OGH 13Os90/23v

OGH13Os90/23v24.1.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. Jänner 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. De Rijk in der Strafsache gegen * H* und andere Angeklagte wegen Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGBund weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten * H* und * B* gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 18. April 2023, GZ 17 Hv 69/22x‑192, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0130OS00090.23V.0124.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des * H* und aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch des Genannten  wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB (A I), demgemäß auch im Strafausspruch dieses Angeklagten und in der diesen betreffenden Entscheidung über die Ansprüche des Privatbeteiligten L* S* (1), sowie im Ausspruch über die Einziehung aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache im Umfang der Aufhebung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des * B* wird zurückgewiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte * H* auf die Aufhebung verwiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten * B* werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Den Angeklagten * H* und * B* fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Soweit hier von Bedeutung wurden mit dem angefochtenen Urteil

* H* des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung „nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB“ („A I 1“), des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (A II 1), mehrerer Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 erster Fall StGB (A II 2) sowie des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (C) und

* B* des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB („A I 2“), des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (A II 1), mehrerer Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 erster Fall StGB (A II 2), mehrerer Verbrechen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 5 Z 2 StGB (B I) und des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs 4 StGB (B II) schuldig erkannt.

[2] Danach haben

A) * H* und * B* im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit weiterenPersonen als Mittäter (§ 12 erster Fall StGB)

I) am 22. August 2021 in W* (US 9) L* S* eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) absichtlich

„1./ * H* zuzufügen versucht, indem er mit einem Cricketschläger auf den Kopf des L* S* einschlug und

2./ R* B* zugefügt, indem er mit einer Machete mit einer Klingenlänge von 35 cm auf das rechte Bein des L* S* einschlug“,

wodurch L* S* eine blutende Wunde im Bereich des Hinterkopfs sowie eine das Kniegelenk eröffnende Schnittwunde an der Außenseite des rechten Beins erlitt, sowie

II) am 28. August 2021 in S*

1) S* S* durch gefährliche Drohung mit dem Tod zu einer Handlung, nämlich der Bekanntgabe des Aufenthaltsortes des * Se* zu nötigen versucht, indem sie ihn in einer Gruppe von rund fünf bis sechs Personen bewaffnet mit Metallstangen und Pistolen nach dem Aufenthaltsort des * Se* fragten, wobei * H* ihm dabei eine zumindest echt erscheinende Pistole gegen die Stirn hielt, und

2) S* S* und P* S* gefährlich mit dem Tod bedroht, um diese in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem sie im Anschluss an die zu A II 1 angeführte Tathandlung den Genannten gegenüber äußerten, dass sie wiederkommen und die gesamte Familie sowie * Se* töten würden,

B) * B*

I) am 21. August 2021 in W* mit mehr als zwei Personen in verabredeter Verbindung L* S*, J* S* und * J* am Körper verletzt, indem er im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit zumindest zwei weiteren (US 8 f), ebenfalls bewaffneten Mittätern (§ 12 erster Fall StGB) mit einem Messer und mit Eisenstangen auf die Genannten einschlug, wodurch L* S* eine 4 cm lange Rissquetschwunde am Rücken sowie eine Prellung am linken Unterarm, J* S* eine 3 cm lange Rissquetschwunde über dem linken Auge sowie Prellungen an beiden Oberarmen und im Rückenbereich und * J* eine etwa 4 cm lange Rissquetschwunde im Bereich der rechten Stirnregion sowie eine Blutunterlaufung an der rechten Schulter und eine Blutunterlaufung und Prellung der rechten Hand im Bereich des Handrückens sowie des Handgelenks erlitten, und

II) am 28. August 2021 in S* P* S* schwer zu verletzen versucht, indem er mit einer Eisenstange ausholte und damit auf dessen Kopf schlagen wollte, jedoch daran gehindert wurde, weiters

C) * H* am 28. August 2021 in S* eine fremde Sache, nämlich das Einfahrtstor zum Wohnhaus des P* S* und des * Se*, durch Tritte und Schläge beschädigt.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richten sich die jeweils auf § 281 Abs 1 Z 5 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden dieser beiden Angeklagten.

[4] Deren Behandlung sei vorangestellt, dass nach den Urteilsfeststellungen zum Schuldspruch A I 1 und 2 bei dem von rund zehn, teils mit Eisenstangen und Schlagwaffen bewaffneten Tätern gesetzten Angriff * H* dem Opfer mit einem Cricketschläger einen Schlag auf den Kopf versetzte, der eine blutende Wunde im Bereich des Hinterkopfes verursachte, ihm * B* mit einer Machete wuchtig auf sein rechtes Bein schlug, wodurch das Opfer eine das Kniegelenk eröffnende Schnittwunde an der Außenseite des rechten Beins erlitt, und im Anschluss daran mehrere Personen auf den am Boden Liegenden einschlugen. Die dem Opfer im Zuge des Angriffs zugefügten Prellungen des rechten Ellbogens und des rechten Unterarms konnten keinem konkreten Täter zugeordnet werden (US 10). Bei diesem gemeinschaftlichen Angriff kam es den beiden Genannten jeweils darauf an, dem Opfer sowohl durch die eigene Handlung, als auch durch jene der anderen Beteiligten schwere Verletzungen zuzufügen (US 11).

[5] Sämtliche im Rahmen der Mittäterschaft eingetretenen (RIS‑Justiz RS0090006) Verletzungen sind auf dieser Feststellungsbasis * H* und * B* zuzurechnen (siehe auch die in diesem Sinn ergangene Entscheidung über die Ansprüche des Privatbeteiligten L* S* [1, US 5]).

[6] Bei rechtsrichtiger Beurteilung des dargestellten Sachverhalts haben daher * H* und * B* zu A I je ein vollendetes Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB verwirklicht. Die Annahme bloßen Versuchs (§ 15 StGB) hinsichtlich des Angeklagten B* im Ersturteil ist somit verfehlt.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des * H*:

[7] Zutreffend zeigt die Rüge zum Schuldspruch „A I 1“ auf, dass die Aussage des Bruders des Beschwerdeführers, wonach dieser die – nach den Urteilsfeststellungen um 20:25 Uhr verübte (US 9 iVmUS 25) – Tat nicht begangen haben könne, weil er sich von ca 19:00 Uhr bis 22:00 Uhr oder 23:00 Uhr durchgehend gemeinsam mit ihm in seinem Lokal aufgehalten habe (ON 114 S 113), von den Tatrichtern unerörtert blieb (Z 5 zweiter Fall).

[8] Dieser zutreffend aufgezeigte Begründungsmangel führte – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – zur Aufhebung des angefochtenen Urteils wie aus dem Spruch ersichtlich bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des * B*:

[9] Die insoweit zum gesamten Schuldspruch des Beschwerdeführers erhobene Rüge behauptet, das erstgerichtliche Urteil sei „nichtig, da der Ausspruch über entscheidende Tatsachen, nämlich die Anzahl und Identität der Täter, undeutlich ist“ (Z 5 erster Fall), ohne jedoch die Feststellungen zur Tatbegehung durch den Beschwerdeführer selbst zu bekämpfen.

[10] Damit wendet sie sich in Ansehung des Schuldspruchs A I, A II 1, A II 2 und B II nicht gegen Feststellungen, die für die Lösung der Schuld- oder der Subsumtionsfrage von Bedeutung sind (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 398 ff), und verfehlt solcherart ihren Bezugspunkt.

[11] In Ansehung des Schuldspruchs B I wegen der Begehung einer Körperverletzung (§ 83 Abs 1 StGB) mit mindestens zwei Personen in verabredeter Verbindung (§ 84 Abs 5 Z 2 StGB) sind die Feststellungen, wonach der Beschwerdeführer jeweils L* S* mit zumindest zwei weiteren Personen und * J* und J* S* mit mehreren Mitgliedern der Gruppe schlug (US 8 f), keineswegs undeutlich.

[12] Die Rüge zum Schuldspruch B I kritisiert die fehlende Erörterung von „Beweisergebnisse[n]“ (Z 5 zweiter Fall), wonach der Beschwerdeführer – wie von ihm angegeben (vgl US 18) – bei dem Vorfall nicht anwesend gewesen sei. Sie geht mangels konkreter Bezeichnung in der Hauptverhandlung vorgekommener Verfahrensergebnisse ins Leere (RIS‑Justiz RS0118316 [T5]).

[13] Die in diesem Zusammenhang von der Beschwerde vermisste Begründung, weshalb die Tatrichter allein den Angaben des L* S* und des * J* folgten, findet sich auf den US 16 bis 20.

[14] Entgegen der Beschwerdeauffassung (nominell Z 5 zweiter Fall) ist es nicht zu beanstanden, dass die Tatrichterdem Zeugen L* S* hinsichtlich der Belastung und Identifikation des Beschwerdeführers glaubten (US 18), nicht aber (US 19) bezüglich der Verwendung einer Machete (RIS‑Justiz RS0098372).

[15] Mit eigenen Erwägungen zu den voneinander abweichenden Angaben der Angeklagten und der Zeugen und deren Alkoholisierung im Tatzeitpunkt (vgl US 16 bis 18) erschöpft sich die Rüge in einem Angriff auf die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld.

[16] Gleiches gilt für die Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) einwendende Beschwerde, die

1) zum Schuldspruch A I,

‑ vorbringt, nach den Angaben der Zeugen * Sa* und * V* sowie des Angeklagten * Se* habe es sich um ein bloß zufälliges Aufeinandertreffen gehandelt (ON 7.16 iVm ON 191 S 27),

‑ die Aussage der Mutter des Beschwerdeführers über den Zeitpunkt seines Nach-Hause-Kommens am Tattag (ON 191 S 17 f, vgl US 26) selbständig würdigt,

‑ unter Hinweis auf die Verantwortung des Beschwerdeführers zu den auf der Machete befindlichen DNA‑Spuren (vgl US 27 f) eigene Erwägungen anstellt und

‑ auf die Aussage des Zeugen * T* hinweist, wonach er von * Se* aufgefordert worden sei, „richtig für seine Seite aus(zu)sagen“ (vgl US 22), und

2) zum Schuldspruch A II 1, A II 2 und B II auf die vom Erstgericht ohnedies berücksichtigte „Ungereimtheit“ in der Aussage des Zeugen P* S* (vgl US 29) und das Aussageverhalten des Zeugen * T* (vgl US 30) verweist.

[17] Soweit die Beschwerde kritisiert, es hätte in Ansehung aller Schuldspruchpunkte „einer detaillierten beweiswürdigenden Erörterung“ der Motivlage für eine Falschbelastung durch den (Mit-)Angeklagten * Se* und Personen aus dessen Umfeld durch das Erstgericht bedurft, wird kein Begründungsmangel im Sinn der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO aufgezeigt (zu den fünf vom Gesetz genannten Kategorien von Begründungsfehlern, die Nichtigkeit aus Z 5 nach sich ziehen, vgl eingehend 13 Os 35/20a EvBl 2021/63).

[18] Als offenbar unzureichend begründet (Z 5 vierter Fall) erachtet die Rüge zum Schuldspruch A I die Feststellung, wonach es dem Beschwerdeführer bewusst gewesen sei, dass nicht nur die eigene Handlung, sondern auch die seines Mittäters schwere Verletzungsfolgen nach sich ziehen könne und es ihm gerade darauf ankam (US 11). Damit wendet sie sich angesichts der erfolglos bekämpften Feststellung der vom Beschwerdeführer selbst absichtlich herbeigeführten schweren Verletzung des Opfers (US 10 f) nicht gegen eine entscheidende Tatsache.

[19] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – erneut in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß § 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

 

[20] Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass dem angefochtenen Urteil im Einziehungserkenntnis nicht geltend gemachte materielle Nichtigkeit anhaftet (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).

[21] Im Urteil finden sich nämlich keine Feststellungen zu dem „sichergestellte[n] Armreifen“, der „sichergestellte[n] Machete“ und der „sichergestellte[n] Schreckschusspistole samt Munition“, sodass eine Beurteilung der Einziehungsvoraussetzungen nicht möglich ist. Der Ausspruch ist somit mit Nichtigkeit aus Z 11 belastet, aus welchem Grund er bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort aufzuheben und das Verfahren (auch) in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien zu verweisen war (§ 285e StPO iVm § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO).

[22] Mit seiner Berufung war der Angeklagte * H* auf die Aufhebung des Strafausspruchs sowie der ihn betreffenden Entscheidung über die Ansprüche des Privatbeteiligten L* S* zu verweisen.

[23] Die Entscheidung über die Berufung des * B* kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

[24] Der Kostenausspruch – der die amtswegige Maßnahme nicht umfasst (RIS‑Justiz RS0101558) – gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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