OGH 15Os4/24p

OGH15Os4/24p11.3.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. März 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Dr. Mann und Dr. Sadoghi sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel in Gegenwart des Schriftführers Mag. Novak in der Strafsache gegen S* C* wegen Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3a Z 1 erster Fall, Abs 4 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 28. November 2023, GZ 81 Hv 88/23p‑38.2, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0150OS00004.24P.0311.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch II./B./ und demzufolge auch im Strafausspruch aufgehoben, in diesem Umfang eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Der Angeklagte wird mit seiner Berufung auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde S* C* der Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3a Z 1 erster Fall, Abs 4 zweiter Fall StGB (I./A./ und I./B./), des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3a Z 1 erster Fall StGB (I./C./), des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (II./A./1./), der Vergehen der Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs 1 StGB (II./A./2./) und der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (II./B./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in W* und an anderen Orten

I./ gegen andere Personen durch im Urteil näher beschriebene Handlungen eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, wobei er die in I./A./ genannte Tat bis zum 10. April 2018 sowie die in I./B./ und I./C./ genannten Taten bis zuletzt gegen unmündige Personen beging und zu I./A./ und I./B./ die Gewalt gegen eine unmündige Person jeweils länger als ein Jahr ausübte, und zwar

A./ von einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 2011 oder 2012 bis März 2022 gegen den am 10. April 2004 geborenen A* C*, durch

1./ Misshandlungen am Körper sowie die Vergehen der Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 15 StGB, und

2./ die Vergehen der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB;

B./ von einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 2015 oder 2016 bis November 2022 gegen den am * geborenen Az* C* durch Misshandlungen am Körper sowie die Vergehen der Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 15 StGB;

C./ von einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt bis zumindest November 2020, jedenfalls aber über mehrere Monate hinweg, gegen den am 4. Jänner 2012 geborenen Ah* C* durch Misshandlungen am Körper sowie die Vergehen der Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs 1 StGB;

II./ Am* C*

A./ vorsätzlich am Körper

1./ verletzt, und zwar zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 2012 oder 2013, indem er ihr mit der flachen Hand einen Schlag gegen das Gesicht versetzte, wodurch sie gegen eine Kommode stieß und eine blutende Wunde am Kopf und ein Hämatom an der Wange erlitt;

2./ zu verletzen versucht, und zwar

a./ im November 2020, indem er ihr einen Fußtritt gegen die linke Hüfte versetzte;

b./ am 21. November 2022, indem er ihr einen Schlag mit der flachen Hand gegen das Gesicht versetzte, wodurch sie eine Rötung an der linken Wange erlitt;

B./ gefährlich mit zumindest einer Verletzung am Körper bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, und zwar

1./ im November 2020, indem er ihr im Anschluss an die in [richtig:] II./A./2./a./ genannte Tathandlung mitteilte, er werde sie umbringen;

2./ im Jahr 2022, indem er in einer nicht mehr feststellbaren Anzahl von Angriffen mitteilte, er werde sie umbringen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – keine Berechtigung zukommt.

[4] Entscheidend ist eine Tatsache dann, wenn die Feststellung ihres Vorliegens oder Nichtvorliegens entweder die rechtliche Entscheidung über Schuld‑ oder Freispruch oder – im Fall gerichtlicher Strafbarkeit – darüber beeinflusst, welche strafbare Handlung begründet wurde (RIS‑Justiz RS0117264). Entgegen der zu I./A./, I./B./ und I./C./ erstatteten Mängelrüge (Z 5 erster Fall) sind die konkreten Tatzeitpunkte nicht entscheidend (RIS‑Justiz RS0098557; Lendl, WK‑StPO § 260 Rz 14). Im Übrigen ist den Urteilsannahmen unzweifelhaft zu entnehmen, dass diese jeweils nicht mehr feststellbar waren (US 4, 5 und 6; RIS‑Justiz RS0099425).

[5] Entgegen dem Einwand der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) haben die Tatrichter die leugnende Verantwortung des Angeklagten nicht unberücksichtigt gelassen, sondern diese als unglaubwürdig verworfen (US 9 ff). Dabei waren sie dem Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend nicht verhalten, den vollständigen Inhalt der Aussage des Angeklagten, der sie insgesamt die Glaubwürdigkeit versagten (US 11), im Einzelnen zu erörtern und darauf zu untersuchen, wie weit sie für oder gegen diese oder jene Geschehensvariante spreche (RIS‑Justiz RS0098377 [T7]). Die Beschwerde bekämpft die Beweiswürdigung des Erstgerichts nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Berufung wegen Schuld.

[6] Der vom Schöffengericht zu sämtlichen Tathandlungen gezogene Schluss vom gezeigten Verhalten und einer lebensnahen Betrachtung des objektiven Sachverhalts auf das jeweils zugrunde liegende Wissen und Wollen (US 5, 6 und 7) sowie auf den Bedeutungsinhalt der Drohungen einschließlich der diesbezüglichen subjektiven Tatseite (zu I./A./2./ [US 5] und II./B./ [US 8]) ist – der Beschwerdeauffassung (Z 5 vierter Fall) zuwider – rechtsstaatlich vertretbar und unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (US 11 f; RIS‑Justiz RS0116882). Soweit die Beschwerde zu den Schuldsprüchen II./A./1./ und II./A./2./a./ eine Begründung der Feststellungen zur subjektiven Tatseite (US 7 f) überhaupt vermisst (Z 5 vierter Fall), übergeht sie die zuvor kritisierten Urteilserwägungen (US 11; vgl aber RIS‑Justiz RS0119370).

[7] Warum die vom bedingten, auf Verletzung der jeweiligen Opfer gerichteten Vorsatz des Angeklagten umfassten Handlungen, nämlich Schlagen mit Gegenständen gegen den Kopf und den Körper, Bewerfen mit Gegenständen und Versetzen von Tritten gegen das Gesäß (zu I./A./1./, US 4 f), Schlagen mit Gegenständen gegen den Kopf und den Körper, Bewerfen mit Gegenständen und Versetzen von Tritten gegen das Gesäß (zu I./B./, US 6 und I./C./, US 7), den Tatbestand der Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 15 StGB und somit den Gewaltbegriff des § 107b Abs 2 zweiter Fall StGB nicht erfüllen sollten, erklärt die Rechtsrüge (Z 9 lit a) nicht (vgl Burgstaller/Schütz in WK2 StGB § 83 Rz 6, 20, 38 und Schwaighofer in WK2 StGB § 107b Rz 11).

[8] Die weitere Rüge (Z 9 lit a; zu I./A./1./, I./B./ und I./C./), bei „Entfall“ einzelner Tathandlungen sei unklar, ob die Voraussetzungen fortgesetzter Gewaltausübung noch vorlägen, verfehlt die gebotene Orientierung am festgestellten Sachverhalt (RIS‑Justiz RS0099810; US 4 f zu I./A./1./, US 6 zu I./B./ und US 6 f zu I./C./).

[9] Welche Feststellungen zur subjektiven Tatseite über die ohnehin erfolgten hinaus (US 5, 6 und 7) betreffend I./ erforderlich gewesen wären, vermag die Beschwerde (Z 9 lit a) nicht anzugeben (RIS‑Justiz RS0116569).

[10] Ebenso wenig macht sie deutlich, warum die zu I./A./ und I./B./ beinahe täglich, zu I./C./ mehrmals wöchentlich erfolgten und von Misshandlungsvorsatz getragenen Handlungen, Schnipsen mit den Fingern gegen den Kopf, Drücken gegen die Wand sowie Ziehen an den Händen und den Haaren (US 4 f zu I./A./, US 6 zu I./B./ und US 6 f zu I./C./), dem Tatbestand des § 83 Abs 2 StGB nicht entsprächen (RIS‑Justiz RS0092867; Burgstaller/Schütz in WK2 StGB § 83 Rz 24; Schwaighofer in WK2 StGB § 107b Rz 14 ff; Winkler, SbgK § 107b Rz 34 ff) und die Gesamtheit der Konstatierungen zu Dauer, Dichte und Intensität der Gewaltausübung die Subsumtion unter § 107b Abs 1 StGB nicht tragen sollten (RIS‑Justiz RS0127377; Schwaighofer in WK2 StGB § 107b Rz 23, Winkler, SbgK § 107b Rz 103 ff).

[11] Schließlich nimmt auch das zu I./A./2./, II./B./1./ und II./B./2./ erstatte Vorbringen der Rechtsrüge, bei den dem Angeklagten angelasteten Ankündigungen habe es sich jeweils „lediglich“ um eine „milieubedingte Unmutsäußerung“ gehandelt, prozessordnungswidrig nicht Maß am konstatierten Bedeutungsinhalt der Äußerungen (US 5, 8; vgl RIS‑Justiz RS0092588, RS0099810).

[12] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[13] Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof jedoch davon (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO), dass dem Schuldspruch II./B./ eine sich zum Nachteil des Angeklagten auswirkende, von diesem jedoch nicht geltend gemachte Nichtigkeit (Z 9 lit a) anhaftet, auf welche auch die Generalprokuratur in ihrer Stellungnahme hinweist.

[14] Der Tatbestand der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB verlangt in subjektiver Hinsicht – neben dem (zumindest bedingten) Vorsatz des Täters hinsichtlich der objektiv dem Tatbild entsprechenden Tathandlung – die Absicht in Bezug auf den mit der inkriminierten Handlung verfolgten Zweck, den Bedrohten in Furcht und Unruhe zu versetzen (RIS‑Justiz RS0089063 [T3]).

[15] Diesen Anforderungen entsprechen die Konstatierungen zu II./B./, wonach der Angeklagte „wusste und wollte“, dass er Am* C* durch die Tathandlungen in einen nachhaltigen, das ganze Gemüt ergreifenden peinvollen Seelenzustand versetzt (US 8), nicht, weil damit die Absicht des Angeklagten, das Opfer in Furcht und Unruhe zu versetzen, nicht unzweifelhaft festgestellt wurde. Da die Tatbeschreibung im Urteilstenor (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) zwar zur Verdeutlichung der Feststellung entscheidender Tatsachen herangezogen werden, diese aber nicht ersetzen kann (RIS‑Justiz RS0114639), haftet dem Urteil insoweit ein Rechtsfehler mangels Feststellungen (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) an.

[16] Es war daher das angefochtene Urteil im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien zu verweisen.

[17] Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

[18] Die Kostenentscheidung, die die amtswegige Maßnahme nicht umfasst (Lendl, WK‑StPO § 390a Rz 12), beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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