OGH 8Ob97/23g

OGH8Ob97/23g15.2.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und die Hofräte MMag. Matzka, Dr. Stefula und Dr. Thunhart als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K* GmbH, *, vertreten durch Dr. Hanno Hofmann, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei R* GmbH, *, vertreten durch Mag. Dr. Günther Schmied, Rechtsanwalt in Graz, wegen Übergabeauftrags, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgerichtvom 21. Juni 2023, GZ 5 R 26/23i‑49, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Graz‑West vom 29. Dezember 2022, GZ 111 C 5/22w‑45, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0080OB00097.23G.0215.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Bestandrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 502,70 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 83,78 EUR USt) zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Aufgrund des Mietvertrags vom 26. 4. bzw 06. 6. 2012 mietet die Beklagte seit 01. 6. 2012 von der Klägerin gewerblich genutzte Liegenschaften in Graz, samt den darauf befindlichen Gebäuden und Verkehrsflächen. Im Mietvertrag ist unter anderem festgehalten:

2. Beginn und Dauer des Mietvertrages

2.1. Der Mietvertrag zum Mietobjekt gemäß Punkt 1.1 und 1.2 des gegenständlichen Mietvertrages wird mit Wirkung zum 1. Juni 2012 auf zehn Jahre befristet abgeschlossen. (...) Der Mieterin wird bereits jetzt eine Option auf Verlängerung des Mietvertrages um weitere zehn Jahre eingeräumt. Die Verlängerungsoption ist sechs Monate vor Ablauf der ersten Befristung (30. Juni 2022) in schriftlicher Weise von der Mieterin zu erklären. (...)“

[2] Die Datumsangabe „30. Juni 2022“ bei der Verlängerungsoption beruhte auf einem Versehen. Der gemeinsame Wille der Mietvertragsparteien zielte darauf ab, dass ein Mietvertrag abgeschlossen werden sollte, der beginnend mit 1. 6. 2012 auf die Dauer von 10 Jahren befristet war und der, sofern er nicht durch Ziehen der Verlängerungsoption durch die Beklagte fortgesetzt würde, am 31. 5. 2022 enden sollte.

[3] Im Jahr 2014 kam es zu einer Mietzins‑ und Räumungsklage gegen die Beklagte. Das Verfahren wurde am 9. 4. 2015 mit einem Vergleich beendet.

[4] In den Monaten danach führten die Streitteile auf Wunsch der Beklagten wegen eines geplanten Hallenneubaus Gespräche über die mögliche Einräumung einer weiteren Verlängerung des Mietvertrags. Es wurde der Klägerin von der Beklagten ein Entwurf einer Verlängerungsvereinbarung übermittelt, eine Einigung erfolgte nicht.

[5] Mit einer 2018 eingebrachten weiteren Räumungsklage erklärte die Klägerin der Beklagten die Vertragsaufhebung nach § 1118 ABGB wegen Mietzinsrückstands. Die Streitteile einigten sich darauf, dass das Mietverhältnis fortgesetzt werde, wenn die Beklagte den Rückstand bis 28. 2. 2019 zusätzlich zur laufenden Miete bezahle. Im Verfahren erging, wie von den Parteien vorher abgesprochen, ein Anerkenntnisurteil, wobei sich die Klägerin verpflichtete, diesen Titel nur dann zu verwenden, wenn die Beklagte ihrer vereinbarten Zahlungspflicht nicht fristgerecht nachkommen sollte. Die Beklagte erfüllte die Vereinbarung, sodass das Bestandverhältnis weiter fortgesetzt wurde und die Beklagte vom Exekutionstitel keinen Gebrauch machte.

[6] Mit weiterer Mietzins‑ und Räumungsklage vom 10. 11. 2020 machte die Klägerin abermals die Aufhebung des Vertrags nach § 1118 ABGB und Zahlung eines neuerlichen Mietzinsrückstands geltend. Die Beklagte zahlte den Rückstand während des Verfahrens nach, worauf die Klägerin ihre Erklärung der Auflösung des Vertrags zurückzog. Über das in der Folge auf Kosten eingeschränkte Klagebegehren schlossen die Streitteile einen Vergleich.

[7] Gespräche, dass die Beklagte den ursprünglichen Mietvertrag nicht fortsetzen oder abändern möchte, wurden nie geführt. Die Beklagte erklärte gegenüber der Klägerin nie, dass sie von der Verlängerungsoption auf weitere zehn Jahre ab 1. 6. 2022 Gebrauch mache.

[8] Die Klägerin begehrte, der Beklagten die Übergabe der Bestandflächen binnen 14 Tagen nach dem 31. 5. 2022 aufzutragen. Die Beklagte brachte in ihren Einwendungen (soweit im Revisionsverfahren noch relevant) vor, die Befristung sei unwirksam. Der ursprüngliche Bestandvertrag sei nach § 1118 ABGB aufgelöst worden und darüber auch ein Anerkenntnisurteil ergangen. Bei der Vereinbarung über die Fortsetzung des Mietvertrags sei keine neuerliche, insbesondere keine schriftliche Befristungsvereinbarung mehr getroffen worden. Darüber hinaus habe sie bereits im Jahr 2015 in einem E‑Mail‑Anhang die Ausübung der Option erklärt.

[9] Das Erstgericht erklärte den Übergabeauftrag für wirksam. Die Erklärung einer vorzeitigen Vertragsauflösung nach § 1118 ABGB könne einvernehmlich zurückgenommen werden. Nach dem festgestellten Geschehensablauf sei davon auszugehen, dass die Streitteile nicht einen neuen Vertrag abschließen, sondern den ursprünglichen Bestandvertrag jeweils unverändert fortsetzen wollten und fortgesetzt haben. eine wirksame Optionsausübung sei nicht erfolgt.

[10] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil noch keine Judikatur zu der Frage vorliege, ob bei Auflösung eines Bestandverhältnisses nach § 1118 ABGB und der Fortsetzung aufgrund (konkludenter) Vereinbarungen bei ursprünglich befristeten Mietverhältnissen für die weitere Durchsetzbarkeit der Befristung das Schriftlichkeitsgebot des § 29 Abs 1 Z 3 lit a MRG gilt.

[11] Die von der Klägerin beantwortete Revision der Beklagten strebt die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen und Aufhebung des Übergabsauftrags an.

Rechtliche Beurteilung

[12] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage im Sinn des Zulassungsausspruchs des Berufungsgerichts zulässig, aber nicht berechtigt.

[13] 1. Soweit die Rechtsausführungen der Revisionswerberin darauf abzielen, dass die Vorinstanzen zu Unrecht eine Ausübungder Option zur Verlängerung des Mietvertrags im Jahre 2015 verneint hätten, sind sie insoweit nicht gesetzmäßig ausgeführt, als sie nicht von den nicht revisiblen Feststellungen der Tatsacheninstanzen ausgehen. Das Erstgericht hat festgestellt, dass die Beklagte gegenüber der Klägerin nie erklärte, dass sie von der Verlängerungsoption auf weitere zehn Jahre ab 1. 6. 2022 Gebrauch mache.

[14] Die Rechtsansicht, dass dem in einem E‑Mail‑Anhang enthaltenen, von der Beklagten nicht unterfertigten Entwurf eines Nachtrags zum Mietvertrag, über den nie eine Einigung zustandekam, nicht die Bedeutung einer verbindlichen Ausübung der bestehenden Verlängerungsoption beizumessen war, ist nicht zu beanstanden. Ein nicht von Zeichnungsberechtigten unterfertigtes, ausdrücklich nur als Entwurf bezeichnetes Schreiben ist bei der gebotenen objektiven Betrachtung nicht als Willenserklärung zu interpretieren, eine bestimmte Rechtsfolge von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung herbeiführen zu wollen.

[15] Im vorliegenden Fall deutet darauf umso weniger hin, als für die Beklagte rund sieben Jahre vor dem Befristungsablauf noch kein aktueller Anlass für die unbedingte Ausübung der ursprünglichen Verlängerungsoption bestand, sondern ihr erklärtes Interesse auf eine Vertragsänderung im Zusammenhang mit dem Hallenbauvorhaben gerichtet war.

[16] 2. Die Revision macht ferner geltend, der Oberste Gerichtshof habe bereits einmal in einer Entscheidung ausgesprochen, dass durch die einvernehmliche Fortsetzung des bereits nach § 1118 ABGB aufgelösten Bestandverhältnisses ein neuer Vertrag begründet werde. Auch auf diesen Vertragabschluss sei das Schriftformgebot nach § 29 Abs 1 Z 3 lit a MRG anzuwenden, um nicht die vom Gesetz bezweckte Warn‑ und Aufklärungsfunktion für den Mieter zu vereiteln. Eine neuerliche schriftliche Befristung sei nicht vereinbart worden.

[17] 2.1. Die nach § 29 Abs 1 Z 3 lit a MRG als Voraussetzung für die Wirksamkeit der Befristung bei einem Mietvertrag normierte Einhaltung der Schriftform bezweckt einerseits eine Warn- und Aufklärungsfunktion für den Mieter, andererseits eine Erleichterung und Sicherung des Beweises für die Befristung (RIS‑Justiz RS0030289). Dem Mieter soll noch vor der vertraglichen Bindung eindringlich vor Augen geführt werden, dass er sich damit auf einen Zeitmietvertrag mit den für den Mieter zweifellos verbundenen Nachteilen einlässt (RS0030289 [T2, T7]; RS0070201 [T7]; vgl auch RS0070368). Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass die Befristung des vorliegenden Mietvertrags jedenfalls ursprünglich wirksam zustandegekommen ist, wird von der Revision nicht mehr in Frage gestellt.

[18] 2.2. Die Aufhebung eines Bestandverhältnisses nach § 1118 ABGB erfolgt schon durch die Aufhebungserklärung bzw eine Klage nach dieser Gesetzesstelle, die als Aufhebungserklärung zu werten ist. Eine derartige Aufhebungserklärung kann zwar nicht einseitig, aber im Wege einer Vereinbarung wieder rückgängig gemacht und der Bestandvertrag einverständlich mit oder ohne Änderung fortgesetzt werden (RS0105354).

[19] Die Revision stützt ihren Rechtsstandpunkt, es werde bei einer solchen Fortsetzungsvereinbarung jeweils ein völlig neuer Bestandvertrag abgeschlossen, auf die Begründung der Entscheidung 7 Ob 702/89.

[20] Tatsächlich vermag diese die von der Beklagten gewünschte Schlussfolgerung aber nicht zu tragen. Der Oberste Gerichtshof hat mit der in dieser Entscheidung gebrauchten Formulierung, die Rücknahme der Auflösungserklärung und Rückziehung einer darauf gestützten Räumungsklage käme in Wahrheit einer Neubegründung des Bestandverhältnisses gleich, erläutert, weshalb bei zwei klagenden Vermietern einer allein gegen den Willen des anderen dazu nicht berechtigt wäre. Dem anderen, der die Auflösungserklärung nicht zurücknehmen will, würde nämlich ansonsten ein beendetes Bestandverhältnis neuerlich aufgezwungen.

[21] Mit dieser Formulierung wurde jedoch keine Aussage darüber getroffen, ob in jedem derartigen Fall ein zumindest schlüssiger neuer Vertragsabschluss anzunehmen ist, für den dann auch zwingend neuerlich die gesetzlichen Formgebote einzuhalten wären, oder ob mangels abweichender Vereinbarung der bisherige Bestandvertrag einfach fortgesetzt wird.

[22] 2.3. Der erkennende Senat erachtet die rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen für zutreffend. Es steht den Parteien eines nach § 1118 ABGB aufgelösten Bestandvertrags im Rahmen der Vertragsfreiheit zwar frei, zur Regelung der weiteren Benützung des Bestandsobjekts einen neuen Vertrag mit oder ohne geänderte Bedingungen abzuschließen. Ob sie dies wollten, kann aber immer nur anhand der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden.

[23] Im vorliegenden Verfahren ist kein Anhaltspunkt für eine Absicht der Parteien zu erkennen, nach der (wiederholten) Auflösung des Mietvertrags einen neuen Vertrag zu begründen. Es steht fest, dass keine Gespräche darüber geführt wurden, den ursprünglichen Mietvertrag nicht fortsetzen oder abändern zu wollen. Entgegen ihrer nunmehr eingenommenen Rechtsposition ist die Beklagte bei den Verhandlungen über eine allfällige zweite Verlängerungsoption im Sommer 2015 auch selbst von einer Weitergeltung des bestehenden Vertrags einschließlich der Befristung ausgegangen, obwohl auch damals schon ein vorangegangenes Räumungsverfahren stattgefunden hatte. Ein Interesse der Klägerin, das wegen Mietzinsrückstands berechtigt aufgelöste Bestandverhältnis zu ungünstigeren Bedingungen fortzusetzen und auf die Befristung zu verzichten, ist ohnehin nicht ersichtlich.

[24] Wenn aber im Einzelfall von einem feststellbaren Willen der Parteien, einen neuen Bestandvertrag abzuschließen, nicht die Rede sein kann, bewirkt die bloße Rücknahme der Auflösungserklärung ex tunc und Aufgabe des Räumungsbegehrens im Ergebnis nichts anderes als die unveränderte Weitergeltung des bestehenden, nie wirksam beendeten Dauerschuldverhältnisses. Dies entspricht auch der Rechtslage, wenn eine auf rückständige Mietzinszahlungen gestützte Räumungsklage wegen rechtzeitiger Nachzahlung des geschuldeten Betrags unter den Voraussetzungen des § 33 Abs 3 ABGB abgewiesen wird; auch dadurch wird die ursprünglich berechtigte Aufhebungserklärung rückwirkend unwirksam (vgl Prader, MRG6.10 § 1118 ABGB E 156/1; 3 Ob 64/21i).

[25] Entgegen den Revisionsausführungen ist auch nicht zu erkennen, welches besondere, vom Gesetz zu schützende Warn‑ und Aufklärungsbedürfnis ein Bestandnehmer haben sollte, der einfach das ihm schon jahrelang bekannte und ursprünglich wirksam befristete Dauerschuldverhältnis fortsetzen möchte.

[26] 3. Die angefochtene rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts ist daher zutreffend. Schon allein deswegen liegt auch der behauptete sekundäre Feststellungsmangel nicht vor. Es ist für das Verfahrensergebnis nicht relevant, ob der von der Beklagten im Räumungsverfahren beauftragte Rechtsanwalt bei der Zustimmung zur Fortsetzung des Bestandvertrags schriftlich bevollmächtigt war, weil die Fortsetzung nicht dem Gebot des § 29 Abs 1 Z 3 lit a MRG unterlag.

[27] 4. Der Revision war daher keine Folge zu geben.

[28] Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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