerin und die gegenständliche Medienrechtssache, die den Anlassfall für die Aufhebung im Sinn des Art 140 B‑VG darstelle, wirke und demnach das Beschwerdegericht gemäß Art 140 Abs 7 B‑VG bei der Entscheidung § 17 Abs 5 MedienG nicht mehr anzuwenden habe.

Rechtliche Beurteilung

[9] Gegen diesen Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht richtet sich der rechtzeitige – nicht auf ein Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestützte – Antrag der Antragsgegnerinnen auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO iVm § 14 Abs 3 MedienG.

[10] Im Wesentlichen wird vorgebracht, die Erneuerungswerberinnen seien in ihrem nach Art 6 Abs 1 MRK garantierten Anspruch auf Rechtssicherheit im Sinn der Verpflichtung zur Beachtung rechtskräftiger Gerichtsentscheidungen verletzt, weil die Antragstellerin bereits mit rechtskräftigem Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 9. September 2020, AZ 17 Bs 222/20a, gemäß § 17 Abs 5 MedienG zur Zahlung der Einschaltungsentgelte verpflichtet worden sei. Art 140 Abs 7 B‑VG sehe nur eine Begünstigung für den Anlassfall vor; das Urteil des Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht sei kein solcher, weil es sich um einen bereits verwirklichten Tatbestand handle, auf den die Aufhebung nicht wirke. Folglich sei das Berufungsurteil von der Aufhebung des § 17 Abs 5 MedienG nicht betroffen. Der Verfassungsgerichtshof greife mit seinen Erkenntnissen nicht in rechtskräftige Entscheidungen ordentlicher Gerichte ein. Aufgrund der „Abänderung bzw Verneinung“ des im Berufungsurteil enthaltenen Ausspruchs der Verpflichtung der Antragstellerin zur Zahlung des Einschaltungsentgelts nach § 17 Abs 5 MedienG durch das Beschwerdegericht seien die Erneuerungswerberinnen in ihrem Recht auf ein faires Verfahren verletzt.

[11] Dem Antrag kommt keine Berechtigung zu.

[12] Bei einem nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrag handelt es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf, bei dem alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 MRK sinngemäß gelten (RIS‑Justiz RS0122737 [T1]).

[13] Den Prüfungsmaßstab eines Erneuerungsantrags bilden dabei ausschließlich Rechte der MRK und ihrer Zusatzprotokolle (RIS‑Justiz RS0132365), wobei nur eine Prüfung auf Grundrechtsstufe (Grobprüfung) und keine Auseinandersetzung nach Art einer zusätzlichen Beschwerde- oder Berufungsinstanz im Sinn einer Feinprüfung auf Gesetzesstufe stattfindet (RIS‑Justiz RS0129606 [T2, T3]). Ein Erneuerungsantrag hat ferner deutlich und bestimmt darzulegen, worin eine Grundrechtsverletzung zu erblicken sei (RIS‑Justiz RS0122737 [T17], RS0124359).

Dessen Erledigung ist Folgendes voranzustellen:

[14] Gemäß § 17 Abs 5 erster Satz MedienG idF BGBl 1993/20 ist im Berufungsurteil die grundsätzliche Verpflichtung zur Zahlung eines Einschaltungsentgelts für die zu Unrecht erwirkte Veröffentlichung der Gegendarstellung und die Veröffentlichung des Berufungsurteils aufzuerlegen. Hat das Berufungsgericht (wie hier) einen entsprechenden Ausspruch getätigt, ist über die Höhe des Kostenersatzanspruchs des Antragsgegners für das Einschaltungsentgelt über dessen Antrag mit gesondertem Beschluss zu entscheiden (§ 17 Abs 5 zweiter Satz MedienG idF BGBl 1993/20). Erst dieser Beschluss bewirkt die – einer Exekution zugängliche (§ 17 Abs 5 vierter Satz MedienG idF BGBl 1993/20) – Leistungsverpflichtung des Antragstellers.

[15] Es ist solcherart ein zweistufiges Verfahren in Ansehung der Verpflichtung zur Zahlung des Einschaltungsentgelts dem Grunde und der Höhe nach vorgesehen (Rami in WK2 MedienG § 17 Rz 44 ff).

[16] Ist ein Gesetz (hier: § 17 Abs 5 MedienG idF BGBl 1993/20) wegen Verfassungswidrigkeit aufgehoben worden, sind gemäß Art 140 Abs 7 erster Satz B‑VG alle Gerichte an den Spruch des Verfassungsgerichtshofs gebunden. Auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalls ist das Gesetz grundsätzlich weiterhin anzuwenden (Art 140 Abs 7 zweiter Satz B‑VG).

[17] Die Aufhebung eines Gesetzes wegen Verfassungswidrigkeit durch den Verfassungsgerichtshof wirkt demnach für den Anlassfall („Ergreiferprämie“, vgl dazu Muzak, B‑VG6 Art 140 Rz 21, 24; Grabenwarter/Frank, B‑VG Art 140 Rz 68): Hebt der Verfassungsgerichtshof die angefochtene Norm als verfassungswidrig auf, ist das Rechtsmittelverfahren ohne diese Rechtsvorschrift fortzuführen. Der Entscheidung im Anlassfall ist die bereinigte Rechtslage zugrunde zu legen, dies ohne Rücksicht darauf, welche Bedeutung diese Rechtslage für die Entscheidung im fortzusetzenden Verfahren hat (Grabenwarter/Frank, B‑VG Art 140 Rz 70).

[18] Für Parteianträge auf Normenkontrolle (Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B‑VG) enthält zudem Art 140 Abs 8 B‑VG eine ausdrückliche Bestimmung der Anlasswirkung: Dieser verpflichtet den einfachen Bundesgesetzgeber, eine Regelung zu treffen, die im Fall der Aufhebung des Gesetzes als verfassungswidrig eine neuerliche Entscheidung der Rechtssache, die Anlass für die Antragstellung gegeben hat, ermöglicht (Muzak, B‑VG6 Art 140 Rz 28). Insofern normiert § 62a Abs 6 VfGG unter anderem für Strafverfahren (vgl § 62a Abs 1 VfGG), dass in dem beim Rechtsmittelgericht anhängigen Verfahren bis zur Verkündung bzw Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs nur solche Handlungen vorgenommen oder Anordnungen und Entscheidungen getroffen werden dürfen, die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs nicht beeinflusst werden können oder die die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten. § 62a Abs 6 VfGG verpflichtet demnach das Rechtsmittelgericht zur Innehaltung des Verfahrens bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs (vgl RIS‑Justiz RS0131467).

[19] Ausgehend davon macht der Erneuerungsantrag nicht klar, inwiefern durch den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 27. April 2023 Art 6 Abs 1 MRK verletzt worden sein sollte:

[20] Denn weshalb die – Art 140 Abs 7 und 8 B‑VG iVm § 62a Abs 6 VfGG entsprechende – Fortsetzung des mit Blick auf den Parteiantrag auf Normenkontrolle innegehaltenen Beschwerdeverfahrens ohne die vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig aufgehobene Bestimmung des § 17 Abs 5 MedienG idF BGBl 1993/20 eine – unter dem Aspekt des Art 6 Abs 1 MRK relevante (zum Anspruch auf Einschaltungsentgelt als ziviles Recht iSd Art 6 Abs 1 MRK 15 Os 45/10x, 46/10v, 47/10s, 48/10p; Rami in WK2 MedienG § 17 Rz 38) – Missachtung des Grundsatzes der Rechtssicherheit darstellen sollte, legen die Erneuerungswerberinnen nicht deutlich und bestimmt dar.

[21] Ebenso wenig erklären sie, inwiefern durch die anhand der bereinigten Rechtslage getroffene Beschwerdeentscheidung betreffend die Bestimmung der Höhe des Ersatzanspruchs der im Berufungsurteil (bloß) dem Grunde nach enthaltene Ausspruch der Ersatzpflicht in einer Art 6 Abs 1 MRK zuwiderlaufenden Weise missachtet worden sein sollte (vgl zum aus Art 6 Abs 1 MRK iVm der Präambel der Konvention abgeleiteten Anspruch auf Rechtssicherheit RIS‑Justiz RS0124740; Meyer‑Ladewig/Nettesheim/von Raumer, MRK5 Art 6 Rz 46, 100, 146; zum vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestand Muzak, B‑VG6 Art 140 Rz 21).

[22] Der Antrag war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO iVm § 14 Abs 3 MedienG).

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