European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00172.23D.0124.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 4.246,80 EUR (darin enthalten 707,80 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Klägerin ist Bauträgerin und hat bei der Beklagten im Jahr 2008 eine Berufshaftpflichtversicherung abgeschlossen. Als Vertragsgrundlage wurde die Rahmenvereinbarung H950 aus dem Jahr 2007 zwischen einem Fachverband, der Beklagten und der W* AG herangezogen, die die AHVB und EHVB 2005 zum Vertragsinhalt erklärte. Für Bauträger enthielt die Rahmenvereinbarung H950 die Bestimmung:
„9.2.3.4.6 Gewährleistung
Das Gewährleistungs- und Garantierisiko des Versicherungsnehmers ist ausschließlich insoweit versichert, als der Versicherer das Ausfallrisiko bei einem Insolvenzverfahren des Professionisten oder Subunternehmers trägt, welcher vom Versicherungsnehmer als Subunternehmer beauftragt worden ist. Darüber hinaus stehen auch diesbezügliche Gewährleistungsfolgeschäden unter vollem Versicherungsschutz.“
[2] Am 10. 1. 2013 wurde mit Wirksamkeit 1. 2. 2013 die Pauschalversicherungssumme von ursprünglich 100.000 EUR auf 1.000.000 EUR und im Gegenzug die Prämie erhöht; Vertragsgrundlage blieb die Rahmenvereinbarung H950. Im Jahr 2016 wurde zwischen den Vertragsparteien der H950 die neue Rahmenvereinbarung H970 geschlossen. Mit 1. 10. 2018 wurde für den Versicherungsvertrag der Klägerin mit der Beklagtendie neue Rahmenvereinbarung H970 als Vertragsgrundlage vereinbart, wobei im Rahmen der Änderung die Optionen „Ausschluss Gewährleistungsrisiko“ und „Ausschluss Gewährleistungs- und Bauherrenrisiko“ nicht gewählt wurden. Auch die Rahmenvereinbarung H970 erklärt die AHVB und EHVB 2005 (in der Version 2012) zum Vertragsinhalt. Sie enthält weiters die Bestimmung:
„20.7 Gewährleistung – optionale Deckung
Ist die besondere Vereinbarung hinsichtlich der Ausdehnung des Versicherungsschutzes auf das Gewährleistungsrisiko des Versicherungsnehmers getroffen, besteht Versicherungsschutz insoweit, als der Versicherer das Ausfallsrisiko bei einem Insolvenzverfahren eines vom Versicherungsnehmer beauftragten Auftragnehmers trägt.
Der Versicherungsnehmer erklärt sich bereit, den Mängelbehebungsanspruch gegen den Auftragnehmer an den Versicherer abzutreten. Abweichend von Art. 1 AHVB ist Versicherungsfall der Beschluss der Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder der Beschluss auf Abweisung des Insolvenzverfahrens mangels Masse.
Abweichend von Art. 4 AHVB besteht Versicherungsschutz dann, wenn sowohl die Beauftragung des Auftragnehmers durch den Versicherungsnehmer als auch der Versicherungsfall während der Gültigkeit dieser Deckungserweiterung eingetreten und die Mängel innerhalb von 5 Jahren, nach der Bauabnahme aufgetreten sind. Darüber hinaus stehen Gewährleistungsfolgeschäden nach Maßgabe der Versicherungsbedingungen unter vollem Versicherungsschutz. Ansprüche gemäß 17.2.1 – Eigenschäden –- bleiben weiterhin ausgeschlossen.“
[3] Die Klägerin beauftragte am 21. 12. 2010 die (im liechtensteinischen Firmenregister registrierte) R* als Subunternehmerin (idF Subunternehmerin) mit der Errichtung von Einfamilienhäusern. Nach Übergabe der Häuser im Jahr 2013 beanstandeten zuerst einzelne – dann alle übrigen – Käufer Mängel. Manche Käufer erhoben bereits Klage, andere schlossen sich unter Klagsdrohung der Bemängelung an. Die Klägerin befriedigte die erhobenen Gewährleistungsansprüche der Käufer im Wege der Ersatzvornahme, während die Subunternehmerin ihre Haftung bestritt und untätig blieb. Die Klägerin nahm die Subunternehmerin aus dem Titel der Gewährleistung und des Schadenersatzes auf zuletzt 898.660,82 EUR sA in Anspruch. Mit Beschluss vom 24. 3. 2020 wurde über das Vermögen der Subunternehmerin das Konkursverfahren eröffnet.
[4] Die Klägerin begehrt von der Beklagten 900.000 EUR sA. Das Versicherungsverhältnis habe seit 2008 bestanden und das Gewährleistungsrisiko im Insolvenzfall des Subunternehmers zu jedem Zeitpunkt umfasst. Der Vertragsabschluss mit der Subunternehmerin sei nach Abschluss des Versicherungsvertrags erfolgt. Der Deckungsumfang sei auch nach Inkrafttreten der Bedingungen H970 unverändert geblieben; ein vorher bestandener Versicherungsschutz sei nicht nachträglich verloren gegangen.
Die Beklagtewendet – den Grund des Anspruchs betreffend – ein, über die Subunternehmerin sei am 24. 3. 2020 ein Insolvenzverfahren eröffnet worden, damit sei der Versicherungsfall zwar eingetreten, der behauptete Anspruch sei aber (ausschließlich) nach den zu diesem Zeitpunkt geltenden Bedingungen H970 zu beurteilen. In deren Punkt 20.7 werde ausdrücklich geregelt, dass ein Anspruch nur dann gegeben sei, wenn kumulativ sowohl die Beauftragung des Auftragnehmers durch den Versicherungsnehmer als auch der Versicherungsfall während der Gültigkeit dieser Deckungserweiterung eingetreten seien. Die Beauftragung der Subunternehmerin sei allerdings bereits im Dezember 2010 erfolgt. Die zuvor gültigen Bedingungen H950 könnten für die Beurteilung der Deckungsfrage nicht von Relevanz sein, weil während deren Gültigkeit mangels Insolvenz der Subunternehmerin noch gar kein Versicherungsfall eingetreten sei.
[5] Das Erstgericht sprach mit Zwischenurteil aus, dass das Klagebegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe. Zwischen den Parteien habe seit 2008 ein durchgehendes Versicherungsverhältnis bestanden, das während des gesamten Zeitraums das Gewährleistungsrisiko als versichertes Risiko umfasst habe. Punkt 20.7 der Rahmenvereinbarung H950 sei so zu verstehen, dass sowohl die Beauftragung des Auftragnehmers als auch seine Insolvenz in den Zeitraum fallen müssen, in dem das Gewährleistungsrisiko aufrecht versichert gewesen sei, ob unter Anwendbarkeit der Rahmenvereinbarung H970 oder H950. Die Absicht, bereits bestehende Auftragsverhältnisse mit Professionisten durch die nachträgliche Vereinbarung der Anwendung der Rahmenvereinbarung H970 schlechthin vom Versicherungsschutz auszunehmen, könne den Parteien der Rahmenvereinbarung nicht unterstellt werden.
[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung keine Folge undschloss sich der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts an.
[7] Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung in eine Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[8] Die Klägerin beantragt in ihrer vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[9] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber nicht berechtigt.
[10] 1. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft, sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
[11] 2. Nach ständiger Rechtsprechung sind unter Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) und Vertragsformblättern alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen zu verstehen, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrags stellt (RS0123499 [T2, T7]). AGB liegen nur dann nicht vor, wenn Vertragsbedingungen zwischen den Vertragsparteien im Einzelnen ausgehandelt sind (RS0123499 [T2]). Von einer individuellen Vereinbarung kann in Abgrenzung von einem Formularvertrag nur gesprochen werden, wenn der Geschäftspartner auch hinsichtlich des Vertragsinhalts eine Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener berechtigter Interessen hat; wenn und soweit es ihm also möglich war, die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen zu beeinflussen. Sein Vertragspartner muss daher zu einer Abänderung des von ihm verwendeten Textes erkennbar bereit gewesen sein (RS0123499 [T17]).
[12] 2.1. Entgegen der Ansicht der Beklagten sind die beiden Rahmenvereinbarungen Teil der AGB der Beklagten. Die Klägerin hat die Rahmenvereinbarungen nicht selbst ausgearbeitet, dass sie mit der Klägerin im Einzelnen ausgehandelt worden wären, behauptet auch die Beklagte nicht. Die von der am Zustandekommen der Rahmenvereinbarung beteiligten Wirtschaftskammer beauftragte Versicherungsmaklerin wäre allenfalls dieser, nicht aber der an der Ausarbeitung der Rahmenvereinbarung völlig unbeteiligten Klägerin zurechenbar. Der in diesem Zusammenhang gerügte sekundäre Feststellungsmangel liegt daher nicht vor.
[13] 2.2. Die von der Revision für ihre Rechtsansicht, es handle sich bei den beiden Rahmenvereinbarungen nicht um AGB, ins Treffen geführte Entscheidung 7 Ob 136/22h ist – aufgrund der dort beteiligten Parteien – gänzlich anders gelagert. Dort wurde das Vertragswerk – eine Zusatzversicherung für die Mitglieder des klagenden Versicherungsnehmers – von der Maklerin des Versicherungsnehmers ausgearbeitet und den beklagten Versicherern war es nach den Feststellungen möglich, den Vertragsinhalt zu gestalten, weil Bereitschaft zu einer Abänderung des Textes bestand, weshalb dort – im Gegensatz zum vorliegenden Fall – eine individuelle Vereinbarung zwischen den Streitteilen vorlag.
[14] 3. Die Vorinstanzen sind zutreffend davon ausgegangen, dass zwischen den Parteien ein seit dem Jahr 2008 durchgehend bestehendes Versicherungsverhältnis vorliegt und kein neuer Vertrag unter Zugrundelegung der Rahmenvereinbarung H970 geschlossen wurde (vgl RS0080369) und in diesem Versicherungsverhältnis auch durchgehend das Gewährleistungsrisiko versichert war. Dagegen wendet sich die Beklagte in ihrer Revision auch nicht.
[15] 4. Die Beklagte steht in dritter Instanz nach wie vor auf dem Standpunkt, der Versicherungsfall sei erst während der Gültigkeit der Rahmenvereinbarung H970 eingetreten, nach deren Wortlaut sei das Gewährleistungsrisiko aber nur dann gedeckt, wenn auch die Beauftragung des Auftragnehmers durch den Versicherungsnehmer während der Gültigkeit dieser Deckungserweiterung nach der Rahmenvereinbarung H970 erfolgt sei. Da die Beauftragung der Subunternehmerin durch die Klägerin aber bereits vor Gültigkeit der in Punkt 20.7 der Bedingungen H970 geregelten Deckungserweiterung erfolgt sei, bestehe kein Versicherungsschutz.
[16] 4.1. Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) sind nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insb T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]).
[17] 4.2 Nach diesen Grundsätzen ist der Bedeutungsgehalt der Wortfolge „während der Gültigkeit dieser Deckungserweiterung“ zu ermitteln. Die Rahmenvereinbarung H970 regelt weder in ihrer Gesamtheit, noch speziell in Punkt 20.7 eine Deckungserweiterung. Die Deckung des Gewährleistungsrisikos wird in der Rahmenvereinbarung H970 vielmehr als möglicher Deckungsbaustein vorausgesetzt, was sich bereits aus der einleitenden Formulierung „Ist die besondere Vereinbarung hinsichtlich der Ausdehnung des Versicherungsschutzes auf das Gewährleistungsrisiko des Versicherungsnehmers getroffen [...]“ ergibt. In der Folge werden dort die Bedingungen, unter denen das bereits vereinbarte Gewährleistungsrisiko vom Versicherungsschutz umfasst ist, geregelt.
[18] 4.3. Hier wurde das Gewährleistungsrisiko als Deckungserweiterung von der Klägerin aber bereits mit ihrem Versicherungsvertrag aus 2008 versichert, dem die Formulierung aus der Rahmenvereinbarung H950 „Das Gewährleistungs- und Garantierisiko des Versicherungsnehmers ist ausschließlich insoweit versichert, als […]“zugrunde liegt. Im Änderungsantrag aus 2018 wurde das Feld „Ausschluss Gewährleistungsrisiko“ nicht angekreuzt. Es blieb daher bei der Gültigkeit der bestehenden Deckungserweiterung, auf die alleine sich Punkt 20.7 der Rahmenvereinbarung H970 beziehen kann.
[19] 4.4. Da sich bereits mit den Auslegungsregeln des § 914 ABGB ein eindeutiger Sinn der Vertragserklärungen ergibt, kommt die Auslegungsregel des § 915 ABGB gar nicht zur Anwendung.
[20] 4.5. Im Ergebnis sind daher im Fall der Klägerin alle Voraussetzungen für die begehrte Versicherungsdeckung durch die Beklagte erfüllt.
[21] 5. Der Revision war daher keine Folge zu geben.
[22] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO.
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